„Ohne gute Software-Unterstützung ist man verloren“
Statik-Software als Basis für BühnenbauGespräch mit Dipl.-Ing. Dr. techn. Gerhard Lehner, Gründer und Mitinhaber des Ziviltechnikerbüros ZT Lener und Schmidt Ingenieure, über Herausforderungen
der Konstruktion für die Rigoletto-Inszenierung der Bregenzer Seebühne.
THIS: In Ihrem Planungsbüro entstehen immer wieder beeindruckende Konstruktionen, etwa für die Bregenzer Seebühne zur aktuellen Rigoletto-Inszenierung. Wie lange arbeiten Sie inzwischen mit der Bregenzer Seebühne zusammen?
Dr. Gerhard Lener: Ich mache das seit 20 Jahren, der Rigoletto ist also schon mein zehntes Bühnenbild. Diese Bühnenbilder für die Bregenzer Festspiele sind richtige Bauwerke, mit hohen Anforderungen an die Konstruktion, die Statik, die Mechanik, die Technik, und die Materialien.
THIS: Wie kommt man an so einen Auftrag, und, vielleicht der spannendere Teil der Frage, wie behält man ihn?
Dr. Gerhard Lener: Ich bin vor 20 Jahren mal als Prüfingenieur beigezogen worden. Und die Festspiele waren wahrscheinlich mit mir zufrieden. So haben sie dann beim nächsten Bühnenbild nachgefragt, ob ich nicht nur die Statik prüfen, sondern auch die Konstruktion machen will. Natürlich habe ich zugesagt.
Mein Vorteil war, dass ich durch meine Arbeit als Prüfingenieur bereits wusste, wie bei den Festspielen in Bregenz die Arbeitsabläufe sind, wie dort solch ein Projekt durchgezogen wird, wo welche Gefahren lauern. Und wenn man die Herausforderung zur Zufriedenheit meistert und sich keine groben Schnitzer erlaubt – das ist mir glücklicherweise erspart geblieben – dann kann man das 20 Jahre durchziehen.
THIS: Wie unterscheiden sich solche Bühnenbilder von anderen Bauprojekten?
Dr. Gerhard Lener: Die Projekte für die Bregenzer Seebühne sind keine Standardprojekte, die man aus der Schublade nehmen kann. Alles fängt komplett bei Null an. Die Sicherheitsanforderungen sind extrem hoch, weil sich immer teile des Bühnenbildes bewegen, weil es oft in die Höhe geht, und die Schauspieler sich frei auf der Bühne bewegen. Auch der Zeitdruck ist immens. Es kommt noch etwas anderes dazu. Normalerweise sind unsere Auftraggeber entweder die öffentliche Hand oder private Unternehmen, die ein sehr tiefes technisches Hintergrundwissen haben. In diesem Fall haben Sie es mit Bühnenbildnern zu tun – die kommen schon aus einer anderen Welt. Ich habe Entwürfe auch schon als Kreideskizze bekommen.
THIS: Ich hätte jetzt schon erwartet, dass man da ordentliche Zeichnungen bekommt ...
Dr. Gerhard Lener: Inzwischen arbeiten viele Bühnenbildner mit CAD-Systemen, und man erhält eine sehr brauchbare Ausgangsbasis. Es ist aber noch gar nicht sehr lange her, dass man ein maßstabsgerechtes Modell im Maßstab 1:100 oder so bekam, das man dann nachbauen sollte. Das ist natürlich eine ungleich größere Herausforderung, die wir bisher aber immer bewältigen konnten.
Und natürlich gibt der Bühnenbildner vor, was er haben möchte. Denn das Erscheinungsbild ist ja extrem wichtig, um die Oper oder eine Szene zu unterstützen. Bregenz ist darüber hinaus noch ein Sonderfall, weil hier das Bühnenbild stark in den Vordergrund rückt; solche Möglichkeiten hat man in normalen Opernhäusern eher nicht.
THIS: Wie läuft das Zusammenspiel zwischen Bühnenbildner und Planungsingenieur?
Dr. Gerhard Lener: Ausgesprochen gut. Für die Idee des Rigoletto-Bühnenbildes ist Herr Philipp Stölzl verantwortlich, ein bekannter Video-, Film- und Opernregisseur. Er entwickelte zusammen mit dem Bühnenbildner Vorgaben, mit denen wir gebrieft wurden: Was soll ans Publikum vermittelt werden, welche Bühnenelemente haben welche Aufgabe usw.
Anschließend beginnen wir mit der Planung für die technische Umsetzung. Da darf man als Techniker nicht stur sein, sondern muss den Bühnenbildnern auch wirklich zuhören. Das ist die Voraussetzung für eine wirklich gute Zusammenarbeit.
THIS: Das stelle ich mir gelegentlich schwierig vor.
Dr. Gerhard Lener: Man muss halt viel miteinander sprechen, muss sich, wenn Sie das so nennen wollen, erst mal zusammenraufen. Aber selbst wenn wir „nur“ für die technische Umsetzung verantwortlich sind, spüre ich auch immer eine Offenheit für unsere Vorschläge zur technischen Umsetzung, und den Respekt, dass wir Ingenieure auf die Vorstellungen von Regisseur und Bühnenbildner eingehen und versuchen, ihre Wünsche umzusetzen.
THIS: Was war beim Rigoletto-Bühnenbild die größte
Herausforderung?
Dr. Gerhard Lener: Musik und Bewegung in Einklang zu bringen. Die Musik gibt das Tempo auf der Bühne vor. Wenn sich auf einer normalen Bühne in einem Festspielhaus oder einem Theater der Schauspieler beispielsweise von links nach rechts über die Bühne bewegen soll, sind das vielleicht 15 oder 20 Meter. Die Festspielbühne ist 70 Meter breit. Wenn die gleichen Handlungen in der gleichen Zeit passieren sollen, sind Beschleunigungen und Geschwindigkeiten viel zu hoch.
Und nun haben wir hier diesen mit 12 Metern riesigen Kopf, der auf einem Ausleger sitzt, der 34 Meter lang ist. Wir haben davon zuerst ein 3D-Modell erzeugt, mit dem wir die ganzen Bewegungen simulieren können, wir haben die Musik hinterlegt, wir haben in unserem CAD-Modell Mechanismen eingebaut, mit denen wir alles steuern können.
Die ursprünglich geplanten Bewegungsabläufe hätten eine Leistungsaufnahme des Bühnenbilds von 2,4 Gigawatt erfordert. Darüber hinaus wären die Beschleunigungen in einigen Situationen so enorm gewesen, dass es die Schauspieler von den Füßen geholt hätte – singen wäre unter diesen Bedingungen nicht möglich gewesen. Hier muss man natürlich mit dem Bühnenbildner ins Gespräch gehen, muss Input geben, Vorschläge entwickeln. In dieser Hinsicht haben wir einige sehr, sehr gute Erfahrungen gemacht.
THIS: Wie lange arbeiten Sie an solch einem Projekt?
Dr. Gerhard Lener: Insgesamt liegt die Bearbeitungszeit für das komplette Bühnenbild bei zwei Jahren. Wir sind ja vom ersten Entwurf bis zur Abnahme die ganze Zeit dabei.
Wir bekommen zuerst ein grobes Modell. Das ist mit einer Software erstellt, die aus der Filmtechnik kommt. Das müssen wir dann in ein Konstruktions-CAD-Modell übertragen. Das Modell lässt sich nicht konvertieren, wir müssen es also Stück für Stück nachbauen.
THIS: Klingt nach einer mühseligen Fleißarbeit.
Dr. Gerhard Lener: Sicherlich, aber das ist eine ganz wichtige Aufgabe. Wenn ich das CAD-Modell für mich aufbaue, sehe ich sofort, wo es klemmt oder wo es Probleme geben kann. Sie müssen also das Modell wirklich selbst aufbauen, sonst übersehen Sie sehr häufig Details, die nicht unbedingt funktionieren können. Und auf der Basis kann man dann Anpassungen vornehmen, um die durch den Bühnenbildner gewünschte Funktionalität sicherzustellen.
THIS: Wann haben Sie Ihr erstes digitales Modell entwickelt?
Dr. Gerhard Lener: Bei mir gibt es das digitale Modell seit dem Jahr 1995.
THIS: Oh, da waren Sie aber früh dabei.
Dr. Gerhard Lener: Nicht ganz freiwillig, zugegeben. Wir hatten einen Kunden, der seine Konstruktionen auf 3D umgestellt hat. Aber wir haben die neue Technologie sehr schnell aufge-
nommen.
THIS: Was hat sich hier im Laufe der Jahre geändert?
Dr. Gerhard Lener: Ohne drei Monate Einschulung konnte kein Mitarbeiter die damaligen Programme bedienen. Heute lassen sich diese Programme fast intuitiv bedienen. Natürlich hat sich auch der Funktionsumfang deutlich erhöht.
THIS: Mit welcher Software haben Sie das Rigoletto-
Bühnenbild entworfen?
Dr. Gerhard Lener: Wir arbeiten mit SCIA, einer Statik- und Tragwerks-Software. SCIA ist für uns die Standard-Software, wenn es um Stabwerkskonstruktionen geht, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Wir müssen eine prüffähige Statik abgeben, und die ist zu dimensionieren. Die Dimensionierung erfolgt nach den gültigen Normen bzw. Euro-Codes. Für Stahl ist der Euro-Code 3, für Beton 2, für Holz 5. Eine Besonderheit dieser Normen ist, dass sie sehr gute Modelle, auch aber sehr, sehr aufwendige Nachweise hinterlegt haben.
Und SCIA hat den Vorteil, dass gerade diese Nachweise in dieser Software wirklich gut programmiert worden sind. Wenn Sie beispielsweise für das Rigoletto-Bühnenbild einen Berechnungslauf in SCIA durchführen, bekommen Sie die Lösung des Gleichungssystems und die Ermittlung der Verformungen und Schnittgrößen innerhalb von wenigen Minuten. Die nachfolgende Nachweisführung dauert deutlich länger.
THIS: Warum ist das so entscheidend?
Dr. Gerhard Lener: Wir haben hier vorhandene Gegebenheiten, den Kran, oder das Fundament. Als wir uns diese Rahmenbedingungen anschauten, war sehr schnell klar, dass wir auf Leichtbauweise umstellen müssen. Dieses ganze Bühnenbild ist keine Stahlkonstruktion mit ein bisschen Holz dran. Wir haben hier eine Holz-Stahl-Verbundkonstruktion, Teile davon sind GFK-Stahl-Verbundkonstruktionen.
Die Form der Statik-Nachweise ist schon so sehr aufwendig, erst recht mit diesem Mix aus unterschiedlichen Materialien. Wenn Sie da keine gute Softwareunterstützung haben, sind Sie verloren. Und das ist der riesige Vorteil von SCIA, dass es eben diese ganzen normenmäßigen Nachweise enthält und programmiert hat.
Ziviltechniker GmbH Lener und Schmidt Ingenieure
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