Schlauchlinertag in neuem Gewand
Der Deutsche Schlauchlinertag hat sich als feste Größe in der Tiefbaubranche
etabliert. Am 27. März 2014 fand das Fachforum, das 2003 in Hannover aus der Taufe gehoben wurde, bereits zum zwölften Mal statt. Die diesjährige Tagung in Düsseldorf bot den rund 550 Teilnehmern nicht nur Bewährtes, sondern wartete mit einer
Neuerung auf.
Parallel zum Hauptprogramm mit angeschlossener Fachausstellung fand zum ersten Mal ein in zwei Themenblöcke aufgeteiltes Forum statt. Während der Vormittag ganz im Zeichen von Vorträgen zu Grundlagen der Schlauchlinertechnologie stand, bot das nachmittägliche Firmenforum den teilnehmenden Unternehmen Gelegenheit, ihre Neuentwicklungen vorzustellen. Zu den Schwerpunkten des Hauptprogramms gehörten Vorträge, die sich mit Fragen zu Recht und Ausschreibung auseinandersetzten. Auch die Themen Mängelbehandlung, Qualitätssicherung und ganzheitliche Sanierung spielten eine wichtige Rolle und gaben Impulse für eine offene und kritische Diskussion. Das Schlauchlining hat sich als wirtschaftlich und ökologisch sinnvolles Standardverfahren zur Kanalsanierung durchgesetzt, doch auch nach mehr als 40 Jahren in der praktischen Anwendung gibt es weiterhin Raum für Verbesserungen. Das wurde im Congress Centrum Düsseldorf wieder einmal deutlich und macht letztendlich auch den Reiz der Veranstaltung aus. Doch es gilt, nicht nur technische, planerische oder rechtliche Fragestellungen zu lösen. Regelsetzung und VOB haben mittlerweile feste Rahmenbedingungen für das meistgenutzte Renovierungsverfahren geschaffen. Warum aber findet eines unserer größten volkswirtschaftlichen Anlagevermögen weiterhin nicht den Stellenwert, der ihm gebührt? Der Branche ist es bisher nicht gelungen, bei Entscheidungsträgern und Öffentlichkeit ein ausreichendes Bewusstsein für die Bedeutung des Themas zu schaffen. Zudem ist der Blick auf das große Ganze meist noch getrübt: Es gilt, das Gesamtsystem Kanalisation in den Fokus zu rücken – vom Sammler über die Schächte und Hausanschlüsse bis hin zu ihren Verbindungen. Auch in diesem Sinne wurde der Schlauchlinertag seiner Rolle gerecht: Das zeigte der Austausch von Herstellern, Netzbetreibern, Planern und Anwendern.
Baustelle Öffentlichkeitsarbeit
Der Initiator des Schlauchlinertages, Dipl.-Ing. Franz Hoppe, und der Vorsitzende der Technischen Akademie Hannover, Igor Borovsky, die für Programm und Inhalte des Forums verantwortlich sind, freuten sich über das ungebrochene Interesse, dessen sich die Veranstaltung im zwölften Jahr ihres Bestehens erfreut. „Wir haben gemeinsam vieles bewegt“, so Borovsky in seiner Ansprache, in der er insbesondere den Sponsoren dankte, die mit ihrem Engagement immer wieder die Voraussetzungen für die Durchführung der Veranstaltung schaffen. Auch Hoppe zog in der anschließenden Einführung ein grundsätzlich positives Resümee: Die Schlauchliner-Technologie habe sich in den vergangenen 40 Jahren als Standardverfahren etabliert, für das inzwischen auch eine fast durchgängige Regelsetzung exisitiere. Gleichzeitig aber legte er den Finger in eine alte Wunde: „Nach wie vor gibt es technische Punkte, die nicht gelöst sind, und auch die mangelnde Bereitschaft zur Investition in den wichtigen Vermögensgegenstand Kanalisation stellt nach wie vor eine Herausforderung dar.“ Fakt ist: Es wird bei weitem noch nicht in dem Maße renoviert wie erneuert. „Man kauft sich eben lieber ein neues Auto, als ein altes zu reparieren“, brachte Hoppe ein gesellschaftliches Phänomen auf den Punkt.
Nicht nur den technischen Blickwinkel einnehmen
Mit der volkswirtschaftlichen Bedeutung des Investitionsgutes Kanalisation befasste sich Dipl.-Oec. Roland W. Waniek von der Gelsenkirchener IKT – Institut für Unterirdische Infrastruktur gGmbH. Mit einem Anteil von schätzungsweise 576 Milliarden sei die Kanalisation „der Gorilla“ des auf insgesamt 1647,4 Milliarden taxierten Wiederbeschaffungswertes der kompletten deutschen Infrastruktur. Für die Politik spiele die Kanalisation jedoch keine große Rolle mehr – nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Raum. Umso wichtiger sei es, die Konsequenzen von Versäumnissen zu erläutern und dabei nicht nur einen technischen Blickwinkel einzunehmen. „Modernes Infrastruktur-Management kann heute nicht alleine betrieben werden“, so Waniek. „Eine zentrale Funktion hat die Kommune als für den öffentlichen Bereich zuständige Institution.“
Das unterstrich der anschließende Vortrag von Dipl.-Ing. Claus Externbrink von der Stadtbetrieb Abwasserbeseitigung Lünen AöR, der über „Neues aus NRW zur Grundstücksentwässerung“ referierte und aus der Praxis vor Ort berichtete. Seit Wegfallen des § 61 a LWG NRW (Dichtheitsprüfungen bei privaten Abwasserleitungen) gebe es in Nordrhein-Westfalen einen Mix aus Selbstüberwachungsverordnung und Regeln der Technik, die hinsichtlich der Frage nach der Sanierungsnotwendigkeit durchaus Spielraum ließen, der im Sinne der Öffentlichkeit genutzt werden könne. Wendete man die Regeln der Technik konservativ an, ergäbe sich in Lünen Bedarf für 44,2 % der Grundstücksentwässerungsanlagen, bei bürgerfreundlicher Anwendung sei lediglich in 16,8% aller Fälle eine Sanierung dringend erforderlich. Übergeordnetes Ziel in Lünen sei es, Risiken für die Allgemeinheit und Kosten für die Eigentümer zu minimieren; die Aufgabe laute, solche Schäden zu finden und zu beseitigen, die der Allgemeinheit offensichtlich schaden.
Schwerpunkt Recht und Ausschreibung
Die meisten Fehler, darin schienen die Anwesenden sich einig, geschehen nicht in der Ausführungsphase, sondern bereits bei Planung und Ausschreibung. Dipl.-Ing. (FH) Markus Vogel von Vogel Ingenieure in Kappelrodeck und Rechtsanwalt Carsten Schmidt, LL.M. von der Düsseldorfer Kanzlei CLP Rechtsanwälte nahmen sich des Themenkomplexes „Der Bauvertrag: Planerische und rechtliche Gesichtspunkte zur Erreichung eines qualitativ hochwertigen Bauwerks“ an. Die Referenten zeigten auf, was es zu beachten gilt. Zunächst erläuterte Vogel den Stellenwert der Einbindung des Technischen Regelwerks. Er verwies in diesem Zusammenhang auf ein vom Oberlandesgericht Dresden bereits im Jahr 2010 gefälltes Urteil, in dem das Gericht als Ursache für einen Planungsfehler eine zum Zeitpunkt ihrer Abnahme dem aktuellen Stand der anerkannten Regeln der Technik nicht entsprechende Planung feststellt. „Genau die schuldet der Ingenieur aber grundsätzlich“, so Vogel. Außerdem hat er sich auf dem Laufenden zu halten und sein Werk auf die Übereinstimmung mit den neuesten Regeln der Technik zu überprüfen – unabhängig davon, ob die gesamten Planungs- und Leistungsphasen nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) beauftragt worden sind oder nicht. Macht der Auftraggeber eine verbindliche Planungsvorgabe, muss der Ingenieur – falls nötig – unmissverständlich und deutlich aufzeigen, dass das geplante Bauwerk schon im Moment seiner Errichtung nicht mehr den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen wird. Mit Blick auf die Sicherstellung der Planungsqualität merkte Vogel an: „Glasklare Regeln gibt es nicht, sie lassen sich aber ableiten aus den Forderungen der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen.“ Woran es in der Praxis oft mangele, sei ausreichende Kompetenz in Vergabefragen. „In der Realität stoßen wir häufig auf völliges Unverständnis der formalen Voraussetzungen“, so Vogel. Welche „nahezu endlosen Fehlermöglichkeiten“ es gibt, machte der Redner am Beispiel von Ausschreibungen aus der jüngsten Vergangenheit deutlich. Dabei sei die Ausschreibung, so Vogel, „letztendlich die Visitenkarte des Verfassers“.
Vorgaben ernst nehmen
Von Erfahrungen aus der Praxis berichtete auch Rechtsanwalt Christian Schmidt in seinen Ausführungen zu rechtlichen Aspekten des Bauvertrags: „Du als Fachunternehmer hättest das sehen müssen – deshalb gibt es auch keinen Nachtrag“ – das sei eine Aussage, mit der viele der Anwesenden sicher bereits konfrontiert worden seien. Tatsächlich aber sei der Auftraggeber zu einer ordnungsgemäßen, vollumfänglichen Leistungsbeschreibung verpflichtet. Seien die Verhältnisse vor Ort in der Ausschreibung nicht ordentlich beschrieben, komme die VOB zum Tragen; gebe es Abweichungen, dann seien diese nachtragsrelevant. „Bitte nehmen Sie die Vorgaben der VOB ernst“, so Schmidts Appell an Auftraggeber wie Auftragnehmer. Unterschätzt werde häufig auch die Bedeutung von Angebotsbegleitschreiben, und zwar insofern, als diese eine Abänderung der Leistungsbeschreibung darstellen können – Angebotsschreiben seien also beileibe keine Kulanzangelegenheit, sondern rechtlich relevante Unterlagen. Als Kardinalfehler bezeichnete der Rechtsexperte die Vermischung von Zuschlags- und Eignungskriterien: „Eignung und Wertung sind zwei unterschiedliche Vorgänge, die unterschiedlichen Regeln unterliegen“. Zudem ging Schmidt in seinem Vortrag auf die Bedeutung der sogenannten Sekundärziele im Rahmen von Landesvergaben, die Wertbarkeit von Nebenangeboten und eine neue BGH-Rechtsprechung bezüglich solcher Fälle ein, in denen der Preis das einzige Zuschlagskriterium ist. Schmidts Fazit: „Die Tage der ‚Nur-Preis’-Ausschreibungen sind gezählt.“ Zum Abschluss des Themenblocks widmete Dr.-Ing. Heinz Doll von der TÜV Rheinland LGA Bautechnik GmbH sich der Frage, welche Bedeutung dem Schlauchliner als einem statisch tragenden Element zukommt, und präsentierte Messergebnisse aus entsprechenden Versuchen. Außerdem informierte Doll über die neue DWA-A 143-2, die, so der Vortragende, aller Voraussicht aber keinen normativen Charakter haben werde.
Gute Produktqualität
Themenblock III stand ganz im Zeichen der Mängelbehandlung und Qualitätssicherung – sicher auch das ein Novum, dass eher unbequemen Sachverhalten ausreichend Platz eingeräumt wurde. Dipl.-Ing. Andreas Haacker, Geschäftsführer des in Oststeinbek ansässigen Materialprüfungsinstitutes Siebert + Knipschild, stellte dem Schlauchlining-Verfahren ein grundsätzlich gutes Zeugnis aus: „Die Qualität heutiger Liner ist insgesamt gut und die Prüfung der Dichtheit steht nicht mehr im Fokus“, so Haacker. Trotzdem sind Fehler in der Anwendung nicht auszuschließen. Zu den häufigsten Fehlern zählt die Faltenbildung, aber auch Härtungsdefizite und schlechte mechanische Eigenschaften als Resultat von Verdichtungs- und Tränkungsproblemen sind zu beobachten. Möglichkeiten zur Abhilfe gibt es viele, eine pauschale Empfehlung zugunsten einer bestimmten Vorgehensweise kann aber nicht abgegeben werden: „Entschieden werden muss stets mit Blick auf den Einzelfall“, so Haacker. Auf eine Reihe von konkreten Beispielen ging Dipl.-Ing. Roland Wacker ein. Der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige präsentierte „Sinnvolle und verhältnismäßige Lösungsmöglichkeiten zur Mängelbehandlung bei Schlauchliningmaßnahmen“ und wies in diesem Zusammenhang ebenfalls auf die Bedeutung klarer Vorgaben in der Ausschreibung hin. Gleichzeitig, so Wacker, müssten aber auch Konsequenzen im Falle von Abweichungen festgelegt werden. Wackers Fazit: „Kanalsanierungen sind langfristige Investitionen, Regressansprüche aber nur kurze Zeit möglich. Planungen und Ausschreibungen sind deshalb nur von speziell ausgebildeten Fachleuten zu erstellen, und der Qualitätsstandard muss in sämtlichen Leistungsphasen überwacht und kontrolliert werden.“
Ergänzende Maßnahmen
Ganzheitliche Sanierung und notwendige Ergänzungsmaßnahmen standen im Fokus des letzten Themenblocks. Dipl.-Ing. Thomas Meier vom Bauamt der Stadt Drensteinfurt und Dipl.-Ing. Meike Rau vom städtischen Eigenbetrieb Kasselwasser haben gute Erfahrungen mit dem Schlauchlining gemacht. „Die alleinige Renovierung des Hauptkanals reicht allerdings bei weitem nicht aus“, stellte Meier fest. Er wies deshalb ausdrücklich auch auf die Sanierung von Einsteigeschacht und Anschlussleitungen hin. Meike Rau legte einen Schwerpunkt auf die Arbeit mit der Robotertechnik. Sie hob nicht nur die Bedeutung von Vorarbeiten wie z. B. Fräsen für den Sanierungserfolg heraus, sondern nannte als weiteres wichtiges Kriterium für den Erfolg von roboterunterstützten Verpressverfahren die Qualifikation der ausführenden Mitarbeiter.
Doch auch hier gibt es noch weitere Entwicklungsmöglichkeiten, wie Moderator Franz Hoppe in seinem Schlusswort resümierte. „Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass wir nicht alle Probleme gelöst haben“, so Hoppe, der insbesondere in Richtung Auftraggeber appellierte, nicht nur auf die billigsten Lösungen zu setzen. Wirtschaftlichkeit ist gerade heute ein wichtiger Faktor bei der Vergabe von Aufträgen, aber Qualität kostet zuerst einmal Geld, hiervon ist Hoppe überzeugt. Doch letztendlich rechnet sich eine qualitativ hochwertige Ausführung mit guten Produkten in Form von einwandfreiem Betrieb und langer Lebensdauer. In diesem Sinne gibt es noch viel Gesprächsstoff – die Branche darf also gespannt sein, mit welchen Themen und Neuerungen das Informations- und Diskussionsforum Schlauchlinertag im nächsten Jahr aufwarten wird.