SWB-Großrohre mit integrierter
Trockenwetterrinne
Gigantisch sind die Leistungen, die im Rahmen der Umstrukturierung des Emscher Systems mit einem finanziellen Aufwand von rd. 4,5 Mrd. € bis zum Jahre 2020 zu erbringen sind. Ein zusammenhängendes unterirdisches Kanalnetz mit rund 400 km Länge ist europaweit noch nie geplant, geschweige realisiert worden.
Dipl.-Ing. Robin Golchin
Im „Schmelztiegel Ruhrgebiet“ befindet sich derzeit Europas größte Wasserbaustelle: die Umgestaltung der Emscher mit ihren zahlreichen Nebenflüssen. Ein weit verzweigtes Kanalnetz stellt nicht nur eine einmalige „Sanierungsaufgabe“ dar, sondern wird den rd. zweieinhalb Millionen Menschen in der gesamten Region zwischen Holzwickede und Dinslaken neue Lebensqualität vermitteln – eine technische und ökologische Herausforderung! Die Emschergenossenschaft hat sich als Bauherrin in ihrer mehr als 100jährigen Geschichte bei der Abwasserbeseitigung schon oft mit wegweisenden Innovationen als technologischer Schrittmacher weit über die Grenzen des Ruhrgebietes hinaus erwiesen. Viele in der Anfangsphase der Emscher-Umgestaltung erstmalig realisierte innovative Technologien und bautechnische Verfahren zählen im Spezialtiefbau inzwischen zum „Stand der Technik“.
Ein Stauraumkanal mit vielen Finessen
Jüngstes Beispiel für eine fortschreitende Entwicklung im Spezialtiefbau: der Umbau sowie die ökologische Verbesserung des Abwassersystems Sellmannsbach in Gelsenkirchen-Schalke. Als ein Herzstück der Baumaßnahme bezeichnete Dipl.-Ing. Dirk Hellmich, Projektleiter im Geschäftsbereich Planung und Bau, die Errichtung eines leistungsfähigen Stauraumkanals mit unten liegender Entastung (SKU) sowie den dazugehörigen Schachtbauwerken. Erstmalig hatte man dafür Hochleistungs-Stahlbetonrohre mit einem Innendurchmesser von 3600 mm, einem Außendurchmesser von 4320 mm sowie einer Baulänge von 3 m gewählt.
In enger Zusammenarbeit des Bauherrn mit dem Auftragnehmer, der Kramer Bauunternehmung GmbH + Co KG sowie dem Rohrhersteller, Berding Beton GmbH Werk DW Nievenheim, wurde für diese Rohre eine Rezeptur entwickelt, die die hohen chemischen aber auch statischen Anforderungen über eine lange Nutzungsdauer erfüllen soll. Das Ergebnis: ein SW-Beton mit erhöhtem Säurewiderstand und den daraus resultierenden, weitergehenden Anforderungen wie u.a. die Erfüllung der Expositionsklasse XA 3 gemäß DIN EN 206-1 auf Basis der Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen (ZTV) der Emschergenossenschaft „Herstellung und Lieferung von Abwasserrohren aus Beton und Stahlbeton“. Von dem 320 m langen Stauraumkanal hatte man in einem besonders aggressiven Milieu ab dem Pumpwerk rd. 100 m mit einem speziellen Korrosionsschutz-System (PE-HD-Inliner) ausgerüstet, das bei der Rohrfertigung bereits integriert worden war.
Monolithische Trockenwetterrinnen haben große Vorteile
Zur Sicherstellung einer beschleunigten Abwasser-Abflussgeschwindigkeit wurden die groß dimensionierten Rohre mit einer bereits im Betonwerk „in einem Guss“ hergestellten monolithischen Trockenwetterrinne ausgestattet (Querschnitt 1000 mm, Berme mit Neigung 1:20).
TWR-Rohre sind immer dann sinnvoll, wenn geringe Trockenwetterabflüsse vorliegen bzw. sich Fließgeschwindigkeiten im Trockenwetterfall über das hydraulisch zumutbare Maß verringern. Der inzwischen kontinuierlich sinkende Wasserverbrauch erfordert reduzierte Fließquerschnitte zur Beschleunigung der Fließgeschwindigkeit in unseren Abwasserkanälen, die immer öfter wirkungsvoll durch Trockenwetterrinnen und Sonderquerschnitte ermöglicht werden. Ansonsten besteht, wie die Vergangenheit leider nur allzu oft gezeigt hat, die Gefahr von biogener Schwefelsäure-Korrosion infolge herabgesetzter Schleppspannung. Der Einsatz hochwertiger Trockenwetterrinnen setzt eine passgenaue, glatte und gleichmäßig dichte Oberfläche der Rinnenausbildung ohne Stolperkanten voraus und – eine exakte Montage. Bisher vor Ort meist in Handarbeit realisierte Bauverfahren führten oft nicht zu einem befriedigenden Ergebnis, abgesehen von dem gegenüber bereits im Werk integrierten Rinnen erhöhten Zeitaufwand vor Ort.
Ein weiterer Vorteil: Die Rohre ohne Inliner sind mit jeweils zwei monolithisch im Werk eingegossenen Halfen-Befestigungsschienen versehen, die auf der Baustelle eine nachträgliche Montage des einseitigen Handlaufs ermöglichen. Bei den PE-ausgekleideten Rohren werden punktuell in regelmäßigen Abständen „PE-Klötze“ angebracht, an denen der Handlauf montiert wird.
Millimeterarbeit beim Transport
und Einbau
Die Montage der schwergewichtigen Fertigteile, die immerhin gut 38 t auf die Waage bringen, war selbst für ein eingespieltes Kanalbauer-Team keine alltägliche Aufgabe und - eine logistische Herausforderung. Bereits der Transport der Rohre zur Baustelle erforderte Millimeterarbeit. Da viele Brücken lediglich eine Durchfahrtshöhe von maximal 4,00 m zulassen, mussten die Rohre senkrecht transportiert werden. Um sie anschließend wieder in ihre Verlege-Position zu drehen, wurde ein spezieller Anker auf dem Rohrscheitel angebracht. Neben dem für die Verlegung eingesetzten 250 t-Kran war beim Entladen für den Drehvorgang der Rohre noch ein 34 t-Kettenbagger erforderlich; eine Lösung, die ein zügiges und sicheres Arbeiten gewährleistete. Ebenso anspruchsvoll gestaltete sich die passgenaue Verlegung der großformatigen und übergewichtigen Hochleistungs-Stahlbetonrohre, vor allem in Bezug auf die Gefahr einer möglichen Verrollung.
Die Montage der Rohre für den rd. 320 m langen Sammler in einer Verlegetiefe zwischen 8 bis 10 m erfolgte durchweg im offenen Rohrgraben mit Überdeckungshöhen von 1,50 m – 6,60 m über Rohrscheitel für Verkehrslasten SLW 60 und LM 71 (unter mehrgleisiger Bahnanlage). Die Kanalunterlage bestand aus einer 40 cm dicken Stabilisierungsschicht aus HKS 0/45 (Kalksteinschotter), die untere Bettungsschicht aus 41 cm Beton (Rohrauflager), die obere Bettungsschicht von Rohrunterkante bis zur maximalen Kämpferhöhe des Rohres (1,10 m bis max. 2,10 m) ebenfalls aus Beton. Anschließend erfolgte die Verfüllung mit Boden. Nicht weniger aufwändig war der Spundwandverbau mit insgesamt 10 000 m2 und Bohlenlängen bis zu 14 m.
Nach Inbetriebnahme des Sammlers fließt das Mischwasser aus dem Stauraumkanal in ein in Rundschalung hergestelltes Regenüberlaufbecken mit kreisrunder Schwelle, einem Durchmesser von ca. 18 m und einer Höhe von 11 m. Dort wird das Schmutzwasser vom Reinwasser getrennt. Das Reinwasser gelangt über eine Überlaufschwelle wieder in den Sellmannsbach und von dort über eine bereits vorhandene Dükerleitung unter dem Rhein-Herne-Kanal in die Emscher. Das Abwasser wird über eine ca. 50 m lange Vortriebsstrecke DN 1600 aus Stahlbeton mit einer starken Neigung von 10% Gefälle in einen 16,50 m tiefen Schacht geleitet, der sich in unmittelbarer Nähe des Rhein-Herne-Kanals befindet und auch Zielgrube ist für die Vortriebsstrecke unter dem Kanal. Auf diesem Wege gelangt das Abwasser zur Großkläranlage Bottrop. Nach Abschluss der in diesem Beitrag beschriebenen Bauleistungen wird die Entflechtung des Sellmannsbaches in den südlichen Abschnitten der Emschergenossenschaft und der Stadt Gelsenkirchen fortgesetzt. Dafür sind in den kommenden Jahren noch Kanal- und Gewässer-Baumaßnahmen auf einer Länge von rund 5 km erforderlich.
Ökologie und Ökonomie in Einklang gebracht
Mit der Fertigstellung des Abwasser-Systems Sellmannsbach wird ein wichtiges Bindeglied für das neue Emscher-Kanalnetz realisiert. Dabei war man, wie auch in anderen Bauabschnitten, bestrebt, Ökologie und Ökonomie in Einklang zu bringen, nicht zuletzt durch innovative Techniken und Technologien, nachhaltig.
Selten gibt es im Spezialtiefbau bei nur einem Projekt eine solche Fülle an Aufgaben, Chancen und Möglichkeiten, um den Fortschritt im Kanalbau zu beflügeln. Das große Interesse der Fachleute aus den Kommunen, aus Wissenschaft und Technik an diesem Jahrhundertprojekt ist ein sicheres Indiz dafür, dass für den Tiefbau das Ende der Fahnenstange noch längst nicht erreicht ist.⇥■