Blick ins Innere
Wenn eine korrekte Instandsetzungsplanung von Bestandsbauten Informationen und Bewertungen zu Baukonstruktion und Baustoffen erfordert, reichen visuelle und oberflächliche Erkundungsverfahren oft nicht aus, da an den Oberflächen nicht alle notwendigen Informationen abgelesen werden können. Mit zerstörungsfreien Verfahren aus der Geophysik lassen sich dagegen Erkenntnisse aus dem Inneren gewinnen.
Diese Verfahren haben sich in den vergangenen rund 13 Jahren im Bauwesen etabliert. Es handelt sich dabei um indirekte Erkundungsmethoden, bei denen physikalische Kenngrößen wie Reflexionen, Wellengeschwindigkeiten und Absorptionen erfasst werden. Diese Messdaten müssen von Spezialisten interpretiert, bewertet und in Bezug zu den bautypischen Informationen gesetzt werden.
Meistens werden die Verfahren Radar, Ultraschall und Mikroseismik eingesetzt. Mit dem Radarverfahren können in relativ kurzen Zeiträumen große Flächen effektiv untersucht werden. Als Hilfsmittel werden Gerüste oder Hubsteiger benötigt. Die Technik ist mobil und flexibel an den Bauwerken einsetzbar. Nur im Bedarfsfall müssen diese zerstörungsfreien Verfahren mit zerstörenden kombiniert eingesetzt werden. Das heißt, je nach Fragestellung kann es an den Objekten erforderlich werden, kalibrierende Kernbohrungen ergänzend durchzuführen. Dies erfolgt aber an gezielt ausgewählten Stellen und in der Anzahl auf ein Minimum reduziert.
Auch diese Methodik erfordert einen verantwortungsvollen Umgang mit vorhandenen Ressourcen. Der mögliche Erkundungserfolg sowie der Untersuchungs- und Bewertungsaufwand müssen im Vorfeld gründlich abgeschätzt werden. Nicht die maximal mögliche erfassbare Datenmenge bestimmt die Qualität der Ergebnisse und den Erfolg der Untersuchungen. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit erfahrener Spezialisten steht für eine sachkundige Auswahl der Verfahren, eine professionelle Anwendung und Auswertung unter Berücksichtigung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses. Dabei muss die Situation am Bauwerk mit den Leistungsmerkmalen der Untersuchungsmethoden abgeklärt werden. Da es sich um indirekte zerstörungsfreie Verfahren handelt, sind für deren erfolgreichen Einsatz die Erfahrungen der Anwender und deren technische Ausstattung entscheidend.
Einsatzmöglichkeiten zerstörungsfreier Verfahren
Bei Betonbauwerken stehen meistens Fragen nach der vorhandenen Bewehrung im Mittelpunkt. Es muss erkundet werden, ob in dem entsprechenden Bauteil eine Bewehrung überhaupt vorhanden ist, in welcher Tiefenlage diese liegt und wie der Bewehrungsabstand ist. Durchmesser und der Korrosionszustand können mit diesen Verfahren nicht bestimmt werden. Weitere wichtige Fragestellungen sind die Bewertung des Betonzustandes, die Suche nach Kiesnestern beziehungsweise Verdichtungsmängeln und die Ortung von Hohllagen bei Vorsatzschalen. Das betrifft die Erfassung des Bestandes im Altbau aber auch die Qualitätskontrolle beim Neubau.
Im Baugrund oder zum Beispiel unter alten Betonplatten in Industriebauten können mit dieser Technik alte Fundamentreste, Hohlräume, Kanäle und Leitungen geortet werden.
Insbesondere bei Stützwänden ist für den Standsicherheitsnachweis die Kenntnis der Wanddicken in verschiedenen Höhen wichtig. Weiterhin muss bekannt sein, ob hinter solchen Wänden Ausspülungen, Hohllagen oder ähnliche Inhomogenitäten im anstehenden Erdreich vorhanden sind. Bei Geschossdecken kann der konstruktive Aufbau und die Lage der Tragelemente zerstörungsfrei erfasst werden.
Das Radarverfahren
Das Radarverfahren basiert auf der Ausbreitung elektromagnetischer Wellen. Deren Aussendung erfolgt meist in der Form von Impulsen über eine auf der Oberfläche platzierte Sende- und Empfangseinheit. Diese Radarsensoren werden am Bauwerk manuell geführt (Bilder 1-3). Die Untersuchungen werden meistens flächendeckend ausgeführt; mit den Geräten muss dabei immer an der Oberfläche entlang gefahren werden. Der sich ergänzende Einsatz von Sensoren mit unterschiedlicher Leistungsfähigkeit an einem Objekt kann die Aussagegenauigkeit deutlich verbessern.
Die Wellen durchlaufen die Untersuchungsbereiche mit einer stoffspezifischen Ausbreitungsgeschwindigkeit. Beim Übergang von einem Material in ein anderes mit abweichenden elektrischen Eigenschaften wird ein Teil der einfallenden Wellen gebrochen, während der verbleibende Anteil an der Grenzfläche reflektiert wird. Der Kontrast der Dielektrizitätszahlen sowie der Leitfähigkeit benachbarter Materialien bestimmt im Wesentlichen das Reflexionsvermögen der Trennflächen. An metallischen Stoffen kommt es zur Totalreflexion. Diese Reflexionen werden messtechnisch erfasst, bewertet und interpretiert.
Bestimmung von Steineinbindetiefen
Dienen Natur- oder Ziegelsteine als Vorsatzschale, muss neben der Ortung möglicher Hohlstellen deren Einbindetiefe und Verzahnung mit dem angrenzenden Baustoff, meistens Beton, bekannt sein. Die Rückseiten der Steine und mögliche Luftspalte können aufgrund typischer Reflexionsstärken anhand des Materialwechsels Stein – Beton – Luft zuverlässig erkannt und angegeben werden. Ein Datenbeispiel ist im Bild 5 zu sehen. Bei diesem Wehrpfeiler sollte erkundet werden, ob sich Hohllagen zwischen der Vorsatzschale aus Naturstein und dem Kernbeton ausgebildet haben (Bild 6). Starke Reflexionen an der Grenzschicht von Naturstein zu Beton weisen auf Hohllagen hin. Steinweise sind die Einbindetiefen erfasst worden und nur bei den gelben markierten Steinen besteht der Verdacht auf Hohllagen.
Untersuchungen zur Bewehrungslage im Beton
An Metallen wie Stahlträgern, Bewehrungseisen, Steinklammern, Ringankern und Dollen werden die elektromagnetischen Wellen vollständig reflektiert und beim senkrechten Überfahren dieser Materialien entstehen typische Diffraktionen (Beugungen). Daran lassen sich die Tiefenlage und der Verlauf der Metalle im Bauteil bestimmen.
Ultraschall und Mikroseismik
Diese beiden Verfahren basieren auf der Anregung und Ausbreitung mechanischer Wellen und können zur Feststellung und Beurteilung mechanischer Materialeigenschaften eingesetzt werden. Typische Fragestellungen sind beispielsweise der Verwitterungszustand von Natursteinen und die Einordnung bezüglich der Festigkeit von Naturstein und Beton. Wichtig ist, dass das zu durchschallende Bauteil von zwei gegenüberliegenden Seiten erreichbar ist und der Abstand zwischen Sender und Empfänger möglichst genau erfasst werden kann (Bild 4). Hierbei handelt es sich um punktuelle Untersuchungen; größere Flächen zu bearbeiten ist zeitaufwändig. Betrachtet und ausgewertet werden meistens die Laufzeiten der Raumwellen in Form von Kompressionswellen und Scherwellen. Deren Fortpflanzung in einem Medium hängt von den mechanischen Stoffeigenschaften ab, wozu unter anderem die Druckfestigkeit und die Rohdichte zählen. Die Reichweite des Ultraschalls ist begrenzt. Ab Bauteildicken von mehr als 40 cm kann aber auf die Mikroseismik zurückgegriffen werden.
Der erhaltene physikalische Messwert (Wellengeschwindigkeit) kann aber nicht direkt dem gewünschten Materialkennwert wie zum Beispiel der Druckfestigkeit zugeordnet werden. Soll eine möglichst genaue Korrelation zwischen Druckfestigkeit und Wellengeschwindigkeit erstellt werden, müssen materialbezogene Kalibrierkurven über Materialproben und Labormethoden erarbeitet werden (zerstörende Eingriffe, Druckfestigkeitsprüfungen).
Kombination von Radarverfahren und Mikroseismik
Die betonierten Trennmolen eines Wehres wiesen oberflächlich erkennbare Betonzerstörungen auf (Bild 8). Die darin enthaltenen Wasseransammlungen verursachten weitere Gefügeschädigungen. Mit zerstörungsfrei arbeitenden Verfahren sollte abgeklärt werden, ob sich im Inneren Strukturveränderungen wie Betonauflockerungen, Risse und Schalenbildungen befinden. Da der Schadenseintrag hauptsächlich von den horizontalen Oberflächen ausgeht, war es ausreichend, die Molen lediglich an den begehbaren Oberflächen und an den angrenzenden seitlichen Flächen bis circa 70 cm unterhalb der Oberkante zu untersuchen.
Die Radarergebnisse wurden grundrissähnlich für einen Bereich von 0 bis 20 cm Tiefe ab Oberkante Mole dargestellt. Im Bild 7 mittig zeichnen sich im Radar erkennbare Störungen im Betongefüge anhand erhöhter Reflexionen mit Rot- oder Gelbtönen ab. Es handelt sich um hohlraumreiche Strukturen, welche aber lediglich im Umfeld der Poller auftreten. Ansonsten zeigen die Blau- und Schwarztöne ein kaum reflektives Material an. Dies wird als ein homogenes und kompaktes Betongefüge bewertet.
Die Trennmole wurde mit Mikroseismik quer durchschallt. Aufgrund des engen Messrasters handelte es sich hier um eine flächenhafte Untersuchung. Je Messpunkt wurde die Kompressionswellengeschwindigkeit berechnet und farbcodiert in den Ansichten dargestellt. Die Wellengeschwindigkeiten sind nur ein qualitatives Maß für die Betongüte. Aber anhand vorhandener Werte aus der Fachliteratur ist eine grobe Einschätzung und Beurteilung des Betons möglich (Tabelle 1).
Untersuchungsergebnisse
Bei diesem Bauwerk sind alle durchschallten Bereiche in einem guten bis sehr guten Zustand. Anhand der Wellengeschwindigkeiten kann auf einen guten Beton, mindestens C20/25, geschlossen werden. Nur im Bereich von der Molen-Oberkante bis in eine Tiefe von 50 cm verringert sich die Betonqualität etwas, allerdings nicht gravierend. Für eine weitere Beurteilung der Reduzierung der Betonfestigkeit können in den Bereichen mit 3700 bis 3900 m/s Kernbohrungen zur Bestimmung der tatsächlich vorhandenen Druckfestigkeit entnommen werden. Insgesamt ist der Beton auch augenscheinlich in einem guten Zustand. Es sind keine Risse oder Gefügestörungen vorhanden, die das Eindringen von Wasser ermöglichen.
Durch den Einsatz dieser beiden Verfahren zeigt sich, dass die mit dem Radarverfahren bis in Tiefen von etwa 20 cm gefundenen Gefügestörungen mit den mittels Mikroseismik erfassten Bereichen geringerer Wellengeschwindigkeit korrespondieren. Bei den Instandsetzungsplanungen musste man also nicht von einem stark geschädigten Beton in sämtlichen oberen Molenbereichen ausgehen. Ein umfangreiches Abtragen der beiden Molen war nicht erforderlich; die Instandsetzung konnte ganz gezielt an den vorhandenen Bestand angepasst werden.
Zusammenfassung
Zerstörungsfreie Untersuchungsverfahren bringen Klarheit über die vorhandene Bausubstanz. Insbesondere mit Radar können große Flächen mit einem vertretbaren Kosten- und Zeitaufwand untersucht werden. Wichtig ist der sachkundige Einsatz. Ideal ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit von erfahrenem Bauingenieur und Geophysiker. Die Messdaten müssen für den Tragwerksplaner, Architekten oder Bauforscher verständlich und sofort verwertbar sein und in Bezug zu dem vorhandenen Bestand gebracht werden. Bei der Beurteilung und Bewertung der Ergebnisse ist große Sorgfalt und Fachwissen erforderlich.