Immer die anderen?
… vielleicht einfach mal die Klappe halten!
„Die Hölle, das sind die anderen.“ Schnell ist in Sartres berühmtem Satz der Grund für die atmosphärischen Störungen am Arbeitsplatz gefunden. Unkollegiales Verhalten? Keine Frage, es sind die anderen, die nerven. Dass man den Kolleginnen und Kollegen und auch dem selbstverständlichen Oberbuhmann, dem Chef, selber ganz gehörig auf den Wecker gehen und mit dem eigenen Verhalten beträchtlich zu der aufgeladenen Stimmung beitragen kann, das kommt weniger schnell in den Sinn. „Wieso ich? Soll ich mir alles gefallen lassen? Ich reagiere doch nur auf dieses anmaßende, blöde, dämliche, zickige, bevormundende Getue?“
Da wäre es, das Schlüsselwort des eigenen unkollegialen Verhaltens: reagieren! Unverzüglich wird auf alles und jedes reagiert. Puls geht hoch, Klappe geht auf, Eskalation läuft. Tit for tat, postwendend wird mit gleicher Münze heimgezahlt. So wird aus jeder Laus, die jedem einmal über die Leber läuft, ein Elefant im kollegialen Porzellanladen. Wacker wird hin- und her gestichelt und zurückgebissen. Und schon dreht sich der schönste Teufelskreis von wechselseitigem Abwatschen und Nachtreten.
Der KlügerUnd nun? Der Klügere gibt schließlich nach, auf, lenkt ein? Die falsche Lösung. Hat’s erst mal richtig Stunk gegeben, bleibt immer etwas nach, glimmt die Lunte unter der Oberfläche weiter. Das nächste Rencontre ist vorprogrammiert. Also kann die richtige Lösung nur heißen: Der Klügere verhält sich klüger – und nimmt sich zurück. Praktizierte Kollegialität am Arbeitsplatz ist zu einem guten Stück ein Synonym für „einfach mal den Mund halten“, der ganz bewusste Verzicht, nicht unverzüglich auf jede verhaltensmäßige Dusseligkeit angepiekt zu reagieren.
Keine Frage, dieser Sprung über den eigenen Schatten ist ein beachtlicher. Aber ein lohnender. Natürlich braucht es einigen Anlauf, bis diese Erkenntnis den Sieg über die spontanen Rachegedanken davonträgt: Nachsicht hat nur zu oft viel weniger mit für sich selbst schön geredeter Nachgiebigkeit zu tun als mit weiser Voraussicht. Hat diese Einsicht erst einmal im Kopf Platz genommen, dann fällt es immer weniger schwer, nachsichtiger zu sein, großmütiger auf die Kapriolen der lieben Kolleginnen und Kollegen zu reagieren. Und auch dem Chef innerlich ein wenig entspannter und aufgeschlossener zu begegnen.
Schweigen ist …
Ja, dann fängt es sogar an, richtig Spaß zu machen, zugunsten eines leisen – nachsichtigen – Lächelns auf eine laute Replik zu verzichten. Kurz und gut, sich nicht wie ein Hampelmann, an dessen Strippe jemand zieht, durch den Arbeitstag ärgern zu lassen. Diese Frustrationstoleranz, und von nichts anderem ist hier die Rede, stärkt innerlich und nach außen mehr als jeder kurzlebige Triumph in allen möglichen Auseinandersetzungen. Berufliche Lebensqualität und mit ihr berufliches Ansehen hat viel mehr mit überlegter Selbstführung zu tun als mit aggressiver Selbstbehauptung. Zumal sich letzteres erfahrungsgemäß in der Regel aus gelungenem Ersterem von selbst ergibt.
Praktizierte Kollegialität am Arbeitsplatz, aus einer anderen Perspektive betrachtet, ist die Kunst, über den vermeintlich oder tatsächlich ärgerlichen Moment, über den Tag hinauszudenken: Wie würde ich diese Situation eine Woche später beurteilen? Scheint sie mir, dann in Herz und Hirn wieder abgekühlter, auch noch einen unverzüglichen „Gegenschlag“ wert? Behaupte ich mich dadurch oder mache ich mich mit meiner fixen Reaktion eher lächerlich? Oder setzte mich ganz und gar ins Unrecht? Der Wahn ist kurz, die Reu ist (oft) lang.
Durchblick behalten!
Um hier die richtige Entscheidung zu treffen, gibt es eine bewährte Hilfestellung: Zu versuchen, die Situation ein wenig, zu durchschauen, sich zu bemühen, durch das Vordergründige hindurch das Hintergründige zu erfassen, sozusagen hinter die „Kulissen“ der Situation zu blicken. Banal vielleicht in diesem Zusammenhang, über das Wetter zu reden, aber bestimmte Wetterlagen beispielsweise machen nun mal auch an sich friedliche Naturen leichter reizbar. Und damit ungestümer in Wortwahl und Verhalten. Auch wer mit dem bekannten falschen Bein aufgestanden ist, rumpelt deutlich aggressiver durch den Tag als es sonst der Fall ist. Was im ersten Moment als belastend, beleidigend, bedrohlich erscheint, zeigt bei genauerem Hinsehen oft ein anderes Gesicht. Und legt ein anderes Verhalten nahe.
Durchblick ist ein ungemein Nutzen stiftendes Vermögen. Wer etwas von Hintergründen und Zusammenhängen weiß, bewertet und urteilt anders, sicherer, schützt sich vor späterem Bedauern und sich selbst verwünschender Reue. Nicht zuletzt auch, weil Durchblick davor bewahrt, sich vorschnell auf eine Seite zu schlagen! (Vor-)eilige Parteinahme, Solidarität ohne sichere Wissensgrundlage ist einer der besten Brandbeschleuniger am Arbeitsplatz. Kollegiales Verhalten in Anlehnung an Kants „kategorischen Imperativ“ formuliert, wie könnte es also heißen? „Versuchen Sie, wirklich zu verstehen und bemühen Sie sich selbst, für andere verständlicher zu werden!“
Es ist mittlerweile schon manches Jahr her, da hat der mittlerweile 90jährige - und nach wie vor bewundernswert aktive – Psychologieprofessor Reinhard Tausch weit nach seiner Emeritierung an der Universität Hamburg mit einer Arbeitsgruppe der Frage nachgespürt, wie sich Lebensbelastungen verringern lassen. Mit Blick auch auf die Lebenskunst am Arbeitsplatz ist auch diese beherzigenswerte Anregung dabei herausgekommen: Halten Sie sich in jeder Situation vor Augen: Weniger die wie auch immer gearteten Umstände an sich sind problematisch als die Art und Weise, wie Sie auf diese Umstände reagieren.
Diplom-Betriebswirt Hartmut Volk,
Redaktionsbüro Wirtschaft und Wissenschaft Bad Harzburg,
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