Leitungsbau-Kraftakt in Gießen
Sieben-Tonnen-Rohre im Schildvortrieb unter Bahntrasse hindurch gepresst
Spektakuläres Leitungsbauprojekt in Gießen: Im Rahmen der Erneuerung einer Haupt-Ausfallstraße musste die Trasse der Vogelsberg-Bahn durch einen Leitungstunnel unterquert werden. In dem von der Ingenieurbüro Ohlsen GmbH (Grünberg) geplanten Projekt wurde der Tunnel aus je sieben Tonnen schweren Stahlbetonrohren binnen einer Woche im „offenen Schildverfahren“ unter dem Bahngleis hindurch gepresst – trotz geringer Überdeckung ohne Unterbrechung des intensiven Personen- und Güterzugverkehrs. Der neue Tunnel nimmt neben einem Abwasserkanal DN 700 die meisten Versorgungsleitungen der neuen Licher Straße auf.
Zu den größten Straßenbauvorhaben in Mittelhessen gehört die Kompletterneuerung der Licher Straße in Gießen zwischen der Innenstadt und dem Autobahnanschluss im Auftrag des Gießener Magistrats. Bei dem vom Ingenieurbüro Ohlsen GmbH, Grünberg, geplanten und aus Mitteln des „Konjunkturprogramms II“ geförderten Projekt wird nicht nur der marode Fahrbahnaufbau der viel befahrenen Straße von Grund auf erneuert. Auf einer Länge von 1,7 km verlegt der Generalunternehmer Faber & Schnepp GmbH auch einen großen Teil der unterirdischen Ver- und Entsorgungsleitungen neu – darunter ein Abwasserrohr DN 700.
Die technisch sensibelste Stelle des gesamten Vorhabens wurde in der zweiten Septemberwoche mit spektakulärer Bautechnik durch Experten der Otto Krippner GmbH aus Kleinheubach bewältigt: Im Verlauf der Baumaßnahme musste die Trasse der Bahnstrecke Gießen-Fulda unterquert werden. An eine Erneuerung der Leitungen in herkömmlicher „offener“ Bauweise war angesichts des intensiven Bahnverkehrs gar nicht zu denken. Die Planungen der Ingenieurbüro Ohlsen GmbH sahen statt dessen eine „grabenlose“ technische Variante vor, bei der einStahlbetontunnel unter der Bahn hindurch gepresst wurde – bei nur knapp zwei Meter Erdüberdeckung zwischen Rohr und Bahngleis ein anspruchsvolles Vorhaben. In dem 17 m langen „Leerrohr“ werden später die anderen, die Bahn kreuzenden Leitungen gebündelt: Das Abwasserrohr in der Sohle verlegt, die anderen Rohre darüber an der Decke des Tunnels aufgehängt. Bei diesem nicht alltäglichen Bauvorhaben wurden sechs jeweils sieben Tonnen schwere Stahlbetonrohre mit einem Außendurchmesser von knapp zwei Metern von einer mächtigen Presse unter dem Gleis durch das Erdreich hindurch gepresst. Als Start und Ziel der Pressung wurden dies- und jenseits der Bahn zwei große Baugruben ausgehoben. In einer davon fand das 10 t schwere Pressgerät Platz. Es drückte im ersten Arbeitsgang ein stählernes Schneidrohr mit rund zwei Metern Durchmesser ins Erdreich, das zuvor in einem geologischen Gutachten auf mögliche Fremdkörper untersucht worden war.
Boden mit Baggerschaufel abgebaut
Nach dem DWA Arbeitsblatt 125 für Rohrvortrieb und verwandte Verfahren wird das in Gießen eingesetzte nicht steuerbare Verfahren als „offenes Schildverfahren mit teilflächigem Abbau mit Teilstützung“ bezeichnet. Zum Einsatz kam eine Teilschnittmaschine der Herrenknecht AG. Dabei wurde innerhalb des Schneidrohres der Boden mit einer Baggerschaufel abgebaut, über ein Förderband nach hinten in die Baugrube abgeführt und in regelmäßigen Abständen per Lkw abgefahren. In den entstehenden Stollen schob die hydraulische Presse nach und nach die jeweils sieben Tonnen schweren und zwei Meter langen Einzelelemente des Betontunnels ein. Die beiden mächtigen, ölhydraulischen Teleskop-Stempel des Geräts können eine Last bis maximal 616 t pressen. Der an der Ortsbrust abgebaute Boden wurde durch den stetig anwachsenden Stahlbetontunnel laufend weiter entfernt. Für eine präzise axiale Ausrichtung des Bauvorgangs sorgte unterdessen ein Bau-Laser.
Der bautechnische „Kraftakt“ dauerte – nach Einrichtung der Baugruben – insgesamt fünf Arbeitstage. Für Diplom-Ingenieur Otfried Heineck, Geschäftsführer der Grünberger Ingenieurbüro Ohlsen GmbH und verantwortlicher Planer des gesamten Projektes „Licher Straße“, war die Tunnelpressung unter der Vogelsberg-Bahn ein echtes technisches Highlight - nicht nur im Rahmen des Gießener Vorhabens. Sein Büro ist seit Jahren auf Bau- und Sanierungsmaßnahmen mit „grabenlosen“ Bautechniken spezialisiert. Solche High-Tech-Bauverfahren werden im Leitungsbau überall da bevorzugt eingesetzt, wo aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht gebaggert werden kann. Otfried Heineck dazu: „Wir haben in puncto grabenloser Bau- und Sanierungsverfahren praktisch alles gesehen und angewendet, was es auf dem Markt in dieser Hinsicht gibt – eine Rohrpressung solcher Größenordnung und unter diesen heiklen Randbedingungen ist und bleibt aber auch heute noch etwas ganz Besonderes!“n