Leben sichern und retten

3. Deutscher Fachkongress für Absturzsicherheit

Zum dritten Mal kamen knapp 300 Planer, Bauausführende, Handwerker und Betreiber zusammen, um sich auf Deutschlands größter Veranstaltung zum Thema Absturzsicherheit zu informieren.

Im Kameha Grand Hotel Bonn fand am 6. und 7. November der dritte Deutsche Fachkongress für Absturzsicherheit statt – eine spektakuläre Location, die im Verlauf des Kongresses eine wichtige Rolle spielte. Karl-Heinz Schommer, Architekturbüro Schommer, und Stefan Große, Ecovisio GmbH, berichteten in ihren jeweiligen Vorträgen über die Sicherheitsaspekte während der Planungsphase und des laufenden Betriebes. Der Dome des Hotels beherbergte zudem ein sechs Meter hohes Holzmusterhaus.

 

Ein unterschätztes Thema

Bereits in seiner Begrüßung schockierte der Moderator des ersten Veranstaltungstages Burkhard Fröhlich, ehemaliger Chefredakteur der DBZ Deutsche Bau Zeitschrift, mit alarmierenden Zahlen. 37,5 Prozent aller Arbeitsunfälle lassen sich auf Abstürze zurückführen; alleine 2017 starben 88 Personen nach einem Absturz, viele Tausende verletzten sich schwer.

Absturzsicherheit ist gerade in der Baubranche ein essentielles Kernthema, das alle Baubeteiligten angeht, jedoch leider noch immer zu wenig Beachtung findet. Die Zahlen zu Un- und Todesfällen sind besorgniserregend und machen einen schnellen Handlungsbedarf deutlich. Burkhard Fröhlich plädierte für eine offenere Kommunikation: So sollte sich jeder, der in der Höhe arbeitet, informieren und mit Experten sprechen, um Abstürze in Zukunft zu vermeiden.

Prof. Dr.-Ing. Marco Einhaus, der bei der BG Bau – Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft im Bereich Prävention für den Hochbau verantwortlich ist, unterstrich in seinem folgenden Vortrag mit Nachdruck dieses Plädoyer. Auch er präsentierte aktuelle Statistiken zu Unfällen. Der gegenwärtige Bauboom sorge nicht nur für mehr Baustellen, auch die Zahl an Unfällen nehme drastisch zu. In seinen Augen sei eine schlechte betriebliche Organisation bezüglich Arbeitssicherheit und -schutz für diese Werte verantwortlich. Um dem entgegen zu wirken, helfe es nur, den Sicherheitsgedanken verstärkt nach außen zu tragen.

Bei vielen Teilnehmern stießen diese Thesen auf große Zustimmung. Für Joachim Maringer, BG Bau, bedeutet eine Veranstaltung wie der Fachkongress ein Schritt in die richtige Richtung: „Die Veranstaltung beschleunigt den Verbesserungsprozess.“ Die Teilnehmer würden die Informationen aus den Vorträgen weitertragen und die Nachfragen zu Produkten und neuen Systemen würden sich erhöhen. Gregor Bohnes, Außendienstmitarbeiter bei Essmann Gebäudetechnik GmbH, ist geschockt über Baustellen ohne Sicherheitssysteme. Er fordert: „Arbeitsschutz muss gesetzlich geregelt sein.“

Theorie und Praxis

Die zweitägige Veranstaltung beleuchtete die Thematik Absturzsicherheit unter verschiedenen Gesichtspunkten – von der Planung und Architektur, über die unterschiedlichen angebotenen Sicherheitssysteme bis zu den rechtlichen Aspekten der Absturzsicherung. Die Fachanwältin für Baurecht, Manuela Reibold-Rolinger, stellte aktuelle Fälle und Rechtsprechungen vor, um über die gesetzlichen Grundlagen zu informieren. In vier vorgestellten Justizfällen wurden die Zuhörer zu Juristen und diskutierten die Sachverhalte unter verschiedenen Gesichtspunkten. Die Anwältin nutzte die Gelegenheit, das Publikum auf die Wichtigkeit der Vorbeugung von Abstürzen hinzuweisen: Die Prävention müsse schon in der Planungsphase ernst genommen werden: Auch Auftraggeber ständen in der Pflicht und im Schadensfall im Risiko. Sicherheit beginne bereits vor dem Bauvertrag. So beendet Manuela Reibold-Rolinger ihren Vortrag mit der wichtigen Aussage: „Nur wer sicher baut, baut nachhaltig!“

Blick in die Zukunft

Der Fachkongress dient nicht nur dazu, aktuelle Lösungen im Bereich Absturzsicherheit vorzustellen, sondern soll auch zukünftige Entwicklungen für Produkte und Systeme berücksichtigen. Einen Ansatz dafür lieferte Prof. Dr.-Ing. Manfred Helmus, Leiter des Lehr- und Forschungsgebietes für Baubetrieb und Bauwirtschaft an der Bergischen Universität Wuppertal. Gemeinsam mit seinem Team untersucht Prof. Helmus als führender Spezialist den Mehrwert von BIM-Methoden (Building Information Modeling) für den Arbeits- und Gesundheitsschutz. Mit BIM lässt sich der komplette Lebenszyklus eines Gebäudes erfassen, von der Planung bis zum betrieblichen Ablauf – ebenso verhält es sich mit der Absturzsicherheit: Der Sicherheitsaspekt muss während des gesamten Lebenszyklus bedacht werden. Ein wesentlicher Vorteil der BIM-Anwendungen für die Arbeitssicherheit ist die Visualisierung von Gefahrenquellen und Darstellung von Schutzeinrichtungen, die für die Beteiligten wichtig sind.

Einen praktischen Lösungsansatz zur Absturzsicherung zeigte Eugen Penner, Dachdecker- und Zimmermeister des ZEP-Teams aus Bielefeld. Im Gespräch mit Stephan Thomas, Redakteur der Zeitschrift Dach+Holzbau, vermittelte er Eindrücke aus seinem Arbeitsleben und zu den Sicherheitsvorkehrungen, die in seinem Betrieb selbstverständlich seien. Als Geschäftsführer sei er für die Sicherheit seiner jungen Mitarbeiter verantwortlich und biete aus diesem Grund regelmäßige Weiterbildungen zu dieser wichtigen Thematik an. So betonte der Handwerker, dass gute Sicherheitssysteme nicht nur zum Arbeitsschutz beitragen würden, sondern darüber hinaus auch die Arbeitsprozesse erheblich vereinfachen würden. Er selbst wolle ein Vorbild sein: Seinen jungen Mitarbeitern möchte er einen bewussten Umgang mit den angebotenen Sicherheitssystemen vorleben. Für sie sollen die Gedanken über die eigene Sicherheit zum täglichen Geschäft gehören. Dazu gehöre auch, den Mitarbeitern eine „coole“ Sicherheitsausrüstung zur Verfügung zu stellen. Eugen Penner appellierte damit an das Verantwortungsbewusstsein aller am Bau Beteiligten, für eine adäquate Sicherheitsausrüstung zu sorgen, denn „Fachkräfte sind wertvoll und müssen vor Unfällen geschützt sein“.

Kommunikation ist der erste Schritt

Einen solchen Unfall erlebte Lion Becker, Industriekletterer bei HMB – Höhenarbeiten Montagen Becker. Im Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Marco Einhaus schilderte er eindrücklich die Folgen eines Absturzes. Lion Becker ist auf die Montage und Wartung von Windkrafträdern spezialisiert. Im Sommer letzten Jahres arbeitete er in 75 Meter Höhe an einem Rotorblatt, als es zu diesem folgenschweren Unfall kam: Durch ein Missverständnis mit seinem Kollegen setzte dieser den Rotor zu früh wieder in Bewegung. Lion Becker stürzte infolgedessen vom Rotorblatt ab und schlug, über eine Persönliche Schutzausrüstung gesichert, mit voller Wucht gegen den Turm des Windrades. Trotz Knochenbrüchen in der linken Schulter, der Hüfte und am Oberschenkel schaffte er es, sich selbst abzuseilen. Erst nach einer siebenmonatigen Arbeitsunfähigkeit mit schmerzhaften ersten Gehversuchen ist Becker inzwischen wieder als Industriekletterer tätig.

Doch der Absturz hinterließ Spuren und schärfte seinen Blick auf das Thema Sicherheit: So ist das richtige Vorgehen, laut Becker, nicht nur die richtigen Sicherungssysteme für Arbeiten in der Höhe bereitzustellen, sondern zusätzliche Kontrollen zur Sicherheitsprüfung durchzusetzen. Ein weiterer Faktor im Bereich Sicherheit stellt für ihn die Kommunikation dar. Der Absturz war die Folge eines Kommunikationsproblems mit seinem Kollegen – dieses wäre einfach zu vermeiden gewesen. Lion Becker zieht aus seinem Unfall die Schlussfolgerung, vermehrt auf Kommunikation zu setzen: „Teamwork und Kommunikation sind lebenswichtig, man muss sich auf seine Kollegen verlassen können.“

„Sicherheit ist das grundlegende Element“

Einen anderen Blickwinkel auf die Themen Höhe und Sicherheit lieferte der Key Note Vortrag von Extrembergsteiger Alexander Huber. Er und sein älterer Bruder Thomas bilden zusammen die erfolgreiche Seilschaft „Huberbuam“ und hielten den Speed-Rekord mit der berühmtesten Felsroute der Welt – die Nose in Kalifornien – in 2:45,45 Stunden. Die Vorbereitungen und der Rekordversuch wurden in dem Dokumentarfilm „Am Limit“ aus dem Jahr 2007 festgehalten. In seinem Vortrag verband Alexander Huber die Risiken des Bergsteigens mit der erfolgreichen Umsetzung von Projekten. So verließ Huber seine sichere Ausbildungsstraße und entschied sich für eine unsichere Zukunft im Extrem-Alpinismus – zu der auch Abstürze und Sicherheit gehören. In seiner 20-jährigen Karriere als Extremsportler lernte er, dass seine Sicherheit, dank eigener Stärke und mentaler Kraft, vor allem aus ihm selbst kommt. Dieses Vertrauen in sich selbst hilft ihm nicht nur bei seinen Touren, sondern auch mit Stürzen, die zu seinem täglichen Geschäft gehören, umzugehen.

Einen wichtigen Unterschied gab es für Alexander Huber aber doch: Da er sein Talent zum Beruf machte, setzt er sich dem Risiko und dem Druck eines möglichen Absturzes nur kurzzeitig aus. Dagegen sollten diejenigen, die tagtäglich unter schwierigen Bedingungen in Höhen arbeiten und nicht immer mit perfekter Konzentration agieren können, zu jeder Zeit angemessen gesichert sein. Denn sowohl beim Speedklettern als auch in der Baubranche gelte der Grundsatz: „Sicherheit ist das grundlegende Element.“

Bauverlag BV GmbH

www.bauverlag-events.de

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