Progressiver Partnerschaftsvertrag Tiefbau

Individuelle Vergütungsmodelle für jeden Bauabschnitt

Die Energiewende erfordert eine leistungsstarke Infrastruktur im Gleich- und Wechselstrombereich. Der „Progressive Partnerschaftsvertrag Tiefbau“ schafft in-dividuelle Vergütungsmodelle passend zu jedem Risikoprofil jedes Bauabschnittes.

Um die Energiewende in Deutschland umzusetzen, wird eine leistungsstarke Infrastruktur im Gleich- und Wechselstrombereich benötigt. Ein Schwerpunkt der Amprion GmbH liegt auf dem Bau von Höchstspannungs-Gleichstrom-Verbindungen. Diese Verbindungen werden bis auf eine Ausnahme als Erdkabeltrassen umgesetzt. Damit einher gehen hohe Investitionsvolumen und Unwägbarkeiten – und das über einen langen Zeitraum. Um für Großprojekte dieser Art die Kosten und Termine besser zu steuern, wurden die positiven Ansätze der Integrierten Projektabwicklung (IPA) weiterentwickelt. Das innovative Model rund um einen „Progressiven Partnerschaftsvertrag Tiefbau“ schafft die Möglichkeit für individuelle Vergütungsmodelle passend zu jedem Risikoprofil jedes Bauabschnittes. Dadurch wird eine partnerschaftliche Zusammenarbeit gefördert.

1 Motivation für den Progressiven Partnerschaftsvertrag Tiefbau

Bei großen Infrastrukturprojekten in Deutschland kommt es regelmäßig zu Kosten- und Terminüberschreitungen [1]. Dabei werden die Projekte meist mit traditionellen Vertragsmodellen (z.B. Einheitspreis- und Pauschalpreisvertrag) ausgeführt, die eine partnerschaftliche Abwicklung erschweren [2]. Der Grund für die Überschreitungen liegt häufig darin, dass im traditionellen Bauvertrag der Bauherr so viel Risiko wie möglich auf den Unternehmer überträgt, aber gleichzeitig der Unternehmer die ihm auferlegten Risiken im Laufe der Projektdauer auf den Bauherren zurückfallen lässt – beispielsweise durch Nachträge.

Bei den aktuellen partnerschaftlichen Modellen in Deutschland, wie z.B. die Integrierte Projektabwicklung (IPA) [vgl. 3], werden die Zielkosten und das Vergütungsmodell (Cost Plus Incentive Fee) für das gesamte Bauprojekt zu Beginn festgelegt – und das gemeinsam.

Bei großen und komplexen Projekten, wie den Erdkabel-Gleichstromverbindungen der Amprion GmbH, existiert in den frühen Phasen noch kein konkretes Bausoll (Leistungsphase 2 (LPH) der Honorar Anordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) oder LPH 3). Zudem wird der Reifegrad innerhalb eines Großprojekts, unabhängig von der Planungsphase, nie auf einer einheitlichen Basis sein. Durch die Aufteilung der Gleichstromverbindungen in mehrere Planfeststellungsabschnitte, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten genehmigt werden, und die Länge der Vorhaben von bis zu 700 km wird es immer Bauabschnitte oder Gewerke geben, die in der Planung weiter fortgeschritten sind als andere. Dieser unvermeidbaren Herausforderung soll das neue Vertragsmodell „Progressiver Partnerschaftsvertrag Tiefbau (PPT)“ Rechnung tragen.

Bei einem PPT wird das Projekt in Bauabschnitte eingeteilt. Ist eine ausreichende Tiefe in der Planung für einen Bauabschnitt oder ein Gewerk erreicht, wird das Bausoll definiert. Das Bausoll wird gemeinsam zwischen den Auftragnehmern (AN) und der Amprion GmbH definiert. Alle Bauabschnitte werden gemeinsam mit demselben AN ausgeführt, erlauben aber eine individuelle Vergütung, entsprechend dem ermittelten Risikoprofil. Einfache Bautätigkeiten, wie z.B. das Errichten von Baustraßen oder das Vorbereiten der Dispoflächen, können auf diese Weise pauschal vergütet werden. Risikobehaftete Bauabschnitte mit mehreren Horizontal Directional Drilling (HDD)-Bohrungen oder einem Tunnelvortrieb können hingegen mit einem Vergütungsmodell per Open Book (wie Cost Plus Incentive Fee) intensiviert werden.

Auf diese Weise wird eine auf das Risikoprofil des jeweiligen Bauabschnittes abgestimmte Vergütung erzielt, die transparent und fair die Interessen des Bauherrn und des Unternehmers gleichermaßen berücksichtigt. Darüber hinaus werden durch die im Vergleich zu traditionellen Verträgen späte Definition des Bausolls, Nachträge und Terminverzögerungen deutlich minimiert. Nehmen die Partner die Bausolldefinition erst vor, wenn eine ausreichende Planungstiefe erreicht ist, besteht für eine längere Zeit die Möglichkeit, technische Innovationen bis kurz vor Baustart zu berücksichtigen. Dies ist nicht der Fall, wenn traditionelle Verträge geschlossen werden, die es erfordern, schon sehr früh ein Leistungsverzeichnis zu erstellen.

Dabei rückt automatisch das Thema Risikoanalyse in den Fokus und dient dabei als Entscheidungsgrundlage für die Aufteilung des Projekts in Bauabschnitte mit individuellen Vergütungsmodellen.

Der PPT lässt sich somit auch auf komplexe Großprojekte in anderen Bereichen anwenden.

2 Übersicht über den PPT

2.1 Phasen des PPT

Die Abwicklung des Vertrages ist im Ablaufschema (vgl. Abbildung 1) dargestellt und wird in drei Hauptphasen aufgeteilt: die Planungsphase, die Vergabephase und die Ausführungsphase. Dabei laufen die Planungsphase und Vergabephase parallel zueinander. Nachfolgend werden in den Kapiteln 2.2-2.4 die Phasen erläutert.

2.2 Planungsphase

Die Planungsphase umfasst die Entwurfsplanung mit den technischen Planungsbüros. Parallel dazu erstellt die Amprion GmbH die Musterkalkulation (MK) (vgl. Kapitel 3.4). Die MK beinhaltet fiktive Module mit verschiedenen Baumethoden, die in der Vergabephase durch die Bieter mit Kosten- und Leistungsansätzen transparent zu kalkulieren sind (vgl. Kapitel 3.3).

Der Auftraggeber (AG) führt mit der Grobkostenschätzung (GKS) eine erste Kosten- und Risikoanalyse für das Gesamtprojekt durch. Diese GKS dient zur internen Orientierung und Budgetierung. Sie ist Voraussetzung für den Vertragsabschluss. Nach Vertragsabschluss wird das Modell über die Kostenansätze des ausgewählten Partners angepasst. Auf dieser Basis werden individuelle Bauabschnitte und zugehörige Vergütungsmodelle für die Bauausführung vorgeschlagen und im Projektabwicklungsreport (PAR) (vgl. Kapitel 3.7) zusammengefasst.

2.3 Vergabephase

Um den AN so früh wie möglich in das Projekt einzubinden, läuft die Vergabephase parallel zur Planungsphase. Die Bieter ermitteln mit der Musterkalkulation Kosten- und Leistungsansätze, indem sie transparent die verschiedenen Arbeitspakete definieren und kalkulieren, in Form einer transparenten Arbeitskalkulation. Um ein einheitliches Datenformat zu gewährleisten, wird das dafür eigens entwickelte Kostenkalkulations-Tool T-KET (Tiefbau Kostenermittlungs-Tool) verwendet. Die eingereichten Kostenansätze werden durch die Amprion GmbH in dem Vorgang „Validierung Kosten- und Leistungsansätze MK“ in ein digitales probabilistisches Modell überführt, das zum Vergleich der Bieterangaben genutzt wird (vgl. Kapitel 3.8).

Die Qualität und Transparenz der MK sind schließlich Bestandteile der technischen Bewertungskriterien, um den Zuschlag zu erteilen. Die Vergabe endet mit dem Vertragsabschluss des PPT mit dem ausgewählten Bieter.

2.4 Ausführungsphase und Interimsphase

In der Ausführungsphase steht für jeden Bauabschnitt, vor Baubeginn, eine Interimsphase an. In der Interimsphase wird durch AG und AN gemeinsam für jeden Bauabschnitt das festgelegt. Auf dieser Basis erfolgt für jeden Bauabschnitt die integrale Ermittlung von Kosten, Terminen und Risiken mittels digitalem Projektrisiko-Zwilling.

Um die Basiskosten zu ermitteln, ist eine transparente und leistungsbezogene Arbeitskalkulation erforderlich. Hierfür wird sich an der Herangehensweise in der MK orientiert.

Um Risiken zu identifizieren und zu bewerten, werden gemeinsame Risiko-Workshops durchgeführt. Aus diesen Ansätzen wird ein Integrales Modell für den spezifischen Bauabschnitt erstellt, wobei die Verknüpfung von Kosten, Terminen und Risiken eine zentrale Rolle spielt. Das Ergebnis ist ein individuelles Risikopotenzial für jeden Bauabschnitt, mit dem das im Projektabwicklungsreport (PAR) vorgeschlagene Vergütungsmodell validiert wird und ggf. angepasst werden kann. Der Werkerfolg (Bausoll, Kosten und Termine) und das Vergütungsmodell werden in einem Abrufreport konkretisiert. Damit ist die Interimsphase abgeschlossen und der Baustart des Bauabschnitts kann erfolgen. Die Unsicherheit in der Kostenprognose des Gesamtvorhabens wird mit der Konkretisierung jedes Bauabschnitts reduziert. Somit wird auch die Lücke zwischen vertraglich vereinbarter Leistung und dem aktuellen Planungsstand, wie sie bei traditionellen Vertragsmodellen auftritt, geschlossen.

3 Besonderheiten des PPT

3.1 Übersicht nach Projektphasen

In Abbildung 2 werden die Besonderheiten des PPT den drei Phasen zugeordnet, dargestellt und anschließend näher erläutert.

3.2 Organisation bei dem PPT

Abbildung 3 gibt eine Übersicht über die Zusammenarbeit der Parteien im Projekt.

Kernaufgabe des Lenkungskreises (LK) ist die strategische Leitung des Projekts. Der LK entscheidet über alle grundsätzlichen Fragen der im Bauvorhaben zu erbringenden Leistungen. Gleichzeitig berät und entscheidet er über wesentliche Leistungsänderungen. Er stellt zudem die oberste parteiinterne Entscheidungs- und Konfliktlösungsebene dar.

Um das Projektvolumen zu bewältigen und das Gesamtprojekt zu organisieren, bilden die Parteien nach Abschluss des Vertrages ein Projekt Management Team (PMT). Das PMT ist ein zentrales Steuerungsorgan zur Organisation und Koordination von Planung und Bau. Im PMT sind immer Vertreter der AG und der AN dabei und koordinieren die einzelnen Fachbereiche bei der Planung und im Bau.

3.3 Grundlage Transparente Kostenermittlung

Eine Darstellung von Kostenbestandteilen (vgl. Abbildung 4) hat das Ziel, Kosten transparent durch die Vorgabe einer klaren Kostenstruktur abzubilden. Diese Struktur soll von der Bedarfsplanung über die Baudurchführung bis hin zum Projektende anwendbar bleiben.

Die Kostenkalkulation ist nach dem untenstehenden Wasserfalldiagramm aufgebaut. Die AGK und der Gewinn werden separat und transparent ausgewiesen. Der strukturierte Aufbau der Einzelkosten der Teilleistungen (EKT) und Baustellengemeinkosten (BGK) ist für den weiteren Verlauf des Prozesses entscheidend. Damit können, nach der Risikoanalyse, die Kosten, Termine und Risiken integral betrachtet werden.

Die grundlegenden Kostenbestandteile lassen sich zusammenfassen in [4]:

Basiskosten: Kosten, wenn „alles nach Plan“ verläuft, ohne Reserven für Risiken oder Ansätze für Vorausvalorisierung (Preissteigerung).

Risikokosten: Kosten, die sich aus Gefahren und Chancen ergeben, die eintreten können, aber nicht sicher eintreten (Eintrittswahrscheinlichkeit).

Vorausvalorisierung: Kosten, die sich aus den prognostizierten Preissteigerungen (Nominalisierung) ergeben.

AGK und Gewinn: Die Allgemeinen Geschäftskosten (AGK) und der Gewinn werden separat und unabhängig vom später gewählten Vergütungsmodell ausgewiesen.

Um Unsicherheiten transparent abzubilden und zu berücksichtigen, wird die Kostenermittlung mittel probabilistischer Methoden durchgeführt.

3.4 Musterkalkulation in der Vergabephase

Die Musterkalkulation (MK) wird durch den AG auf Basis der Entwurfsplanung erstellt. Sie beschreibt einen fiktiven repräsentativen Abschnitt für das Projekt mit Baumethoden in unterschiedlichen Bodenarten, wie u.a. offene Bauweise oder HDD-Verfahren.

Die Musterkalkulation ist durch die Bieter in Form einer leistungsbezogenen Arbeitskalkulation auf Herstellkostenniveau durchzuführen. Dadurch wird dem Bieter die Möglichkeit gegeben transparent zu kalkulieren (vgl. Kapitel 3.6) und zu zeigen, dass er die partnerschaftlichen Ansätze unterstützt.

Für die Musterkalkulation wird von Amprion das speziell für den PPT entwickelte Kostenkalkulationstool „T-KET“ vorgegeben, damit die Struktur der Kosten für alle Angebote bezüglich EKT, BGK, etc. einheitlich ist.

Nachdem die MK des Bieters eingegangen sind, werden diese durch den AG validiert. Ansätze für Löhne, Gehälter und Gerätekosten können verhandelt und vertraglich vereinbart werden. Diese Verrechnungssätze können im Vertrag jährlich angepasst werden. Dazu kann ein Warenkorb vereinbart werden (Gleitungsklausel).

Ansätze für Material und Leistungen werden nicht vereinbart und werden damit auch nicht festgeschrieben, wobei die in der Vergabephase angegebenen Leistungsansätze zumindest für den Abrufre-
port als Orientierung dienen. Diese Ansätze können aber erst ermittelt werden, wenn das Bausoll definiert ist. Hierfür ist es erforderlich eine reale
Arbeitskalkulation für die jeweiligen Bauabschnitte vorzunehmen.

Die Qualität und Transparenz der Musterkalkulation sind Bestandteile der technischen Bewertungskriterien. Die verhandelten Verrechnungssätze für Löhne, Gehälter und Gerätekosten sind ein preisliches Bewertungskriterium, um den Zuschlag zu erteilen. Besonders zu beachten ist bei der MK:

Verbindliche Vorgabe der Methoden durch den Bauherrn bereits in der Vergabephase

Abruf einer Musterkalkulation von allen Bietern in der Vergabephase durch Vorgabe eines fiktiven Bauteils

Prüfung auf Transparenz in der Kalkulation (lässt sich der Bieter auf den partnerschaftlichen Ansatz ein?)

Ansätze für Löhne, Gehälter und Geräte können bereits verbindlich vereinbart werden

Methoden bilden Grundlage für die spätere Basiskostenkalkulation des realen Projekts

Risiken und Vorausvalorisierung (Preissteigerung) werden bei der Musterkalkulation nicht ermittelt. Es werden nur Basiskosten ermittelt.

Unterstützung durch professionelles Softwaretool T-KET

Ansätze für AGK und Gewinn werden als Prozentsatz außerhalb der MK abgefragt.

3.5 Vertragsschluss ohne Bausoll

Es wird ein bilateraler Vertrag zwischen dem AG und dem AN geschlossen. Dieser beinhaltet nicht das konkrete Bausoll. Erst zu Beginn der Interimsphase wird das Bausoll festgelegt.

Um eine höhere Sicherheit mit Blick auf Kosten und Termine zu gewährleisten, wird das Bausoll erst definiert, wenn eine ausreichende Planungstiefe des vorliegenden Bauabschnitts besteht. Die Definition erfolgt gemeinsam. Damit wird gewährleistet, dass die Unsicherheiten einschätzbar und beherrschbar werden. So wird für jeden Bauabschnitt die Interimsphase an einem individuell festgelegten Zeitpunkt gestartet.

3.6 Einteilung in Bauabschnitte

Amprion GmbH teilt die einzelnen Bauabschnitte ein. Basis für die Wahl der Abschnitte, ist das Ergebnis der Risikoanalyse des Gesamtprojektes. Die Bauabschnitte werden im PAR beschrieben.

Die Unterteilung der Bauabschnitte orientiert sich an:

dem Risikoprofil des betreffenden Abschnitts

der technischen oder geologischen Ähnlichkeit des betreffenden Abschnitts sowie

den räumlichen Grenzen der Planfeststellungsbeschlüsse

Die Bauabschnitte müssen nicht per Definition kontinuierlich verbunden sein. Die Abbildung 5 zeigt schematisch, wie eine mögliche Aufteilung aussehen könnte. Zum Beispiel könnten alle HDD-Bohrungen (Bauabschnitt 2 (BA2)) in einem Bauabschnitt zusammengefasst werden. Für diesen Bauabschnitt wurde das Vergütungsmodell Cost Plus Incentive Fee (CPIF) gewählt. (vgl. Kapitel 3.9.2). Die Dispositionsplätze (BA3) werden mit einem Pauschalpreis vergütet.

3.7 Projektabwicklungsreport (PAR)

Der AG fasst die Ergebnisse der Grobkostenschätzung, die Einteilung der Bauabschnitte sowie die ihnen jeweils zugewiesenen Vergütungsmodelle in einem PAR zusammen. Der PAR beinhaltet eine Empfehlung für die Aufteilung des Gesamtprojekts in Bauabschnitte und deren jeweilige Vergütungsmodelle. Das vorab durch Amprion erstellte „Integrale Modell PAR“ (vgl. Abbildung 1) stellt die Basis für die Unterteilung der Bauabschnitte dar. In der Interimsphase werden die im PAR vorgeschlagenen Bauabschnitte und deren Vergütungsmodelle individuell durch die gemeinsame Kosten- und Risikoanalyse validiert. Das Vergütungsmodell kann daraufhin angepasst werden. Bausoll und Vergütung werden in den einzelnen Abrufreporten (vgl. Kapitel 2.4) festgelegt.

3.8 Transparente Arbeitskalkulation in Ausführungsphase

Der digitale Projektrisiko-Zwilling (Project Risk Twin) ist ein digitales Modell des Projekts, das Unsicherheiten und Abhängigkeiten transparent darstellt.

Abbildung 6 zeigt die Elemente eines Digital Twin (DT) für Kosten und Termine bei Großprojekten mit den entsprechenden Schritten: die Eingabe/Systemintegration von Kosten-, Termin-, und Risikodaten erfolgt zu Beginn (vgl. Nr. 1). Im Project Risk Twin (PRT) (vgl. Nr. 2) werden die Daten mittels Software verknüpft. Durch probabilistische Simulation wird eine integrierte Kosten- und Terminrisikoanalyse vorgenommen [5]. Dabei werden diverse Unsicherheiten berücksichtigt. Die Analyseergebnisse werden aufbereitet und in Form von maßgeschneiderten Dashboards ausgegeben (vgl. Nr. 3). Es werden die gesammelten Informationen und Fachwissen aus allen Disziplinen des Projektteams gesammelt und miteinander verschnitten [6].

Die Ergebnisse der Dashboards können verwendet werden, um zu identifizieren, welche Risiken die größten Auswirkungen auf die Kosten und Termine haben könnten. Hierzu werden Bandbreiten- oder Tornado-Diagramme herangezogen. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse können Gegenmaßnahmen erstellt werden, um die Auswirkungen der größten Risiken zu verringern. Diese Gegenmaßnahmen können dann dem Modell hinzugefügt werden, um zu evaluieren, wie wirksam diese sind [7].

Am Ende des Prozesses steht die Entscheidung für ein angemessenes Vergütungsmodell abhängig vom Risikoprofil des Bauabschnitts.

3.9 Auswahl des Vergütungsmodells je Bauabschnitt

Der Progressive Partnerschaftsvertrag Tiefbau schafft die Möglichkeit, für unterschiedliche Bauabschnitte individuelle Vergütungsmodelle anzuwenden. Die Vergütungsmodelle werden entsprechend Komplexität, Stand der Planung und des Risikoprofils ausgewählt. Der PPT umfasst folgende Vergütungsmodelle: Pauschalpreis, Einheitspreis, Cost Plus Incentive Fee (CPIF) und Cost Plus Fixed Fee (CPFF). Im Nachfolgenden sollen in Kürze die einzelnen (vgl. Kapitel 3.9.1-3.9.3) Vergütungsmodelle beschrieben werden.

3.9.1 Einheitspreis- und Pauschalpreismodell

Das Einheitspreismodell besitzt eine Leistungsbeschreibung mit Leistungsverzeichnis (LV). Das LV beschreibt die einzelnen Elemente des Projektes, die bepreist wurden. Auf Grundlage des LVs wird die erbrachte Leistung vergütet.

Das Pauschalpreismodell bietet eine pauschale Vergütung. Diese kann für den gesamten Bauabschnitt erfolgen oder einer weiteren Unterteilung, z.B. entsprechend der Gewerke, bedürfen. Dabei ist der Leistungsumfang eher grob beschrieben. Die Vergütung erfolgt nach dem Werkerfolg des Abschnitts.

3.9.2 Cost Plus Incentive Fee Modell (CPIF)

Das Selbstkostenerstattungsmodell mit Leistungsanreiz (Cost-Plus Incentive Fee (CPIF)) ist ein Vergütungsmodell, das dem AN alle Kosten (EKT, BGK, anteilig AGK) vergütet, die entstanden sind, als die Leistung erbracht wurde. Außerdem kann der AG noch einen zusätzlichen Gewinn und einen Bonus bzw. Malus auszahlen. Der Gewinnzuschlag bzw. Bonuszahlung wird mit den Zielkosten vereinbart [8].

Das Cost Plus Incentive Fee Modell wird bei komplexen Bauabschnitten mit einem erhöhten Risikopotenzial angewendet. Die Gewinnzuweisung kann Abbildung 8 entnommen werden. Dabei werden die Zielkosten und Zieltermine festgelegt. Daraus ergibt sich auch das Bonus/Malus-System. Abbildung 8 stellt dar, dass ein Bonus gezahlt wird, wenn die Zielkosten unterschritten werden. Sollten die Zielkosten überschritten werden, erfolgt zunächst eine Gewinnreduzierung (bzw. Malus). Die Parameter des Modells können individuell eingestellt werden.

3.9.3 Cost Plus Fixed Fee Modell

Ein Selbstkostenerstattungsmodell mit einem fixierten Gewinn (Cost-Plus Fixed Fee (CPFF)) stellt eine weitere Möglichkeit dar, um die Leistungen zu vergüten. Diese Art von Vertrag sieht eine feste Summe oder einen festen Gewinn für die vom AN erbrachten Leistungen vor. Diese machen in der Regel nur einen geringen prozentualen Anteil der Gesamtkosten aus. Zusätzlich werden natürlich die für den AN entstandenen Kosten erstattet [10].

In der Regel wird dieses Modell eingesetzt, wenn die Vertragspartner glauben, dass Kosten und Termine nicht zuverlässig ermittelt werden können. Dies kann durch äußere Faktoren bewirkt werden, die nicht beeinflussbar sind [11].

Der AGK- und Gewinnanteil wird als Betrag festgeschrieben und bleibt daher auch unverändert, wenn sich zu einem späteren Zeitpunkt die Herstellungskosten ändern. Abbildung 9 stellt ein solches Modell dar. Dabei wurden die Zielkosten mit einem P-Wert von 50 gewählt. Das bedeutet, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% die Kostenüber- bzw. unterschritten werden. Der Gewinn erfährt dadurch keine Veränderung, weil dieser als Betrag festgeschrieben ist [12].

4 Schlussbetrachtung

Der Progressive Partnerschaftsvertrag Tiefbau stellt im Vergleich zu der IPA eine weitere Alternative für die erfolgreiche Abwicklung von großen Projekten dar. Dabei zeigt der Progressive Partnerschaftsvertrag Tiefbau eine höhere Flexibilität, um Bauabschnitte und deren Vergütungsmodelle zu gestalten. Die Wahl für die Bauabschnitte und die Wahl des Vergütungsmodells erfolgt dabei risikobasiert. Dabei rücken Kostenkalkulation und das Risikomanagement in den Fokus. Nur mittels einer transparenten Kostenkalkulation ohne Umlagen ist es möglich, die tatsächlichen Kosten zu ermitteln. Erst auf dieser Basis kann die Wahl für das passende Vergütungsmodell getroffen werden. Diese Wahl bildet die Grundlage für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit.

Literatur

[1] BMVI: „Reformkommission Bau von Großprojekten: Komplexität beherrschen - kostengerecht, termintreu und effizient“, 2015

[2] S. C. Becker: „Identifizierung von Anreizen in Verträgen nach der VOB/A-EU unter Einbezug von der VOB/B“ in Tagungsband zum 31. BBB-Assistent:innentreffen Innsbruck 2022, 2022, S. 16-29

[3] S. C. Becker und H. Roman-Müller: Integrierte Projektabwicklung (IPA): Schnelleinstieg für Bauherren, Architekten und Ingenieure. Wiesbaden, Heidelberg: Springer Vieweg, 2022

[4] P. Sander und S. C. Becker: „Gemeinsames Risikomanagement bei Großprojekten mit der Integrierten Projektabwicklung (IPA)“, Berlin, DVP-Tagung, 2023

[5] P. Sander, S. C. Becker und K. Nübel: “Risk Management in Major Tunnelling Projects – Part 1: Basics and Success Factors”, tunnel, 02/2021, S. 18-27, 2021

[6] P. Sander, S. C. Becker, M. Lammers, R. Uphoff, R. Brodehl und A. van Drogenbroeck: “Digital Project Risk Twin – Application for the Construction of U5 East, Hamburg”, tunnel, 06/2021, S. 20-29, 2021

[7] P. Sander: „Risikomanagement bei Großprojekten im Tunnelbau“ in C. H. Beck Baurecht, Handbuch Tiefbaurecht, B. Fuchs, M. Maurer und G. Schalk, Hg., München: C.H. Beck, 2023, S. 691-715

[8] P. Sander, S. C. Becker, S. Riemann, M. Ditandy und M. Spiegl: “Creating Incentive Mechanisms for Integrated Project Delivery”, tunnel, 04/2022, S. 12–23, 2022

[9] S. C. Becker und P. Sander: “Development of a “Project Objective System” (Pos) to align the interests of all the stakeholders and find the right delivery model” in Creative Construction Conference 2023, CCC 2023, Kezthely, Lake Balaton, 20-23 July 2023: Proceedings, M. J. Skibniewski und M. Hajdu, Hg., Budapest:Diamond Congress Ltd, 2023, S. 252–257, doi: 10.3311/CCC2023-034

[10] P. Sander und M. Spiegl: „Risikomanagement als Erfolgsfaktor für anreizbasierte Bauverträge“ in Schriftenreihe des Instituts für Bauwirtschaft und Baubetrieb, Heft 63, Kooperative Vertragsmodelle und baubetriebliche Lösungsansätze – Ist Deutschland reif für Alternativen? in Beiträge zum Braunschweiger Baubetriebsseminar vom 22. Februar 2019, P. Schwerdtner, Hg., Braunschweig: Technische Universität Braunschweig Institut für Bauwirtschaft und Baubetrieb, 2019, S. 99-124

[11] P. Sander, M. Spiegl und J. Reilly: “Incentive-Based Project Delivery with Fixed Price Incentive Fee Contracts” in Rapid Excavation and Tunneling Conference: 2019 proceedings, C. D. Hebert und S. W. Hoffman, Hg., Englewood, Colorado: Society for Mining Metallurgy & Exploration, 2019, 34-45

[12] S. C. Becker und C. P. Friedinger: „Analyse potenzieller Vergütungsmodelle und Anreizsysteme für die Integrierte Projektabwicklung (IPA)“, 2023

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