PP-Kunststoffrohrsysteme im Vergleich

Nachhaltige Abwasserentsorgung

Es ist selbst für Fachleute oft nicht leicht, sich zwischen den unterschiedlichen Kunststoffrohrvarianten zu entscheiden. Hier erfahren Sie die wichtigsten Auswahlkriterien für die richtige Wahl.

In den letzten Jahren haben sich die nachhaltigen Kunststoffrohrsysteme in der Abwasserentsorgung zunehmend gegenüber den biegesteifen Werkstoffen durchgesetzt. Kunden profitieren zwar von größere Kunststoffrohrauswahl, andererseits wird die optimale und bedarfsgerechte Auswahlentscheidung für sie immer komplexer. Viele Marktteilnehmer kennen die Unterschiede der verschiedenen Standard-Kunststofftypen wie PE-HD (Polyethylen high density), PP-H (Polypropylen-Homopolymer) und PVC-U (Polyvinylchlorid weichmacherfrei) nicht.

Das Beispiel eines Abwasserkanalrohrsystems zur Freispiegelentwässerung als erdverlegte Grundleitung, Kanalanschlussleitung oder Kanalleitung aus Polypropylen soll Licht ins Dunkel. Hierzu werden die unterschiedlichen Auswahlkriterien von zwei häufig in der Praxis eingesetzten Polypropylen-Abwasserkanalrohrsystemen aus PP-MD (mit Zusatz von hochwertigem Verstärkungsstoffen) und PP-HM (high modulus) gegenübergestellt.

Auswahlkriterien für Anwendungsbereiche und Einsatzgrenzen

Nicht jedes Kunststoffrohrsystem ist für jede Abwasserart geeignet und zugelassen. Bei besonderen Einsatzbereichen muss beispielsweise ein medienbeständiger Dichtungswerkstoff oder eine stoffschlüssige Verbindungsart ausgewählt werden. Die wichtigsten Fragen, die man sich im Vorfeld stellen sollte:

Soll das Abwassersystem außerhalb oder innerhalb von Gebäuden installiert werden?

Schwerkraft-Entwässerungssysteme innerhalb von Gebäuden (Gebäudeentwässerung; Anforderungen nach DIN EN 12056)

Entwässerungssysteme außerhalb von Gebäuden (Grundstücksentwässerung und kommunale Entwässerung, Anforderungen nach DIN EN 752).

Um welche Abwasserart bzw. Anwendungsbereich handelt es sich und was ist dabei besonders zu beachten?

Auswahlkriterien für Werkstoff-/

Produkteigenschaften

Zur weiteren Findung der optimalen Entwässerungslösung sind Kenntnisse der jeweiligen Werkstoff- und Produkteigenschaften sehr hilfreich. Insbesondere die Auswahl des Kunststofftyps, die spezifischen Werkstoffeigenschaften, die Kunststoffrohreigenschaften sowie die Verbindungsart und das Dichtungssystem.

Werkstoff / Werkstoffeigenschaften

Welcher Werkstoff bzw. welche Werkstoffeigenschaften sind erforderlich (Tabelle 2)?

Bei Polypropylen PP-MD (Veredelung durch mineralische Verstärkungsstoffe bzw. Modifier wie z.B. Calciumcarbonat, Magnesiumcarbonat oder Talkum) handelt es sich um ein modifiziertes Polypropylen, welches mit funktionellen mineralischen Additiven als Verstärkungsmaterial versetzt ist. PP-MD unterscheidet sich von PP-H im Detail durch eine höhere Dichte, einen höheren E-Modul sowie einer daraus resultierenden höheren Steifigkeit (Widerstand eines Kunststoffrohrs gegen elastische Verformung durch eine Kraft oder ein Biegemoment).

PP-HM ist ein Blockcopolymerisat mit erhöhter Werkstoffsteifigkeit und erhöhter Schlagzähigkeit. Bei der Herstellung der Blockcopolymere (PP-B) wird in einem zusätzlichen Polymerisationsprozeß ein Copolymer (in der Regel Ethen) in die Polypropylenkette eingebaut.

Der E-Modul bezeichnet den Steifigkeitsfaktor eines Kunststoffs, als im ideal-elastischen Anfangsbereich seiner Spannungs-Dehnungskurve und wird in N/mm2 oder MPa ausgedrückt. Je höher der E-Modul-Wert, desto steifer ist das Material. Einfach gesagt ist der E-Modul ein Kennwert dafür, wie stark ein Werkstoff bei Krafteinwirkung nachgibt (Widerstandskraft gegen Verformung).

Allgemeine Kunststoffrohreigenschaften

Welche Rohrbauart ist für die Abwasserentsorgung gewünscht?

Vollwandrohr nach DIN EN 1852-1 bzw. homogenes Vollwandrohr (z.B. KG2000) nach DIN EN 14758-1

Mehrschicht-Verbundrohr „Multilayer“

Profiliertes bzw. gewelltes Vollwandrohr nach DIN EN 13476-3

Welche Rohrnennweite DN/OD wurde hydraulisch dimensioniert?

DN/OD 110/125/160/…/800

Welche Ringsteifigkeit ist sinnvoll?

Normallastrohr (SN 4)

Hochlastrohr (SN 8/10/12/16)

Um den erforderlichen statischen Belastungen im praktischen Einsatz gerecht zu werden, müssen die Abwasserrohrsysteme aus Polypropylen bestimmten Ringsteifigkeiten entsprechen. Die Einhaltung der Ringsteifigkeit ist ganz entscheidend, denn eine Rohrverformung, aufgrund von hohen Erdlasten, kann zu Undichtigkeiten im Rohrverbindungsbereich bei Steckverbindungen führen. Die entsprechende Prüfung der Ringsteifigkeit für thermoplastische Rohre erfolgt nach DIN EN ISO 9969 (thermoplastische Rohre mit glatter Außerwandung) bzw. DIN 16961 (thermoplastische Rohre mit profilierte Außenwandung und glatte Rohrinnenfläche) bzw. DIN EN ISO 13967 (thermoplastische Formstücke).

Welche Lieferform wünschen Sie?

Stange 0,5 m / 1 m / 2 m / 3 m / 5 m / 6 m

Sonderlängen

Soll das Kunststoffrohr recycelbar sein?

PP-MD (KG2000) und PP-HM sind zu 100% laut Rohrhersteller recycelbar

Verbindungsart und Dichtungssystem

Welche Rohrverbindungsart ist gewünscht bzw. vorgeschrieben und welches Dichtungssystem ist bei einer Steckverbindung erforderlich (Tabelle 4)?

Dichtungen aus SBR sind für häusliches Abwasser gut geeignet. Sie sind nicht beständig gegenüber Mineralölen, Fetten, Benzin, aliphatische, aromatische und chlorierte Kohlenwasserstoffe. Dichtungen aus EPDM sind für häusliches Abwasser ebenfalls gut geeignet. Sie sind nicht beständig gegenüber silikonhaltigen Ölen und Fetten, aliphatischen, aromatischen und chlorierten Kohlenwasserstoffen sowie gegenüber Mineralölprodukten (Öle, Fette, Kraftstoffe wie Diesel). Dichtungen aus NBR sind gut widerstandsfähig gegen Mineralöle & Fette, Benzin, tierische und pflanzliche Öle, anorganische Säuren und Basen niedriger Konzentration.

Auswahlkriterien: Verlegung & Einbettung

Welches Verlegeverfahren möchten Sie einsetzen?

Welche Erdüberdeckung vom Rohrscheitel bis zur Geländeoberkante ist gegeben?

Mindestüberdeckung von ≥ 0,5m und eine Höchstüberdeckung von ≤ 6 m, gemäß Regelstatik

Mindestüberdeckung < 0,5 m und eine Höchstüberdeckung von > 6 m, statische Berechnung erforderlich

Welche maximalen Verkehrslasten sind nach DIN 1229 gefordert?

SLW30/SLW60

Auswahlkriterien: Betrieb & Wartung (Tabelle 5)

Welche wesentlichen Eigenschaften des Kunststoffrohrsystems sind im Betrieb und Wartung wichtig?

Zubehör

Welche Zubehörprodukte werden für das Abwassersystem noch benötigt?

Dichtungswerkstoffe für Steckverbindung

SBR (Styrol-Butadien-Kautschuk) für Standardanwendungen, bei häuslichem Schmutzwasser und Regenwasser

EPDM (Ethylen-Propylen-Dien-Kautschuk) für Standardanwendungen, bei häuslichem Schmutzwasser und Regenwasser

NBR (Acrylnitril-Butadien-Kautschuk) für Sonderanwendungen bei besonderen Anwendungsfällen, wie z.B. Zuleitungen zu Öl- und Benzinabscheidern im Tankstellenbereich oder Zuleitungen von öl-/fetthaltigem Abwasser aus Großküchen

Rohrübergänge

Übergang von Kunststoffrohr aus PP auf Gusseisenrohr mit Dichtmanschette

Übergang von Kunststoffrohr aus PP auf Steinzeugrohr mit Lippendichtung für Muffe oder Spitzende

Multikupplung zur sicheren Anbindung an andere Rohrwerkstoff

KG2000-Anschlussstutzen für Betonrohre/-schächte

Sonstiges

Formstücke (Ringsteifigkeit SN4, SN8, SN16 abhängig vom Rohrhersteller)

Reinigungsrohr

Rückstausicherung

Kontroll-/Reinigungsschacht

Fazit

Für eine systematische Auswahl von Kunststoffrohrsystemen sind im Vorfeld viele technische Fragen für den Anwendungsbereich und Einsatzgrenzen, Werkstoff- und Produkteigenschaften, Verlegung und Einbettung, Betrieb und Wartung sowie Zubehör technisch abzuklären. Darüber hinaus ist die Verfügbarkeit, die Hersteller-Garantie (bis zu 25 Jahre) sowie der Preis in der Praxis ein wichtiger Auswahlfaktor. Bei den Kunststoffrohrsystemen aus PP-MD zeigt sich in der Praxis ein optimales Preis-Leistungsverhältnis für viele Anwendungsbereiche. Ohne die nötigen Fachkenntnisse wird die Wahl des optimalen Kunststoffrohrsystems zur Qual. Wer sich im Vorfeld – wie hier ausführlich beschrieben - Gedanken zu den konkreten Kunden- und Objektanforderungen macht, wird nach der Verlegung in der Praxis keine bösen Überraschungen erleben. Um haftungs- und kostenrelevante Planungs- und Auswahlfehler zu vermeiden ist eine qualifizierte Weiterbildung durch Fachkundeschulung der Marktteilnehmer durch Kunststoffrohrexperten unerlässlich und empfehlenswert. Detailliertes Kunststoff-Fachwissen kann ergänzend auf Wissensportalen wie z.B. KRV-Wissensportal (//www.krv.de/wissen/start:https://www.krv.de/wissen/start) oder von den Internetseiten der Rohrhersteller abgerufen werden.

Lesch Consult

www.lesch-consult.de

Dipl.­-Ing Elmar Lesch ist Inhaber einer Unternehmensberatung.
Literatur

1 DIN EN 1852-1 „Kunststoff-Rohrleitungssysteme für

erdverlegte Abwasserkanäle und -leitungen -

Polypropylen (PP)“, Teil 1, 2018 Beuth, Berlin

2 DIN EN 14758-1 „Kunststoff-Rohrleitungssysteme für erdver-
legte Abwasserkanäle und -leitungen - Polypropylen mit

mineralischen Additiven (PP-MD) - Teil 1: Anforderungen an

Rohre, Formstücke und das Rohrleitungssystem;

2012 Beuth, Berlin

3 DIN EN ISO 9969 „Thermoplastische Rohre - Bestimmung der

Ringsteifigkeit“, 2016 Beuth, Berlin

4 DIN 16961 „Rohre und Formstücke aus thermoplastischen Kunststoffen mit profilierter Wandung und glatter Rohrinnen-

fläche - Teil 1: Klassifizierung und Maße“, 2018 Beuth, Berlin

5 DIN EN ISO 13967 „Thermoplastische Formstücke -

Bestimmung der Ringsteifigkeit“, 2010 Beuth, Berlin

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