Richtungswechsel für Niederschlagswasser?
Regenwasserbewirtschaftung in Industrie, Gewerbe und auf öffentlichem Grund
Stadtplanung schafft die Voraussetzungen für Lebensqualität im Siedlungsgebiet. Entwässerungs-Sicherheit ist ein traditioneller Teil davon. Neu dazu gekommen ist Regenwasserbewirtschaftung, ein Kanon von dezentralen Maßnahmen zum Umgang mit Regenwasser vor Ort. Das Ziel sind ökologische und ökonomische Vorteile, die bei Industrie, Gewerbe und auf öffentlichem Grund ein lohnenswertes Ausmaß erreichen können.
Konsequent umgesetzt, verändert Regenwasserbewirtschaftung die Stadt- und Architekturplanung. Der Niederschlagsfluss nimmt eine andere Richtung:
n Versickerungsmulden beanspruchen topografische Tiefpunkte.
n Bei geringem Gefälle im Gelände und flachen Muldenprofilen gelingt die Regenableitung nicht mit Rohren.
n Offene Gräben und Rinnen nahe an der Oberfläche sind erforderlich.
n Oberflächige Ableitung des Regenwassers hat Einfluss auf das Profil der Straßen und Plätze.
n Alternativ zur Versickerung kann Regenwasser über Gründächer verdunstet oder in Zisternen gesammelt und genutzt werden.
n Gründächer mit gutem Preis-Leistungsverhältnis erfordern geeignete Dachformen.
n Gründächer müssen bei den statischen Berechnungen berücksichtigt werden.
n Regenspeicher liegen mit ihrem Zulauf unterhalb der Sammelflächen, mit ihrem Überlauf idealerweise oberhalb der Versickerung. Die Haustechnik des Gebäudes muss darauf abgestimmt werden.
Wozu speichert eine Versicherung wie die Nürnberger Beteiligungs-AG in ihrem Neubau ca. 13 000 m³ Niederschlagswasser? Der einzige Verwendungszweck, Löschwasser für Sprinkler, erfordert lediglich 380 m³ Vorrat. Die restliche Wassermenge ist der Abfluss der begrünten Dachflächen, zur Verdunstung zwischengespeichert im Innenhof des Bürokomplexes, bis zu einer Wasserhöhe von 1,5 m, denn versickern lässt es sich an diesem Ort nicht.
Die Nürnberger Versicherung hat ihre Baugenehmigung in den 90er Jahren mit der Auflage erhalten, Niederschläge zurückzuhalten und nach Möglichkeit dem Naturkreislauf zurückzugeben. Nur in Ausnahmesituationen dürfen sie hier gedrosselt in den städtischen Kanal abgeleitet werden. Der Grund war die fehlende Kapazität des Regenrückhaltebeckens und des Kanalquerschnittes, Kosten beim Unterhalt der zentralen Entwässerungseinrichtungen sowie ökologische Aspekte. Teiche wie hier sind nützlich zur Verdunstung und Versickerung. Auch mit Gründächern und Sickermulden kann der Niederschlag vor Ort dem natürlichen Wasserkreislauf zugeführt werden. Wer zusätzlich Regenwasser nutzt, schafft durch den Speicher weiteres Rückhaltepotential. Außerdem wird Trinkwasser gespart.
Ökologische und ökonomische Vorteile in Freiburg i. Br.
Die Breisgaumetropole Freiburg ist als „Solar-City“ weltweit bekannt. Selbstbewusst rühmt sich die Stadt auf ihrer Website als die südlichste Großstadt Deutschlands und als dessen Ökohauptstadt. Erklärtes Ziel der Freiburger Umweltpolitik ist es, den Energie-, Wasser- und Rohstoffverbrauch zu verringern. Um den kostenintensiven Abfluss in den städtischen Kanal zu stoppen und Regenwasser wieder verstärkt im natürlichen Kreislauf zu halten, hat die Stadt ihre Entwässerungssatzung vor Jahren schon geändert. Sie entspricht damit den Forderungen der novellierten Wassergesetze, deren Intention es ist, dass nach einer Bebauung nicht mehr Regenwasser vom Grundstück abfließt als zuvor. Deshalb wird bei Grundstücken größer als 1000 m² das in den städtischen Kanal abfließende Regenwasser verursachergerecht mit einer Jahrespauschale (Stand 2010) von 5,26 € pro 10 m² versiegelter Fläche berechnet; nahe liegend also, Niederschläge zu sammeln und zu versickern und damit diese Gebühr zu sparen.
Für den grünen Oberbürgermeister Dr. Dieter Salomon liegt das Geheimnis des Umweltschutz-Vorsprungs im speziellen „Freiburger Mix“: Den kommunalpolitischen Entscheidungen der Stadt, dem Engagement der Menschen in der Region, der aktiven Unterstützung des regionalen Energieversorgers und vieler Organisationen und Institutionen. Dazu gehören kommunale und private Unternehmen.
Regenwassernutzung
bei Industrie und Gewerbe
Im Industriegebiet Haid in Freiburg ist es schon Tradition, das Regenwasser nach Möglichkeit zu nutzen und den Überlauf des Regenspeichers zu versickern. Während bei Hüttinger ein Großteil in Kühltürmen verdunstet wird, nutzen die Freiburger Verkehrsbetriebe das Niederschlagswasser zur Fahrzeugwäsche für ihre Straßenbahnen. Bei der Solar-Fabrik werden die Toiletten damit gespült.
Anfang des Jahres 1999 ging Deutschlands erste Fabrik für Solarstrommodule in Betrieb. Der Neubau der Solar-Fabrik im Industriegebiet Haid, gelungenes Beispiel zeitgenössischer Solararchitektur, ist zugleich ein Paradebeispiel für effektive Regenwasserbewirtschaftung.
Die Dachbegrünung der Produktionshalle trägt entscheidend zur Regenrückhaltung bei: 60 - 70 % der auftreffenden Niederschläge werden im Dachsubstrat gepuffert und sowohl über die Pflanzen (Transpiration) als auch direkt (Evaporation) verdunstet. Das Ziel, Regenwasserabfluss vom Grundstück zu vermeiden, ist damit fast erreicht, denn nur noch 30 - 40 % Regenwasser kommen in der Zisterne an. Dies wurde im Planungsstadium bereits als ausreichend für die WC-Spülung ermittelt. Der Zisternenüberlauf speist Teichflächen am Eingang des Gebäudes, restliche Mengen versickern in einem bewachsenen Sickergraben auf dem Grundstück.
Ein marginaler, aber dennoch erwähnenswerter Synergieeffekt ist die Effektivitätssteigerung der Effektivität der Photovoltaik in der Glasfassade durch die Wasserfläche davor. Die durch Verdunstung abkühlende Luft steigert die elektrische Ausbeute, ausgehend von 25°C je 1° Abkühlung um 0,5 %. Außerdem findet auf der Wasseroberfläche Lichtreflexion statt.
Ganz in der Nähe der Solar-Fabrik steht der neue Unternehmenssitz von Hüttinger Elektronik. Der 1922 gegründete Betrieb ist seit 1990 eine Tochtergesellschaft von Trumpf und fertigt Stromversorgungen für die Induktionserwärmung sowie zur Plasma- und CO2-Laseranregung. Das zweigeschossige Produktions- und Bürogebäude mit 34 000 m² Grundfläche wurde 2006 fertig gestellt.
Wer Regenwasser verwendet, spart in Freiburg doppelt: Abwasser- und Trinkwassergebühren. Doch gibt es noch weitere Sparpotentiale. Hüttinger setzt Regenwasser dort ein, wo Wasser mit einem geringen Gehalt an gelösten Stoffen optimal ist: im Sprühsystem der Rückkühlwerke. Soweit die Niederschlagsmenge dafür ausreicht, kann als dritter Kostenfaktor die sonst für Trinkwasser nötige Enthärtung entfallen.
Bei hohen Außentemperaturen müssen für die Prozesskühlung (Produktion, Maschinen usw.) Rückkühlwerke eingesetzt werden. Dies ist ein offenes System mit Verdunstungskühlern. Sie sind im Außenbereich auf der Nordseite des Gebäudes als Kühltürme aufgestellt. Für die Berieselung/Verdunstung hat Regenwasser Priorität. Es wird in einer 300 m³-Zisterne mit vorgeschaltetem Filterschacht gesammelt und mit Trinkwasser verschnitten in das Sprühsystem der Rückkühlwerke eingespeist. Wenn das Regenwasser verbraucht ist, kommt ausschließlich enthärtetes und verschnittenes Trinkwasser als Sprühwasser zum Einsatz.
Der Verzicht auf die sonst übliche Kältemaschine spart elektrische Energie. Bei der Raumlüftkühlung bedeutet das pro Jahr eine Reduktion von 318 t CO2 und eine Einsparung von 56 664 Liter Heizöl. Bei der Produktionskühlung mit erhöhter Temperatur und ebenfalls Verzicht auf Kältemaschine sind dies 551 t CO2, entsprechend
98.147 l Heizöl.
Wenn die lokalpolitischen Voraussetzungen vorliegen, können durch Regenwasserbewirtschaftung Trinkwasser- und Abwassergebühren gespart werden. Besonders interessant ist die Regenwassernutzung mit Bewässerung der Außenanlagen, WC-Spülung und Feuerlöschvorrat. In der Industrie können zusätzlich Reinigungsarbeiten, wie z. B. Fahrzeugwäsche, durchgeführt werden. Lukrativ ist vor allem die Verdunstungskühlung. Wird dabei Energie gespart, verbessert sich die CO2-Bilanz, und der Beitrag zum Klimaschutz erhöht sich. n