Kanalgipfel 2016: Netze nachhaltig bewirtschaften

Ein Gipfeltreffen in jeder Beziehung war der diesjährige Kanalgipfel am 7. und 8. September 2016 in Frankfurt. Hoch über der Skyline von Frankfurt, in der 30. Etage des Messeturms, diskutierten Bürgermeister, Stadtkämmerer, Netzbetreiber, Planende Ingenieure, Industrie und bauausführende Unternehmen über Innovationen, Technik und Kosten bei Entwässerungssystemen.

Die Instandhaltung der unterirdischen Infrastruktur gehört zweifellos zu den Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte. Insbesondere mit Blick auf unsere Verantwortung nachfolgen­den Generationen gegenüber gilt es, eines der größten Anlagevermögen unserer Gesellschaft zu bewahren. Möglich ist das mit einer langfristig ausgerichteten Netzbewirtschaftung, die zwischen technischen Erfordernissen und wirtschaftlichen Mög­lich­keiten abwägt“, so Dr. Marco Künster, Geschäftsführer der Güte­gemeinschaft Güteschutz Kanalbau, in seinem Vorwort zur Veranstaltung. Eine solche zielgerichtete Bewirtschaftung von Entwässerungsanlagen muss sowohl die bauliche und funktio­na­le Unterhaltung wie die kaufmännische Bewirtschaftung des Anlage­vermögens eng miteinander verzahnen. Hier bildet der Kanal­gipfel als einzige Veranstaltung in Deutschland die entscheidende Klammer, um das Handeln technischer, kaufmännischer und politischer Entscheider interdisziplinär zu bündeln, um unterirdische Werte generations­übergreifend zu erhalten. „Keine Disziplin – Politiker, Kaufleute oder Techniker – kann für sich alleine diese Aufgabe eines nachhaltigen Werterhalts von Entwässerungssystemen erfüllen. Gerade Ingenieure benötigen Ergänzungswissen, um die Diskussion mit der kaufmännischen Seite bestehen zu können. Wir Ingenieure müssen die Sprache der Finanz­experten lernen!“, so Dipl.-Ing. Markus Vogel, geschäftsführender Gesellschafter Vogel Ingenieure, Kappelrodeck, der am 1. Kongresstag eine Einführung in die Thematik vornahm und die anschließende Fachdiskussion moderierte.

Eine Strategie für die Strategie

Am ersten Kongresstag beleuchteten Dr.-Ing. Ri­chard Rohlfing, geschäftsführender Gesellschafter PFI Pla­nungs­gemeinschaft, und Prof. Dr. Martin Stachows­ke, Geschäftsführer, IWEB Institut für Wasser und Energie Bochum GmbH, das neue Arbeitsblatt DWA 143-14 hin auf seine Bedeutung für kommuna­le Netzbetreiber. Entscheidender Tenor der beiden Kurzreferate: Eine optimale Sanierungsart ist nach technischen und wirtschaftlichen Aspekten zu be­stim­men. Hierbei gilt es, Sanierungsstrategien auf ihre kurz-, mittel- und langfristige Wirkung zu tes­ten, kal­ku­latorische und betriebsgewöhn­liche Nut­zungs­dauern aufeinander abzustimmen, um Ver­mö­gens­ver­lus­ten auf kommunaler Seite aktiv ent­ge­gen­zuwirken.

Doch wie können Netzbetreiber ihre Strategien optimieren? In seinem Vortrag „Instru­men­tarien zur frühzeitigen Erkennung von Abschreibungsverlusten“, unterstrich Dr.-Ing. Robert Stein, S&P Consult GmbH, Bochum, ganz klar die große Bedeutung stochastischer Alterungsmodelle, welche auf Basis der Instandhaltungsentscheidungen des Netzbetreibers die Zustands- und Substanzveränderung von Netzen für die Gegenwart (Gegenwartsprognose) und die Zukunft prognostizieren können. Die Prognose der Substanzveränderung bis zum Aufbrauchen des Abnutzungsvorrats ermögliche die Bestimmung der technischen Restnutzungsdauer eines Objektes. Ausfallrisiken und damit Abschreibungsverluste können somit frühzeitig erkannt und Investitionszeitpunkte in Abhängigkeit der noch vorhandenen baulichen Substanz optimiert werden. Mit diesem Wissen und Strategievorgaben des Netzbetreibers können die Folgen des Handels auf technische und wirtschaftliche Kenngrößen simuliert werden. Auf Basis dieser Strategiesimulationen können dann optimierte Lösungen zur Zielerreichung entwickelt werden. „Alterungsmodelle verbessern die Finanz- und Liquiditäts­planung für den Gebührenhaushalt und tragen dazu bei, übergeordnete gemeinsame Ziele festzulegen“, so Dr. Ing. Robert Stein in seinem Vortrag.

Nachhaltige Finanzierung von Entwässerungssystemen

Im thematischen Umfeld einer nachhaltigen Finanzierung kommunaler Entwässerungssysteme bewegten sich die beiden Vorträge „Nachhaltige Finanzierung – Was müsste sich bei Entwässerungssystemen ändern?“, Keno Stroemer, MSc, IEEM gGmbH, Institut für Umwelttechnik, Witten, sowie der Vortrag von Prof. Dr. Andreas Hoffjan „Stellschrauben der Abwassergebühren: Gerichtsfest und zukunftssicher kalku­lieren“ am 2. Kongresstag.

„Für Für eine nachhaltige Finanzierung der Abwasserbeseitigung und für eine zukunftsfeste Bestandserhaltung öffentlicher Abwasseranlagen sind die Eigenkapital-Verzinsung, die Ausschüttungspolitik sowie das Thema Abschreibungen drei entscheidende Einfluss­faktoren.“, so Prof. Dr. Andreas Hoffjan von der Technischen Universität Dortmund, Lehr­stuhl für Unternehmensrechnung und Controlling. Die Investitionsfähigkeit der Abwasserbeseitigung sei durch eine angemessene Eigenkapitalverzinsung sicherzustellen. Die Einführung eines Abschreibungswagniskontos könne eine ordnungs­gemäße Ver­rechnung der Sonderabschreibungen ermöglichen und im besten Fall sollten handelsrechtliche Erlöse aus der Abschreibung zu Wieder­beschaffungszeitwerten in eine Sub­stanz­erhaltungsrücklage fließen und damit einer Ausschüttungssperre unterliegen. Gerade dieser letzte Punkt gestalte sich aber bei Regiebetrieben schwierig, da aufgrund der mangelnden Transparenz in dieser Organisationsform Kapitalentnahmen kaum nachvollzogen werden könnten. „Finanzielle Nachhaltigkeit setzt Trans­parenz voraus! Nur so können wir Entnahmemöglichkeiten einschränken und eine dauerhafte Bindung der Mittel sicher stellen.“, so Prof. Hoffjan in seinem beherzten Appell für eine nachhaltige Bewirtschaftung von Abwasseranlagen.

Kommunales Vermögen sichern

In seinem Vortrag „Erfüllung von Sorgfaltspflicht zur Vermeidung von Ver­mögens­schä­den (kommunale Funktionsträger und Mandatsträger)“, erläu­terte Prof. Dr. Christian Pielow, Institut für Berg- und Energierecht an der Ruhr-Universität Bochum, einige juristischen Fragestellungen rund um ein nachhaltiges Netzmanagement. Staatliche Stellen treffe eine verfassungsrechtlich grundierte „Gewährleistungsverantwortung“ für die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen und Infrastrukturen. Daraus ließen sich freilich weder konkrete Verhaltenspflichten noch subjektive Ansprüche oder bestimmte Haftungsfolgen bei infrastrukturellen Vermögensschäden ableiten, so ein ernüchterndes Fazit des Vortrags.

„Es geht um den Gewässerschutz!“, betonte Prof. Dr. Martin Stachowske, Geschäftsführer IWEB, Institut für Wasser und Energie Bochum GmbH in seinem Vortrag „Sicherung der Einnahmen aus dem Vermögen in den kommu­nalen Abwasseranlagen“. Dies sei eine Aufgabe ohne zeitliche Be­fris­tung, für welche stets ein angemessenes Kapital zur Verfügung gestellt werden müsse. Das heute in den Abwasseranlagen gebundene Kapital, das kommunale Anlagevermögen, bilde den notwendigen soliden generatio­nen­übergreifenden Kapitalstock für einen zeitlich unbefristeten Gewässer­schutz. „Diese Aufgabe eines nachhaltigen Gewässerschutzes bedarf der Verknüpfung und Kooperation aller technischen und kaufmännischen Organi­sationseinheiten. Heute stehen die Instrumentarien für eine EDV-gestützte Anlagenbuchführung und für EDV-gestützte Sanierungsstrategien zur Verfügung, diese Schnittstellen müssen dauerhaft geschlossen werden.“, unterstrich Prof. Stachowske aufs Neue die Notwendigkeit eines interdisziplinären Netz- und Datenmanagements.

Alter simulieren

Kanalalterungsmodelle können verwendet werden, um die Zustandsklasse von nicht inspizierten Haltungen zu simulieren, Strategien für bedarfsorientierte Kanalbefahrungen zu planen und langfristige Investitionsstrategien zu simulieren. Im Rahmen des Forschungsprojekts SEMA wurde die Prognosequalität eines solchen Kanalalterungsmodells anhand der TV-Inspek­tionsdaten der Stadt Braunschweig geprüft. Die aussagekräftigen Ergebnisse dieses Forschungsprojektes präsentierte Nicolas Caradot vom Kompetenzzentrum Wasser Berlin. „Der Vergleich der Inspektions- mit den Simulationsergebnissen hat ergeben, dass das Modell in der Lage ist, die Zustandsverteilung des Kanalsystems recht genau wiederzugeben.“, so der Referent. „Die Ergebnisse sind auch ermutigend auf individueller Haltungsebene. Im Allgemeinen zeigt das Alterungsmodell viel bessere Ergebnisse als ein einfaches lineares Alterungsmodell. Die Ergebnisse unterstreichen das Interesse und den potentiellen Nutzen der Anwendung von Alterungsmodellen zur Unterstützung von Asset-Management-Strategien.“, so Nicolas Caradot weiter. Doch auch wenn die Prognosefähigkeit von Alterungsmodellen unter Technikern allgemein akzeptiert wird, so ist es doch allzu oft sehr schwierig, dieses mathematisch und technisch komplexe Thema einem zumeist fachfremd besetzten politischen und kaufmännischen Entscheidungsgremium zu vermitteln. „Keep it simple! Transparenz, Plausibilität und Nachvollziehbarkeit sind die Schlüssel, um das komplexe Thema einer substanzwertorientierten Sanierungsplanung auf der Basis von Alterungsmodellen einem Nicht-Experten-Gremium zu vermitteln.“, riet Prof. Karsten Kerres von der FH Aachen, Lehrgebiet Netzingenieurwesen, in seinem Vortrag „Wie kommuniziere ich Instandhaltungsstrategien erfolgreich in politischen Entscheidungsgremien?“

Blick in die Praxis

Erste Untersuchungen am rund 271 km langen Kanalnetz von Pirmasens ergaben, dass aufgrund des bis dato angelaufenen Sanierungsrückstaus die Gefahr eines massiven substanziellen Vermögensverlustes bestehe. Vor diesem Hintergrund entschieden die Verantwortlichen, ein strategisches Sanierungsprogramm zum nachhaltigen Substanzerhalt zu entwickeln, um so den Budgeteinsatz zu optimieren. „Die mangelnde Lobby unterirdischer Infrastrukturbauwerke, die interne Kommunikation und die Information der Öffentlichkeit über die Folgen der geplanten Substanzwertanalyse waren die größten Herausforderungen, die wir zu meistern hatten.“ Dipl.-Ing. Michael Maas, Leiter des Tiefbauamts Pirmasens, beschrieb in seinem beherzten Vortrag „Nachhaltige Finanzierung kommunaler Infrastruktur durch Optimierung werterhaltender Investionen am Beispiel von Pirmasens“ die Schwierigkeiten, die viele kleinere Kommu­nen auf dem Weg eines gezielten Paradigmenwechsels hin zu einer nachhaltigen Substanzwertanalyse des kommunalen Anlagevermögens bewältigen müssen.


Klimaanpassungen berücksichtigen

Der Umbau des Emschersystems zu einer grünen Naherholungsregion ist ein Jahrhundertprojekt, das die Emschergenossenschaft gemeinsam mit den Emscherkommunen und dem Land Nordrhein-Westfalen gemeistert hat. Bei der Planung der neuen Entwässerungsstrukturen des Emscher-Systems, insbesondere ihrem Zusammenspiel mit den kommunalen Entwässerungssystemen, spielte der Anpassungsbedarf an den Klimawandel eine besondere Rolle. Themen wie Überflu­tungs­management bei Starkregen wurden hierbei ebenso betrachtet wie der Wasser­haus­halt der künftig sauberen Gewässer. Und auch das Zusammenspiel von Stadtentwässerung und Stadtklima sollte im Rahmen einer zukunftsfähigen, wassersensitiven Stadtentwicklung mitgedacht werden, um Investitionen in neue sowie in den Erhalt bestehender Strukturen (Kanäle, Speicherräume, Behandlungsanlagen) zielgerichtet und effektiv zu tätigen.

„Da bei all diesen Themen integrierte Betrachtungsweisen geboten sind, müssen die Schnitt­stellen zwischen der Gestaltung der räumlichen Entwicklung und den siedlungs­was­ser­wirtschaftlich-infrastrukturellen Systemen in weiten Teilen neu interpretiert und gelebt werden.“, so Dipl.-Ing. Michael Becker, Emschergenossenschaft und Lippever­band.

Kanalgipfel 2017: 13. und 14. September 2017

Der Kanalgipfel fasst den derzeitigen Status Quo technischer und kaufmännischer Konzepte für ein nachhaltiges Asset Management von Entwässerungsanlagen zusammen. Auch in seiner 3. Auflage konnte der Fachkongress Strategien für eine detaillierte und konsistente Wertermittlung von Entwässerungssystemen sowie für deren Wert­er­halt vermitteln. Und das bei gleichzeitiger Berücksichtigung technischer und kaufmännischer Sichtweisen. Denn es ist absolut notwendig, – das hat die Veranstaltung in Frankfurt wieder deutlich gezeigt – dass beide Verantwortungsbereiche gemeinsam den genera­tionsübergreifenden Erhalt leitungsgebundener Infrastrukturen planen und steuern, um Investitionen in die Instandhaltung dieser Anlagen effizient zu gestalten. Hierüber wurde in Frankfurt intensiv diskutiert. Hierüber werden sich auch beim Kanal­gip­fel 2017 am 13. und 14. September 2017 Techniker und Kaufleute wieder gemeinsam austauschen.

Impressionen von der Veranstaltung finden Sie im Internet unter:

www.kanalgipfel.de

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