Es braucht mehr als einen Baustein
Zukunftsfähige InfrastrukturenDer vom Güteausschuss der Gütegemeinschaft beauftragte Prüfingenieur Dipl.-Ing. Dieter Walter äußert seine persönliche Wahrnehmung von Qualität und Qualifikation sowie zur Bedeutung der Gütesicherung Kanalbau.
Mit der Gütesicherung Kanalbau RAL-GZ 961 hat sich ein System etabliert, das zur Prüfung der technischen Leistungsfähigkeit von Bietern im Vergabeverfahren und damit der Qualität im Kanalbau dient. Diese Aufgabe umfasst unter anderem die kontinuierliche Beurteilung der Qualifikation von Unternehmen in Firmenprüfungen und unangekündigten Baustellenprüfungen sowie die Verleihung des RAL-Gütezeichens. Um unsere Infrastrukturen zukunftsfähig zu machen, braucht es allerdings mehr als einen Baustein. Deshalb unterstützt die Güte- gemeinschaft ihre Mitglieder in vielen branchen- relevanten Schlüsselthemen: Angefangen bei der Aus- und Weiterbildung und der fachlichen Qualifikation der Mitarbeitenden über technische Belange und Regelwerke bis hin zur Rekrutierung von neuem Personal.
Herr Walter, welche Erfahrungen haben Sie in den letzten 27 Jahren als Prüfingenieur beim Güteschutz Kanalbau gemacht?
Dieter Walter: Baustellenbesuche mit Berichterstellung enthalten immer den zum Besuchszeitpunkt festgestellten Ist-Zustand der Baustelle. Dieser muss dem Güteausschuss mit einer Bilddokumentation im Bericht vorgelegt werden. Bei der Auswertung dieser Unterlagen fällt auf, dass sich im Laufe der Zeit einiges geändert hat. Die technischen Ausstattungen und Gerätschaften sind moderner und komplexer geworden. Hinzu kommt, dass Planer, Bauherren und Ingenieurbüros mit der Bauüberwachung eine wichtige Verantwortung für das langlebige Bauwerk „Kanal“ übernehmen. Das hat unter anderem dazu geführt, dass die damaligen, oft durchaus kritischen Rohrgrabenausführungen und Bausituationen im Kanalgraben sich bis heute wesentlich verbessert haben. Darüber hinaus hat sich auch das früher weit verbreitete und von Hierarchien geprägte Auftreten von Führungskräften in einen konstruktiven Erfahrungsaustausch gewandelt. Und der Satz „das haben wir schon immer so gemacht“ ist selten auf der Baustelle geworden. In der Arbeitsvorbereitung wird vor Baubeginn Konfliktpotenzial in der Ausführung erkannt – hier werden zum Beispiel auch die von der Gütegemeinschaft angebotenen Leitfäden genutzt. Dieses Material dient als Soll-Ist-Dokumentation auf der Baustelle und trägt zu einer regelgerechten Bauausführung bei. Letztendlich ist auch der Anteil an gut ausgebildetem und geschultem Fachpersonal stetig angewachsen.
Wie beurteilen Sie den Einfluss der Gütesicherung auf die Qualität der Ausführung?
Dieter Walter: Bei der Betreuung von Gütezeichenanträgen habe ich die Verantwortlichen der Unternehmen stets gefragt, warum Sie ein Gütezeichen in einer bestimmten Beurteilungsgruppe beantragt haben. Mehr als 90 Prozent der Befragten äußerten sich so, dass sie besser werden und die Erfahrung, das Wissen und die Schulungen der Gütegemeinschaft nutzen wollen, um mängelfreie Bauwerke zu erstellen. Lediglich eine Minderheit hat das Engagement in der Gütesicherung als notwendige Pflicht betrachtet. Das hat dazu geführt, dass sich mehr als 90 Prozent der Gütezeicheninhabenden aufgrund der Dienstleistungen und Qualifikationsangebote der Gütegemeinschaft durch Schulungen und die Eigenüberwachungsdokumentation in ihrer Qualität ständig verbessern konnten. Entscheidend war hier die Akzeptanz des Fachpersonals, zum Beispiel bei der Dokumentation der Eigenüberwachung (Leitfäden der Beurteilungsgruppen). Teilweise hat es bis zu zwei Jahren gedauert, bis die Vorteile erkannt wurden. Leider werden diese Dokumentationen in der Bauüberwachung zur Qualitätsprüfung nach wie vor nicht kontinuierlich genutzt.
Wie beurteilen Sie den Einfluss der Gütesicherung auf die Qualität der Ausschreibung und Bauüberwachung mit Blick auf Auftraggeber und Ingenieurbüros?
Dieter Walter: Die Gütesicherung Kanalbau RAL-GZ 961 bietet bei der Leistungsvergabe von Ausschreibungen im Kanalbau eine unabhängige Eignungsprüfung. Es liegt im Interesse von Städten und Kommunen, dass Abwasserleitungen und -kanäle von erfahrenen und zuverlässigen Fachleuten geplant, gebaut oder saniert werden. Organisationen, die die Erfüllung der Eignungskriterien für Ausschreibung und Bauüberwachung für offenen Kanalbau, Vortrieb oder Sanierung regelmäßig nachweisen, führen das Gütezeichen der Beurteilungsgruppe ABAK (offener Kanalbau), ABV (Vortrieb) bzw. ABS (Sanierung). In einem jährlichen Erfahrungsaustausch in der Firmenprüfung werden Feststellungen in den Plänen, Bodengutachten und Ausschreibungsunterlagen besprochen und korrigiert.
Welchen Stellenwert hat für Sie das Thema Qualifikation?
Dieter Walter: Angesichts immer komplexerer Bauaufgaben gewinnt das Thema Qualifikation immer mehr an Bedeutung. Und die wird in den nächsten fünf bis zehn Jahren weiter zunehmen. Vor allem mit Blick auf Fachkräftemangel und Generationswechsel sowie dem Ausscheiden von erfahrenem Fachpersonal. In diesem Zusammenhang fehlen Konzepte zur Weitergabe von Wissen. Deshalb wird es immer wichtiger, Nebeneinsteiger oder branchenfremde Mitarbeitende sowie Arbeits- und Fachkräfte aus dem Ausland zu rekrutieren, um den komplexen Aufgaben für die Instandhaltung unserer Infrastruktur gerecht werden zu können.
Wie bereitet sich die Gütegemeinschaft Kanalbau auf diese Herausforderungen vor? Gibt es Konzepte und Lösungsansätze?
Dieter Walter: Unsere Arbeit vor Ort bringt es mit sich, dass wir schon frühzeitig Entwicklungen in der Planung, Ausschreibung und Ausführung erkennen. Unser Ziel muss es sein, frühzeitig Strategien zur Gütesicherung zu entwickeln, damit unsere Infrastrukturen fit für die Zukunft gemacht werden können. Gefordert sind hier sowohl die Prüfingenieure als auch die Mitarbeitenden in der Geschäftsstelle der Gütegemeinschaft. Deshalb muss die qualifizierte Schulung der Prüfingenieure in den jeweiligen Beurteilungsgruppen
ständig überprüft und verbessert werden. Ebenso wichtig wird es sein, das individuelle Fachwissen entsprechend der aktuellen Entwicklungen im Baubereich mit internen Schulungen oder Arbeitskreisen zu speziellen Bauverfahren zu fördern.
Gleiches gilt für die Qualifikation des Personals in den Mitgliedsunternehmen. Entsprechende Angebote sind auf www.kanalbau.com unter dem Begriff „Akademie“ zusammengefasst. Sie werden konsequent weiter ausgebaut. Unter anderem mit neu erstellten Schulungsvideos, die dem Fachpersonal der Unternehmen wichtige organisatorische und technische baustellenrelevante Sachverhalte näherbringen sollen, sowie mit einer neu entwickelten Kanalbau-App, welche eine Schulung zum Thema „Kanalbau in offener Bauweise“ auch für Quereinsteiger möglich macht. Auch die Qualifikation von Planungsleistungen steht weiterhin im Fokus. Mitarbeitende von Ingenieurbüros unterstützen wir unter anderem mit Erfahrungsaustauschen, der Bereitstellung von Schulungsunterlagen und Schulungsthemen für die Bauüberwachung sowie zur Ausschreibung in Verbindung mit der Ausführung.
Wie sieht die Gütesicherung Kanalbau von morgen aus?
Dieter Walter: Kanalbauwerke haben eine hohe Nutzungsdauer und müssen vielfältigen Einflüssen wie etwa den Auswirkungen des Klimawandels standhalten. Das ist bei stetig sinkender Verfügbarkeit von Fachpersonal nur mit Gütesicherung und mit Qualität in der Planung und Ausführung möglich. Darüber hinaus wird hoch qualifiziertes Personal bei Auftraggebern benötigt. Die Beteiligten sind gefordert, zukunftssicher Konzepte zu entwickeln. Wünschenswert wäre es in diesem Zusammenhang, wenn erfahrene Fachleute ihr Fachwissen an die nachfolgende Generation weitergeben könnten. Weiterhin sollte auch Quereinsteigern der Zugang zu bautechnischen Berufen erleichtert und die Integration von fremdsprachigem Fachpersonal gefördert werden – zum Beispiel durch das Erlernen einer zusätzlichen Sprache auf Auftragnehmer- und/oder Auftraggeberseite.
Vielen Dank für das Interview, Herr Walter.