Lärm und Umweltbelastung minimieren
Wie kann man bei innerstädtischen Baustellen Lärm und Umweltbelastungen minimieren? Bei einem der größten Stadtentwicklungsprojekte Europas wird in Wien eine mögliche Antwort ausprobiert. Dabei kommt Technik aus dem Untertagebau erstmals im klassischen Bau zum Einsatz. Hier das Zwischenfazit, ein Jahr nach Baustart.
Im Mai 2013 fiel der Startschuss für eines der größten Stadtentwicklungsprojekte Europas: die Seestadt Aspern in Wien. Auf rund 240 Hektar – das entspricht 340 Fußballfeldern – entsteht bis zum Jahr 2030 ein komplett neuer Stadtteil mit 10.500 Wohnungen für 20.000 Menschen, Hotels, Gewerberäumen, dem Namen gebenden See, großen Freiflächen und sogar einer eigenen U-Bahn-Station. Die ersten Bewohner werden bereits im Herbst 2014 einziehen können.
Die Erschließung des ehemaligen Flugfelds im 22. Wiener Gemeindebezirk Donaustadt stellte die Planer der Entwicklungsgesellschaft „Wien 3420 Aspern Development AG“ bereits im Vorfeld vor große Herausforderungen. Eine der größten: Vor allem im städtischen Bereich werden umfangreiche Bauprojekte zunehmend zu einem logistischen Puzzlespiel. Transportfahrten, Lagerung, Entsorgung und Recyclen der Materialien müssen ebenso organisiert werden wie Einsatz und Unterbringung des Personals. Und das alles in Einklang mit den stetig steigenden Anforderungen und Auflagen in Bezug auf Umweltverträglichkeit, Sicherheit und sensiblen Umgang mit den Nachbarn. In Zeiten, in denen die Zahl der Neuwidmungen für Bauland sinken und der Trend hin zu innerstädtischer Verdichtung geht, haben intelligente Lösungen für solche Herausforderungen Signalwirkung. Denn in Zukunft werden Bautätigkeiten mitten in der Stadt zunehmen.
Tunneltechnik hilft Bau …
Die Verantwortlichen des Stadtentwicklungsgebietes „aspern Die Seestadt Wiens“ entschieden sich dazu, eine völlig neue Lösung zu entwickeln – und setzten bei der Betreuung und der Koordination ihrer Baustelle auf Technik aus dem Untertagebau und dem Bahnbereich. Den Zuschlag erhielt die RK safetec GmbH. Die erst 2010 gegründete Tochter des Bahntechnik-Spezialisten Rhomberg Sersa Rail Group und der K.E.M. Montage GmbH konnte auf Referenz-Baustellen wie die Zulaufstrecke des Brenner-Basistunnels oder auch den Lötschberg-Basistunnel verweisen, alles Projekte im Bahnbereich und im Tunnelbau. „Die Liste hat uns dennoch überzeugt“, erinnert sich Roman Koselsky, der als Projektleiter „Technische Infrastruktur“ bei der Wien 3420 Aspern Development AG zuständig für den reibungslosen Ablauf der Baustelle ist. „Vor allem, da sich in den Sondierungsgesprächen schnell herausstellte, dass wir ganz ähnliche Vorstellungen davon hatten, wie die Umsetzung der vorgesehenen Maßnahmen Umweltverträglichkeitsprüfung, die logistische Planung und die Sicherheit auf den Baufeldern gewährleistet werden kann.“ So kam es, dass das Team aus Bregenz im österreichischen Bundesland Vorarlberg mit seinen Partnern BERNARD Ingenieure, Ingenos Gobiet und LACON das Umweltmanagement sowie die Baustellenlogistik und -sicherung für eine Baustelle im klassischen Hochbau übernahm.
… bei Transportlogistik und…
Konkret: Die Logistik- und Sicherheitsexperten des Teams BL&UM (Baulogistik und Umweltmanagement) organisieren zunächst für die auf fünf Jahre veranschlagte erste Etappe der Bauphase die gesamte Transportlogistik und kümmern sich um die Einhaltung der Vorgaben der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). Mittel zum Zweck: eine aus dem Tunnelbau adaptierte Softwarelösung.
„Logistisches Ziel war es von Anfang an, alle Fahrten so zu organisieren, dass das Verkehrsaufkommen auf der Baustelle und vor allem im direkten Umfeld auf ein Minimum reduziert wird. Hierfür mussten wir unsere Software erweitern und umprogrammieren“, erläutert Stephan Ottersbach, Geschäftsfeldleiter der RK safetec, und schmunzelt: „Denn logischerweise sind obertägige Großbaustellen ‚offener‘ als ein Bahntunnel mit genau einem Ein- und genau einem Ausgang. Und bieten damit deutlich mehr Möglichkeiten, anders zu fahren als vorgesehen.“ Die erlaubten Zufahrten mussten klar ausgewiesen und verbotene Schleichwege abgesperrt werden. Ein kontrolliertes Zufahrtssystem mit Schrankenanlage inklusive Fahrdatenüberwachung stellt seitdem sicher, dass nur angemeldete und berechtigte LKW Zugang zum Baustellenareal erhalten. Dazu wurden die Transporter mit aktiven digitalen Tags ausgestattet, die das System automatisch erfassen und auslesen kann. Weiterer Vorteil: Registrierte Fahrzeuge können fast ohne Anzuhalten durch die Schrankenanlagen fahren und sparen sich so Standzeiten. Allerdings werden nicht nur die externen Fahrten in und aus dem Bauareal kontrolliert und ausgewertet. Auch interne Transporte, beispielsweise zum eigens vor Ort installierten Betonwerk oder den sogenannten Logistikflächen, werden erfasst. Und last, but not least: Einzelfahrten sollten ebenfalls leicht online anzumelden und durchzuführen sein. „Daher haben wir uns gegen Bar- oder Strichcodes und für Zifferncodes entschieden. Mit Zahlen kommt jeder zurecht, und man kann sie sich leicht telefonisch durchgeben lassen, falls der Berechtigungsschein gerade nicht auffindbar ist“, erklärt Ottersbach.
… Umweltauflagen
Herausfordernd war auch die umwelttechnische Begleitung der ersten Bauetappe. Die Seestadt Aspern ist eines der ersten Projekte dieser Dimension in Wien, das im Zuge einer umfassenden UVP auf Herz und Nieren geprüft wird. Für die Bevölkerung und die Umwelt bedeutet das ein hohes Maß an Sicherheit: Das Bauvorhaben wird nach wissenschaftlichen Methoden untersucht, und die so gefundenen möglichen Folgen für Umwelt und Anwohner können schon im Vorfeld reduziert oder gar ganz vermieden werden. Für die ausführenden Gewerke und die Verantwortlichen bedeutet das allerdings eine ebenso umfassende wie detaillierte Erfassung und Auswertung in Echtzeit. Diese beinhalten die Sicherstellung und Dokumentation der Auflagenerfüllung, die Reduktion und Geringhaltung von Lärm, Staub und Luftschadstoffen im Baustellenbereich. Hinzu kam für das Team BL&UM die Erstellung eines UVP-Begleitbuches für alle beteiligten Unternehmen.
In der so entstandenen Maßnahmendatenbank können jetzt Auflagen gesammelt und laufend aktualisiert werden. In regelmäßigen Reports überprüft BL&UM, ob diese Maßnahmen umgesetzt werden und berichtet an die zuständigen Behörden. Die Dokumentation und Erfassung aller Daten ermöglicht es dem Bauherrn, Messungen und Tabellen gesammelt abzufragen und die Erfüllung der im UVP-Bescheid festgelegten Auflagen zu garantieren.
Fazit
„Unser größtes Problem war allerdings weder die Technik noch die Berechtigungen oder Auflagen“, erinnert sich der zuständige Projektleiter Thomas Holaus. „Es ging vielmehr darum, bei den beteiligten Bauherren und vor Ort tätigen Unternehmen Akzeptanz für unser System und unsere Neuerungen durchzusetzen: Zufahrtskontrollen, Anmeldesoftware, die regelmäßige Baustraßenreinigung inklusive der Reifenwaschanlagen, die die Staubbildung eindämmen – das ist im Baubereich alles noch eher unbekannt.“ Diese Einschätzung bestätigt Horst Wiener von Mobile Betonkonzepte GmbH, der in der Seestadt eine Kiesaufbereitungsanlage sowie zwei mobile Betonwerke errichtete und betreibt: „Wir haben uns anfangs schwer getan, die Notwendigkeit dieses ‚Überwachungssystems‘ mit den Zufahrtsbeschränkungen zu akzeptieren“, sagt er. „Das Verständnis kam aber schnell, da das System bequem zu bedienen ist und sich rasch erste Erfolge zeigten.“
Einer davon: Bislang konnten rund 140.000 LKW-Fahrten durch die intelligente Bauabwicklung und die Massenlogistik eingespart werden. Sehr zufrieden ist auch Roman Koselsky vom Auftraggeber Wien 3420 Aspern Development AG: „Die Einhaltung der UVP-Maßnahmen zum Schutz der Umwelt und der Bevölkerung ist eine immense Herausforderung – allein die von uns erstellte Umweltverträglichkeitserklärung für den aktuellen Bauabschnitt umfasst über 10.000 A4-Seiten. Hier zu jedem Zeitpunkt zu wissen, was der aktuelle Status ist und wo justiert werden kann, ist die Anforderung, die wir unter Leitung und mithilfe der Experten des BL&UM Teams sowie entsprechender EDV Unterstützung täglich meistern.“ Auch Investoren und Bauherren erhalten auf Knopfdruck alle Informationen zum Standort und so eine ausgezeichnete Grundlage für Behördenverfahren. Zudem ist die Akzeptanz der Großbaustelle – den drei Lärmmessanlagen in der Seestadt und im direkten Umfeld sowie den zwei Reifenwaschanlagen für LKWs sei Dank – bei den Anwohnern hoch.
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