Proaktiver Arbeitsschutz

Ergebnisse des DGUV Risikoobservatoriums für den Hochbau

Das Risikoobservatorium der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) fragt nach neuen Entwicklungen und Risiken u. a. im Hochbau und bei Abbrucharbeiten. Ziel ist eine frühzeitige, also proaktive Prävention dieser Risiken.

Die Branchen Hochbau und Abbrucharbeiten werden – nach Einschätzung der Präventionsfachleute aus der Befragung des Risikoobservatoriums – von zahlreichen Entwicklungen geprägt. Für die Beschäftigten bedeuten sie psychische und physische Belastungen, die oft in Kombination auftreten und sich gegenseitig bedingen:

Trotz immer noch durchschnittlicher Altersstruktur ist der Anteil der älteren Beschäftigten im Hochbau in den letzten Jahren stetig gewachsen. Dabei muss vor allem bedacht werden, dass die branchenspezifischen hohen körperlichen Anforderungen für ältere Beschäftigte ein gesundheitliches Risiko bergen. Unbesetzte Stellen und Ausbildungsplätze sowie Abwanderung wegen gesundheitlicher Beschwerden und ökonomischer Rahmenbedingungen beschreiben den Fachkräftemangel. Die Branche versucht ihm mit einer steigenden Zahl Beschäftigter aus dem Ausland zu begegnen, was jedoch in sprachlicher wie sicherheitskultureller Hinsicht neue Anforderungen an den betrieblichen Arbeitsschutz stellt. Eine weitere Belastung für die Beschäftigten: Trotz voller Auftragsbücher stehen die Hochbau-Unternehmen in großem Wettbewerb zueinander. Termin-, Zeit-, Kosten- und – für einige Tätigkeitsgruppen – Verantwortungsdruck sowie Unsicherheit und Ängste nicht zuletzt durch die aktuelle Corona-Pandemie führen dazu, dass sich die Beschäftigten zunehmend erschöpft fühlen. Hinzu kommen hohe körperliche Belastungen wie Arbeiten mit schweren Lasten, Schwerarbeit und Zwangshaltungen. Sie können zu Muskel-Skelett-Beschwerden führen, beispielsweise zu Verspannungen im Schulter-Nacken-Bereich, im unteren Rücken oder Funktionseinschränkungen der Kniegelenke. In Kombination mit Arbeitsverdichtung, aber auch mit Vibrationen und Lärm – ebenfalls in den betroffenen Branchen häufig anzutreffende Einwirkungen – verstärkt sich ihr gesundheitsbeeinträchtigendes Potenzial und dürfte ein Grund dafür sein, dass die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage im Hoch- und Tiefbau zu den höchsten gehört.

 

Technologien zur Entlastung

Im Rahmen der Prävention wären Investitionen der Bauindustrie in neue Technologien zur Entlastung der Beschäftigten hilfreich. Arbeiten im Hochbau oder in der Abbruchbranche bedeutet häufig Arbeit im Freien, aber auch Schweißen und thermisches Brennschneiden. Beschäftigte sind deshalb in besonderem Maße hautschädigender UV-Strahlung ausgesetzt. Trotz massiver Sensibilisierungskampagnen der zuständigen Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft bleibt der sichere Umgang mit der Sonne eine Herausforderung in der Branche. Eine diesbezügliche Sicherheitskultur scheint sich in Deutschland nur langsam zu entwickeln. Zusätzlich belasten Hitze und Kälte die Beschäftigten an Außenarbeitsplätzen. Gesundheitliche Folgen reichen von Hitzeerschöpfung bis Unterkühlung und lassen die Unfallgefahr im Baugewerbe steigen. Letztere wird auch negativ beeinflusst durch ungünstige Sicht- und Beleuchtungsverhältnisse. Inwieweit sich Defizite im Hinblick auf (soziale) Räumlichkeiten und Ausstattung im deutschen Baugewerbe negativ auf das Wohlbefinden der Beschäftigten auswirken, bleibt mangels verlässlicher Erhebungen offen. Die befragten Präventionsfachleute im Risikoobservatorium sehen hierin nichtsdestoweniger einen arbeitsschutzrelevanten Faktor von Bedeutung. Schließlich stellt auch die zunehmende Mobilität Anforderungen an die Beschäftigten des Baugewerbes. Trotz einer eher durchschnittlichen Pendeldistanz zwischen wechselnden Baustellen hat die Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsstelle im Baugewerbe deutlich zugenommen. Dies bedeutet Zeitverlust sowie – bei hoher Verkehrsdichte – möglicherweise Stress und kann die zur Regeneration wichtige Work-Life-Balance ungünstig beeinflussen.

 

Gefahrstoffe

Neben diesen vielfältigen physikalischen und psychischen Herausforderungen spielen Gefahrstoffe mit kanzerogenen, mutagenen und reproduktionstoxischem Potenzial bei Arbeiten im Hochbau und bei Abbruch-, Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten (ASI-Arbeiten) immer noch eine zentrale Rolle. Mögliche Gründe sind das teils gehäufte Auftreten von Gefahrstoffen in Baumaterialien, das mangelnde Wissen der Beschäftigten über damit einhergehende Risiken sowie der Mangel an Ersatzstoffen. Im Rahmen von ASI-Arbeiten kommen diese Ersatzstoffe allerdings zu spät, denn die gefährdenden Substanzen wurden häufig bereits vor Jahrzehnten verbaut. Zu den besonders bedeutsamen Gefährdungen in den Branchen Hochbau und Abbrucharbeiten gehören schwerlösliche, mineralische Stäube (wie Quarzfeinstaub) und Asbest, die (immer noch) eine erhebliche Gefährdung für die Beschäftigten darstellen. Außerdem spielen künstliche Mineralfasern, Epoxidharze und Dieselmotoremissionen eine Rolle.

Langfristig Abhilfe schaffen können hier nur die weitere Entwicklung von Ersatzstoffen für gefährdende Substanzen sowie – und das gilt für sämtliche Risiken in der Branche – niederschwellige Informationsangebote, die Bewusstsein und Verständnis für das Gefährdungspotenzial bei den Beschäftigten schaffen. Außerdem lassen sich innovative Produkte einsetzen, um Tätigkeiten und Verfahren inhärent sicher zu machen, ohne Vorwissen und Motivation auf Seiten der Beschäftigten voraussetzen zu müssen. Inwieweit Nanomaterialien die Gesundheit der Beschäftigten auf dem Bau beeinträchtigen, muss die Forschung noch zeigen. Bei ASI-Arbeiten an und in Gebäuden werden zum Teil Staub und Schimmelpilzsporen aufgewirbelt. Beim Entfernen von verschimmelten Baumaterialien können mykotoxinhaltige Stäube die Beschäftigten durch ihre sensibilisierende und toxische Wirkung gefährden.

 

Viele unterschiedliche Faktoren

Die Ergebnisse des Risikoobservatoriums zeigen, dass die Herausforderungen für den Erhalt von Sicherheit und Gesundheit vielfältig geworden sind. Es scheint zudem, als hätte der Arbeitsschutz immer mehr Faktoren zu berücksichtigen, die sich dem gesetzlichen Zugriff der Unfallversicherung entziehen. So stellen sich im Baugewerbe beispielsweise zentrale Fragen zum demografischen Wandel und dem in Teilen verknüpften Fachkräftemangel sowie zur wettbewerbsgetriebenen Arbeitsverdichtung, die ihrerseits mit Folgen für Sicherheit, Gesundheit und Wohlbefinden bei der Arbeit einhergehen. Die gesetzliche Unfallversicherung trägt, ihrem Auftrag folgend, mit einem breiten Angebot an Präventionsleistungen und Maßnahmen für den Aufbau einer Präventionskultur dazu bei, dass Beschäftigte im Hochbau sicher und gesund arbeiten können. In vielen Fällen bedarf es allerdings der konsequenten Nutzung der angebotenen Hilfen durch die Branche, die nicht immer stattzufinden scheint. Dabei ist funktionierender Arbeitsschutz sowohl ein Beitrag zu mehr Wirtschaftlichkeit also auch eine Investition in das Branchenimage und damit in die Beschäftigtenbindung.

 

Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen               Unfallversicherung (IFA)

www.dguv.de/ifa

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