Gefahren für Dritte im Fokus
Rückhaltebecken sind oft öffentlich zugänglichUm festzustellen, ob kommunale Rückhalteanlagen Gefahren für Dritte bergen oder ausreichend sicher sind, hat die Stadt Wolfsburg die Sachverständigen von TÜV Süd mit der Überprüfung von 28 Regenrückhalteanlagen und 7 Teichen beauftragt.
Die Kommune wollte durch die Bestandsaufnahme mögliche Haftungsrisiken identifizieren. Denn bei Planung, Bau und Betrieb der Anlagen steht meist der Arbeitsschutz für die Beschäftigten im Vordergrund. Das Gefahrenpotenzial für unbeteiligte Dritte ist zwar ebenfalls Bestandteil von Gefährdungsbeurteilungen, um Unfälle zu vermeiden und Haftungsrisiken zu begrenzen. Doch die Sicherheitsaspekte Dritter rücken mitunter in den Hintergrund, je länger ein Rückhaltebecken unfallfrei in Betrieb ist.
Dabei ist es insbesondere in dieser Phase wichtig, dass mögliche Gefährdungen in den Blick genommen werden. Nicht nur Verschleiß oder Vandalismus können im Betrieb zu einer veränderten Gefahrenlage führen, sondern auch Nutzungsänderungen in der Umgebung. In einem Neubaugebiet ist das Gefahrenpotenzial von einem Regenrückhaltebecken beispielsweise anders zu bewerten, wenn in der Nachbarschaft eine Kindertagesstätte oder eine Grundschule geplant und errichtet wird. Hintergrund ist die Schadensersatzpflicht aus § 823 des BGB. Aus dieser ergibt sich die Verkehrssicherungspflicht, die in ihrem Umfang jedoch häufig strittig ist.
Wer haftet im Schadensfall?
Bei folgenschweren Unfällen steht regelmäßig die Frage im Raum, ob derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage schafft oder andauern lässt, eine (Teil-)Schuld an dem Unfall trägt. Zivilgerichte klären dann, ob der oder die Beklagte seine oder ihre Pflichten zur Verkehrssicherung fahrlässig oder gar vorsätzlich verletzt hat. Dass der zugrunde liegende Sachverhalt nicht immer einfach zu klären ist, verdeutlichen Grundsatzentscheidungen und diverse Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH). Diese unterstreichen: Wer eine Gefahrenlage schafft oder andauern lässt, ist grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Dabei umfasst „die rechtlich gebotene Verkehrssicherung diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend halten darf, um andere vor Schäden zu bewahren“ (BGH, Urteil vom 16.02.2006 - III ZR 68/05).
Die kommunalen Entwässerungsbetriebe stehen damit vor der Herausforderung, die Gefahrenlagen ihrer Regenrückhaltebecken wie ein „in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch“ zu bewerten. Dies ist keine triviale Aufgabe, denn gleichzeitig stellen die Richterinnen und Richter des BGH in ihren Urteilen klar, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. „Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können“ (BGH, Urteil vom 15.07.2003 - VI ZR 155/02).
Gefahren mit unabhängiger Expertise bewerten
Bei Regenrückhaltebecken betrifft dies beispielsweise regelmäßig das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Schließlich bergen die offene Wasserfläche und die baulichen Anlagen die Gefahr des Ertrinkens. Die Wolfsburger Entwässerungsbetriebe haben dazu die Sachverständigen von TÜV Süd beauftragt, die vorhandenen betriebseigenen Analysen und Erhebungen durch unabhängige Expertise zu ergänzen. Das kann hilfreich sein, um
potenzielle Gefahren für unbeteiligte Dritte zu erkennen, die im Routinebetrieb nicht offensichtlich sind,
geeignete Schutzmaßnahmen zu entwickeln, die sinnvoll, verhältnismäßig und praktikabel erscheinen,
Unfälle zu verhüten, die aus bislang unbedachten, jedoch naheliegenden Szenarien heraus passieren könnten,
Haftungsrisiken zu begrenzen, die aus der fahrlässigen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht folgen können.
Die Sachverständigen von TÜV Süd dokumentierten bei insgesamt 28 Regenrückhaltebecken und sieben Teichen im Stadtgebiet Wolfsburg die Gefahrensituation anhand von Unterlagen wie Stadt- und Lageplänen einerseits und Ortsbegehungen andererseits. Diverse Gesetze, Verordnungen, Normen, Vorschriften, Merk- und Arbeitsblätter dienten dazu, die jeweiligen spezifischen Situationen adäquat zu bewerten. So sind neben den offensichtlich anzuwendenden Regelwerken wie der DGUV Vorschrift 22 „Abwassertechnische Anlagen“ oder dem Merkblatt 616 „Verkehrssicherung an Fließgewässern“ der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. mitunter auch spezifische Normen relevant. Ein Beispiel ist die DIN 18034 „Spielplätze und Freiräume zum Spielen – Anforderungen für Planung, Bau und Betrieb“, wenn das Regenrückhaltebecken nah an einem Spielplatz liegt.
Wer passiert oder nutzt das Rückhaltebecken?
Denn neben der rein (bau-)technischen Gefährdungsbeurteilung, in der unter anderem die Neigung der Böschung eine wichtige Rolle spielt, sind vor allem die Umgebungs- und Nutzungsbedingungen entscheidend. Dies folgt nicht zuletzt aus der Formulierung der „naheliegenden Möglichkeiten eines sachkundigen Urteils“, die der BGH verwendet:
Ist ein gut besuchter Spielplatz in der Nähe, dann ist es naheliegend, dass ein Kleinkind unbemerkt entwischen kann und die Umgebung erkundet. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es noch nicht schwimmen kann und ertrinkt, wenn es die Böschung hinab ins Wasser stürzt.
Liegt das Regenrückhaltebecken an einem Schulweg, dann ist es naheliegend, dass die mitunter unbegleiteten Schulkinder einen Abstecher zum Becken machen und dort spielen.
Auch ein Biergarten oder eine Diskothek in der Nähe können das Ergebnis der Gefährdungsbewertung beeinflussen. Dann ist es naheliegend, dass Personen im alkoholisierten Zustand das Becken passieren oder zum Verweilen aufsuchen. Fehltritte sind möglich und erwartbar, sodass sie leicht stolpern und ins Becken stürzen können.
Dies alles bedacht, hat die Analyse in Wolfsburg ergeben, dass sich ein schon hohes Sicherheitsniveau der Regenrückhaltebecken und Teiche mit verhältnismäßig einfachen Schutzmaßnahmen noch weiter steigern lässt:
An Regenrückhaltebecken, wo Kleinkinder möglicherweise leichter ihren Aufsichtspersonen entwischen, empfiehlt TÜV Süd eine naturnahe, einen Meter hohe Einzäunung. Das ist im Einklang mit dem Naherholungszweck und genügt, da diese Höhe eine nur schwer überwindbare Barriere für Kleinkinder darstellt.
Am Zugang, der verriegelt und den Beschäftigten vorbehalten ist, weist zudem ein Schild auf das Betriebsgelände und das Betretungsverbot hin.
Alternativ kann das Regenrückhaltebecken als Naherholungselement genutzt und entsprechend ausgeschildert werden, wenn das Zugangstor nicht abgeschlossen, jedoch mit einer Kindersicherung ausgestattet wird.
Regenrückhaltebecken, die in unmittelbarer Nähe zu Fuß- oder Radwegen liegen, empfehlen die Sachverständigen mit Zäunen oder Bepflanzungen zu sichern.
An manchen Regenrückhaltebecken wurden vorhandene Hinweisschilder durch „Baden verboten“-Schilder ergänzt und konkretisiert.
Kleinere Mängel wie lose Trittgitter, die mit neuen Schrauben einfach wieder befestigt wurden, konnten die Sachverständigen ebenfalls auffinden. So haben die Untersuchungen dazu beigetragen mögliche Haftungsrisiken zu identifizieren und die Sicherheit zu erhöhen.
TÜV Süd Industrie Service GmbH
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