Abwasserreinigung

Hygiene im Bodden

Die Insel Riems ist Standort bundeseigener Tierseuchenforschung. Im Zug umfangreicher Erweiterungen musste das veraltete Institutsklärwerk einem Neubau Platz machen – ein sensibles Vorhaben, das nach sicherer Prozesstechnik verlangt.

Die Behandlung der Abwässer aus unterschiedlicher Herkunft mit teilweise sehr hohen Frachten erfolgt inmitten der Bade- und Erholungsregion Greifswalder Bodden in direkter Nachbarschaft zu Rügen.

Auf dem winzigen Eiland Riems, wenige Kilometer südlich der turbulenten Ferienhochburg Rügen, betreibt das Friedrich-Loeffler-Institut, FLI, seit über 100 Jahren Tierseuchenforschung in der dafür erforderlichen Abgeschiedenheit. Seit 2006 wird der Standort umfangreich ausgebaut. Bei laufendem FLI-Betrieb ist die Ostseeinsel Schauplatz der größten zivilen Bundesbaumaßnahme außerhalb Berlins. Knapp 300 Millionen Euro investiert der Bund in sein Riemser Forschungsinstitut für Tiergesundheit. Mit bereits fertig gestellten Labor- und Tierversuchsgebäuden können FLI-Wissenschaftler bis zum höchsten Biosicherheitslevel S4 an Großtieren forschen. Diese Neuerung reiht Riems in die Weltelite der Tierseuchenforschung ein.

 

Bestand anachronistisch

Der sechsjährige Umbaumarathon hat auch vor der FLI-eigenen Kläranlage nicht Halt gemacht. Das alte Klärwerk war mit einer Ausbaugröße von 1.000 Einwohnerwerten (EW) seit 1990 in Betrieb. Es bestand aus einer mechanisch-physikalischen und einer biologischen Aufbereitungsstufe mit Belebungs- und Nachklärbecken. Eine Nachfällung sowie Schlammfaul- und Schlammentwässerungsbecken komplettierten die Anlage.

Die Abwässer des gesamten FLI-Komplexes sowie des Wohngebiets der Insel wurden entsprechend ihrer Belastung über zwei separate Entwässerungssysteme erfasst. Eine höher belastete Abwasserfraktion gelangte nach thermischer Vorbehandlung in zwischengeschaltete Speicherbecken und von dort weiter ins Belebungsbecken. Das nur haushaltsüblich belastete Abwasser durchlief die mechanische Vorreinigung, bevor es den gleichen Speicherbecken mit der anschließenden Biologie zugeführt wurde.

Zwischen Anlagenbestand und Stand der Technik klaffte schon seit langem eine deutliche Lücke. So mussten beispielsweise in der mechanischen Vorreinigung Stabrechen und Sandfang per Hand geräumt und das Rechengut mit Schubkarren abtransportiert werden. An den rückständigen Betriebsbedingungen hatte auch eine Anlagenertüchtigung im Jahr 2003 nichts geändert. Sie beschränkte sich auf die Einrichtung einer zweiten Nachfällung mit Eisensalzen und war notwendig geworden, weil sich durch Inbetriebnahme eines Quarantänestalls sowohl Abwasseranfall als auch Zulauffrachten und in Folge dessen die Anforderungen an die behördlich vorgegebene Reinigungsleistung erheblich erhöht hatten.

 

Neubau unumgänglich

In Anbetracht der aktuellen Institutserweiterungen und der damit erneut steigenden Anforderungen an die Abwasserreinigung war eine nochmalige Ertüchtigung des Anlagenbestands nicht mehr darstellbar. Deshalb erfolgte im November 2007 die Ausschreibung zum Neubau einer Kläranlage. Sie sollte bei laufendem Betrieb neben dem Standort der alten Anlage errichtet werden und musste den beiden Fraktionen eines herkömmlich belasteten Kommunal- sowie unterschiedlich belasteter Industrieabwässer Rechnung tragen. Einzelne Bauteile aus dem Bestand sollten nach Möglichkeit in den Neubau übernommen, alle übrigen nach dessen Fertigstellung abgerissen werden.

Der Zuschlag durch die Dach-ARGE, die beim FLI-Ausbau als Generalunternehmer fungiert, ging an die Mall GmbH (www.mall.info) mit Stammsitz in Donaueschingen. Bei deren Zweigniederlassung in Coswig/Anhalt lag die gesamte Auftragsabwicklung in einer Hand. Der Planungsstab konzipierte ein filigranes Ensemble von bedarfsweise variabel ineinander greifenden klärtechnischen Komponenten und Funktionen. Nach 22 Monaten Bauzeit sowie dreimonatigem Probebetrieb verfügt das FLI nun seit September 2011 über eine hochmoderne Kläranlage, die auf die besonderen Anforderungen des Standorts genau zugeschnitten ist.

 

Reinigungsziel anspruchsvoll

Die als ‚industriell‘ apostrophierte Abwasserfraktion fällt bei der Forschung an Tierseuchen an. Herkunftsorte sind in erster Linie die Tierversuchsgebäude der unterschiedlichen Sicherheitsstufen, der Quarantänestall und zahlreiche Forschungslabors. Hinzu kommen beispielsweise auch Abwässer, die bei den Prozessen der Tierkörperbeseitigung sowie in einer Desinfektionsstation für LKW entstehen. Entsprechend seiner unterschiedlichen Herkunft handelt es sich somit um einen sehr diffizilen Abwasserstrom, der abwassertechnisch zuverlässig gereinigt werden muss, bevor er das Institutsgelände verlässt. Alles Abwasser aus den verschiedenen Sicherheitsstufen der Tierversuchs- und Laborgebäude wird, bevor es den jeweiligen Bereich verlässt, einer thermischen Desinfektion unterzogen. Dabei wird jeder Tropfen Abwasser über eine festgelegte Zeit auf mindestens 121 °C und in besonderen Fällen auf 136 °C erhitzt. Erst dann gelangt das nun seuchenhygienisch unbedenkliche Abwasser zur Kläranlage. Das ‚kommunale‘ Abwasser stammt aus Wohn-, Verwaltungs- und Sozialbereichen.

Bei der klärtechnischen Bemessung war zu berücksichtigen, dass der Zulauf hinsichtlich Mengen und Frachten hohen Schwankungen unterliegt. In den Jahren vor dem Neubau waren Zulaufextrema von 19 und knapp 200 m3 pro Tag ermittelt worden. Deshalb wurden, um den Zulauf zu vergleichmäßigen, engsprechende Speicherkapazitäten eingeplant, und somit ließ sich – anhand gemittelter Werte und unter Berücksichtigung der zusätzlichen Abwassermengen in Folge der Institutserweiterungen – ein Auslegungswert von 205 m3 pro Tag für den maximalen Abwasserzulauf ermitteln. Gemäß üblicher Berechnungsroutine ergeben sich daraus 1.368 EW als hydraulische Ausbaugröße. Hinsichtlich der Schmutzfrachten beträgt die Auslegungskapazität CSB-bezogen rund 3.500 EW.

Vorflut der Kläranlage ist der als Badegewässer und Erholungsgebiet genutzte Greifswalder Bodden. Um der hiermit gegebenen Sensibilität des naturräumlichen Umfelds Rechnung zu tragen, hat die zuständige Genehmigungsbehörde im Zug der wasserrechtlichen Erlaubnis anspruchsvolle Überwachungswerte festgesetzt: 90 mg/l CSB, 20 mg/l BSB5, 18 mg/l Gesamtstickstoff organisch, 10 mg/l Ammoniumstickstoff und 2 mg/l Gesamtphosphor. Damit darüber hinaus ein zusätzlicher Sicherheitspuffer entsteht, wurden die vorgegebenen Werte bei der Bemessung der Kläranlage um rund zehn Prozent niedriger angesetzt. Die sichere Verwirklichung dieser Reinigungstiefe leistet nunmehr eine 8-stufige Behandlungsanlage mit abschließender Membranfiltration.

 

Anlagendesign komplex

Die Membranbiologie bildet das reinigungsrelevante Herzstück der neuen Anlage. Sie besteht aus zwei hintereinander geschalteten Belebungsbecken. Dem ersten Becken sind Phosphatfällung und Kohlenstoffdosierung beigeordnet. Das zweite Becken enthält die getauchte Membraneinheit, die aus fünf Filterblöcken zu jeweils 36 Mikrofiltrationsmodulen mit 0,2 mm Porenweite besteht. Wie für membranbiologische Systeme charakteristisch, wird die Anlage mit einer hohen Belebtschlammkonzentration von 12-15 g/l Trockensubstanzgehalt gefahren. Dieser gegenüber konventionellen Anlagen drei bis vier Mal höhere Schlammgehalt steigert die Reinigungswirkung und hat in Folge dessen eine deutliche Volumenreduktion bei der Dimensionierung der Biorektoren möglich gemacht. Überschüssige Schlammanteile werden kontinuierlich in einen Schlammspeicher abgepumpt.

Die Membranmodule halten aufgrund ihrer feinporigen Struktur den Schlamm im Belebungsbecken und ziehen Klarwasser ab, das nunmehr in Brauchwasserqualität vorliegt. Ein Pumpwerk fördert dieses feststofffreie Filtrat zunächst in einen Schacht, aus dem etwa 20 m3 pro Tag entnommen werden, um Anlagenteile der mechanischen Vorreinigung zu spülen und zu reinigen. Das restliche Filtrat passiert eine Mengenmessung und einen Probenahmeschacht, bevor es schließlich die Anlage über ein Auslaufbauwerk in Richtung Bodden verlässt.

Vor der Belebungseinheit ist eine unterschiedlich kombinierbare Vorstufenkonfiguration angeordnet. Sie gewährleistet durch einfachen Wechsel der Funktionsgruppen einerseits hohe Flexibilität im Anlagendurchlauf bei Regelbetrieb und schafft andererseits zusätzlichen Zeit- und Volumen-Puffer für Zulaufspitzen, Havariefälle und Reparaturmaßnahmen. Am Anfang steht die Erfassung des Zulaufs der einzelnen Abwasserteilströme, die gegenüber der Altanlage einer veränderten Anordnung folgt.

 

Multipel gepuffert

Zwei Quarantänespeicher, die alternierend beschickt werden und Pufferfunktion haben, sammeln die Abwässer der Quarantänestallungen. Nach 10- bis 15-tägiger Zwischenspeicherung mit Umwälzung gelangt diese Fraktion über einen Schieberschacht in den zweiten von zwei Zwischenspeichern (ZS 2), dessen Inhalt je nach hydraulischer Gesamtbelastung der Anlage direkt in die Biologie dosiert oder zum ersten Zwischenspeicher (ZS 1) gepumpt wird. Alle übrigen Abwässer gelangen im Regelbetrieb teilweise über den erwähnten Schieberschacht oder direkt in den ZS 1.

Beide Zwischenspeicher werden als Aufstaureaktoren nach dem SBR-Prinzip betrieben. Dabei dient der ZS 1 für alle Abwasserteilströme als zentrale Annahmestation. Hier wird das Rohabwasser zwischengespeichert, homogenisiert und vorbelüftet. Eine umfangreiche Sensorik überwacht kritische Parameter wie Sauerstoffgehalt, pH-Wert, Temperatur und Redoxpotential.

An den ZS 1 schließen die Aggregate der mechanisch-physikalischen Vorreinigung an: ein Siebrechen zum Rückhalt von grobem Rechengut, ein Sandfang, ein Feinrechen, der Borsten, Haare und ähnliche Partikel abtrennt sowie eine Hochdruckentspannungsflotation für die Fettabscheidung. Per Pumpwerk und über einen weiteren Schieberschacht erreicht das vorgereinigte Abwasser schließlich den wiederum puffernden Vorlagespeicher der Membranbiologie, wo es unter Umwälzung erneut gespeichert und dann dem ersten der beiden Belebungsbecken zugeleitet wird.

Abweichend von dieser Regelfahrweise ermöglicht der Schieberschacht am Ende der Vorreinigung jedoch auch die Rezirkulation des Abwasserstroms zum ZS 1 oder ZS 2 – eine nochmalige Möglichkeit, Zulaufspitzen abzupuffern. Weitere Verschaltungen erfüllen Sonderfunktionen, zu denen auch die Bereitstellung spezieller Havariekapazitäten gehört, oder sie gewährleisten Systemfunktionen wie beispielsweise die Schlammrückführung. In der Summe ergibt sich aus dem Fassungsvermögen beider Quarantänespeicher, der ZS 1 und 2 sowie des Vorlagespeichers der Biologie ein Speicher- und damit Puffervolumen von 1.900 m3, das je nach Bedarfslage unterschiedlich aktiviert werden kann. Hinzu kommen die beiden Belebungsbecken mit jeweils 144 m3.

 

 

Wartungsaufwand minimal

Für gleichbleibende Schlammkonzentration in der biologischen Stufe sorgt im Zusammenspiel mit entsprechender Messtechnik die Automatiksteuerung der Anlage, die darüber hinaus auch alle Füllstände überwacht. Die Reinigung der Membranen in den Mikrofiltrationsmodulen erfolgt über eine CIP-Station (clean in placement) bei laufendem Betrieb und ohne jegliche Demontage. Andererseits kann aber im Bedarfsfall die gesamte Ausrüstungstechnik ohne Beckenentleerung – wiederum also bei laufendem Betrieb – für Wartungs- und Reparaturarbeiten demontiert werden.

 

Um die Membranbiologie von Feststoffeinträgen wie Laub oder Sand frei zu halten, sind die beiden Belebungsbecken, deren Vorlagespeicher sowie der Schlammspeicher abgedeckt. Neben der Steuer- und Regeltechnik ist die gesamte mechanische Vorreinigung in einem neuen Betriebsgebäude untergebracht und damit ebenfalls gegen Außeneinflüsse geschützt. Die beiden Becken der ehemaligen Schlammbehandlung wurden beibehalten und für die Rohwasserannahme sowie als Zwischenspeicher ins neue Design integriert. Die übrigen Teile der Altanlage gingen den Weg alles Vergänglichen, nachdem der Neubau vollendet war.

SBR – ausgleichend, flexibel, effizient

Unter den Verfahren biologischer Abwasserreinigung gilt die SBR-Technologie (SBR: sequencing batch reactor) als wirksamstes, zuverlässigstes und zugleich flexibelstes Prozessdesign. Das Leistungsprofil von SBR-Anlagen lässt sich genau auf den jeweiligen Bedarf zuschneiden und über haushaltsübliche Abwasserzusammensetzung hinaus auch für höher belastete Abwässer aus Gewerbe und Industrie konfigurieren.

SBR-Anlagen reinigen das Abwasser im Aufstaubetrieb chargenweise – sequencing batch – und können auf diese Weise selbst starke Zulaufschwankungen ausgleichen. Sie arbeiten somit stets am Optimum; insbesondere auch dann, wenn es an Abwassernachschub fehlt – eine Situation, auf die andere Systeme mit Leistungsabfall reagieren. Außerdem sind SBR-Systeme vergleichsweise wirtschaftlicher, weil sie nur bei Abwasseranfall in Aktion treten und ansonsten im Pausenmodus ruhen.

In preiswerten Basisausführungen erfüllen SBR-Anlagen zuverlässig die behördlichen Mindestanforderung bezüglich der Ablaufqualität. Ausbaumodelle erreichen mit Denitrifikation und Phosphatelimination größtmögliche Reinigungstiefe. Mittels integrierter Membrankomponente oder nachgeordneter UV-Desinfektion lassen sich Brauch- und Badewasserqualität als Reinigungsziele verwirklichen. Je nach Abwasseranfall und angestrebter Betriebssicherheit lässt sich das SBR-Prinzip in ein- und mehrstraßige Anlagenkonfigurationen umsetzen.

 

FLI – Tierseuchenforschung seit 1910

Südlich von Rügen liegt der Riems. Die Ostseeinsel im Greifswalder Bodden misst keine anderthalb Kilometer in der Länge und an ihrer bauchigsten Stelle 350 m in der Breite. Sie beherbergt das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI, www.fli.bund.de), das als Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit eine selbstständige Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) ist. Die Gesundheit landwirtschaftlicher Nutztiere und der Schutz des Menschen vor Zoonosen – von Tieren auf Menschen übertragbare Infektionen – bilden den wesentlichen Arbeitsschwerpunkt des FLI.

Der Mediziner, Hygieniker und Bakteriologe Friedrich Loeffler (1852-1915) gilt als einer der Mitbegründer der Virologie. Mit der Beschreibung des Erregers der Maul- und Klauenseuche hatte er 1898 das erste tierpathogene Virus identifiziert und 1910 auf der Insel Riems das weltweit erste virologische Forschungsinstitut gegründet. Es erhielt 1952 anlässlich Loefflers 100. Geburtstags dessen Namen.

Das Friedrich-Loeffler-Institut startete 1992 mit einer Neugründung als Teil der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere zu seiner heutigen Bedeutung. Wesentliche Schritte auf diesem Weg waren im Jahr 2000 ein Ausbau der Forschungskapazitäten in Zusammenhang mit BSE, 2008 die Eingliederung weiterer Institute in das FLI im Zug einer Neuordnung des Ressorts Nutztierforschung beim BMELV sowie umfangreiche Sanierungs-, Umbau- und Neubaumaßnahmen, die seit 2006 in drei Baustufen realisiert und 2013 abgeschlossen werden.

Mittlerweile ist das bundeseigene FLI das dritte Forschungsinstitut weltweit – neben schon bestehenden in Kanada und Australien –, das in Laboratorien der international höchsten Sicherheitsstufe L4/S4 auch mit Großtieren arbeiten kann. Ein hermetisch abgeschirmter Biosicherheitstrakt ermöglicht Untersuchungen mit hochansteckenden Viren wie beispielsweise Ebola und SARS. Derzeit beschäftigt das FLI rund 420 Mitarbeiter auf Riems.

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