Relevanz des Freiraums
Außenanlagen gegen Langeweile in FlüchtlingsunterkunftDer Freiraum rund um ein Flüchtlingsheim kann eine besondere Relevanz für die Integration besitzen. Beispiel hierfür ist der gestaltete Außenraum bei einem Flüchtlingsheim in Hannover, das im Februar 2016 bezogen wurde.
Bei der Errichtung von Unterkünften für Flüchtlinge standen in den letzten Jahren vor allem zwei Aspekte im Vordergrund: Schnell musste es gehen und kostgünstig sollte es sein. Das ist verständlich – bedenkt man, dass alleine im Jahre 2016 über 300.000 asylsuchende Menschen nach Deutschland kamen, die es unterzubringen galt. So entstanden die meisten Unterkünfte in einfachster Container-Bauweise mit dem nötigsten Komfort – nach dem Motto: „Hauptsache ein Dach über dem Kopf“. Nicht nur aus Kostengründen standen dabei die rein funktionalen Aspekte im Mittelpunkt, wohingegen die Gestaltung des Außenraums häufig vernachlässigt wurde. Dass aber insbesondere der Freiraum rund um ein Flüchtlingsheim eine besondere Relevanz für die Integration besitzen kann, zeigt das Beispiel des Flüchtlingsheims an der Steigertahlstraße in Hannover, das im Februar 2016 bezogen wurde.
Anfang 2017 lebten in Hannover etwa 4.000 asylsuchende Menschen. Rund 100 davon in der neu errichteten Unterkunft im Stadtteil Linden. Das Besondere daran: Die Unterkunft hebt sich in vielerlei Hinsicht deutlich von den üblichen Standardlösungen ab. Statt trister Container oder Traglufthallen kommen für den Hochbau hier Holzmodule zum Einsatz, deren Fassaden mit attraktiven bunten Glasfeldern gegliedert sind. Die Anlage besteht aus drei zweigeschossigen Wohnzeilen und einem zweigeschossigen Gemeinschafts- und Verwaltungsgebäude. Diese Gebäude umschließen hofartig den gemeinsamen Freibereich. Die Zimmer der Flüchtlinge sind zu Wohneinheiten von jeweils drei bis fünf Zimmern zusammengefasst. Als zentraler Raum ist die Wohnküche gleichzeitig auch die Erschließung der Wohnung. Statt Treppenhaus oder Flur gibt es eine direkte Verbindung von der Haustür zum Außenbereich. Dieser nahm bei der Planung der Anlage eine ganz besondere Rolle ein.
Leben in einem gestalteten Außenraum
Landschaftsarchitektin Sonja Griebenow vom Planungsbüro Linnea aus Hannover schildert den planerischen Ansatz: „Unser Ziel war es von Anfang an, dem Freiraum rund um die Wohnanlage eine besondere Relevanz zu geben. Nach unserer Vorstellung sollte eine derartige Unterkunft nicht einfach nur das Wohnen in einem Raum ermöglichen, sondern wenn irgendwie möglich ein lebenswertes Leben in einem gestalteten Außenraum bieten.“ Die Begründung liegt auf der Hand. Sonja Griebenow fährt fort: „Qualitätsvolle Außenanlagen mit Treffpunkten, Sport- und Spielmöglichkeiten können Problemen wie Langeweile, Frust und Unterforderung entgegenwirken. Ganz große Bedeutung haben auch Rückzugsorte im Außenraum, die die beengte Wohnsituation entschärfen. Deshalb haben wir grundsätzlich eine Zonierung angestrebt, die von der Zurückgezogenheit der eigenen Wohnung schrittweise in die Öffentlichkeit der Gesamtanlage führt. Experten berichten, dass Menschen gerade in der ersten Zeit nach Ihrer Ankunft sehr zurückgezogen leben und sich erst Schritt für Schritt herauswagen. Diese Zonierung war vielfach in der Architektur bereits angelegt, wir haben versucht, sie im Außenraum fortzusetzen. Die Gebäude bilden gemeinsam einen großen Hof, in dessen Mitte das Gemeinschaftshaus steht. Die Vortreppen der Wohnungen sind eine halbprivate Zone. Dass diese so funktionieren, zeigt bereits nach wenigen Wochen Nutzung die individuelle Gestaltung vieler dieser Treppen mit z.B. Blumenkästen oder Teppichen. Der nächste Schritt ist der umlaufende Weg mit den daran angeordneten Bänken, die zwischen diesen Wohntreppen stehen. Eine Platzfläche mit Sportangebot (Tischtennis) und Sitzgruppen vor dem Gemeinschaftshaus bildet dann den Mittelpunkt der Anlage.“ Um auf engstem Raum das Optimum herauszuholen haben die Planer auch versucht Flächen mehrfach zu nutzen: „Die Zufahrt zu den Stellplätzen haben wir z.B. mit einem Streetballkorb ausgestattet, um den Flächen damit einen doppelten Nutzen zu geben“, so Griebenow.
Kostengünstige Lösung
Wie aber gelang es den Verantwortlichen, den vorgegebenen Kostenrahmen für die Befestigung der etwa 1000 Quadratmeter großen Flächen rund um das Heim einzuhalten? „Bei der Auswahl des Pflastermaterials haben wir uns ganz bewusst nach einer Lösung umgesehen, die kostengünstig ist aber dennoch gut in das Umfeld passt“, erklärt Sonja Griebenow. Hier konnte das Pflastersystem „Quadroton-Fusion“ aus dem Betonwerk Heinrich Niemeier in Diepholz punkten. Es handelt sich dabei um ein eher schlichtes graues Betonpflaster mit Mini-Fase. Preisaufschläge für Farbe oder Oberflächenbehandlung sowie Aufwand für Schnitt gab es hier nicht. Dennoch passte dieses Quadratische System perfekt zur modernen Architektur der Anlage. Der überwiegende Teil der Flächen wurde im Format 20 x 20 cm befestigt, lediglich der Hof im Format 40 x 40 cm. Damit gelang es den Verantwortlichen, das Areal in einen angenehm ruhigen Rahmen zu setzen.
Und die Kosten? Die Kosten für das Gesamtprojekt lagen bei ca. 4,7 Millionen Euro. Davon machen die Außenanlagen nur etwa 5 Prozent aus. Berücksichtigt man lediglich die reinen Baukosten für die befestigten Flächen in Höhe von 51.000 Euro, dann betrugen diese sogar nur etwas über ein Prozent der Baukosten. Der für die Bewohner so wichtige und vielfach in seiner Bedeutung unterschätze Freiraum konnte auf diese Weise relativ günstig realisiert werden.
Verbundnockensystem beugt Verschiebungen der Flächenbefestigung vor
Trotz der gewählten Standardlösung kann das Pflaster aber noch mit einer weiteren Eigenschaft punkten: Dank eines Verzahnungssystems angeformter Verbundnocken wird eine kraftschlüssige Verbindung der Steine und somit ein dauerhafter Schutz gegen Verschiebungen innerhalb der Fläche gewährleistet. Damit sind die befestigten Flächen – insbesondere die Zufahrten zu den Stellplätzen – auch gegen höhere Belastungen gewappnet. Dass es sich bei dem gesamten Projekt um eine Besonderheit handelte beweist auch seine Anwesenheit im Deutschen Pavillon auf der Architektur-Biennale 2016 in Venedig.