Das geht auf Kosten der Leitungsinfrastruktur
Private wie öffentliche Abwasserleitungen müssen dicht sein und sich in einem ordnungsgemäßen Zustand befinden. Der Rohrleitungsbauverband, rbv, bezieht in der aktuellen Diskussion eine eindeutige Position. tHIS sprach mit Dipl.-Wirtsch.-Ing. Dieter Hesselmann, Geschäftsführer des rbv, über die aktuellen Entwicklungen bei der Dichtheitsprüfung von Grundstücksentwässerungsanlagen.
tHIS: Herr Hesselmann, der politische Wille zur Dichtheitsprüfung von Grundstücksentwässerungsanlagen scheint im WHG klar definiert zu sein. Aus Nordrhein-Westfalen und aus Hessen ist nun zu vernehmen, man müsse auf Länderebene die Verhältnismäßigkeit der Gesetzgebung noch einmal überprüfen. Was bedeutet dieses „Zurückrudern“ von Seiten der Politik für die Mitgliedsunternehmen des rbv?
Bleibt es beim jetzt eingeschlagenen Kurs, haben neben unserer Umwelt auch die Fachunternehmen zu leiden, die im Vertrauen auf erreichte gesetzliche Standards investiert haben, um den neuen Aufgabenstellungen gerecht zu werden. Fakt ist: Die in den entsprechenden Gesetzen der Bundesländer festgelegte Pflicht zur Dichtheitsprüfung wird in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Das wiederum haben Vertreter verschiedener politischer Richtungen zum Anlass genommen, die eingeführten Regelungen infrage zu stellen. Beim Kampf um Wählerstimmen bleiben die Tatsachen leider auf der Strecke: Rund 70 % aller privaten Entwässerungsleitungen sind schadhaft – das belegen einschlägige Untersuchungen, die von renommierten Institutionen wie der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. (DWA) oder dem Institut für Unterirdische Infrastruktur gGmbH (IKT) regelmäßig durchgeführt werden.
tHIS: Viele Ihrer Mitgliedsunternehmen haben in Ausrüstung und Personal investiert, um den anstehenden Aufgaben im Bereich der Grundstücksentwässerung begegnen zu können. Waren diese Investitionen nun vorschnell und unnötig? Und wird diese Investitionsbereitschaft einige Unternehmen zukünftig sogar in eine wirtschaftliche Schieflage bringen?
Dort, wo die Umsetzung des § 61a LWG in NRW von den Kommunen konsequent umgesetzt wird, haben Bauunternehmen in neue Technik und Personal investiert. Besonders kleine und mittelständische Unternehmen engagieren sich dabei im Bereich der Kanalprüfung und -sanierung. Vorsichtige Schätzungen zeigen, dass bei Beibehaltung der jetzigen Regelungen in NRW rund 20.000 Arbeitsplätze geschaffen würden. Aber was passiert? Unternehmen, die bereits sechsstellige Beträge in Technik und Fachwissen investiert haben, sehen sich plötzlich in ihrer Existenz bedroht, da das Geschäftsfeld plötzlich und unvorhersehbar zusammenzubrechen droht. Das Sparen an falscher Stelle kann sich deshalb schnell als Bumerang erweisen. Letztendlich schadet die aktuelle Diskussion unserer gesamten Leitungsinfrastruktur. Die Folgen in Form einer geschädigten Umwelt und erhöhter Gebühren aufgrund eines stetig wachsenden Sanierungsbedarfs haben nicht nur wir, sondern auch die nachfolgenden Generationen zu tragen.
tHIS: Worin liegen nach Ihrer Einschätzung die Gründe dafür, in NRW den § 61 a LWG oder in Hessen die EKVO auszusetzen?
In erster Linie steht wohl politisches Kalkül dahinter. Vordergründig wird die Zumutbarkeit und die Verhältnismäßigkeit der Regelungen kritisch hinterfragt – trotz der eindeutigen gesetzlichen Vorgaben des Wasserhaushaltgesetzes (WHG), wonach Abwasseranlagen so zu errichten, zu betreiben und zu unterhalten sind, dass die Anforderungen an die Abwasserbeseitigung eingehalten werden (§ 60 Abs. 1). Ebenso gilt: Wer eine Abwasseranlage betreibt, ist verpflichtet, ihren Zustand, ihre Funktionsfähigkeit, ihre Unterhaltung und ihren Betrieb sowie Art und Menge des Abwassers und der Abwasserinhaltsstoffe selbst zu überwachen (§ 61 Abs. 2). Damit ist die Sachlage eigentlich hinreichend geregelt, denn ohne fachgerechte Überprüfung erhält man keinen Kenntnisstand über den Zustand der Kanalisation auf seinem Grundstück. Im Umkehrschluss ist eine Überprüfung der Kanäle deshalb Voraussetzung für die Erfüllung der gesetzlichen Pflichten.
tHIS: Welche Konsequenzen hat die momentane Entwicklung für das wirtschaftliche Umfeld rund um den gesamten Tätigkeitskomplex der Dichtheitsprüfung von Grundstücksentwässerungsanlagen? Welche konkreten Signale und Maßnahmen erwartet der Rohrleitungsbauverband von den politischen Entscheidungsträgern?
Wenn sich die Wirtschaft in Bezug auf Investitionen – wie bei der Energiewende und jetzt in Nordrhein-Westfalen und Hessen bei der Kanalüberprüfung geschehen – nicht mehr auf bestehende Gesetze verlassen kann, wird das verheerende Auswirkungen auf die Erreichung der vor uns liegenden Ziele haben. Wer will noch Personal einstellen und in Geräte investieren, wenn Gesetze nur eine geringe Halbwertzeit haben und noch nicht einmal eine Legislaturperiode überstehen? Gemeinsam mit der Bundesfachabteilung Leitungsbau (BFA LTB) im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) fordert der Rohrleitungsbauverband die politischen Parteien deshalb nachdrücklich auf, die bestehende Gesetzeslage nicht zu verändern. Abwasserleitungen – private wie öffentliche – müssen dicht sein und sich in einem ordnungsgemäßen Zustand befinden. Dazu bedarf es klarer und sachgerechter Regelungen auch für die Überprüfung und Sanierung der privaten Leitungen. Bestehende gesetzliche Standards sollten deshalb nicht aufgeweicht werden.