Erste Erfahrungen mit der Studienreform

Was lernen Bauingenieure heute an den Hochschulen?

Anlässlich des Hochschultages 2010 an der Universität Siegen, den das Betriebswirtschaftliche Institut der Bauindustrie (BWI-Bau, Düsseldorf) im Auftrage des Bauindustrieverbandes NRW durchführte, diskutierten zahlreiche Vertreter aus Hochschulen und Unternehmen die zwischenzeitlichen Erfahrungen mit den Konsequenzen des Bologna-Prozesses.

Insbesondere standen folgende Erkenntnisse im Mittelpunkt:

n Wesentlicher Ausgangspunkt des Bologna-Prozesses war die Harmonisierung der Ausbildungsgänge in Europa. Ein Ziel dabei war, die universitäre Ausbildung zu deregulieren – weg vom Einheitssystem und hin zu einem freiheitlichen System an den Hochschulen, mit mehr Wettbewerb unter den Standorten und Profilbildungen in den Standorten. Dies ist nach wie vor ein zwingend logischer Gedanke in Zeiten der Globalisierung und der zunehmenden Durchlässigkeit von Bildungssystemen gemäß europäischen Qualitätsstandards.

n Dieser Prozess ist einmalig in der Geschichte der deutschen Universitäten: Die Umstellung der Studiengänge auf Bachelor- und Masterabschlüsse ist die größte strukturelle Veränderung, die die Hochschulen je gehabt haben. Weder seitens der Hochschulen noch der Unternehmen kann man erwarten, dass dies ohne Reibungsverluste abläuft.

n Differenzierung führt zwangsläufig auch zu komplexeren Entscheidungssituationen, und in vielen Fällen wurden ungünstige Richtungen eingeschlagen, Doppelarbeit provoziert oder übertriebener Aktionismus gepflegt. Aber auch, wenn an manchen Stellen nachgebessert werden muss, so hat sich dennoch ein ganzer Strauß von Möglichkeiten aufgetan, und zwar sowohl für die Studierenden als auch die Unternehmen, den es früher so nicht ge-geben hat.

n Eine zu breite Auffächerung der Studieninhalte ist weder sinnvoll noch organisatorisch in letzter Konsequenz umsetzbar. Es muss vorrangiges Ziel von Studiengängen bleiben, die grundlegenden Inhalte der jeweiligen Studienabschlüsse zu vermitteln, denn das kann die Praxis nicht leisten. Die dann jedoch notwendigen Vertiefungen werden zunehmend zum logischen Inhalt beruflicher Weiterbildung.

n Die zunehmende Differenzierung der Studiengänge – sowohl im Bachelor- als auch im Masterbereich – führt zu einer nicht hinnehmbaren Intransparenz zwischen Angebot und Nachfrage und damit zu einer Instabilität des relevanten Personalmarktes, die sich in ihrer Tragweite bereits kontraproduktiv auf die Abläufe und Personalentscheidungen in den Unternehmen auswirkt. Die „gefühlte Instabilität“ gefährdet die Berufswahl bzw. die Entscheidung für Bauberufe bei den Schulabgängern.

n Die Anforderungsprofile aus Sicht der Praxis haben sich in der jüngeren Vergangenheit dramatisch geändert und ein Ende dieses Veränderungsprozesses ist auch noch nicht abzusehen. Nur bauen zu können genügt nicht mehr; ohne wirtschaftliche und juristische Kompetenzen ist heute kein Bauprojekt zu bewältigen, und auch psychologische Stärke und Sozialkompetenz sind aus dem typischen Berufsalltag eines Bauleiters nicht mehr wegzudenken.

n Für die Personalentwicklung in den Unternehmen bringen die neuen Studienabschlüsse den Zwang zu einem bewussten Personalauswahlverfahren mit sich. Man muss sich wesentlich intensiver mit den jeweiligen Zeugnisinformationen befassen und die erworbenen Kompetenzen nach dem eingesetzten Arbeitsaufwand gewichten. Diejenigen Hochschulen, die es bei der Profilbildung ihrer Studiengänge am besten schaffen, den Anforderungen der Praxis entgegenzukommen, werden profitieren.

n Eine wichtige Forderung für die Zukunft der Bauingenieurstudiengänge stellt das Bemühen um Vergleichbarkeit und Standardisierung dar. Wenn es auf Primär- und Sekundärschulen zur Normalität zählt, sich über Vergleichsarbeiten zu unterhalten, so sollte dies auf der Ebene der Hochschulen erst recht der Fall sein. Ein Schritt in die richtige Richtung ist hier zumindest in Form der Selbstevaluierung bereits getan.

n Nicht die Dauer eines Studiums entscheidet über die Berufsbefähigung, sondern die anschließende Praxiserfahrung. Weder gestern noch heute noch in Zukunft wird ein Bauingenieurabsolvent sein Studium „berufsbefähigt“ abschließen; viel entscheidender ist, ob er oder sie im Studium eine genügend breite Basis hat erwerben können, die eine Weiterentwicklung in möglichst vielen Aufgabenfeldern einer differenzierten Bau-
tätigkeit erlaubt. Mit den Bachelor-Ab-
schlüssen steht den Hochschulen und Studierenden erstmals ein Instrument zur Verfügung, der langjährigen Forderung der Praxis nach kürzeren Studienzeiten bzw. jüngeren Absolventen entgegenzukommen.

Zusammenfassend wurde konstatiert, dass der Bologna-Prozess nicht mehr umkehrbar ist, und dass sowohl Hochschulen als auch Unternehmen sich stärker auf die Chancen als auf die Mängel konzentrieren sollten. Unabhängig davon wurde der Forderung Nachdruck verliehen, wieder Wege zu finden, den internationalen Wettbewerbsvorteil des deutschen Diplomingenieurs durch ein entsprechendes Label aufrechtzuerhalten. Mit ausgesprochen erfreulicher Bilanz steht dieser Hochschultag in einer guten Tradition, die weitergeführt wird. Interessen können sich jederzeit beim BWI-Bau registrieren lassen und erhalten die entsprechenden Ankündigungen frühzeitig und persönlich. Alle Präsentationen zum „Hochschultag 2010 - Von Titeln zu Inhalten“ sind auf einer CD-ROM dokumentiert, die beim BWI-Bau zum Preis von 10,00 € bezogen werden kann.

Das BWI-Bau forscht, lehrt und berät auf allen baubetrieblich relevanten Feldern der Baubetriebswirtschaft und erarbeitet zu allen relevanten Themen maßgeschneiderte Konzepte für Bauunternehmen in seinen Leistungsfeldern.

[www.bwi-bau.de]

Dieser Hochschultag punktet mit einer ausgesprochen erfreulichen Bilanz

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