Alles andere als zu schwach
Von Stahlbetonbauern – und StahlbetonbauerinnenIm Stahlbetonbau sind Frauen noch immer die Ausnahme. Dass dies jedoch nicht an mangelnder „Tauglichkeit“ liegt, beweist dieses Beispiel: Die angehende
Stahlbetonbauerin Kimberley Sander ist im ersten Lehrjahr ihrer Ausbildung.
Handwerksbildungszentrum Bielefeld-Brackwede: Die 20jährige Kimberley Sander ist im ersten Lehrjahr ihrer Ausbildung zur Stahlbetonbauerin. Vor einem Jahr hat sie Abitur gemacht. Ursprünglich wollte sie Wirtschaftspsychologie studieren, den gewünschten Studienplatz hat sie aber nicht bekommen. In der Schule machte sie ein Praktikum am Handwerksbildungszentrum (HBZ) Brackwede und arbeitete dort in den Werkstätten der Fliesenleger und Stahlbetonbauer. Statt fürs Studium entschloss sie sich also für eine Ausbildung im Handwerk.
Eine absolute Ausnahme
Markus Ortmann, Maurer- und Betonbauermeister am HBZ Brackwede, hilft ihr dabei, einen Ausbildungsplatz zu finden. Er vermittelt sie an den Betrieb Massivbau Schröder GmbH & Co. KG in Gütersloh. Dort macht Kimberley zunächst eine Woche Praktikum. „Aus meinem Jahrgang bin ich nicht die einzige, die trotz Abitur eine handwerkliche Ausbildung macht“, sagt Kimberley, „viele von meinen ehemaligen Mitschülern arbeiten im Handwerk. Manche studieren auch, viele haben aber ihr Studium abgebrochen.“ Kimberley hat eine eigene Wohnung, dabei verdient sie im ersten Lehrjahr gerade mal 700 Euro im Monat. Wie sie die Wohnung finanziere? „Kindergeld und Halbwaisenrente. Außerdem kenne ich den Vermieter gut“, sagt sie selbstbewusst.
Sie ist eine von wenigen Frauen, die den Beruf Stahlbetonbauerin erlernen. In einem Hintergrundpapier des Bundesinstituts für Berufsbildung von 2016 heißt es, dass der Anteil der Frauen, die eine Lehre zur Stahlbetonbauerin machen, im Jahr 2015 bei nur 2,9 Prozent lag. Immerhin ist der Anteil an Frauen in klassischen Männerberufen seit 2007 gestiegen. Das deckt sich mit dem Bild, das sich in der Betonbauer-Werkstatt des HBZ Brackwede ergibt: Hier arbeitet Kimberley
Sander als einzige Frau neben etwa 15 Männern daran, eine Schalung aus Holz zu erstellen.
Die Chefin war überzeugt, der Chef zweifelte noch
Beim Vorstellungsgespräch bei ihrem zukünftigen Arbeitgeber musste Kimberley erst mal Überzeugungsarbeit leisten. „Die Chefin war sofort von mir begeistert. Eine Frau als Auszubildende, das hat ihr gefallen“, sagt Kimberly. Als ihre zukünftige Chefin fragt, ob sie sich auf der Baustelle durchsetzen könne, erwähnt Kimberley nur, dass sie Karatetrainerin ist.
„Das hat gereicht, um meine Chefin zu überzeugen. Meinen Chef aber noch nicht“, sagt sie. Dazu passt das Ergebnis einer Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung von 2014. Darin heißt es, dass es von betrieblicher Seite aus immer noch Vorbehalte gegenüber Frauen in „Männerberufen“ zu geben scheint.
Getrennte Toiletten? Nicht immer nötig
Markus Ortmann hilft dabei, diese Vorbehalte abzubauen. Er spricht mit dem Betriebsinhaber der Massivbau Schröder GmbH & Co. KG, Oliver Schröder, um ihn von Kimberley zu überzeugen. „Inhaber von Handwerksbetrieben möchten zum Beispiel wissen, ob sie eine Damentoilette brauchen, wenn sie einen weiblichen Azubi einstellen“, sagt Markus Ortmann.
In der Arbeitsstättenverordnung ist das klar geregelt. Arbeiten mehr als 6 Mitarbeiter im Betrieb und darunter ist eine Frau, muss es eine eigene Damentoilette geben. Liegt die Toilette aber separat von den Umkleiden, ist die Lage anders. Dann ist erst ab 10 Beschäftigten eine eigene Damentoilette nötig. Bei der
Massivbau Schröder GmbH & Co. KG hat man die Situation so gelöst: Es gibt eine abschließbare Toilette für Männer und Frauen, eine so genannte „Unisex“-Toilette.
Wissen, wovon man spricht - gerade als Frau
Der Vater von Kimberley Sander zweifelte, ob der Beruf Stahlbetonbauerin das richtige für seine Tochter sei. Von den Zweifeln von Freunden oder Familie ließ sich Kimberley aber nicht abbringen. „Außerdem will ich nicht mein Leben lang auf dem Bau arbeiten, sondern nach der Ausbildung studieren“, sagt Kimberley. Was, das weiß sie schon ziemlich genau: Bauingenieurswissenschaften. Warum sie nicht sofort nach dem Abitur ein Studium angefangen hat, erklärt sie so: „Mir ist es wichtig, Fachkenntnis aus der Praxis und nicht nur aus der Theorie zu haben. Denn wenn ich später den Leuten sagen soll, was sie zu tun haben, muss ich wissen, wovon ich spreche - gerade als Frau!“
Schwere Lasten tragen sowieso Maschinen
Ein weiteres Vorurteil, das leider immer wieder auftaucht: Frauen seien für die schwere körperliche Arbeit auf der Baustelle
ungeeignet. Gerade, wenn es darum ginge, als Stahlbetonbauerin Schalung oder anderes Material tragen zu müssen. Das kann Kimberley Sander so pauschal ebenfalls nicht bestätigen: „Es gibt heutzutage auf der Baustelle viele Maschinen, die die
Arbeit erleichtern. Und ganz schwere Dinge trägt man zu zweit.“
Sauberkeit und Co.
Das Thema Sauberkeit ist für die Auszubildende ein Brennpunkt. „Ich finde es wichtig, dass das Dixi auf der Baustelle sauber ist“, sagt Kimberley, „da musste ich aber am Anfang erst mal eine Ansage machen.“ Ihre Ansage unterstützt sie mithilfe eines Desinfektionssprays. Damit sprüht sie auf einer Baustelle das Dixi von innen ein. „Meine Kollegen fanden den Geruch nicht so toll. Da habe ich ihnen geraten, dass sie mal besser die Toilettentür zum Lüften auflassen sollten“, sagt Kimberley.
Männer sind vernünftiger, wenn eine Frau dabei ist
Generell seien Männer aber viel vernünftiger, wenn eine Frau mit auf der Baustelle sei, so Kimberley. „Als ich in meinem Betrieb angefangen habe, haben sich die Männer mit dem Fluchen zurückgehalten. Bis sie gemerkt haben, dass ich genauso fluche“, sagt sie. Die junge Frau ist in ihrem Ausbildungsberuf die Ausnahme von der Regel. Probleme scheint sie in ihrem Berufsalltag dadurch kaum zu haben, im Gegenteil: Kimberley Sander wird in den Werkstätten des HBZ Brackwede sogar von anderen Azubis um Rat gebeten. Eine Betreuerin des Handwerksbildungszentrums sagt dennoch zum Abschluss unseres Besuchs: „Es wäre schön, wenn wir mehr weibliche Azubis hätten.“
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