Kanalisation ohne Regenwasser

Herausforderung und Chance

Der demografische Wandel zwingt Kommunen, flexiblere und zugleich Kosten sparendere Wasserinfrastrukturkonzepte als bisher zu schaffen. Dezentrales Regenwassermanagement einschließlich Regenwassernutzung kann dazu beitragen.

Dies stellt eine gewaltige Herausforderung dar, denn in diesem Zusammenhang müssen u. a. die bisher verwendeten Verfahren zur Bemessung von Wasserinfrastruktureinrichtungen so angepasst werden, dass sie die ablaufenden Veränderungen besser berücksichtigen als bisher. Zugleich bieten dezentrale Entwässerungseinrichtungen auch die Chance größerer Flexibilität und Anpassungsfähigkeit  - vor dem Hintergrund ungewisser Auswirkungen des Klimawandels auf das zukünftige Niederschlags- und Abflussgeschehen besonders wichtig!

Die Stadtentwässerung basiert seit ihren Anfängen im 19. Jahrhundert auf der Ableitung von Schmutz- und Regenwasser in zentralen Systemen und gewährleistet einen hohen Standard an Entsorgungssicherheit und Entwässerungskomfort. Die damit verbundenen wasserwirtschaftlichen Nachteile und, insbesondere bei der Umsetzung im ländlichen Raum, stark gestiegenen Kosten, wurden erst in den letzten 20 Jahren wirklich wahrgenommen und, auch in Verbindung mit der Forderung nachhaltiger Ver- und Entsorgungskonzepte, zunehmend kritisiert. Gerade die stark zentrale Ausrichtung führt zu einer geringen Anpassungsfähigkeit bestehender Systeme an veränderte Randbedingungen.

 

Was nützen kleine dezentrale Maßnahmen in Anbetracht des Klimawandels?

Flexibilität und Anpassungsfähigkeit erscheinen als besonders wichtige Eigenschaften und Anforderungen angesichts der erheblichen Ungewissheiten möglicher Auswirkungen des Klimawandels auf das örtliche Niederschlagsgeschehen. Häufigere und intensivere Starkregen und daraus resultierende Überflutungen in Siedlungsgebieten werden auch in Fachdiskussionen als mögliche Folge des globalen Klimawandels erörtert. Allerdings können die Auswirkungen für die Siedlungsentwässerung mit den heutigen Klimamodellen nicht mit ausreichender Zuverlässigkeit prognostiziert und quantifiziert werden. Vor diesem Hintergrund erscheint eine pauschale Erhöhung der Bemessungsansätze zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht empfehlenswert. Vielmehr gilt es, Entwässerungssysteme auf größere Flexibilität und bessere Anpassungsfähigkeit sowie den Erhalt zukünftiger Handlungsspielräume auszurichten (noregret Strategien). Diesen Anforderungen werden dezentrale Maßnahmen der Regenwasserbewirtschaftung bestens gerecht. Das Spektrum unterschiedlicher, auch kombinierbarer dezentraler Maßnahmen zum Rückhalt, zur Abflussvermeidung, Verwertung, Versickerung, Ableitung und Behandlung von Niederschlagswasser verspricht hier deutliche Vorteile gegenüber zentralen Entwässerungsstrukturen. Zukünftig notwendige Anpassungen lassen sich mit dezentralen Maßnahmen zielgenauer und auch zeitnah umsetzen. Gleichzeitig bewirken sie eine Verbesserung der hydraulischen Leistungsfähigkeit bestehender Entwässerungssysteme sowie eine spürbare Reduzierung möglicher Überlastungen und auftretender Gewässerbelastungen.



„Die Stärke dezentraler Konzepte liegt in ihrer Flexibilität und Anpassungsfähigkeit – auch durch die Kombinierbarkeit unterschiedlicher Maßnahmen. Dadurch kann den Ungewissheiten möglicher Auswirkungen des Klimawandels am besten Rechnung getragen werden.“

Prof. Dr.-Ing.Theo G. Schmitt



Demografischer Wandel als Herausforderung und Chance

Als unsere heutigen Wasserver- und Abwasserentsorgungssysteme geplant und gebaut wurden, war der demografische Wandel noch kein Thema. Daher fand er auch bei der Auslegung dieser, für jede Volkswirtschaft so essentiellen, Infrastruktureinrichtungen keine Berücksichtigung. Als zwangsläufige Folge stellen sich allmählich massive Veränderungen ein, die nicht aufzuhalten sind. Im Zuge des demografischen Wandels wird die Bevölkerung in Deutschland bis zum Jahr 2050 nicht nur auf knapp 69 Mio. Einwohner (2007: 82 Mio.) abnehmen, gleichzeitig altert diese deutlich. Der Altenquotient bezogen auf die Altersgrenze von 65 Jahren steigt von heute noch 31,7 auf 64 in 2050. Diese Effekte werden sich auch nach 2050 im besten Fall abschwächen, aber nicht umkehren.

Für die Siedlungswasserwirtschaft bedeutet das eine Veränderung der Wassernachfrage und des Abwasseranfalls, letzteres z.B. durch höheren Medikamentenverbrauch einer älteren Bevölkerung, aber auch durch eine Verschärfung der Mikro-Schadstoff-Problematik. Ein weiterer Aspekt: Mit der Alterung nimmt der Anteil der Erwerbstätigen ab. Dadurch verringert sich das kommunale Steueraufkommen und schränkt die finanziellen Handlungsspielräume der Kommunen zur Modernisierung ihrer Wasserinfrastruktursysteme ein. Der interkommunale Wettbewerb um Steuer zahlende Erwerbstätige wird schärfer. Der Handlungsdruck auf die Kommunen wächst, die Wasserver- und vor allem die Abwasserentsorgungssysteme an die veränderten und sich weiter verändernden Randbedingungen anzupassen, um deren Funktionsfähigkeit auch künftig sicherzustellen. Eine wirksame sowie kosteneffiziente Adaption kann nur gelingen, wenn die Einflüsse des demographischen Wandels ganzheitlich einbezogen werden. Dies bedeutet u. a., dass die bisher verwendeten Verfahren zur Bemessung von Wasserinfrastruktureinrichtungen so angepasst werden, dass sie die ablaufenden Veränderungen besser berücksichtigen als die bisher verwendeten Verfahren. Auch muss die systematische Trennung von Schmutz- und Regenwasser umgesetzt werden. Durch dezentrale Ansätze des Regenwassermanagements (einschließlich der Regenwassernutzung) wird die Möglichkeit geschaffen, kostenwirksame, ebenfalls eher dezentrale Maßnahmen der Abwasserbehandlung einzuführen.



„Unsere Wasserinfrastruktursysteme an die veränderten demografischen Randbedingungen anzupassen ist Notwendigkeit und Chance, die für Gesellschaft und Wirtschaft so wichtigen Infrastrukturen im Sinne der Nachhaltigkeit zu modernisieren.“

Dr.-Ing. Harald Hiessl


 

Anforderungen an den Umgang mit Niederschlagsabflüssen in Siedlungsgebieten

Am 1. März 2010 ist das neue Wasserhaushaltsgesetz (WHG) in Kraft getreten. Ursprünglich als Teil des Umweltgesetzbuches (UGB) geplant, wurde der Teil Wasser nach dem Scheitern des UGB nahezu unverändert herausgelöst und verabschiedet. Stoff- und anlagenbezogene Regelungen sind zukünftig bundeseinheitlich festgelegt. Auch für die Regenwasserbewirtschaftung bringt die WHG-Novelle einige Neuerungen. Nach § 55 (Grundsätze der Abwasserbeseitigung) Absatz 2: „Soll Niederschlagswasser ortsnah versickert, verrieselt oder direkt oder über eine Kanalisation ohne Vermischung mit Schmutzwasser in ein Gewässer eingeleitet werden, …“

Damit gilt nun bundesweit eine Regelung, die in Nordrhein-Westfalen bereits 1995 nahezu gleich lautend eingeführt wurde. Die Formulierung „ohne Vermischung mit Schmutzwasser“ hat in der Fachwelt bereits zu einigen Diskussionen geführt. Natürlich lässt sich hieraus keine Forderung nach einem Rückbau bestehender Mischsysteme ableiten – dies wäre ökonomisch unsinnig. Für Neubaugebiete bedeutet diese Regelung aber das „Aus“ des klassischen Mischsystems.

Eine weitere, gravierende Neuerung bringt § 57 (Einleiten von Abwasser in Gewässer) Absatz 1: „Eine Erlaubnis für das Einleiten von Abwasser in Gewässer (Direkteinleitung) darf nur erteilt werden, wenn 1. die Menge und Schädlichkeit des Abwassers so gering gehalten wird, wie dies bei Einhaltung der jeweils in Betracht kommenden Verfahren nach dem Stand der Technik möglich ist, …“

Gegenüber dem alten § 7a WHG wird damit nicht mehr nur die Schadstofffracht sondern auch die Menge und Schädlichkeit des Abwassers als Kriterium für die Begrenzung eingeführt. Naturgemäß ist dies für die Abwasserart Regenwasser von besonderer Bedeutung. Für die Erarbeitung eines Anhangs „Regenwasser“ zur Abwasserverordnung, der bereits seit einigen Jahren in der Diskussion ist, hat dies zur Konsequenz, dass der Stand der Technik nicht nur Anforderungen an die Begrenzung stofflicher Belastungen, sondern auch an die Menge und sonstige Schädlichkeit (z.B. den hydraulischen Stress) berücksichtigen muss. Der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung einschließlich der Regenwassernutzung kommt hier eine besondere Bedeutung zu, da nur durch diese Maßnahmen die abfließende Regenwassermenge wirklich reduziert werden kann.



„Dezentrale Regenwasserbewirtschaftung ist Stand der Technik!“

Dr.-Ing. Heiko Sieker

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