Schwebende Wände
‚Peri Up‘-Schwerlaststützen heben Günzburger Schloss um 2 mmEs ist wohl derzeit Günzburgs bekanntestes Bauprojekt: Die Sanierung des
einmaligen Schlosskomplexes aus dem Jahr 1575. Das Günzburger Schloss
ist das einzige von den Habsburgern erbaute Schloss in Deutschland.
Bereits 1301 wurde die Oberstadt als regelmäßige Stadtanlage durch das Haus Habsburg gegründet. Ritter Hans vom Stain zu Ronsberg erbaute 1452 die erste Schlossanlage. In den Jahren 1575-1580 wurde das Schloss und die Günzburger Hofkirche unter Erzherzog Ferdinand II. von Tirol durch den Baumeister Alberto Lucchese weitgehend neu errichtet.
Die zwischen 1703 und 1960 erfolgten Veränderungen am Gebäude, vor allem durch wiederholte Brände und die Bombardierung im Zweiten Weltkrieg, führten zu einer stark reduzierten Bausubstanz. Diese zeigt nur noch wenige Reste der ursprünglichen Renaissancearchitektur. Aber auch die Instandsetzungen der Barockzeit sind bis auf wenige Relikte, so die barocke Mansarddachkonstruktion des einstigen Hauptgebäudes, verschwunden. Das Schloss verlor im Laufe der Jahrhunderte seine ursprüngliche Innengliederung sowie weite Teile seiner originalen Architekturoberflächen. Auch die Hofkirche ist heute profaniert. Sie wurde in den Jahren 2004 bis 2006 im Äußeren instandgesetzt und konnte durch diese Maßnahme einen Teil ihrer ehemaligen architektonischen Qualität zurückgewinnen. Bis heute ist das Finanzamt und bis vor kurzem noch das Amtsgericht in dem weitläufigen Schlosskomplex untergebracht.
„Sensationelle“ Ergebnisse
Die durch das Bauamt beauftragte Baugefügeforschung bildete die Basis für jegliche Sanierungsüberlegungen. Der Architekturhistoriker Dr. Bernhard Niethammer brachte mit seinen durchgeführten Untersuchungen ein breites Spektrum von bisher völlig unbekannten Informationen zum Schloss hervor. Er bezeichnet die Erkenntnisse als „nahezu sensationell“: Insbesondere die Zeit der Renaissance konnte als bedeutungsvolle Gestaltungsepoche für das Schloss und seine Ausstattung erarbeitet werden.
Sie findet ihren Niederschlag in erster Linie in den Resten einer hochwertigen Sgraffitodekoration, die nicht nur im bayerisch-schwäbischen Raum als Besonderheit gelten darf. Auch in der geplanten Raumaufteilung, die dem Ideal der damaligen Zeit entsprach, findet sie sich wieder. Hierüber gaben die im Rahmen der Forschungen erst entdeckten historischen Pläne, als auch die Inventare und Bauakten Aufschluss.
Aufmaß und statische Bestandsanalyse
Als Basis für die Planung wurde das komplette Gebäude geodätisch verformungsgerecht dreidimensional erfasst und die Fassade mit einer Drohne beflogen. Auch Handaufmaße sowie Endoskopien, Bohrungen und Freilegungen waren unerlässlich. Anhand der vorliegenden Erkenntnisse konnte das statische System des Gebäudes erfasst und neu berechnet werden. Die statischen Mängel lagen hauptsächlich in der unzureichenden räumlichen Aussteifung einzelner Gebäudeteile und in der dürftigen oder nicht vorhandenen Fundamentierung.
Das architektonische Konzept
Für das Konzept der Generalsanierung stellte sich die Frage, welche der ursprünglichen Gestaltungsepochen sich noch baulich wie inhaltlich greifen lassen. Ziel war es, die architektonische Qualität des Gebäudes wiederherzustellen, originale Bauteile und die Raumstruktur zu erhalten, sowie die Öffnung der Hofarkaden am Westflügel und die barocke Fassadenmalerei, die nicht mehr existiert, neu zu interpretieren.
Vor die barocken Arkaden wird als innovative neue Zeitschicht über zwei Etagen eine Glasfassade vor dem Westflügel (Bauabschnitt 1) aufgestellt. Damit gekoppelt ist der neue Haupteingang. Dieser setzt sich ganz bewusst von den beiden historischen Eingängen ab und unterstreicht die derzeitige Nutzung als Behördensitz für das Finanzamt.
Die Baumaßnahme
Die viergeschossigen Flügelbauten im denkmalgeschützten Stadtschloss mit Mansard- und Walmdächern sind deutlich sanierungsbedürftig. Im Rahmen einer etappenweisen Generalsanierung sollen zunächst die statischen Mängel durch Unterfangen und Nachfundamentieren der Außenwände sowie der Arkadenpfeiler behoben werden. Zudem kommen Spannanker zum Einsatz, die zusammen mit den sanierten Balkendecken und der zu aussteifenden Scheiben umfunktionierten Deckenkonstruktion das Gebäude wieder stabilisieren.
Auch geschädigte Deckenauflager und Dachtragwerke müssen repariert, die gesamte Haustechnik komplett erneuert und denkmalpflegerische Maßnahmen umgesetzt werden – das Ganze verbunden mit einer energetischen Sanierung sowie Brandschutzmaßnahmen und einer Verbesserung der Barrierefreiheit.
Dies alles soll in zwei Teilbaumaßnahmen umgesetzt werden. Für die erste Teilbaumaßnahme, den Südwest- und Westflügel, wurden 4 Jahre Bauzeit und Kosten von rund 14,35 Millionen Euro veranschlagt. In der zweiten Teilbaumaßnahme ab 2021 sind die Sanierung des Nordflügels und das angrenzende „Minholzhaus“ für rund 5,9 Millionen Euro geplant. Damit ergeben sich Gesamtbaukosten von ca. 20,25 Millionen Euro.
Herausforderung für Traditionsunternehmen
Das Günzburger Bauunternehmen Bendl prägte wie kaum ein anderes Unternehmen in den vergangenen 73 Jahren das Günzburger Stadtbild nachhaltig. Mit seinen sechs eigenständigen Fachabteilungen vertrauen nicht nur namhafte ortsansässige Unternehmen der Firma Bendl, sondern auch immer wieder das Staatliche Bauamt Krumbach.
Der Bauspezialist wurde 2017 mit der Fundamentunterfangung des Schlosses beauftragt. Hierzu gehören die beim Schlossbau einbezogene Stadtmauer auf der Westseite sowie die dazu parallel zu sanierenden Arkadenpfeiler auf der Schlosshofseite. Die Stadtmauer aus dem 14. Jahrhundert mit rund 33 m Länge stand auf einem Gemisch aus Sand und Kies und wies kaum eine Fundamenteinbindung auf. Die acht Arkadenpfeiler stammen aus dem 18. Jahrhundert und standen auf einem maroden Mauerwerksfundament.
Um das rund 14 m hohe Gebäude auf stabile Füße zu stellen, war eine Unterfangung an beiden Gebäudeseiten erforderlich. Denn Stabilität, Arbeitssicherheit und die parallel laufenden archäologischen Untersuchungen spielten eine große Rolle. Zunächst wurden quer durch die beiden Außenwände des Westflügels Löcher gebohrt, um eine Verspannung des Gebäudes zu ermöglichen. Diese Maßnahme war notwendig, damit die Wände nicht nach außen kippten.
Sanierung der ehemaligen Stadtmauer
Die rund 33 m lange Ziegelmauer, die auf einer Kiesbettung stand, sollte ein tieferes, stabiles Betonfundament erhalten. Da dies nicht in einem Zuge möglich war, wurde in vordefinierten Abschnitten das alte nur teilweise vorhandene Mauerwerksfundament durch ein neues Betonfundament ausgewechselt.
Im Detail wurde die rund 60 - 120 cm starke Mauer in 34 Unterfangungs-Abschnitten mit je ca. 1 m Breite mit jeweils 7 m Abstand bis zur nächsten Unterfangung durchgeführt. Diese Vorgehensweise sollte gewährleisten, dass das Mauerwerk nicht einstürzt. Gleichzeitig wurde mit Baggern an jeweils 4 Unterfangungs-Stationen unterhalb der Bestandsmauer 1,20 m breit und 1,50 m tief gegraben. Zum Schutz der Arbeiter sollte ursprünglich ein Fertigverbau eingesetzt werden. Aus Platzgründen war dies jedoch nicht möglich. So hatte Polier Frank Tomcala-Hieber vom Bauunternehmen Bendl mit seinen 40 Jahren Berufserfahrung die Idee, jede Unterfangung mit der Standardschalung Maximo von Peri zu verbauen. So konnte das Team gefahrlos den Kies, den der Bagger nicht erreichte, leicht von Hand abtragen. Danach erfolgte der Mauerwerksabbruch auf -18 cm; ab hier war das alte Mauerwerk noch intakt. Die Fundamentsohle wurde auf -2,10 m betoniert. Der Fundamentkopf wurde von -70 bis -18 cm in Form der alten Mauer aus einem speziell wasserundurchlässigen und quellfähigen Beton betoniert. Diese Unterfangung dauerte rund 6 Wochen.
Bendl lässt das Stadtschloss schweben
Nach einer Idee des hinzugezogenen Statikers, Herrn Köster vom IB Bergmann, sollten die Arkadenpfeiler während der Neufundamentierung mittels einer Hilfskonstruktion um 2 mm angehoben werden und sich von den alten Fundamenten lösen. Damit die 8 Arkadenpfeiler abgefangen werden konnten, mussten zunächst 32 Hilfsfundamente erstellt werden. Hierfür hat Statiker Herr Köster ebenfalls die Abschnitte und deren Reihenfolge vorgegeben. Es musste zunächst das Pflaster auf einer Fläche von 1,80 x 33 m sowie die darunterliegende Erde seitlich von den Arkaden mit einer Größe von ca. 0,75 x 1 m Breite und auf -1,20 m Tiefe abgetragen werden. Die Herausforderung dabei waren die Ausgrabungsarbeiten. Da sich das Schloss auf historischem Grund befindet, war ein Team von Archäologen mit vor Ort, das jede Abgrabung mitverfolgte und einen sofortigen Stopp aussprach, wenn historische Funde entdeckt wurden. Alle Grabungen wurden begleitet und dokumentiert.
Dies hatte zur Folge, dass das Ausheben der Löcher anstatt der üblichen 30 Min. bis zu 1 Woche dauerte. Unter anderem wurde hierbei schon eine Knochenflöte sowie Scherben von Trögen entdeckt. Nachdem Hilfsfundamente gesetzt waren, kamen Peri-Systemstahlträger zum Einsatz. Hier wurden in Absprache mit dem Statiker und Prüfstatiker die Knotenbleche teilweise durch Ausfütterung mit Eichenholzbalken ergänzt.
Zum Umlasten des Gebäudegewichtes auf die Abfangkonstruktion wurden hydraulische Hebevorrichtungen mit einer Hubpresse verwendet. Jede der 16 Peri Up Schwerlaststützen hatte ein Gewicht von ca. 12 Tonnen zu tragen. Dies erfolgte in 2 Abschnitten, einmal die nördliche und einmal die südliche Gebäudehälfte. Danach konnte das alte marode Mauerwerk der Pfeiler auf -18 cm Höhe abgebrochen werden. Die Arkadenpfeiler schienen zu schweben, was ein spektakuläres Bild abgab. Nach der Erstellung eines neuen Fundamentes inklusive Sockel wurde das Gebäude wieder zurückgelastet und die Abfangkonstruktion ausgebaut. Der Bauherr und der Statiker waren mit den Arbeiten sehr zufrieden. Es traten nur geringe Risse auf, mit denen auch gerechnet wurde. Eine spektakuläre Leistung.
Weitere Arbeiten
Vom EG bis in den 3. Stock wird ein Personenaufzug entstehen, für den Bendl den Aufzugschacht im Rohbau errichtet. Des Weiteren folgen Wanddurchbrüche, eine Bodenplatte im EG, Putzarbeiten in diversen Räumen sowie die Elektroversorgung, die ebenfalls durch Bendl um das Gebäude herum neu verlegt wird.
Auch werden sämtliche ausgebildete Blendbögen über dem Arkadengang zurückgebaut, die 1730 hergestellt wurden. Die Bauprofis aus Günzburg werden nun die Wände in den Bögen abtragen und die Rundungen mit den Originalsteinen wieder aufbauen. Auch diese Aufgabe wird das erfahrene Team von Bendl erfolgreich meistern.