Starkregen in Deutschland
Siedlungswasserwirtschaft bei Extremwetter überfordert?Urbane Sturzfluten häufen sich, die Auswirkungen werden immer dramatischer. Im ersten Halbjahr 2016 traten Starkregenereignisse besonders kleinräumig und heftig auf. Trotz lokaler Unwetterwarnungen konnten die Betroffenen nicht vorsorgen.
Sach- und Personenschäden waren erheblich. Zwischen 27. Mai und 9. Juni kamen in Deutschland 11 Personen durch die Folgen von Starkregen ums Leben. Lassen sich in Zukunft Risiken früh genug erkennen und vermeiden?
Meteorologisch haben wir es mit einem Phänomen zu tun, das seinen Ursprung im so genannten „Tief Mitteleuropa“ hat. Laut Deutschem Wetterdienst (DWD) handelt es sich dabei um ein Tiefdruckgebiet mit riesigen Ausmaßen, welches sich in mehr als fünf Kilometern Höhe über weite Teile Mitteleuropas erstreckt und wenig bewegt. Deshalb ziehen während dieser Zeit die bodennahen Tiefdruckgebiete nur langsam über uns hinweg. In feuchtwarmer Luft bilden sich schließlich Gewitter mit stationären Wolken, deren gewaltige Wassermassen als anhaltende lokale Regenschauer einzelne Orte außergewöhnlich hart treffen. Ein solches „Tief Mitteleuropa“ hatte laut DWD auch die Hochwasserereignisse an der Elbe 2002 und in Süddeutschland 2013 ausgelöst. Im Jahr 2016 war besonders, dass die bedrohliche Wettersituation mehrere Wochen andauerte und über einen längeren Zeitraum sehr viele einzelne Katastrophen in verschiedenen Bundesländern auslöste. Müssen wir damit künftig verstärkt rechnen?
Die zurückliegenden 15 Jahre
Eine mögliche Ursache für die außergewöhnlich langsame Wetterverlagerung beim Tief Mitteleuropa sieht das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung darin, dass sich die Arktis gegenüber südlicheren Regionen durch die Klimaveränderung überproportional erwärmt habe, was zu schwächeren Westwinden führe. Beim DWD ist man noch zurückhaltend, den Klimawandel als unmittelbaren Verursacher extremer Wetterlagen zu bezeichnen – stellt aber fest, dass wärmere Luft physikalisch bedingt mehr Wasser gasförmig aufnehmen kann und damit auch mehr Starkregenpotential vorhanden ist. Gefährlich wird es, wenn daraus Cumulonimbus-Wolken entstehen, die in kurzer Zeit bis in eine Höhe von 12 km gelangen. Dort kommt es in kühler Atmosphäre zu schlagartiger Kondensation, was zu Hagel und Starkregen führt.
Erst seit 15 Jahren macht der DWD eine flächendeckende, hoch auflösende Radarbeobachtung. Dies ist die Voraussetzung, um gezielt für einzelne Landkreise Wetterwarnungen herausgeben zu können. Die Prognosen zeitlich und räumlich noch weiter zu präzisieren, dürfte allerdings schwierig sein. Das liegt an der spontanen Entstehung der Ereignisse am Himmel. Ende Mai und Anfang Juni 2016 zum Beispiel trafen kühle Luftmassen aus dem Norden und zugleich feuchtwarme aus dem Süden Europas bei uns aufeinander. Das führte zur sogenannten Konvektion. Die Atmosphäre gleicht dann brodelndem Wasser, aus dem Gewitter wie Blasen aufsteigen. Wo sich die „Blasen“ bilden, ist für den Wetterdienst erst ein bis zwei Stunden vorher zu erkennen. Am 1. Juni entstand über dem Landkreis Rottal-Inn bei Passau in kürzester Zeit auf kleinster Fläche sogar ein Cluster mit 50 Gewitterzellen, wo sonst vielleicht mit ein oder zwei zu rechnen ist [1]. Ebenso wenig vorhersehbar waren die Verläufe der Sturzfluten am Boden. Im bayerischen Hohentann bei Landshut, wurden am 29. Mai in einer Stunde 65 l/m² (entsprechend 65 mm) gemessen. Bei einem weiteren Starkregen derselben Großwetterlage am 7. Juni 2016, der im Ruhrgebiet über Mülheim niederprasselte, waren es innerhalb 60 Minuten 80 l/m². Zum Vergleich: Beim DWD erfolgt eine Warnung vor „markantem Wetter“ bereits, wenn in diesem Zeitraum mindestens 15-25 l/m² (bzw. in 6 Stunden 20-35 l/m²) erwartet werden. Die nächste Stufe heißt „Unwetter“ bei einer Prognose ab 25 l/m² (oder in 6 Stunden mehr als 35 l/m²). Die höchste Warnstufe ist das „extreme Unwetter“ ab 40 l/m² (oder in 6 Stunden über 60 l/m²) [2]. Etwa das Dreifache der letztgenannten Schwellenwerte war gegeben, als in Dortmund am 26. Juli 2008 in einer Stunde 119 l/m², in 4 Stunden 203 l/m² fielen. Den Rekord mit dem höchsten in Deutschland gemessenen Niederschlag hält Zinnwald im Erzgebirge mit 312 l/m² in 24 Stunden. Das war im Gegensatz zu den vorigen Beispielen ein großräumig auftretender Starkregen, der am 12./13. August 2002 stattfand und das verheerende Elbehochwasser auslöste.
Hochwasser oder lokale Überflutung?
In der Siedlungswasserwirtschaft wird vom Begriff her getrennt in Hochwasser, wie dieses an der Elbe einerseits, und Starkregen mit lokalen Überflutungen andererseits. Laut Prof. Dr.-Ing. Theo G. Schmitt von der Technischen Universität Kaiserslautern wird ein Hochwasserereignis durch hohe Abflüsse von Fließgewässern (Bäche und Flüsse) verursacht, die auf räumlich und zeitlich ausgedehnte Starkniederschläge zurückzuführen sind. Zuletzt waren Elbe und Donau im Juni 2013 davon betroffen. Im Gegensatz dazu haben lokale Starkregen eine Dauer von wenigen Stunden und eine räumliche Ausdehnung von wenigen Kilometern. Historisches Beispiel dafür ist Münster, wo am 28. Juli 2014 in knapp 2 Stunden 220 l/m², in 7 Stunden fast 300 l/m² fielen [3].
Die katastrophalen Auswirkungen fördern laut Schmitt die Einsicht, „dass derartige Starkregen nicht durch noch so großzügig dimensionierte Entwässerungsanlagen, zumal unterirdische Kanalisationen, beherrscht werden können.“ Seiner Meinung nach unterstreichen die Kennzahlen der Ereignisse, dass eine starre Festlegung von Zielvorgaben zum Überflutungsschutz über statistische Wiederkehrzeiten fragwürdig erscheint. Stattdessen soll für Siedlungsgebiete ein kommunales Überflutungsrisiko-Management mit einer ortsbezogenen Bewertung der Überflutungsgefährdung und des Schadenspotentials vorrangig sein [4].
Kommunale Starkregenvorsorge
In diesem Sinne erschien bereits im Februar 2013 die Broschüre „Starkregen – was können Kommunen tun?“, unterstützt durch die zuständigen Ministerien der Bundesländer Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Darin heißt es unter anderem, Starkregenvorsorge sei eine kommunale Gemeinschaftsaufgabe, die unterschiedlichste Aufgaben wie Planung, Gewässerunterhaltung, Abwasserbeseitigung berühre und daher ein koordiniertes Vorgehen erfordere [5]. Nach den Ereignissen im Frühjahr 2016 hat Baden-Württemberg „nachgelegt“ mit einem Leitfaden [6].
Auch Hamburg hat dahin gehend Pionierarbeit geleistet und kommt zu ähnlichen Empfehlungen. Mit der Absicht, nachhaltige Ideen und Konzepte für den Umgang mit Regenwasser zu entwickeln, haben die Behörde für Umwelt und Energie und HAMBURG WASSER gemeinsam das Projekt RegenInfraStrukturAnpassung (RISA) 2009 gestartet und 2015 erfolgreich abgeschlossen. Ergebnis ist ein dezentrales Konzept, das Regenwasser dort, wo es anfällt, erfasst und – soweit möglich – an Ort und Stelle durch geeignete Anlagen wieder dem natürlichen Wasserkreislauf zuführt. Die übergeordneten Ziele des Projektes sind ein naturnaher lokaler Wasserhaushalt, weitergehender Gewässerschutz und Überflutungs- und Binnenhochwasserschutz. Sie zu erreichen setzt eine interdisziplinäre Zusammenarbeit voraus, die sich in der Projektstruktur von RISA widerspiegelt: Wasserwirtschaftler sowie Stadt-, Landschafts- und Verkehrsplaner erarbeiteten gemeinsam mit wissenschaftlicher Unterstützung durch Universitäten und Ingenieurbüros zukunftsfähige Lösungen für das Leben mit Regenwasser in Hamburg, die im „RISA Strukturplan Regenwasser 2030“ zusammengefasst sind und gemeinsam mit seinen Begleitdokumenten zum Download zur Verfügung
stehen [7].
Wissenschaftliche Unterstützung
Im Hamburger Projekt RISA ist die Hafen City Universität (HCU) Partner und liefert wissenschaftliche Unterstützung. Professor Dr.-Ing. Wolfgang Dickhaut leitet dort das Fachgebiet „Umweltgerechte Stadt- und Infrastrukturplanung“ (USIP). Dr.-Ing. Elke Kruse ist wissenschaftliche Mitarbeiterin. In Ihrem Buch „Integriertes Regenwassermanagement für den wassersensiblen Umbau von Städten“ [8] stellt sie gleich zu Beginn den Zusammenhang her zwischen Klimawandel, Starkregen und Überflutungen einerseits sowie Folgekosten andererseits. Leider nutzen bisher nur wenige Kommunalverwaltungen die anstehende Transformation ihres Entwässerungssystems gleichzeitig als Chance zur Aufwertung bestehender Quartiere, stellt die Autorin fest. Im Gegensatz dazu realisieren New York, Rotterdam und Singapur auf gesamtstädtischer Ebene integrierte Konzepte für ihr Regenwassermanagement unter Berücksichtigung des öffentlichen Raumes. Ist das auf unsere Siedlungsgebiete übertragbar?
Elke Kruse empfiehlt:
– Ein „grünes Netzwerk“ (begrünte Versickerungsflächen) für Städte, deren Bodenbedingungen eine Versickerung ermöglichen.
– Ein „temporär blaues Netzwerk“ (multifunktional gestaltete Flächen, z.B. Stadtplätze, Spiel- und Sportplätze, die temporär überschüssiges Regenwasser speichern können) als Alternative dazu für Städte, deren innere Quartiere keinen Platz für Versickerungsflächen aufweisen.
– Ein „blau-grünes Netzwerk“ aus Wasserläufen und -flächen in Kombination mit bisher verrohrten Gewässerabschnitten.
Bestandsgebiete besonders betroffen
Innerstädtische Quartiere sind aufgrund ihrer hohen Bebauungsdichte sowie ihres hohen Versiegelungsgrades von Starkregenereignissen und daraus resultierenden Überflutungen besonders betroffen. „Sie sollten deshalb zukünftig wassersensibel umgebaut werden“, meint Elke Kruse. In diesem Sinne wurde in Hamburg bereits einiges durchgeführt, in die Wege geleitet oder geplant. Anderes fehlt jedoch bisher. Es bedarf dringend einer Grundsatzentscheidung auf strategischer Ebene, die Lösung der wasserwirtschaftlichen Probleme in Hamburg mit einer Aufwertung des öffentlichen Stadt- und Freiraums vor allem in den innerstädtischen Bereichen zu verbinden. Denn erst so lassen sich Investitionsmittel, die bereits heute in den Ausbau des Hamburger Kanalnetzes oder in die Sanierung und Instandsetzung von Hamburger Straßen fließen, ebenfalls für die Realisierung eines Integrierten Regenwassermanagements in den innerstädtischen hochverdichteten Quartieren nutzen [8].
Den Ausgangspunkt der Diskussion sollten insbesondere die Aufwertung der öffentlichen Freiräume im Zuge der baulichen Verdichtung sowie die Schaffung einer grüneren Stadt bilden, vor allem mit Blick auf eine mögliche Mehrfachnutzung öffentlicher Flächen. Ist ein „grünes und blau-grünes Netzwerk“ zur Versickerung des Regenwassers aufgrund von Altlasten oder Platzmangel nicht realisierbar, kann ein ergänzendes „temporär blaues Netzwerk“ in Betracht gezogen werden. Das temporäre Netzwerk überlagert die eigentliche Gestaltungsstrategie und bietet kleinteilige Lösungen für einzelne Überflutungsschwerpunkte. Da sich die Strategie im Bestand jedoch oftmals nur durch aufwendige Baumaßnahmen umsetzen lässt, sollte sie bei allen Neuplanungen von Stadtplätzen, Spiel- und Sportplätzen sowie Parkplätzen mitbedacht werden [8].
Faire Verteilung der Kosten
Obwohl dezentrale Maßnahmen auf privaten Grundstücken direkt durch die Niederschlagswassergebühr gefördert werden, muss ggf. ein zusätzliches finanzielles Förderprogramm, z.B. für den Bau von Versickerungsmaßnahmen, aufgestellt werden. Dies ist davon abhängig, ob die gesplittete Abwassergebühr als alleiniger Anreiz genügt, dass eine ausreichende Anzahl an Maßnahmen in überflutungsgefährdeten Gebieten realisiert wird. Sollte dies nicht der Fall sein, kann das Förderprogramm entweder stadtweit aufgestellt oder für ausgewählte Bereiche der Stadt zugeschnitten werden. Eine direkte Ansprache von Grundstücksbesitzern in den gefährdeten Gebieten kann die Wirksamkeit der Programme verstärken. Anders in innerstädtischen hochverdichteten Quartieren, die durch die Stadtstrukturtypen „Stadt- und Stadtteilzentren“, „innerstädtische Wohn- und Mischgebiete“ sowie „Blockrandbebauung“ dominiert werden: Hier bietet es sich an, die gezielte Anpassung des öffentlichen Raumes als Alternative zum Ausbau des Kanalsystems zu prüfen. Kombiniert man den notwendigen Umbau mit geplanten Sanierungs- und Instandsetzungsarbeiten des Straßennetzes sowie der geplanten Qualifizierung von Grünflächen im Rahmen der Qualitätsoffensive Freiraum, lassen sich sehr wahrscheinlich Kosteneinsparungen erzielen. Z.B. befinden sich 40 % der Hamburger Straßen in einem schlechten Zustand. Würden die geplanten Baumaßnahmen konsequent mit der Schaffung eines „grünen Netzwerks“ oder eines „temporär blauen Netzwerks“ verbunden, ließen sich viele Projekte in relativ kurzer Zeit umsetzen. Zudem ist es so ggf. möglich, das Investitionsvolumen, welches in den Ausbau des Kanalnetzes fließen soll, zu reduzieren und die eingesparten Finanzmittel stattdessen für die Aufwertung des städtischen Freiraums mit multifunktionalem Nutzen zu investieren. Entscheidend dabei ist, dass für jede anfallende Aufgabe konkrete Zuständigkeiten bestehen und die Kosten zwischen den Akteuren fair verteilt werden [8].
Zusammenfassung
Bisher nutzen nur wenige Kommunen die anstehende Transformation ihres Entwässerungssystems als Chance zur Aufwertung bestehender Quartiere. Die Mehrfachnutzung öffentlicher Flächen bietet sich ebenso an wie die Instandsetzung des Straßennetzes, um den öffentlichen Raum an Überflutungsereignisse anzupassen. Bei privaten Grundstücken ist die Niederschlagsableitungsgebühr als Anreiz wirksam, jedoch möglicherweise in gefährdeten Gebieten nicht alleine ausreichend, die konsequente Umstellung auf dezentrale Regenwasserbewirtschaftung zu beschleunigen.