HAUPTVERBAND DER DEUTSCHEN BAUINDUSTRIE

„Das ist dann schon eine Frechheit…“

Interview mit Prof. Dr.-Ing. E.h. Thomas Bauer, Präsident des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie

tHIS: Guten Tag, Prof. Bauer. Obwohl wir gerade einen
Bauboom haben, beklagen Sie die schlechte Ertragssituation für Bauunternehmen. Wie passt das zusammen?

Prof. Dr. Thomas Bauer: Viele meinen, der Bau würde so funktionieren wie Automobile verkaufen oder Lebensmittel beim Tengelmann. Das ist aber nicht der Fall. Normalerweise bestimmt der Anbieter das Produkt, etwa ein Kfz-Hersteller. Wenn ein Auto toll ausschaut oder Prestige vermittelt, dann kann der Autoverkäufer ohne weiteres einen deutlich höheren Preis verlangen. Porsche beispielsweise verdient durch diesen Image-Zuschlag irrsinnig Geld.

Beim Bau legt der Käufer fest, was er will, und wir Baufirmen bieten praktisch nur die Leistungsfähigkeit an, ihm dieses Produkt zu erstellen. Alle Bauunternehmen bieten dem Ausschreibenden also das Gleiche an, und können sich nur über die Kosten differenzieren. Das ist dann ein knallharter Preiswettbewerb. Wenn dann am Bau etwas schiefgeht, das Wetter für eine längere Zeit schlechter ist, als man angenommen hat, oder wenn es Störungen durch die Bodenbeschaffenheit gibt, dann machen die Firmen schnell drastische Verluste.

tHIS: Ich muss mich doch auch als Bauunternehmen vom Wettbewerb abheben…

Prof. Dr. Thomas Bauer: Die Bauwirtschaft bewegt sich zwischen zwei Polen. Auf der einen Seite gibt es Firmen, die als reine Leistungserbringer tätig sind – man baut also das, was der Bauherr wünscht. Auf der anderen Seite stehen Firmen, die selber Produkte definieren, etwa Fertighaus-Hersteller, Immobilien-Entwickler. Diese können Produktdifferenzierung betreiben und etwa über eine bessere Ausstattung einer Wohnung den Preis gestalten. Wer aber nur die ausgeschriebene Leistung erbringt – und das ist die große Mehrheit der Unternehmen –, hat solche Unterscheidungskriterien nicht – am Schluss muss die Wohnung so aussehen, wie sie im Plan steht. Man kann nicht sagen, dass man den Plan „schöner“ erfüllt hat, es zählt nur die Planerfüllung. So hat man auf der einen Seite einen Produktwettbewerb, auf der anderen einen knallharten Preiswettbewerb mit kleinsten Margen – das sind völlig unterschiedliche Themen.

tHIS: Laut Statistik liegt die Rendite im Bauhauptgewerbe bei ordentlichen 5 %.

Prof. Dr. Thomas Bauer: Die Deutsche Bundesbank gibt jedes Jahr eine Statistik darüber heraus, wie viel Gewinn in den unterschiedlichen Branchen unserer Volkswirtschaft erzielt wird. Da taucht in der Tat die Bauindustrie mit einer Umsatzrendite von etwa 5 % auf. Und nun meinen die Leute wirklich, die Bauwirtschaft verdient 5%. Das ist aber statistisch falsch, denn die Bundesbank wirft alle Baufirmen in einen Topf.

Von den 75.000 deutschen Baufirmen sind zwischen 85 % und 90 % reine Personengesellschaften. Bei denen zählt aber auch der Unternehmerlohn als Gewinn. Habe ich als ein solcher Unternehmer acht oder zehn Mitarbeiter, muss ich also mindestens 5 % erwirtschaften, nur um als Chef das Gleiche zu verdienen wie meine Mitarbeiter. Bei AGs und GmbHs werden als Teil der Kosten auch die Gehälter der Geschäftsführer und Vorstände bezahlt, auch der Gewinn wird in der Gesellschaft versteuert. Bei Personengesellschaften läuft die Besteuerung nicht über die Firma, sondern über den Eigentümer. Die öffentlich dargestellten Gewinne sind also eine Zahl, die Steuern und Unternehmerlöhne beinhalten. Bei den meisten anderen Branchen ist das anders.

tHIS: Geht es der Bauwirtschaft wirklich so schlecht?

Prof. Dr. Thomas Bauer: In den letzten 15 Jahren sind etwa 80 % der großen deutschen Baufirmen verschwunden – die haben sich nicht von den fetten Gewinnen eine Insel in der Südsee gekauft – sie sind wirtschaftlich gescheitert. Solch eine massive Vernichtung von Know-how und Unternehmenskapital hat es in keiner anderen Branche in so kurzer Zeit jemals gegeben.

tHIS: Man hört allerorten, dass der Markt hervorragend sei, besonders der Wohnungsbau.

Prof. Dr. Thomas Bauer: Der Markt ist hervorragend, keine Frage. Aber wenn man genau hinschaut, kann man sehen, in welcher Reihenfolge am meisten verdient wird. Am meisten verdient der Grundstückseigentümer, durch den Spekulationsgewinn, mit Riesenabstand; danach folgt der Projektentwickler. Ganz am Schluss kommt der Bauunternehmer, der vielleicht ein kleines bisschen verdienen kann, vielleicht auch nicht.

Einige Baufirmen haben daraus gelernt: Wenn man im Hochbau verdienen will, muss man auch in der Projektentwicklung tätig werden. Wer aber beispielsweise Ingenieurbau betreibt, Brücken und U-Bahnen baut, ist dazu nicht in der Lage – da gibt es nichts zu entwickeln. Da arbeitet man nur nach den Vorgaben der Auftraggeber, unter zunehmend schwierigeren Bedingungen.

tHIS: Was meinen Sie damit?

Prof. Dr. Thomas Bauer: Vor etwa 30, 40 Jahren, wenn man sich das mal von seinen Vorgängern erzählen lässt, war allen Beteiligten klar, wie hart der Wettbewerb am Bau ist, und dass jeder irgendwie vernünftig aus einem Auftrag herauskommen und Geld verdienen muss. Man ist fair miteinander umgegangen, auftretende Probleme hat man fair miteinander geregelt, auch finanziell – das war eine Selbstverständlichkeit.

Es war auch eine Selbstverständlichkeit, dass die für den Bauherren handelnden Architekten und Ingenieure neben ihrer Funktion als Planer immer auch ein Stück weit Mittler waren zwischen Bauunternehmen und Bauherren. Sie fühlten sich auch verantwortlich bei Störungen eine Problemlösung zu finden, mit der beide Seiten leben können.

tHIS: Das ist heute nicht mehr so?

Prof. Dr. Thomas Bauer: Nein.

tHIS: Woran liegt das?

Prof. Dr. Thomas Bauer: Das ist in erster Linie auf ein überzogenes Compliance-Denken zurückzuführen, das sich inzwischen auch in der deutschen Wirtschaft breit gemacht hat. Damals galten die gleichen Gesetze wie heute, VOB und BGB waren nicht viel anders als heute. Heutzutage sieht sich der für den Bauherren Handelnde allein und ausnahmslos dem Bauherren verpflichtet. Er sieht sich verpflichtet, auch die allerletzte Möglichkeit herauszuholen, günstig zu bauen, die Leistungen so billig wie möglich zu kriegen. Das führt automatisch dazu, dass über die Ausschreibung, über die Verträge jede Verantwortung automatisch auf das Bauunternehmen abgeschoben wird, dass jede Situation auf der Baustelle ausgenutzt wird, um dem Bauunternehmen etwas in Abzug zu stellen, Geld zurückzuhalten, Schadensersatz zu fordern – nicht mehr problemlösungsorientiert, sondern ausschließlich finanziell, ausschließlich aus der Sicht des Auftraggebers. Das führt dazu, dass die Zustände für viele Bauunternehmen mittlerweile ganz unerträglich geworden sind.

Da gibt es bestimmte Auftraggeber, die dieses Spiel durch ihre schiere Größe, durch ihre Markt- und Machtposition virtuos beherrschen, und die dann auch noch in der Öffentlichkeit behaupten, der Bauunternehmer sei derjenige, der versuche, den Bauherren auszunutzen. Das ist dann schon eine Frechheit. Wir werden das nicht ändern können, wenn wir das nicht deutlich ansprechen.

tHIS: Der Auftragnehmer kann doch auch auf die Vertragsgestaltung Einfluss nehmen?

Prof. Dr. Thomas Bauer: Die Ausschreibungen sind inzwischen immer öfter so ausgelegt, dass das komplette Risiko zu 100,00 % zu Lasten der Bauunternehmen geht. Es gibt Kanzleien, deren Spezialität es ist, Bauverträge zu entwerfen, bei denen der Bauunternehmer möglichst schlecht dasteht. Ganz gezielt wird überlegt: Wie macht man das so, dass der Bauunternehmer bestimmte Dinge nicht erkennt oder bestimmte Probleme nicht sieht, so dass er sich, ohne es zu erkennen, angreifbar macht. Dann hat man wieder die Möglichkeit, Geld einzubehalten und so noch billiger zu bauen.

Natürlich stimmt es, dass die Bauunternehmer dann auch aufrüsten und Anwälte beschäftigen, derartige verdeckte Schwachstellen herauszufinden und zum eigenen Vorteil umzudrehen. Das Problem ist nur, dass die Verträge zum allergrößten Teil von den Auftraggebern vorgegeben werden. Da kann der Auftragnehmer natürlich versuchen, das eine oder andere Detail zu ändern. Aber die Vorgabe kommt vom Auftraggeber. Und wer schreibt, hat die Formulierungen im Griff. Ein vergleichendes Beispiel: Wenn in einem Vertrag mit einem Arbeitnehmer beispielsweise steht, dass der maximal 30 Tage Urlaub im Jahr hat, liest sich das erstmal gut. Aber jeder Urlaub, der zum Jahresende nicht genommen wurde, ist damit automatisch weg – da kann man nicht mal etwas schieben. Da hat die deutsche Sprache viele Möglichkeiten, die sich nicht auf Anhieb erschließen.

tHIS: Wie stehen Sie zum Thema Compliance?

Prof. Dr. Thomas Bauer: Das ist an und für sich eine gute Sache, da muss es Regeln geben. Das Problem in Deutschland ist nur, dass man mit allem immer übertreibt. Für jede Kleinigkeit wird ein Gesetz gemacht, bei der nächsten Kleinigkeit verschärft und bei der nächsten noch einmal. Das Ergebnis davon ist, dass am Schluss alle da sitzen und fast nur noch Papierkram machen, Formulare ausfüllen und dokumentieren, dass alles nach Gesetz und Vorschrift gemacht wird. Darunter leidet die Arbeit.

Corporate Governance, Corporate Compliance und Corporate Social Responsibility sind gute Ideen, keine Frage. Aber das Ausmaß dieser und sonstiger Corporate-Regeln, die wir mittlerweile haben und die eingefordert werden, ist inzwischen derart massiv und übertrieben, dass eine wirklich gute Unternehmensführung nicht mehr stattfinden kann. Wir müssen diese Dinge auf ein gesundes Maß zurückbauen.

Ich bin froh, dass es inzwischen einige Bauunternehmer gibt, die den Mut haben, das auszusprechen.⇥■

www.bauindustrie.de

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