Abflussbeiwerte und Niederschlagsgebühren
Fachplaner, die mit der Regenentwässerung zu tun haben, stoßen bei der Berechnung der Abflussmenge auf Widersprüche. In den Regelwerken sind unterschiedliche Abflussbeiwerte für dieselbe Flächenart zu finden. Auch die Bewertung der Rückhaltefunktion von Regenspeichern erscheint unwillkürlich, insbesondere im Vergleich kommunaler Abwassersatzungen.
Sind Abflussbeiwerte nachvollziehbar?
DIN und DWA sind die bedeutendsten Regelgeber zum Thema Regenentwässerung. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e. V. (FGSV), Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V. (FLL) und Fachvereinigung Betriebs- und Regenwassernutzung e. V. (fbr) spielen eine Rolle, wenn es um Verkehrsflächen, Gründächer und Regenspeicher geht. Alle sind sich einig: Für die dezentrale Regenwasserbewirtschaftung ist von Vorteil, wenn Niederschläge vor Ort bleiben, also genutzt, versickert oder verdunstet werden. Ist zusätzlich eine Regenableitung erforderlich oder muss ein Speicher bzw. eine Versickerungs- oder Behandlungsanlage dimensioniert werden, benutzen Planer bei einfachen Bemessungsverfahren den statischen/fixen Abflussbeiwert der zu entwässernden Fläche – unabhängig vom Verlauf des Regenereignisses. Als Rechenfaktor ohne Einheit liegt er bei 0,0 (kein Abfluss) oder 1,0 (100% Abfluss des auftreffenden Niederschlags) oder dazwischen. Gründächer haben in allen Regelwerken übereinstimmend den Wert 0,3 bei mehr als 10 Zentimeter Aufbau und 0,5 bei weniger als 10 Zentimeter. Das ist eindeutig und gibt Planungssicherheit. Bei anderen Flächenarten variieren die Werte je nachdem, welches Regelwerk benutzt wird - das verunsichert wiederum.
Im Regelwerk der DWA, speziell in DWA-A 138, -A 117 und –M 153 sind für die Bemessung von Versickerungsanlagen „mittlere Abflussbeiwerte“ in Tabellen unter der Bezeichnung Ψm zu finden. In Kommentaren werden die relativ niederen Werte mit Retention durch Speicherkapazitäten in Versickerungsanlagen begründet - und auf DIN 1986-100 mit ihren „Spitzenabflusswerten“ verwiesen, falls es um die Berechnung von so genannten Scheitelabflüssen geht. Damit ließe sich arbeiten. Doch dann müssten im Regelwerk der DIN bei den Normen DIN EN 12056-3 und DIN 1986-100 grundsätzlich höhere Werte als im DWA-Regelwerk notiert sein. Im direkten Vergleich fällt auf, dass dies nicht immer so ist. Gründächer haben in allen Regeln identische Werte. Das lässt sich aus der Verzögerung des Abflusses, selbst bei gesättigtem Substrat, noch erklären. Doch Kiesdächer sowie Rollkiesflächen sind bei den DIN-Normen statt mit höherem sogar mit einem um 20-30 % niedrigeren Abflussbeiwert als bei DWA eingestuft. Auch bei Pflasterflächen mit dichten Fugen und Flächen mit Platten sind Abweichungen festzustellen: Bei DWA-A 138, -M 153 und –A 117 gilt dafür 0,75, bei DIN 1986-100 nur 0,7. Dies ist nicht nachvollziehbar und Anwendern schwer zu vermitteln. Eine Korrektur oder Klarstellung ist dringend geboten, denn Planer tragen alleine die Verantwortung für die richtige Auswahl der Rechenwerte.
Versierte Ingenieure werden große Abflüsse mit dynamischen Oberflächenabflussmodellen simulieren. Die hier thematisierten statischen Abflussbeiwerte sind nur für die einfachen Fälle empfehlenswert, bei denen vor allem Planer tätig werden, die nicht auf Siedlungswasserwirtschaft spezialisiert sind. Gerade deshalb aber müssen für diese Anwendergruppe die Auswahlkriterien in den Regeln der Technik, nicht nur in Kommentaren, eindeutig und nachvollziehbar vermittelt werden. Sonst können Fehler sowie Schäden und als Folge davon juristische Auseinandersetzungen entstehen. Selbst wenn am Ende Sachverständige hinzugezogen werden können, wünschen sich alle Beteiligten, dass eine solche Entwicklung vermieden wird und hoffen auf die angekündigte Neufassung der DIN-1986-100. Bringt sie mehr Klarheit mit nachvollziehbaren Abflussbeiwerten für die einfachen Bemessungsverfahren?
Die Retentionsleistung der Regenspeicher
„Trinkwasser sparen durch Regenwassernutzung“ hieß das Motto, als in den 1990er Jahren der Bau von Zisternen durch mehrere Bundesländer bezuschusst wurde. Der über Jahrzehnte angestiegene Trinkwasserbedarf der Haushalte sollte reduziert und damit immer größere Fernwasserversorgungen verhindert werden. Diese Rechnung ging auf. Statt 147 Liter pro Person und Tag damals liegt der durchschnittliche Bedarf im deutschen Haushalt heute bei 120 Liter. Der Stand der Technik bei Regenwassernutzung wurde in DIN 1989:2002-04 dokumentiert.
25 Jahre später wissen wir, dass im Umgang mit Regenwasser Kombinationen von Nutzung, Versickerung, Verdunstung und verzögerter Ableitung angesagt sind. Anlass dazu geben die Auswirkungen von Starkregenereignissen, Trockenheit und aufgeheiztem Stadtklima. Fördermaßnahmen der Bundesländer oder Kommunen für die Regenwassernutzung im Besonderen und für die Regenwasserbewirtschaftung im Allgemeinen wurden weitgehend abgeschafft. Zuschüsse für Regenspeicher gibt es noch im Bundesland Bremen und in einigen Kommunen wie z. B. Heidelberg, Bad Mergentheim oder Gräfelfing. Als finanzieller Anreiz dient inzwischen die verminderte Niederschlagsgebühr. Die Verminderung gibt es nur, wenn der Niederschlag dezentral bewirtschaftet wird bzw. der Überlauf des Regenspeichers auf dem eigenen Grundstück versickert. Dass kontinuierliche Regenwassernutzung an sich eine beachtliche Retentionswirkung hat und damit zur Vorsorge bei Starkregen und Trockenheit beträgt, wurde in den technischen Regeln ignoriert – bei der Niederschlagsgebühr ebenso. In den Tabellen der DWA- und DIN-Regelwerke sind keine Abflussbeiwerte für Regenspeicher vorhanden.
Das könnte sich nun ändern. Langzeitsimulationen im Jahr 2010 an der Hafen City Universität Hamburg unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Dickhaut ergaben je nach Nutzungsart, Regenintensität und Speichergröße erstaunliche Retentionsleistungen. Vor kurzem wurde der Effekt bestätigt durch Simulationsrechnungen von Dr.-Ing. Harald Sommer, Ingenieurgesellschaft Prof. Dr. Sieker mbH. Die Ergebnisse werden in H 101, einer technischen Regel der Fachvereinigung Betriebs- und Regenwassernutzung (fbr), voraussichtlich im Frühjahr 2016 veröffentlicht. Dann könnte Realität werden, was längst fällig ist: Die Retentionsleistung von Regenspeichern zu definieren und wie bei Gründächern zu würdigen, unabhängig von der Art des Überlaufs. Mit einem Abflussbeiwert von 0,5 für extensive und 0,3 für intensive Bauweise ist die Dachbegrünung seit vielen Jahren in den unterschiedlichen Regeln der Technik präsent und damit der Regenwassernutzung um einige Nasenlängen voraus. Es ist an der Zeit, einen entsprechenden Wert auch für Regenspeicher bei der Aktualisierung von Normen zu verankern. Daraufhin sollten die Kommunen entsprechend diesen Abflussbeiwerten Abschläge bei der Niederschlagsgebühr machen – wichtig für Regenwassernutzer mit bestehenden Anlagen, die den bereits vorhandenen Überlauf ihres Speichers nicht vom Kanal abhängen (und die Versickerung auf dem eigenen Grundstück einrichten) können.
Nun ist erfreulicherweise festzustellen, dass es schon Städte gibt, die in diesem Sinne mit gutem Beispiel voran gehen: Darmstadt (in der die fbr ihre Geschäftsstelle hat) sowie Stuttgart, Ulm, Mannheim, Baden-Baden und Friedrichshafen. Der Gemeindetag Baden-Württemberg veröffentlichte am 20.10.2010 Vorschläge zur Bemessung der Niederschlagsgebühr in seiner Mustersatzung. In § 40a nennt er u. a. Maßnahmen, die trotz Überlauf in die Abwasserbeseitigungsanlagen zu einer reduzierten Gebühr führen: Hier ein Auszug dieser Empfehlung: „ … Bei Regenwassernutzung, ausschließlich zur Gartenbewässerung, werden die Flächen um 8 m² je m³ Fassungsvolumen reduziert. Bei Regenwassernutzung im Haushalt oder Betrieb werden die Flächen um 15 m² je m³ Fassungsvolumen reduziert. Dies gilt nur für Zisternen, die fest installiert und mit dem Boden verbunden sind …“. Eine Übernahme in weiteren Kommunen ist wahrscheinlich.