BIM für
Fortgeschrittene

Der aktuelle Neubau des Rathauses in Leonberg entsteht schon
seit der Leistungsphase 3 mit BIM. Dabei koordiniert Wolff & Müller
die Arbeit der vier Planungspartner am Gebäudedatenmodell.

Das mittelständische Bauunternehmen Wolff & Müller arbeitet bereits seit rund sieben Jahren mit BIM und wurde als Best-Practice-Unternehmen bereits dreimal mit dem iTWO-Award ausgezeichnet. Dieser Award wird an Unternehmen verliehen, welche die Software iTWO BIM 5D besonders konsequent und intensiv nutzen. Weil es in Deutschland noch keine allgemeingültigen BIM-Richtlinien gibt, sind Pionierprojekte für Wolff & Müller besonders wichtig, um die Methode weiter zu entwickeln.

„Little BIM“- und „Big BIM“-Projekte

Auf der einen Seite stehen sogenannte „Little BIM“-Projekte mit dem Ziel, die internen Prozesse durch die durchgängige Nutzung des Datenmodells zu verbessern, auf der anderen Seite „Big BIM“-Projekte, zusammen mit externen Partnern. Dabei arbeiten Architekten und Fachplaner in einer Cloud auf den Servern des Bauunternehmens gemeinsam am Gebäudedatenmodell. Das am weitesten fortgeschrittene BIM-Projekt ist der aktuelle Neubau des Rathauses in Leonberg bei Stuttgart. BIM kommt hier seit der Leistungsphase 3 (Entwurfsplanung) zum Einsatz.

Rathaus als Stadtbaustein

Schaller Architekten BDA RIBA Stuttgart und Wolff & Müller bekamen im Dezember 2014 den Zuschlag für den Neubau des Rathauses. Der Rathausneubau soll verschiedene, in der Stadt verteilte Ämter unter einem Dach zusammen führen. Das siebengeschossige Gebäude mit einer Bruttogeschossfläche von rund 9.900 qm2 soll ein offenes, einladendes Haus für Bürger sein. Eine explizite Vorder- oder Rückseite gibt es nicht. Das Gebäude öffnet sich nach drei Seiten. Außen- und Innenräume gehen fließend ineinander über. Die Bauarbeiten haben im August 2015 begonnen. Die schüsselfertige Übergabe des Rathauses ist für Ende 2016 geplant. Bis Mitte 2017 sollen auch die Außenanlagen fertiggestellt und das bestehende Rathaus abgerissen werden.

Geeignetes BIM-Projekt

Was macht das Rathaus Leonberg zum geeigneten BIM-Pionierprojekt? Zum einen dasVergabeverfahren nach dem Planen-und-Bauen-Prinzip, das eine frühe und enge Abstimmung innerhalb der Bietergemeinschaft erfordert. So kam es, dass sich Architekt und Bauunternehmen in einer frühen Planungsphase für BIM entschieden. Zum anderen ist das Projekt wegen seiner überschaubaren Größe auch für BIM-Neulinge wie die beteiligten Fachplaner gut geeignet. Fehlende Daten lassen sich ohne größeren Aufwand im Modell ergänzen.

Fünf Partner, ein Modell

Insgesamt sind vier Planungspartner an dem Projekt und somit auch am Gebäudedatenmodell beteiligt: Schaller Architekten, DW-Ingenieure (Tragewerksplanung), HPG (Elektroplanung) und PB Bauer (Technische Gebäudeausrüstung). Wolff & Müller als ausführendes Bauunternehmen und Partner mit der meisten BIM-Erfahrung stellt die Arbeitsumgebung, definiert die Prozesse und Standards, steuert und koordiniert die Arbeit am BIM-Modell.
Diese Aufgaben übernehmen BIM-Experten aus der Gruppe Digitalisierung/BIM sowie IT-Fachleute des Bauunternehmens. Für die eigentliche Bauausführung, also die Projektleitung, die Planungskoordination, den Technischen Innendienst und die Bauleitung, ist die Wolff & Müller Regionalbau GmbH & Co. KG am Standort Stuttgart zuständig.

Gut vorbereitet für BIM

Die BIM-Arbeitsweise will gut vorbereitet sein. Zu Beginn regelten die Partner in einem BIM-Pflichtenheft ihre Zusammenarbeit. Zum Beispiel einigten sie sich darauf, mit der gleichen BIM-Software – Autodesk Revit – zu arbeiten und so Schnittstellenproblemen bei der Datenübertragung vorzubeugen. Auf den Citrix-Servern von Wolff & Müller wurde eine Art Cloud eingerichtet. Sie ermöglicht allen Beteiligten, in Echtzeit an dem Gebäudedatenmodell zu arbeiten.

Auch die Browserstruktur, also die Arbeits- und Planbereiche in der CAD-Software, wurden festgelegt. Jeder Planer bekam einen eigenen Arbeitsbereich, um seine Pläne, Arbeits- und Kotrollansichten zu erstellen. Die Beteiligten definierten, auf welche Art und Weise „fremde“ Dateitypen wie dwg- oder dxf-Formate eingebunden werden. Sie legten fest, dass geschossweise modelliert wird, auf welche Referenzpunkte sich die 3D-Koordinaten der Bauteile beziehen, nach welchen Regeln die Bauteile benannt werden und welche Parameter sie beinhalten. Eine Mitarbeiterin aus dem BIM-Team bei Wolff & Müller übernahm die Rolle der BIM-Koordinatorin / BIM-Managerin, die IT-Abteilung des Unternehmens wartete den Server und kümmerte sich um die Freigaben und die Einbindung der externen Planer.

Effiziente Planung

Noch vor dem Bauantrag überführten die Architekten die ersten 2D-Entwürfe in eine bauteilorientierte 3D-Planung und legten das mit der CAD-Software Autodesk Revit erstellte Zentralmodell auf dem Server ab. Die Tragwerksplaner konnten über die Cloud darauf zugreifen und die statisch erforderlichen Bauteildimensionen anpassen. Das führte bereits in dieser frühen Phase zu einer relativ hohen Planungstiefe. Die Bauantragspläne wurden direkt aus dem zentralen BIM-Modell abgeleitet.
Im Moment läuft die Ausführungsplanung: Das Modell wurde immer weiter verfeinert. Im Unterschied zu den Tragwerksplanern arbeiteten die Experten für Elektrotechnik und Technische Gebäudeausrüstung nicht direkt im Zentralmodell, sondern in einem referenzierten TGA-Fachmodell. Die Darstellung der verknüpften Modelle kann auf Knopfdruck aktualisiert werden, so dass jeder Beteiligte immer den aktuellen Planungstand der anderen Gewerke im Blick hat.
Die BIM-Koordinatorin überprüfte die Datenmodelle in regelmäßigen Abständen mit dem Solibri Model Checker auf Kollisionen. Die festgestellten Kollisionen, zum Beispiel zwischen Rohrleitungen und tragenden Bauteilen, wurden in den Jour-Fixe-Terminen mit dem Planungsteam und der Planungskoordinatorin von Wolff & Müller besprochen und geklärt.

Genaue Planung dank Bauablaufsimulation

In der Ausschreibungsphase konnte Wolff & Müller anhand der Metadaten aus dem Modell – Dimensionen, Aufbau und Materialien der Bauteile – die Mengen sehr exakt ermitteln und dem Technischen Innendienst der ausführenden Niederlassung zur Verfügung stellen. Auch zur Arbeitsvorbereitung wurde unterstützend zu den 2D-Plänen das BIM-Modell genutzt.
Mit Hilfe des Ceapoint Desite Viewers leitete der Technische Innendienst daraus die zur Planung der Baustelle benötigten Informationen ab. Aus den Terminvorgaben des Bauherrn wurde mit der Software Asta Powerproject der Terminplan erstellt und in Ceapoint Desite importiert. Durch Zuordnung der Bauteile entstand eine Bauablaufsimulation, die eine sehr genaue terminliche Planung der einzelnen Gewerke ermöglicht.

Das Modell wird Realität

Mit Start der Bauarbeiten im August 2015 wurde die virtuelle, digitale Planung Schritt für Schritt Realität. Ein großer Bildschirm im Besprechungsraum machte das  BIM-Modell auf der Baustelle nutzbar. Damit konnten Bauherr, Planer und Bauunternehmen bei ihren Besprechungen vor Ort die besprochenen Punkte anschaulich visualisieren. Sie bekamen ein einheitliches Verständnis vom Bauprojekt und dem jeweiligen Planungs- und Ausführungsstand. Zum Beispiel war für alle besser nachvollziehbar, welche Folgen eine Planungsänderung hat.

BIM aus Sicht des Bauherrn

Alle Vorteile von BIM, zum Beispiel mehr Termin- und Kostensicherheit, kommen letztendlich dem fertigen Gebäude und damit dem Bauherren zugute. Deshalb stieß die Arbeitsmethode auf Seiten der Stadt Leonberg und deren Projektsteuerer Drees & Sommer auf sehr positive Resonanz. Außerdem konnte der Oberbürgermeister verkünden, dass die Bauarbeiten voll im Zeitplan liegen und auch der Kostenrahmen voraussichtlich nicht überschritten wird.

Fünfdimensionales Bauen reduziert Fehler

Obwohl das Rathaus Leonberg für einige Planer das erste BIM-Projekt war, hat die Methode alle Beteiligten überzeugt. Die gemeinsame Arbeit am selben Modell führte
bereits in der frühen Planungsphase zu einem sehr ausgereiften Niveau. Zum Beispiel kam von Seiten der Tragwerksplaner die Rückmeldung, dass sie die Ausführungsplanung noch nie so früh so detailliert ausarbeiten konnten wie bei diesem Projekt. BIM verlagert die Planung zwangsweise wieder in die frühen Projektphasen: Aufwändige baubegleitende Änderungen werden auf ein Minimum reduziert. Der aktuelle Stand ist für alle transparent, was zu einem hohen Projektverständnis im gesamten Team führt. Dass alle Beteiligten im gleichen Datenraum arbeiten, anstatt jeder für sich, macht die Kommunikation besser, effizienter und fehlerfreier. Anstelle 2D-Pläne weiterzureichen, entsteht das Bauwerk von Anfang an fünfdimensional: 3D-Geometrie plus Zeit und Kosten.

Am Anfang mehr Arbeit

Natürlich erfordert ein solches Pilotprojekt auch viel Pioniergeist und mehr Aufwand. Zum Beispiel hat das BIM-Team bei Wolff & Müller in der Anfangsphase viel Zeit in die Beantwortung software- und projektspezifischer Fragen investiert. Die externen Planer machten sich aber zügig mit der Software und der Arbeitsweise vertraut und konnten schnell die ersten Mehrwerte für sich erkennen. Ein weiteres Startproblem – die nicht ausreichende Datengeschwindigkeit – konnten die IT-Fachleute bei Wolff & Müller zeitnah lösen.

In BIM liegt die Zukunft

Die Planungsbüros und Bauunternehmen, die derzeit das digitale Planen und Bauen vorantreiben, müssen noch einige Hürden überwinden, zum Beispiel die fehlenden BIM-Richtlinien für Deutschland. Sie leisten einen Mehraufwand, den die HOAI und VOB nicht ausreichend vergüten. Deshalb hinkt Deutschland beim digitalen Bauen anderen Ländern hinterher. Umso wichtiger ist die Rolle der Bauherren und Investoren. Sie können sich der Revolution anschließen, indem sie BIM nicht nur beobachten, sondern aktiv einfordern.

Auf lange Sicht: Viele Vorteile

BIM lohnt sich nicht nur im Tunnel- und Brückenbau, sondern auch und vor allem im – öffentlichen wie privaten – Hochbau. Bauherren und Betreiber profitieren vor allem in der langen Betriebsphase. Das Planungs- und Bauteam überreicht ihnen ein Gebäudedatenmodell, das die Immobilie exakt so abbildet, wie sie dasteht, mit allen Umbauten und Planungsänderungen und der gesamten technischen Ausrüstung. Am Modell kann der Betreiber Energie-, Reinigungs- und Wartungskosten berechnen, Entrauchungs- und Evakuierungsszenarien simulieren, künftige Umbauten planen, Leistung und Zustand des Bauwerks – auch finanziell – bewerten. Das BIM-Modell „as-built“ wird zur stets aktuellen Datenbank für alle, die das Gebäude nutzen und bewirtschaften.

Wolff & Müller Holding GmbH & Co. KG

www.wolff-mueller.de

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