Auch heilige Kühe machen Mist

Die heilige Kuh aller Marktgläubigen ist der Wettbewerb. Wettbewerb wird als allein selig machendes Steuerungsinstrument für alle gesellschaftlichen Prozesse gepriesen. Dieser Ideologie folgend wurde er dort, wo es vermeintlich an Wettbewerb fehlte, künstlich angefacht, „um so die angeblich überlegene Effizienz der Marktwirtschaft bis in den hintersten Winkel jeder öffentlichen und privaten Institution voranzutreiben.“ Womit „wir immer mehr Unsinn produzieren“, schimpft Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Solothurn.

 

Der, die das Beste?

Der Beste soll gewinnen. Das Beste soll sich durchsetzen! Was könnte diesem Ziel und damit dem öffentlichen Interesse mithin dienlicher sein als Wettbewerb so weit das Auge reicht? Doch wie das Tucholsky bereits in seinem lebensklugen Gedicht „Das Ideal“ so schön formulierte: “Ja, das möchste!...Aber wie das so ist hienieden: manchmal scheint’s so, als sei es beschieden nur pöapö, das irdische Glück…“ Ja, ja, das irdische Glück - wo und wie auch immer es gesucht wird, soll es mit Macht erzwungen werden, dann erweist sich das nur zu oft als wenig glückliches Tun. John Kay, ehemaliger Managementprofessor in Oxford, hat das gerade wieder lehrreich zwischen zwei Buchdeckeln klargemacht: OBLIQUITY – Die Kunst des Umwegs. Woraus (nicht nur) für Unternehmer folgt: Vorsicht vor quasi religiösem Beharren auf gängigen Glaubenssätzen.

Ob nun geläutert durch Lebenserfahrung oder von Natur aus herrschenden Lehrmeinungen ein wenig abgeklärter gegenüberstehend, unübersehbar jedenfalls ist darüber hinaus: Das Ideal, der edle, reine Wettbewerbsgedanke, verliert rasch an Anziehungskraft, geht es um persönliche Interessen, bietet sich die Chance, mit der Dummheit, der Vertrauensseligkeit, der Geld- und Habgier der Leute auf der Basis eigener Skrupellosigkeit schneller und einfacher zu Geld oder Posten zu kommen als mit der Ochsentour im echten Wettbewerb. Was zählt das Ideal, wenn es darum geht, sich selbst in Stellung und den oder die anderen in Mißkredit zu bringen? Was zählt es, wenn der eigene Vorteil das Ziel ist!

Am augenfälligsten wohl führt uns das politische Geschehen tagtäglich die Antwort vor Augen: Nichts! Rein gar nichts! Kein Anlass zu banal, keine Sache zu nebensächlich, keine Fragestellung zu wichtig, um nicht geschwind den Ritualen eitler Selbstdarstellung zu huldigen und mit unverdauten, dafür aber umso markigeren Sätzen eilig vor die Kameras und Mikrofone zu drängen. Sachdienliches Verhalten? Fehlanzeige! Von tatsächlicher politischer Verantwortung und profunder Sachkenntnis getragenes argumentatives Wettbewerbsverhalten? Wieder Fehlanzeige! Vom Ringen um vorausschauende, weiterführende, nachhaltige Lösungen geleitetes Verhalten? Schenken wir uns die Antwort.

 

Sinnloser Wettbewerb?

Recht hat er, wie auch dieses hübsche Beispiel sinnlosen Wettbewerbs lehrt: In der Heimat des Autors spült ein kommunaler Parkplatz vor einem beliebten und entsprechend stark frequentiertem Ausflugslokal nicht das erwünschte Geld in die Kasse des kommunalen Parkplatzbetreibers und –besitzers. Naheliegend, dass die Kommune auf den Gedanken kommt, den aus ihrer Sicht ertragsschwachen Parkplatz gegen ein ertragsstarkes Entgeld an den Betreiber des ertragreichen Ausfluglokals zu verkaufen. Dieser zeigt sich nicht abgeneigt. Der Handel steht kurz vor dem Abschluss. Da meldet sich ein ganz besonderer Schlaumeier zu Wort: Nach EU-Wetttbewerbsrecht aber müsse der noch nicht einmal Fußballfeld große Parkplatz europaweit ausgeschrieben werden. Wie steht es doch in der Bibel: Da wendete sich der HERR und weinte bitterlich.

Sinnlose Wettbewerbe! Mathias Binswanger beklagt sie zu recht, wenn er schreibt: Effizienz, Exzellenz, Leistung, Wettbewerbsfähigkeit, Innovation oder Wachstum – es gibt heute kaum noch einen Lebensbereich, in dem diese abstrakten Begriffe nicht zu gesellschaftlichen Idealen auserkoren werden. Warum und wozu alles in unzählichen Wettbewerben immer noch effizienter, noch exzellenter, noch wettbewerbsfähiger und noch innovativer werden muss, weiß in Wirklichkeit niemand mehr genau.

Dieser hirnlose Wettbewerbsrummel lässt ja nicht nur Politik und Wissenschaft immer mehr zur Posse verkommen. Er hinterlässt auch in der Wirtschaft ruinöse Spuren. Europaweit derzeit prächtigstes Beispiel dafür ist die Deutsche Bahn. Dank des Wettbewerbs um - aufgepasst! - die Gunst des Börsenpublikums wurde die einst unbeirrt durch die Jahreszeiten rollende Bahn (Slogan: Alle reden vom Wetter, wir nicht!) systematisch kaputtgespart - um die Bilanzen für den Börsengang aufzuhübschen.

 

Existenzbedrohend?

Wieviel volkswirtschaftliches Vermögen wird durch sinnlose Wettbewerbe verpulvert! Wieviele kleinen und mittleren Unternehmen werden dadurch in ihrer Existenz bedroht! Und wieviel menschliches Leid wird dadurch ausgelöst! Wie oft hat sich das vermeintlich der Wettbewerbskraft dienende Mergers & Acqusitionsgeschehen im Nachhinein als blanker, teurer Unsinn entlarvt. Wie oft sind Firmen, die um der vermeintlichen besseren Position im Wettbewerb dem Wettbewerb zuliebe in Niedriglohnländern ihr Glück (ver-)suchten, beladen mit ansehnlichen Verlusten an Geld und Ruf reumütig in die Heimat zurückgekehrt! Auch heilige Kühe machen Mist! Wie gewaltig der stinken kann, das hat Mathias Binswanger lesenswert zu Papier gebracht!


Autor: Dipl.-Betriebswirt Hartmut Volk, Redaktionsbüro Wirtschaft&Wissenschaft, Bad Harzburg,

E-Mail: hartmut.volk@t-onlin.de

 

Lesetipps

- Mathias Binswanger: Sinnlose Wettbewerbe – Warum wir immer mehr Unsinn produzieren. Herder Verlag, € 19,95

- John Kay: OBLIQUITY – Die Kunst des Umwegs. Oder wie man am besten sein Ziel erreicht. DTV, € 14,90

- Heinrich Zankl: Kampfhähne der Wissenschaft – Kontroversen und Feindschaften. Wiley-VCH Verlag, € 24, 90Bestellung der Bücher schnell und unproblematisch über: Profil - die Versandbuchhandlung im Bauverlag, Tel: 05241/80 88 957, Fax: 05241/80 60 16, E-Mail: profil@bauverlag.de

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