„Die Messlatte hängt sehr hoch“
Dr.-Ing. Jan Retzlaff zur Normung von Geokunststoffen / Qualität in Europa sichern
Dr. Jan Retzlaff ist seit mehr als zehn Jahren in der Geokunststoffbranche aktiv. Der Diplom-Ingenieur arbeitete nach seinem Studienabschluss bei einem großen Geokunststoff-Hersteller, promovierte in Freiberg und forschte zwei Jahre lang am tBU – Institut für textile Bau- und Umwelttechnik in Greven. Im Januar 2009 eröffnete Retzlaff ein Ingenieurbüro in Steinfurt und ist seit kurzem Obmann des Arbeitsausschusses Geotextilien und Geokunststoffe im Deutschen Institut für Normung (DIN). Im Interview mit www.geo-site.com nimmt Retzlaff Stellung zum Stand der Geokunststoff-Normung.
Herzlichen Glückwunsch zur Unternehmensgründung. Worin sehen Sie Ihre jetzigen und zukünftigen Aufgaben?
Jan Retzlaff: Ich möchte meine Erfahrung gewinnbringend für Geokunststoffhersteller und andere Hersteller, die Produkte in den Baubereich liefern, Auftraggeber und Ausführende einbringen. Wenn man sich allerdings so sehr spezialisiert hat wie ich, dann ist es herausfordernd, allgemein, in möglichst vielen Bereichen tätig zu sein. So versuche ich, andere Ingenieurbüros und Planer zu unterstützen, wenn sie spezielle Fragen zum Einsatz von Geokunststoffen haben. Ich möchte das Portfolio anderer erweitern und arbeite daher im Netzwerk.
Planen Sie von Fall zu Fall, oder haben sie Regelwerke zu beachten?
Jan Rethlaff: Natürlich gibt es beide Möglichkeiten. Es gibt Situationen, da gibt es keine detaillierten Regelwerke. Da richte ich mich nach dem Stand der Technik. In anderen Bereichen gibt es ausführliche Regelwerke, wie z. B. die Empfehlungen für den Entwurf und die Berechnung von Erdkörpern mit Bewehrungen aus Geokunststoffen (EBGEO) und das Merkblatt über die Anwendung von Geokunststoffen im Erdbau des Straßenbaus. Diese beiden Regelwerke gehören zu den Grundlagen meiner Arbeit. Auch die DIN 1054, die die für Deutschland gültigen Sicherheitsnachweise in der Geotechnik regelt und Bauwerke in drei Kategorien einteilt, ist wichtig bei meiner Arbeit. Gerade Bauwerke der Kategorie III sind dabei besonders anspruchsvoll, wobei sehr spezielle Kenntnisse benötigt werden.
Warum gibt es überhaupt Normen für Geokunststoffe?
Jan Retzlaff: Geokunststoffe haben unterschiedliche Funktionen, die in vielen Bereichen des Bauwesens eingesetzt werden. Es ist bei der Vielzahl der am Markt erhältlichen Produkte für den planenden Ingenieur schwer, das passende Material für seinen Bedarf herauszusuchen. Wenn der Planer festgelegt hat, welche Funktionen der Geokunststoff im Bauwerk übernehmen soll, dann geht es an die Auswahl der Erzeugnisse. Normen helfen ihm, die wichtigsten Eigenschaften von Geokunststoffen in Abhängigkeit von ihrer Anwendung zu verifizieren. Dadurch werden eine gewisse Markttransparenz und ein Mindestniveau an die Qualität der Materialuntersuchungen sowie eine eingeschränkte Vergleichbarkeit der Materialien erreicht. Außerdem senkt Normung die Kosten aller am Bau Beteiligten in einem nicht unerheblichen Maß.
In der Zwischenzeit besteht für Geokunststoffe eine CE-Kennzeichnungspflicht. Was bedeutet das genau?
Jan Retzlaff: Mittlerweile ist die CE-Thematik in Europa bestens eingeführt. Die CE-Kennzeichnung ist ein Zertifikat für den Markteintritt, eine Voraussetzung also, die jeder Hersteller von Geokunststoffen vorweisen muss, damit er seine Produkte im europäischen Markt vertreiben darf. Die CE-Kennzeichnung ist aber kein Qualitätsmerkmal. Sie zeigt nur, dass der Hersteller über die Kompetenz verfügt, bestimmte Qualitätsuntersuchungen im eigenen Unternehmen durchzuführen. Die unternehmenseigene Qualitätskontrolle wird sozusagen extern auf Plausibilität überprüft.
Stichwort Europa: Wie soll man bei der Normung alle Länder unter einen Hut bekommen?
Jan Retzlaff: Es sind ja nicht nur die nationalen Interessen, die in den Arbeitsgruppen des Europäischen Komitees für Normung (CEN) vertreten sind. Dahinter steckt sehr viel persönliches Engagement der Mitglieder. Diese stammen aus der Industrie, den Forschungseinrichtungen an Universitäten, öffentlichen Einrichtungen, Prüfinstituten und Ingenieurbüros. Alle vereint aber ihre fachliche Kompetenz und das Interesse, die Bauweise mit Geokunststoffen voranbringen zu wollen. Spannend sind die Plenarsitzungen des CEN, bei dem jedes Land mit nur einer Stimme sprechen kann. Da gilt es dann bereits auf nationaler Ebene einen gemeinsamen Konsens zu finden, um bei entsprechenden Anträgen oder Abstimmungen mitwirken zu können. Das ist sehr wichtig, denn europäische Normen sind auch in allen mitwirkenden Ländern Europas in nationale Regelungen umzusetzen. Die deutsche Delegation, die in allen Ausschüssen vertreten ist und sogar drei federführend leitet, hat in den vergangenen Jahrzehnten den hohen Qualitätsanspruch an Geokunststoffe als Baustoff und deren Anwendungen in die gesamte europäische Normung mit eingebracht. Für künftige Projekte hängt damit die Messlatte sehr hoch.
Was ist in naher Zukunft von der Normung für Geokunststoffe zu erwarten?
Jan Retzlaff: In den Anfangsjahren wurden Geokunststoffe bildlich gesprochen als „Lappen“ belächelt und von „Teppichhändlern“ vertrieben. Diese Zeiten sind lange vorbei. Geokunststoffe werden heutzutage erfolgreich als Lösung anspruchsvoller geotechnischer Probleme eingesetzt. Dabei werden Ihre Funktionen Filtern, Trennen, Dränen, Schützen, Bewehren, Verpacken oder Dichten allein, oder in Kombination genutzt. Die Normung hat diese Entwicklung beschleunigt. Momentan wird die Beständigkeit von Geokunststoffen sehr ausführlich diskutiert. Dieser Problematik kann man sich beim Einsatz polymerer Werkstoffe nicht verschließen. Es zeichnen sich Untersuchungsmethoden ab, durch die der Alterungsprozess von ausgewählten Polymeren beschleunigt werden kann und so nach einem überschaubaren Zeitraum Aussagen zur Nutzungsdauer getroffen werden können. Also über einen Zeitraum für den es noch keine Erfahrungen mit Geokunststoffen gibt. Aber auch bestehende Regelungen werden turnusgemäß alle fünf Jahre überprüft. Dadurch fließen neue Erkenntnisse in die Normungsarbeit und Rückmeldungen aus dem Kreise der Anwender mit ein. Das Ganze ist ein sehr dynamisches System, das wir künftig noch weiter verbessern können. Ziel ist es, das bestehende Normenwerk den ständig neu hinzukommenden Anwendungsgebieten anzupassen, die Bauweise auf eine für alle Ingenieure zugängliche Basis zu stellen und damit dem Einsatz von Geokunststoffen die notwendige Akzeptanz zu verschaffen um ihrem Potential gerecht zu werden.