Schularchitektur wie aus dem Lehrbuch
Kaufmännische Schulen in Rheine mit Kalksandstein gebaut
Die in den Jahren 1977 bis 1979 gebauten kaufmännischen Schulen der Stadt Rheine platzen aus allen Nähten. Die Schüler- und Lehrerzahlen des Berufskollegs stiegen im Laufe der Zeit immens an. Die Schulsituation wurde zusehends schwieriger und die Stadt entschied sich, die Schule zu erweitern.
Analysen
Zunächst ist eine Tragwerksanalyse durchgeführt worden. Sie ergab allerdings, dass das geforderte Raumprogramm durch ein Aufstocken der vorhandenen Gebäude nicht erfüllt werden kann. Weitere Alternativen kamen auf den Tisch, wurden diskutiert und abgewägt. Letztendlich entschied man sich für einen Erweiterungsbau auf dem angrenzenden städtischen Grundstück. Unter Kostengesichtspunkten war dies die wirtschaftlich günstigste Lösung, obwohl ein bestehendes Pumpwerk technisch aufwendig überbaut werden musste.
Architekt Jürgen Remke, Planung / Projektleitung und -steuerung, Stadt Rheine: „Der Erweiterungsbau präsentiert sich als ein völlig eigenständiger Baukörper. In seiner Gesamtheit erzeugt er mit einer kompakten Form und einem wirtschaftlichen Erschließungsteil ein völlig neues Erscheinungsbild. Der Standort wird aufgewertet und eine positive städtebauliche Entwicklung für den Stadtteil bewirkt.“.
Schularchitektur
Bedeutende Planungsparameter einer pädagogisch, orientierten Schularchitektur, wie Raumklima, Beleuchtung, Akustik und Sicherheit, wurden sehr gut umgesetzt, sodass Schüler und Lehrer von einem angenehmen Raumerlebnis mit funktionaler Qualität täglich im Unterricht profitieren können. Durch die verwendeten Materialien, den eigenständigen Baukörper sowie der lebhaften Fassadengestaltung präsentiert sich der Neubau in einer funktionsgeprägten wie auch formbetonten Architektur.
Das dreigeschossige Gebäude besteht aus zwei massiven Baukörpern sowie einer „Kernausbildung“, die das Treppenhaus, das Foyer und die Nebenräume beinhaltet. Ein direkter, ebenerdiger Anschluss verbindet den Neubau mit dem bestehenden Hauptgebäude.
Das Raumprogramm der „neuen“ Schule umfasst:
11 Klassenräume und 4 Fachklassen,
1 WC-Einheit für Damen und für Herren pro Etage,
1 Putzmittelraum pro Etage,
1 Lehrmittelraum pro Etage.
Massiv gebaut
Die Massivbauten, die die Schulklassen beherbergen, erhielten als Außenwandkonstruktion eine zweischalige KS-Funktionswand mit einer vorgehängten Tonziegelfassade, deren Beige-Farbton einen lebhaften, visuellen Kontrast zur Klinkerfassade des vorhandenen Gebäudes bildet.
Das gesamte Foyer und die Übergänge zum Altbau sind als großflächige Glasfassade ausgebildet. Sie lockert die Architektur des Gesamtensembles in angenehmer Weise auf; gleichzeitig differenziert sie die öffentlichen und die Lernbereiche. Der Tageslichteinfall schafft im Foyer eine helle, natürlich freundliche Atmosphäre. Schatten für die Glasfassade liefert das weitläufige Flugdach. Zugleich schützt es den Eingangsbereich vor Witterungseinflüssen wie Regen und Schnee. Architektonisch verbindet das Dach die zwei massiven Baukörper mit der Foyerfassade zu einer Einheit.
Eine großzügige Treppenanlage mit behindertengerechter Rampe verstärkt innen die offene und transparente Atmosphäre, die schon von außen spürbar ist. Es wird deutlich, dass dies nicht nur ein Ort ist, an dem Wissen vermittelt wird, sondern an dem auch kommuniziert wird. Ein Ort, an dem sich die Schüler und Schülerinnen treffen und wo soziale Kontakte geknüpft werden.
Energetische Optimierung
Neben den architektonischen Aspekten musste die Stadt Rheine baukonstruktive und technische Entscheidungen treffen. Remke: „Für uns waren insbesondere energetisch optimierte Konstruktionen, ein angenehmes Raumklima und das Berücksichtigen von Umwelteinflüssen wie der Lärmschutz von hoher Relevanz. Bei den Schallschutzmaßnahmen legten wir besonderen Wert auf das Vermeiden von Lärmstörungen aus Gängen, anderen Zimmern sowie von draußen, damit die Schülerinnen und Schüler wie auch die Lehrer ohne Lärmstörungen konzentriert arbeiten können. Kommunikation ist wichtig, aber nicht durch die Wände.“.
Durch die unmittelbare Nähe zur Bahnlinie, dem Hubschrauberlandeplatz sowie diversen Pkw-Stellflächen wurden die Fassaden aus schallschutztechnischer Sicht in Abhängigkeit der maßgeblichen Außenlärmpegel und der erforderlich resultierenden Schalldämmmaße dimensioniert. Für alle Fassaden wurde ein resultierendes Schalldämmmaß von R’w,res > 37 dB eingehalten. Um diesen hohen Schallschutz zu erreichen, wurden insbesondere zwei Schallschutzmaßnahmen ergriffen. Zum einen sind alle Fenster – einschließlich der Glasfassade – aus Aluminium und mit einer hochwertigen Isolier- und Schallschutzverglasung versehen. Zweitens kam massiver Kalksandstein als tragendes Hintermauerwerk zum Einsatz. Mit seinen hohen Rohdichten hat er sich für bestmöglichen Schallschutz seit Jahrzehnten in der Baupraxis bewährt und qualifiziert. Nach dem Grundsatz: „Je mehr Masse – desto besser der Schallschutz“ wurde Kalksandstein auch innen als „Schallmauer“ verwendet. Nach DIN 4109 ist bei „Wänden zwischen
Unterrichtsräumen oder ähnlichen Räumen und besonders lauten Räumen“ ein Schallschutz von 55 dB gefordert. Diesen Wert erfüllt die 24 cm Wand aus beidseitig verputztem KS in der Rohdichteklasse 2,0 mit zusätzlicher Sicherheit.
Kleine Bauphysik
Die hohen Rohdichten der Kalksandsteine sind mit verantwortlich für das angenehme Raumklima in den Klassenzimmern. Durch die hohe Masse der Kalksandsteine wird überschüssige Wärme in den Steinen gespeichert, die bei sinkenden Raumtemperaturen wieder abgegeben wird. Nach diesem Prinzip der Phasenverschiebung – Wärmespeicherung – Wärmeabgabe – werden Temperaturschwankungen und Luftfeuchtigkeit optimal ausgeglichen und die raumklimatischen Bedingungen in den Zimmern optimiert.
Außen liegende Raffstore-Anlagen mindern ein Aufheizen der Klassenräume und sichern den Blendschutz in den stark Computer genutzten Klassenräumen. Die Beleuchtung in den Klassenräumen wird über eine tageslichtabhängige Lichtsteuerung und Präsenzmelder gesteuert. Eine kontrollierte Raumlüftung mit Außenluftzufuhr und Wärmerückgewinnung verringert den Lüftungswärmebedarf nachhaltig und dauerhaft. Ferner führt sie Luftschadstoffe (CO2-Belastung) aus den Unterrichtsräumen schnell und sicher ab, wodurch sich die Konzentrationsfähigkeit der Schüler erhöht.
Die Wärmeversorgung erfolgt über die Gasheizung des vorhandenen Gebäudes, wobei die bestehende Heizungsanlage im Rahmen der Neubaumaßnahme erneuert wurde. Energie wird über die KS-Funktionswand gespart, die einen hervorragenden Wärmeschutz bietet. Die Dämmung ist vollflächig auf das massive Kalksandstein-Mauerwerk verarbeitet, sodass Wärmebrücken vermieden werden und die Luft- und Winddichtigkeit des Gebäudes gesichert ist.
Dipl.-Ing. Bernd Niebuhr,
Fachjournalist,
Hannover