RÜCKHALT ABFLUSSVERZÖGERUNG SPEICHERUNG

Auf dem Dach: Wasser managen

Aufgrund eines erhöhten Versiegelungsgrads und des
Klimawandels mit immer häufigeren Extremniederschlägen müssen Siedlungswasserwirtschaftler ihre Strategien zur
Regenwasserbewirtschaftung anpassen. Begrünte
Dachflächen sollten in dem allgemeinen Maßnahmenkatalog der Städte- und Siedlungswasserplaner nicht länger
unberücksichtigt bleiben.

Weitere Handlungsschwerpunkte sind die begrenzte Aufnahmekapazität der bestehenden Kanalisation, der Hochwasserschutz mit stärkerer Umsetzung des Überflutungsnachweises nach DIN 1986-100 und das eingeschränkte Platzangebot in Innenstädten für einen 30 oder sogar 100-jährlichen Rückhalt. Die neuen Vorgaben in der Flächenplanung orientieren sich am unbebauten Zustand und dessen natürlichen Wasserhaushalt. Das bedeutet, dass die Situation des Wasserhaushalts hinsichtlich Verdunstung, Versickerung und Abfluss auch nach der Bebauung dem Zustand vor dem Eingriff entsprechen soll. Das führt dazu, dass immer mehr Städte und Gemeinden klare Vorgabe zur maximalen Abflussspende eines ausgewiesenen Industrie- oder Neubaugebietes festlegen.

So entstehen nicht nur neue Anforderungen in der Planung, sondern es werden auch kostenneutrale bzw. günstige Alternative zu herkömmlichen Rückhaltemaßnahmen (wie Rigolen, Rückhaltebecken, usw.) gesucht.

Leistungsfähigkeit begrünter Dächer:

Wasserspeicher und Abflussverzögerung

Für Dachbegrünungen lassen sich in Abhängigkeit des Schichtaufbaus bestimmte Eigenschaften hinsichtlich ihres Wasserhaushaltes (Speicherung, Abfluss) beschreiben.

– Wasserrückhalt [l/m²]. Speicherung des Niederschlag-

wassers

– Spitzen-Abflussbeiwert [C]. Abflussminderung- und verzögerung

– Abflussspende [l/sxha]. Einstellbarer, gedrosselter Abfluss

Im Folgenden werden die Leistungsfähigkeiten dieser drei Gruppen näher beschrieben werden.

Wasserrückhalt. Speicherung des Niederschlagwassers

Eine Dachbegrünung kann in Abhängigkeit ihres Schichtaufbaus eine bestimmte Menge an Niederschlagswasser aufnehmen. Was darüber hinaus an Regen anfällt kann nicht mehr im Aufbau gespeichert werden und fließt zeitlich verzögert ab. Die Substrate haben durch die Vorgaben der FLL-Dachbegrünungsrichtlinie einen Mindestwert, wieviel Wasser gespeichert werden muss. Bei Extensivbegrünungen sind das 35 l/m² und bei Intensivbegrünungen 45 l/m² (jeweils bei mehrschichtiger Bauweise). Bei den Dränagen ist der Spielraum der Wasserspeicherung viel größer, da hier das Hauptaugenmerk auf Wasserableitung gerichtet ist. So gibt es auf der einen Seite Dränagen ohne und auf der anderen Seite Produktlösungen mit extrem hohen Wasserspeicher. Bei der Verwendung speziell entwickelter Dränageplatten, wie beispielsweise der Mäanderplatte Typ 60, lassen sich 17-32 l/m² Niederschlagswasser speichern. Die Dränage- und Wasserspeicherplatte 60 ist so konzipiert, dass sie 17 Liter Wasser in ihrem permanenten Speicher aufnehmen kann und weitere 15 Liter für kurze Zeit im temporären Speicher verbleiben. So kann der komplette Aufbau (12 cm Gesamtaufbau, bei 6 cm Dränage und 6 cm Extensivsubstrat) 38-53 l/m² Niederschlagswasser aufnehmen. Zum Vergleich die Wasserrückhaltewerte weiterer gängiger Dachbegrünungslösungen:

- 8 cm Gesamtaufbau, Sedum-Kraut-Vegetation: 25 l/m²

-  10 cm Gesamtaufbau, Sedum-Gras-Kraut-Vegetation: 30 l/m²

-  30 cm Gesamtaufbau, Stauden-Gehölze-Vegetation: 130 l/m²

- 60 cm Gesamtaufbau, Stauden-Bäume-Vegetation: 250 l/m²

Definierter Spitzen-Abflussbeiwert.

Abflussminderung- und verzögerung

Abflussbeiwerte nach DIN 1986-100

In der Fassung 2008 stehen für Dachbegrünungen nur zwei Werte drin: Extensivbegrünung unter 10 cm mit C = 0,5 und Extensivbegrünung über 10 cm und Intensivbegrünung mit C = 0,3. In der derzeit in Überarbeitung befindlichen Neufassung der DIN 1986-100 werden die Abflussbeiwerte C viel differenzierter betrachtet (in Abhängigkeit der Schichthöhe Gründach) und zwischen „Spitzenabflussbeiwert Cs“ und „Mittleren Abflussbeiwert Cm“ unterschieden.

Erwähnenswert ist, dass die DIN 1986-100 auf die FLL-Dachbegrünungsrichtlinie verweist.

FLL-Dachbegrünungsrichtlinie (2008)

Die FLL stellt zum einen eine Übersicht der Wasserrückhaltwerte im Jahresmittel (Jahresabflussbeiwerte) dar und zum anderen die Spitzenabflüsse in Form der Abflusskennzahlen C. Die Werte gelten in Abhängigkeit der Aufbauhöhe des Gründachs pauschal für Deutschland, bringen jedoch die Hinweise, dass sich die Rückhaltewerte verschlechtern können, wenn Dränageschichten mit großer Dränleistung verwendet werden und dass die Abflusskennzahl von Gründachsystemaufbauten nach einem speziellen Prüfverfahren ermittelt werden können.

Einzelnachweise nach FLL für bestimmte Gründachsysteme

Ein Dachbegrünungssystemaufbau mit einer extrem niedrigen Abflusskennzahl ist die das „Retentionsdach“ Typ Mäander 30 mit einer Abflusskennzahl von nur 0,01. Das heißt, dass während des 15-minütigen Bemessungsregens nur 1 % der aufgebrachten Niederschlagsspende abfließen sind und 99 % im Gründachsystem verbleiben. Die Prüfung erfolgt standardmäßig nach vorlaufender aufbausättigender Beregnung und 24-stündigem Abtropfen. Die Systemlösung hat den folgenden Aufbau:

– Schutz- und Speichervlies Typ RMS 300

– Mäanderplatte 30 (3 cm hoch)

– Filtervlies Typ 105

– 6 cm Extensivsubstrat Typ E

– Vegetation

Das Wirkungsprinzip der Mäanderplatte ist einfach und funktional zugleich – nach dem Vorbild der Natur fließt das Wasser schleifenförmig wie bei einem mäandrierendem Fließgewässer von einer Kammer in die andere.

Maximale Abflussspende. Einstellbarer, gedrosselter Abfluss

Mit der Systemlösung „Retentionsdach“ Typ „Drossel“ in den beiden Varianten „Grün“ und „Verkehr“ gibt es innovative Lösungsansätze, um einen vorgegebenen Maximalabfluss einzustellen. Das Grundprinzip des Retentionsdach Typ „Drossel“ sieht wie folgt aus: auf dem Dach wird ein Wasserspeicher (Stauraum) geschaffen, über dem entweder eine Dachbegrünung (extensiv bzw. intensiv) oder eine Verkehrsfläche (begeh- bzw. befahrbar) eingebaut wird.

Basis für diese Lösung ist die Wasserretentionsbox (WRB 85i für begrünte Aufbauten bzw. WRB 85v für Verkehrsflächen). Die Box aus druckstabilen und verrottungsbeständigen Kunststoff in der Bauhöhe von 85 Millimeter schafft in Verbindung mit einer Anstaudrossel ein mögliches Wasseranstauvolumen von bis zu 62 Liter/Quadratmeter. Über diese Box wird je nach Anwendung (Extensiv- oder  Intensivbegrünung oder Verkehrsdach) wahlweise das Filtervlies Typ 105, Kapillarvlies Typ RMS 500 K oder das stabile Filtervlies Typ 300 (GRK 5) verlegt und dann der entsprechende Substrat- oder Verkehrsflächenaufbau.

Das ganze System ist so konzipiert, dass das angestaute Überschusswasser aus dem darüber liegenden Schichten rausgehalten wird und bei unbegrünten Verkehrsaufbauten kein Kapillarwasser nach oben in die Tragschichten gelangt.

Der Aufbau für Verkehrsflächen auf dem Dach sieht ab Oberkannte geeigneter Dachkonstruktion und Dachabdichtung wie folgt aus:

– 0,2 mmm PE-Folie

– Schutz- und Gleitlage Typ SGL 500

– Wasserretentionsbox WRB 85

– Filtervlies Typ 300

– 10-20 cm Tragschicht

– 3-5 cm Bettungsmaterial

– Pflaster/Plattenbelag

Beim Retentionsdach Typ „Drossel Grün“ wird die Wasserretentionsbox mit Kapillarsäule bestückt, um hier einen kapillaren Wasseraufstieg in das Dachbegrünungssubstrat bewusst zu fördern, um das rückgestaute Wasser zur Bewässerung und Verdunstung zu nutzen. Der Aufbau für die Variante „Drossel Gründach“ sieht wie folgt aus:

– Schutz- und Speichervlies Typ RMS 900

– Wasserretentionsbox WRB 75

– Saug- und Kapillarvlies Typ 500 K

– 6-15 cm Extensivsubstrat Typ E bzw. 20-35 cm Intensiv- oder Rasensubstrat Typ i oder R

– Vegetation (je nach Begrünungsart: Ansaat, Sedum-Sprossen, Vegetationsmatten bzw. Pflanzung)

Am effektivsten findet die Bauweise ihre Anwendung auf einem 0-Grad-Dach, da dabei am meisten Wasser gleichmäßig über die ganze Dachfläche angestaut und gespeichert werden kann. Entscheidender Baustein des Systems ist die Drossel am Dachablauf, deren Eigenschaften (Anstauhöhe, Anzahl und Größe der Ablauföffnungen) mit dem EDV-Simulations- und Rechenprogramm „RWS“ exakt berechnet werden kann. Dabei spielen neben Dachgröße und Abflussbeiwert des Schichtaufbaus vor allem die regionalen Niederschläge und das gewünschte Abfluss-Ergebnis die entscheidenden Rollen. Mit dem Retentionsdach Typ „Drossel“ lässt sich die maximale Abflussspende einstellen und bis auf 1-10 l/s x ha „runter drosseln“ und je nach Anforderung das Anstauvolumen des überschüssigen Niederschlagwassers und dessen Verweildauer steuern. Bei der Berechnung mit dem RWS-Simulationsprogramm können verschiedene Wiederkehrhäufigkeiten von 5, 10, 20 bis 100 Jahre verwendet werden.

Zusammenfassung und Ausblick

Begrünte Dächer speichern je nach Schichtaufbau, System und Niederschlagsregion eine bestimmte Menge an Wasser und geben das Überschusswasser auch noch zeitverzögert an die Kanalisation oder Versickerungsanlage ab. Die angeführten Werte von Wasserrückhaltung, Abflusskennzahlen und Abflussspitzen sind in den letzten Jahren von verschiedenen Seiten ermittelt worden, so dass sie auf einer breiten und seriösen Basis stehen. Diese gesicherten Daten sollten noch viel öfters in der Siedlungswasserwirtschaft berücksichtigt werden. Folgende Punkte sind in der aktuellen Diskussion und Strategie besonders erwähnenswert:

– Mit den systembezogenen Spitzen-Abflussbeiwerten lassen sich gut begrünte Dachflächen abbilden und in dem allgemeinen Maßnahmenkatalog der Städte- und Siedlungswasserplaner integrieren.

– Retentionsdächer mit spezifischen Drosselabflussspenden werden in den nächsten Jahren verstärkt nachgefragt.

– Städte und Gemeinden werden die gezielteren Vorgaben dafür nutzen, sich dem natürlichen Wasserhaushalt auf ihren Bebauungsflächen anzunähern.

– Auch die bestehende und überlastete Kanalsituation sowie die nachzuweisende schadlose Überflutung im Extremfall spielen eine große Rolle.

– Tendenziell soll der Niederschlag zukünftig genau dort zurückgehalten werden, wo er anfällt. Rückhaltezeiten von 6-24 Stunden können Kanalisation und Vorfluter effektiv entlasten.

– Mit der Systemlösung „Retentionsdach“ Typ Drossel ist eine innovative, praxistaugliche Aufbauvariante für begrünte bzw. begeh- und befahrbare Dachflächen entwickelt worden, die über die notwendige Stand- und Dauerhaftigkeit hinaus zudem noch Raum für einen Wasserspeicher und eine genau einstellbare maximale Abflussspende ermöglicht. Damit kann vor allem in dicht bebauten Städten wichtiger Platz eingespart, nutzbare Flächen geschaffen und dennoch die Belange der Siedlungswasserwirtschaft berücksichtigt werden.

Dr. Gunter Mann und Dipl.-Ing. Tobias Klinger

Optigrün international AG

www.optigruen.de

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