„Es müssen alle mitwirken …“
Gewässerschutz im VordergrundGespräch mit Prof. Dr.-Ing. Steffen Heusch, Professor des Fachgebiets Hydrologie und Wasserwirtschaft der Technischen Hochschule Mittelhessen in Gießen, über die Bedeutung der neuen Richtlinie A 102, aufgestellt von der DWA, der Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall
THIS: Hallo Prof. Heusch. Das Arbeiten in Planungsbüros wird doch immer wieder stark von Vorschriften bestimmt. Haben Sie sich während Ihrer Zeit als leitender Projektingenieur dadurch eingeschränkt gefühlt?
Prof. Steffen Heusch: Nein; ehrlich gesagt nicht. Ich halte es für wichtig, sich bei Planungen in einem vorgegebenen Rahmen zu bewegen. Vorschriften sind in gewisser Weise Vorsichts- und Schutzmaßnahmen, die etwa im Bereich der Regenentwässerung verhindern, dass wir unserer Umwelt Schäden zufügen. Regelwerke sind überaus wichtig, auch wenn die regelgerechte Umsetzung gelegentlich mehr Aufwand bedeutet.
THIS: Im Dezember letzten Jahres trat die neue DWA-A 102 in Kraft. Was hat es damit auf sich?
Prof. Steffen Heusch: Die DWA-A 102 ist eine Richtlinie, präziser formuliert eine Richtlinienreihe, die tatsächlich aus fünf Teilen besteht. Sie wird für jeden Betreiber und jeden Planer von Entwässerungsanlagen zukünftig eine ganz zentrale Rolle spielen, weil die Einhaltung dieser Richtlinie Voraussetzung ist, die Genehmigung für den Betrieb einer Anlage zu bekommen, die mit Regenwasser oder mit Schmutzwasser umgehen.
In der Wasserwirtschaft sind wir bei Genehmigungsverfahren neben anderen auch von Umweltbehörden abhängig. Die DWA-A 102 ist eine der maßgeblichen Richtlinien, die die sogenannten Regeln der Technik beschreiben, die Ingenieure bei der Planung von Anlagen anwenden müssen.
THIS: Gab es einen besonderen Anlass, die alte Version durch das neue Regelwerk zu ersetzen?
Prof. Steffen Heusch: Nein. Es ist ein ganz normales Procedere, nach einer gewissen Zeit, nach etwa zehn Jahren, Richtlinien auf den Prüfstand zu stellen und zu schauen, ob sie aktuellen Anforderungen noch gerecht werden; so auch hier.
THIS: Welche Themenbereiche decken die fünf Teile der DWA-A 102 ab?
Prof. Steffen Heusch: Der erste Teil ist nur eine ganz kurze allgemeine Erläuterung. Die Teile 2, 3, 4 und 5 werden vier Regelwerke sein, die je nach Fragestellung in der Praxis anzuwenden sind. Wir unterscheiden in der Stadtentwässerung oder in der Siedlungsentwässerung beispielsweise zwischen Trennsystemen und Mischsystemen; hier gibt es unterschiedliche Anforderungen. Entsprechend gibt es eben Richtlinienteile, die speziell auf die Trennsysteme ausgerichtet sind und dann nur das Regenwasser betrachten und andere Teile, die dann eben für das Mischsystem sind.
Ganz spezifisch geht es in Teil 2 um emissionsbezogene Bewertungen und Regelungen, in Teil 3 um immissionsbezogene Bewertungen und Regelungen. Teil 4 beschäftigt sich mit der Wasserhaushaltsbilanz für die Bewirtschaftung von Niederschlagwasser. Teil 5 hat hydromorphologische und biologische Verfahren zur immissionsbezogenen Bewertung zum Thema; hier rückt also ganz gezielt nicht das eingeleitete Wasser, sondern das Gewässer, in das eingeleitet wird, in den Mittelpunkt der Betrachtung.
Leitet man beispielsweise Regenwasser in ein Gewässer ab, dass vielleicht schon durch andere Zuläufe, etwa durch die Landwirtschaft, hoch belastet ist, muss man natürlich strengere Kriterien berücksichtigen, als wenn der Zulauf in ein unbelastetes Gewässer erfolgt.
THIS: Was hat sich darüber hinaus inhaltlich verändert?
Prof. Steffen Heusch: Es geht bei diesen Anlagen einerseits um die Wassermengen, also um die Abflüsse. Und auf der anderen Seite um die Stoffe, die Schad- oder Schmutzstoffe, die mit diesen Abflüssen transportiert werden. Hier gab in den letzten 10 bis 20 Jahren neue Erkenntnisse.
Gerade bei der stofflichen Betrachtung gibt es eine zentrale Änderung. Man hat dort hat mit sogenannten abfiltrierbaren Stoffen, die kleiner sind als 63 Mikrometer – also AFS 63 – einen Stoffparameter neu eingeführt.
THIS: Wurden diese Partikel vorher einfach mit durchgeschwemmt?
Prof. Steffen Heusch: Das kann man so nicht sagen. Vorher hat man einfach einen anderen Parameter betrachtet, den chemischen oder der biochemischen Sauerstoffbedarf – CSB oder BSB. Der alte Parameter bildet organische Schmutzstoffe ab. Das hat auch seit vielen Jahrzehnten gut funktioniert, um sogenannte chronische Belastungen durch Regel- und Schmutzwassereinleitungen in unsere Gewässer zu verhindern.
Man ist jetzt aber eben einfach weiter; die Palette an Schmutzstoffen, die man betrachtet, wurde auf Schwermetalle und auf sonstige Mikroschadstoffe erweitert. Um diese zusätzlichen Schmutz- und Schadstoffe zu erfassen, wurde etwas Neues gebraucht.
THIS: Die abfiltrierbaren Stoffe kleiner als 63 Mikrometer …
Prof. Steffen Heusch: Genau, das ist der Parameter AFS 63, der nicht nur die organischen Schmutzstoffe betrachtet, sondern auch Schwermetalle und Mikroschadstoffe, da diese an den sogenannten abfiltrierbaren Stoffen dranhängen.
THIS: Müssen sich die Hersteller umstellen, um die neuen Anforderungen zu erfüllen?
Prof. Steffen Heusch: Gute Hersteller wie ACO wohl kaum. Da spielt sicher auch eine Rolle, dass die Erarbeitung dieser Richtlinienreihe recht lange gedauert hat. Man hat vor einigen Jahren angefangen und auch von Anfang an transparent kommuniziert. Wer wollte, konnte sich darauf einstellen.
THIS: Gilt die Vorschrift für alle Bereiche gleich?
Prof. Steffen Heusch: In erster Linie betrifft es Neuanlagen und die Regenwasser-Behandlung im Kanalnetz. Da unterscheiden wir zwischen zentralen Anlagen, die das Wasser aus einem ganzen Stadtteil reinigen und behandeln und Anlagen, die nur auf einem Grundstück oder nur für einen Straßenabschnitt (da sind), den dezentralen Anlagen. Letztere werden über die Zertifizierung des Deutschen Instituts für Bautechnik, des DIBt, genehmigt. Da ändert sich also nichts.
THIS: Dann liegen die Herausforderungen bei den Planungsbüros, bei der Konzeption der Anlagen, bei der Berechnung der Nachweise?
Prof. Steffen Heusch: Könnte man so sehen. Auch hier ist es so, dass viele Planungsbüros bereits fachlich sehr gut im Thema sind. Die einfacheren Teile der Vorschrift, etwa Richtlinienteil 2, lassen sich recht problemlos ad hoc umsetzen.
Jede Oberfläche, von der entwässert wird – die Verkehrsfläche eines Logistikzentrums oder der Hof einer landwirtschaftlichen Anlage – muss einer bestimmten Kategorie zugeordnet werden: Man unterscheidet je nach Verschmutzungsgrad und Schadstoffbelastung: Kategorie I – gering belastet, gilt etwa für eine Anwohner-Spielstraße; Kategorie II – mäßig belastet, gilt für eine viel befahrene Landstraße; Kategorie III – stark belastet greift etwa für Straßen in einem Industriegebiet. Für die Berechnung gibt es detaillierte Tabellen, um die Flächen genau zuzuordnen. Weiterhin müssen noch die örtlichen Regendaten mit in die Berechnung einbezogen werden. Das grundsätzliche Prinzip ist also die Unterteilung in wenig belastet, mäßig belastet, hochbelastet.
THIS: Aber das gilt nur für die Emissionsbetrachtung?
Prof. Steffen Heusch: Ja, solche Aufgaben sind relativ schnell abgearbeitet, weil bei allen Planungen normalerweise Informationen über die Art der Flächen, die entwässert werden sollen, vorliegen. Das zugrundeliegende Berechnungsverfahren ist nicht so kompliziert.
Deutlich komplexer wird es bei den sogenannten immissionsbezogenen Planungen. Da stellen wir uns also sozusagen ins Gewässer und betrachten, was aus dem Bewässerungssystem in das Gewässer hineinkommt. Da sind die Ansprüche hoch, die Berechnungen kompliziert. Da sind wir in einem Bereich, in dem zum Teil relativ komplexe, komplizierte Software eingesetzt wird.
THIS: Gibt es diese Software schon? Wer liefert die?
Prof. Steffen Heusch: Es gibt unterschiedliche Berechnungsprogramme am Markt. Wir unterscheiden in herstellerneutrale Software und Herstellersoftware. Beide berechnen die Fläche für eine Regenwasserbewirtschaftungsanlage. Bei der Software von Herstellern hat der Planer den Vorteil, dass zugleich die passenden Produkte inkl. Kosten- und Mengenermittlung und Ausschreibungstexten am Ende mit ausgegeben werden. Für Planer kann das eine enorme Zeitersparnis bei der Objektplanung bedeuten.
THIS: Prof. Heusch, sind Sie mit der neuen Richtlinie zufrieden?
Prof. Steffen Heusch: Durchaus. Die Anpassungen dort waren erforderlich, um sich an Entwicklungen und Veränderungen anzupassen. Bedingt durch den Klimawandel nimmt die Luft mehr Wasser auf. Das bedeutet, dass sich das Regenverhalten ändert. Auf der einen Seite steigt die Trockenheit, so dass man versucht, das Niederschlagswasser nicht schnellstmöglich abzuführen, sondern zurückzuhalten, zur Bewässerung zu nutzen; gerade in Städten tut sich da unglaublich viel.
Andererseits regnet es, wenn es denn regnet, intensiver als in früheren Jahren; die Zahl der Starkregenereignisse steigt. Wenn aber größere Wassermengen verarbeitet werden müssen, müssen auch die Reinigungsanlagen entsprechend dimensioniert sein. Es darf beispielsweise nicht sein, dass eine mengenmäßig überforderte Filteranlage Partikel ungereinigt durchreicht. Auch die Betrachtung der Situation vom Gewässer aus ist ein großer Schritt nach vorne.
Es müssen alle mitwirken, um in diesen Zeiten der klimatischen Veränderung unsere Umwelt und unser kostbarstes Gut, unser Wasser, zu schützen – von den Gesetz- und Regelwerkgebern wie der DWA, der Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. über die Kommunen, die Planer, die Hersteller.
Technische Hochschule Mittelhessen –
Fachgebiet Wasserwirtschaft und Hydrologie
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