Neue Wohnungen braucht das Land
Einmal Bauen und ein lebenslang im gleichen Haus wohnen gibt es nicht mehr.
Soziale, ökonomische und ökologische Veränderungen der Bewohner verändern auch die Angebote aus der Baubranche. Lesen Sie im tHIS–Interview mit Dietmar Walberg, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen, welche neuen Anforderungen auf die Bauunternehmer im Wohnungsbau zu kommen.
Soziale Veränderungen bilden zunehmend neue Kundengruppen mit heterogenen Bedürfnissen. Wie sieht in diesem Zusammenhang Ihrer Meinung nach die Nachfrage nach Wohnraum in der Zukunft aus?
Die Nachfrage nach Wohnungsbau wird sich in der Zukunft wieder auf den stadträumlichen Zusammenhang konzentrieren. Die Nutzerstruktur der Zukunft wird sich deutlich diversifizieren:
Kleinere Haushalte, Alleinerziehende mit einem oder mehreren Kindern, Patchworkfamilien mit mehreren Wohnungen und Berufsstandorten, Wohngemeinschaften verschiedener Art, Familien und Arbeitnehmer mit hohem Anspruch an Mobilität und Flexibilität werden insgesamt eine besondere Vielfältigkeit der Wohnungsangebote nachfragen. Die Anforderungen an barrierefreies Bauen, generationengerechtes Bauen und Wohnen werden steigen. Die Zukunft liegt im innerstädtischen Geschosswohnungsbau mit vernünftiger, infrastruktureller Ausstattung und Versorgung, verkehrsgünstig gelegen.
Steigende Mobilität vor allem im Beruf und zunehmende Singlehaushalte verringern den Wunsch selbst zu bauen. Welche Anforderungen kommen durch diese Veränderungen auf den Bauunternehmer zu?
Das freistehende Ein- und Zweifamilienhaus wird in seiner Bedeutung zurückgehen. Die Bauweise ist mit hohem Flächenbedarf und Ressourcenverbrauch verbunden. Die Zukunft gehört dem innerstädtischen Geschosswohnungsbau in seiner komplexen, zukunftsfähigen Bandbreite. Investitionsformen wie Baugemeinschaften in verschiedensten Rechtsformen von GbR über neu zugründende Genossenschaften bis hin zu Vereinen etc. werden die Auftraggeber der Zukunft sein. In diesem Zusammenhang wird auch die Planungsphase wieder eine größere Rolle spielen, d.h., dass der Architekt und Ingenieur sowie der Projektentwickler zwischen Auftraggebern und Bauunternehmern eine wichtige Funktion einnehmen wird. Das direkte Verhältnis vom Bauunternehmer zu Auftraggeber wird vor diesem Hintergrund eher zurückgehen.
Ökologisches Bewusstsein und steigende Rohstoffkosten fordern eine Umstellung auf energieeffizientes Bauen bzw. Modernisieren. Welche Prognosen lassen sich durch diesen Trend ihrer Meinung nach ableiten?
Auch vor dem Hintergrund der Anforderungen an energieeffizientes Bauen und Modernisieren geht der Trend hin zum ressourcen- und flächensparendem Bauen und Wohnen. Auch hier ist der Geschosswohnungsbau klar im Vorteil. Ein noch so energieeffizientes Gebäude, das fern der Infrastruktur der Stadt und verkehrstechnisch ungünstig angebunden ist, kann dem mehrgeschossigen Wohnungsbau keine Konkurrenz machen. Das Bauen wird sich immer mehr an wirtschaftlichen Grundsätzen orientieren müssen. Der Trend wird nicht hin zu „super-optimierten“ Gebäuden wie dem Passivhaus oder ähnlichem gehen, sondern zu einer ausgewogenen Mischung von vernünftigem Dämmstandard hin zu einer Versorgung mit primärenergetisch positiv ausgestatteten Energieträgern. Fern- und Nahwärme aus ökologischen Quellen, Strom aus Windenergie etc. werden die Wärmeversorgung der Zukunft sichern. Das Bauen wird vielfältig bleiben:
Plusenergiehäuser, Sonnenhäuser, Niedrigenergiehäuser verschiedener Standards in ihrer gesamten Bandbreite werden den Gebäudebestand der Zukunft dominieren.
Bei der Modernisierung des Gebäudebestands muss berücksichtigt werden, dass 95 % aller energetischen und sonstigen Modernisierungen Teilmodernisierungen sind. Gerade der private Hauseigentümer oder privater Vermieter scheut vor umfangreichen Modernisierungen zurück und wird Maßnahmen auch künftig durchführen, die seiner Liquidität entsprechen. Hier gilt es Anreize zu schaffen, ihn steuerlich zu entlasten und Förderung auf niedrigschwellige Modernisierung auszurichten. Diese Teilmodernisierungen leisten einen wichtigen Beitrag zur Gesamtmodernisierung des Gebäudebestands. Wir werden uns diesem Thema stellen müssen. Wir müssen die Vermieter und Hauseigentümer mitnehmen.
Gesetzliche Förderungen im Wohnungsbau wurden abgeschafft bzw. nur unzureichend ersetzt. Für welche Rahmenrichtlinien plädieren Sie?
Die Förderung des Wohnungsbaus ist in den Bundesländern unterschiedlich ausgeprägt. Den größten Anteil am geförderten Wohnungsbau gibt es noch in Schleswig-Holstein, ununterbrochen seit 1949 und auch in der Zukunft sehr gut ausgestattet. Einige Bundesländer folgen diesem Beispiel. Berlin beginnt mit neuem geförderten Wohnungsbau, auch in Hamburg hat ein Umdenken in Richtung einer breiten Wohnungsbauoffensive angesetzt. Sozialer Wohnraum ist eine Zukunftsaufgabe in Deutschland und wird in seiner Bedeutung drastisch steigen. Die soziale Wohnraumförderung muss in allen Bundesländern wieder ähnliche Bedeutung haben, wie sie diese bereits in Schleswig-Holstein derzeit hat.
Für viele potentielle Bauherren ist die Finanzierung von Baumaßnahmen ein Problem. Sind die traditionellen Finanzierungsinstrumente wie Bausparen aus Ihrer Sicht heute noch zeitgemäß?
Traditionelle Finanzierungselemente wie Bausparen werden auch zukünftig ihre Bedeutung haben. Tendenziell werden sie allerdings eher im Anteil zurückgehen und durch flexiblere Instrumente ersetzt werden müssen.
Der Investor der Zukunft denkt in kürzeren Zeitabschnitten, sich verändernden Lebensabschnitten und der an ihn gestellten Mobilitätsanforderung geschuldeten Standortflexibilität. Im Hintergrund wird auch das Wohneigentum eher abnehmen und durch andere Eigentumsformen wie Genossenschaften, Teileigentum oder ähnliche Beteiligungsformen ersetzt werden.
Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V.; Dipl.-Ing. Architekt, Geboren 1962 in Kassel, Studium in Berlin und Kiel bis 1991, bis 2000 Projektleitender Architekt in Rastede, Berlin und Kiel, seit 2000 bei der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V.; seit 2010 GF der ARGE eV und ARGE SH; diverse Veröffentlichungen zu bautechnischen und bauwirtschaftlichen Themen.
Mitglied und Projekte u.a.: Lenkungsgremium Grund- und Planungsnormen NA Bau beim Deutschen Institut für Normung DIN; Wissenschaftlicher Beirat des Vereins zur Förderung der Nachhaltigkeit im Wohnungsbau (NAWOH), Messebeirat NordBau; Technischer Ausschuss des Verbandes Norddeutscher Wohnungsunternehmen; Koordinator Netzwerk Innovative Dämmtechniken; BEEN Baltic Energy Efficiency Network; Urban Energy, Build with CaRe - Mainstreaming Energy efficiency in the built environment (BWC); Netzwerk Niedrigenergiehaus im Bestand – Regionaler Partner Nord der dena und KfW.
Die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V., gegründet im Jahr 1946 als Gesprächsplattform aller am Bau Beteiligten ist Institut für Bau- und Wohnberatung und Technische Qualitätssicherung in Norddeutschland, Bauforschungseinrichtung in der Bundesrepublik Deutschland seit 1950, Rationalisierungsinstitut und Bauinstitut für den Wohnungsbau des Landes Schleswig-Holstein seit 1972; Verlag und Veröffentlichungen seit 1947.
www.arge-sh.de