Hightech im Untergrund
Wirtschaftlicher Stauraumkanal im DurchlaufbeckenprinzipIm Künzelsau entstand im Uferbereich des Flusses Kocher ein Regen-Überlauf-becken in Form eines in Deutschland bislang einzigartigen Stauraumkanals mit untenliegendem Klärüberlauf und obenliegendem Beckenüberlauf.
Beeindruckende Dimension: Der Stauraumkanal besteht aus GFK-Rohren DN 2600 mit je 6 Metern Länge.
© Amiblu Germany GmbH
Das Ziel der ungewöhnlichen Stauraumlösung war, die hohe Schmutzfracht zu reduzieren, die bei Regenereignissen in den Fluss eingetragen wurde. Zum Einsatz kam ein GFK-Stauraumkanal von Amiblu, der zusätzlich mit dem Amiscreen-System zur Grobstoffrückhaltung inklusive Messsystem ausgestattet wurde.
Im Rahmen eines Generalentwässerungsplanes beauftragten die KünWerke der Stadtverwaltung Künzelsau das Ingenieurbüro CDM Smith Consult GmbH, Crailsheim, mit der Neuordnung des Kläranlageneinzugsgebietes nördlich des Kochers. Baulich umgesetzt wurde das Projekt von Leonhard Weiß GmbH & Co. KG aus Bad Mergentheim.
Umweltschutz im Fokus
Bereits ab den 1970er Jahren wurden in Deutschland die ersten Regenüberlaufbecken (RÜB) gebaut. Sie sollten Fäkalien und Zellulose zurückhalten und verhindern, dass das Mischwasser bei Regen ungeklärt in Flüsse und Gewässer gelangt. Da diese meist aus Beton gebauten Becken einen hohen Platzbedarf haben, entstanden vor rund 20 Jahren die ersten unterirdischen Stauraumkanäle. Der Vorteil: Das als Rohrsystem ausgeführte Rückhaltevolumen kann langgezogen im Straßenraum verbaut werden. Ein weiterer Vorzug ist, dass die Schmutzfracht im Stauraumkanal beim Abstauvorgang über den Trockenwetterabfluss zur Kläranlage abgeführt wird, während die Becken gegebenenfalls nach jedem Regenereignis gereinigt werden müssen. Beim Stauraumkanal ist die Reinigung, je nach Rohrmaterial, einmal pro Jahr ausreichend.
Fang- oder Durchlaufbecken?
An beiden Enden des Stauraumkanals ist jeweils ein GFK-Schacht angeordnet. Zu sehen ist hier der obenliegende Schacht mit den beiden Anschlüssen für den Beckenüberlauf (links) zur Ableitung in den Kocher und den beiden Anschlüssen für das Amiscreen-System (rechts).
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Hinsichtlich der Funktionsweise eines RÜB wird zwischen Fang- und Durchlaufbecken unterschieden. Fangbecken werden meistens in nicht vorentlasteten Einzugsgebieten errichtet. Im Regenfall kommt es hier zu einem Spülstoß, der zunächst eine hohe Schmutzfracht mit sich führt und in dem RÜB ‚gefangen‘ wird. Bei vollständiger Füllung führt ein obenliegender Überlauf weiter anfallendes Mischwasser in ein angrenzendes Gewässer.
Durchlaufbecken hingegen kommen dort zum Einsatz, wo nicht mit hoher Schmutzfrachtbelastung infolge eines Spülstoßes gerechnet wird. Hier wird die vorhandene Schmutzfracht über Sedimentation zurückgehalten. Die Entlastung erfolgt untenliegend über einen sogenannten Klärüberlauf. Generell können Stauraumkanäle in beiden Funktionsweisen errichtet werden.
Grundvoraussetzung für einen Stauraumkanal, der als Durchlaufbecken mit einer unterliegenden Entlastung konzipiert wird, ist eine maximale Fließgeschwindigkeit im Inneren von 0,5 m/s. Laut Uwe Napierski, Amiblu-Vertriebsleiter für Sonderanwendungen, bewegt man sich damit jedoch in Bereichen weit oberhalb von Regenklärbecken mit einer maximalen Oberflächengeschwindigkeit von lediglich 0,05 m/s.
Damit die Schmutzstoffe trotzdem ausreichend sedimentieren, muss das Volumen in einem Stauraumkanal mit unterliegender Entlastung daher um 50% vergrößert werden. Das macht den Stauraumkanal aber wiederum teurer in der Erstellung. Unter Umständen ist er damit nicht wirtschaftlicher als ein klassisches Regenüberlaufbecken. Daher finden die Mischwasser-Stauraumkanäle auch deutlich mehr Anwendung beim Fangbeckenprinzip, also bei einem Stauraumkanal mit oberliegender Entlastung.
Künzelsau führt ein Novum ein
Der Aufbau des Stauraumkanals: der obenliegende Beckenüberlauf inkl. eines Notüberlaufes (oben dargestellt) und der untenliegende Klärüberlauf (unten).
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In Künzelsau habe man nun aber bei einem Stauraumkanal eine Kombination aus einem obenliegenden und untenliegenden Überlauf ähnlich einem Durchlaufbecken mit Becken- und Klärüberlauf umgesetzt, so Napierski weiter. Der GFK-Stauraumkanal (DN 2600) mit einem Volumen von 400 m3 und einer Länge von 78 Metern verfügt sowohl über einen untenliegenden Klärüberlauf als auch über einen obenliegenden Beckenüberlauf und realisiert damit die Funktionsweise eines klassischen Regenüberlaufbeckens.
„So etwas gibt es bislang noch sehr selten. Diese Kombination wird auch noch nicht in den Regelwerken erwähnt“, erklärt Amiblu-Projektingenieur Marc Hirschmann, der zusammen mit Napierski den Bau des Stauraumkanals in Künzelsau betreute. Der Stauraumkanal wurde im Hauptschluss errichtet, was bedeutet, dass der Trockenwetterabfluss durchgeleitet wird. Eine mechanische Drossel regelt dabei den Abfluss zur Kläranlage mit 37 l/s.
Projektmanager Steffen Kunert vom Ingenieurbüro CDM Smith erläutert: „Anhand der angeschlossenen Fläche haben unsere Berechnungen ergeben, dass ein Stauvolumen von 400 m3 benötigt wird. Da die Platzverhältnisse im Uferbereich des Kochers direkt neben der Kocherbrücke der Bundestraße 19 sehr eingeschränkt sind, kam ein klassisches Regenüberlaufbecken nicht in Frage. Bei anderen Projekten konnten wir schon einige GFK-Stauraumkanäle erfolgreich realisieren. Daher kam bei den Planungen die Idee auf, parallel zum Fluss ein unterirdisches Stauraumkanalsystem als Regenüberlauf zu errichten. Die Randbedingungen bei diesem Projekt waren dafür ideal.“
Amiscreen auf den Zahn gefühlt
Zunächst nahmen die Planer von CDM Smith Kontakt zu den Stauraumkanal-Experten bei Amiblu auf, um eine leistungsfähige Lösung für Künzelsau zu finden. Dabei kam der Vorschlag auf, für die Grobstoffrückhaltung das Amiscreen-System zu integrieren.
Kunert: „Da es sich dabei um ein relativ neues System handelt, haben wir zusammen mit Vertretern vom Landratsamt Hohenlohekreis, Vertretern der KünWerke und dem Betriebspersonal der Kläranlage drei bestehende Stauraumkanäle mit Amiscreen näher angesehen. Bei diesen Ortsterminen konnten sich dann alle mit den jeweiligen Betreibern und dem Betriebspersonal über die durchweg positiven Erfahrungen mit dem System austauschen.“
Planer, Auftraggeber und das Landratsamt trafen dann gemeinsam die Entscheidung für das Amiscreen-System in Künzelsau. „Wir leisten mit dem neuen Stauraumkanal aktiven Gewässerschutz“, erklärt Kunert.
Fließgeschwindigkeit unter der magischen Grenze
Die genauen Berechnungen ergaben, dass bei einem Klärüberlauf von 280 l/s das GFK-Rohrsystem als Durchlaufbecken betrieben werden darf, da die Fließgeschwindigkeit unterhalb der maximal zulässigen 0,05 m/s liegt. So können die Schmutzstoffe wie gefordert im Inneren des Stauraumkanals sedimentieren. Der Stauraumkanal wurde daher nicht um 50% im Volumen vergrößert. Übersteigt die Regenmenge das Stauraumvolumen von 400 m3, können bis zu 1.837 l/s über den obenliegenden Beckenüberlauf in den Kocher entlastet werden.
Das Amiscreen-System besteht aus GFK-Stützkörpern, die mit einem Kunststoffgitter ummantelt sind. Die Lochung des Gitters beträgt acht Millimeter.
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Beide Überläufe sind dabei mit dem Amiscreen-System zur Grobstoffrückhaltung ausgestattet – für den obenliegenden Beckenüberlauf zweimal 28 Meter in DN 700 und für den untenliegenden Klärüberlauf zweimal vier Meter DN 600. Napierski: „Das Amiscreen-Element besteht aus einem GFK-Stützkörper, der mit einem Kunststoffgitter ummantelt ist. Die Lochung des Gitters beträgt acht Millimeter. Staut sich das Mischwasser in dem Kanal an, fließt das Wasser mit weniger als 0,05 m/s Durchflussgeschwindigkeit durch die Perforierung und gelangt ins Innere der Amiscreen-Rohre, während Grobschmutzstoffe größer acht Millimeter immer an der Außenseite verbleiben und so nicht über den Klär- bzw. Beckenüberlauf in den Kocher gelangen.“
Das i-Tüpfelchen: Integrierte Messtechnik
Ein Riesenvorteil dieser Art der Grobstoffrückhaltung liegt in der großen Rechenfläche, die bei dem Projekt in Künzelsau stolze 123 m2 beträgt. Zum Vergleich: Eine Überlaufschwelle müsste bei einem integrierten, klassischen Rechen für die gleiche Leistung gut 123 Meter lang sein. Hirschmann: „Dabei ist Amiscreen in der Anschaffung nicht nur kostengünstiger, sondern auch wartungsärmer. Während des Abstaus sinken die Grobstoffe auf die Sohle des Stauraumkanals und werden dort durch den Trockenwetterabfluss in Richtung Kläranlage transportiert.“
Über die beiden je vier Meter langen Amiscreen-Rohre gelangt das von Schmutzstoffen befreite Wasser in den untenliegenden Klär-überlauf. In der Mitte ist die Öffnung zu sehen, über den der Trockenwetterabfluss abgeleitet wird. Rechts daneben liegt der Abfluss in den Drosselschacht.
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Die glatte Innenoberfläche der GFK-Rohre mit den sehr guten hydraulischen Eigenschaften und das Gefälle des Stauraumkanals unterstützen dabei diesen Selbstreinigungsprozess. Zusätzlich wurde auch ein eigenes Amiscreen-Messsystem installiert. Sensoren überwachen dabei den Verschmutzungsgrad der Amiscreen-Elemente und schlagen Alarm, wenn der Belag auf dem Gitter eine Reinigung notwendig macht.
Sondervorschlag Geoponton
Darüber hinaus lassen sich alle Einzelteile – GFK-Rohre und -Schächte – sehr schnell aufgrund ihres geringen Eigengewichtes verlegen. Diese schnelle Verlegezeit kann Leonhard Weiss-Bauleiter Gregor Held nur bestätigen: „Die Qualität der Rohre und Schächte war sehr gut und hat dazu beigetragen, dass die reine Verlegung des Stauraumkanals binnen 14 Tagen erfolgen konnte.“
Zeitaufwendiger war dagegen die Erstellung der Baugrube mit der Baugrubensicherung. Held: „Die Baugrube musste in unmittelbarer Nähe zum Flussbett im Uferbereich des Kochers erstellt werden. In Absprache mit allen Beteiligten haben wir als Sondervorschlag die sogenannte Holländische Bauweise vorgeschlagen in Kombination mit einer RSS-Schwergewichtswand.“
Dabei wird der Boden im Schutz von Verbauboxen ausgehoben, Stahlträger eingebracht und anschließend mit RSS-Flüssigboden verfüllt. „Auf diese Weise haben wir ein 80 Meter langes, 20 Meter breites und vier Meter hohes Geoponton hergestellt“, so Held weiter. In dieses wurde nach dem kompletten Aushärten des Flüssigbodens der Rohrgraben ausgehoben. So kann kein Grundwasser in die Baugrube eindringen.
Ein wirtschaftliches Musterbeispiel
Nach der Verlegung des Stauraumkanals und dem Setzen der Schächte wird der Rohrgraben mit Flüssigboden verfüllt.
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Mit dem kompletten Neubau der Mischwasserkanalisation mitten in Künzelsau inklusive des neuartigen Stauraumkanals, ist die Stadt nun für Starkregenereignisse bestens gewappnet. Napierski: „Der hier realisierte Stauraumkanal ist ein Musterbeispiel dafür, dass Stauraumkanäle mit einer Kombination aus einer untenliegenden Entlastung als Klärüberlauf und einer obenliegenden Entlastung als Beckenüberlauf in der Arbeitsweise eines Durchlaufbeckens ohne Volumenvergrößerung wirtschaftlicher umgesetzt werden können als die üblichen Betonbecken.“ Und wer weiß, vielleicht findet dieser kombinierte Aufbau eines Stauraumkanals irgendwann auch Eingang in die DWA-Richtlinien.