INTERVIEW

„Unser strategischer Weg bringt Erfolg“

Interview mit Dr. Matthias Jacob, Technischer Geschäftsführer Bau bei Wolff & Müller, über die Digitalisierung von Bauprozessen

tHIS: Nochmals herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung „Bauunternehmen des Jahres“.

Dr. Matthias Jacob: Vielen Dank. Das hat bei Kunden, Lieferanten, in Verbänden und auch beim Wettbewerb schon für eine gewisse Aufmerksamkeit gesorgt. Wir haben aus allen Ecken zahlreiche Glückwunschschreiben erhalten.

Aber noch wichtiger ist uns die Innenwirkung. Wir können unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zeigen, dass der strategische Weg, den wir eingeschlagen haben, Erfolge bringt – schließlich kommt die Auszeichnung von einer unabhängigen Jury. Das ist wichtig, denn für den dauerhaften Erfolg müssen alle mitziehen. Deswegen haben auch alle knapp 2.000 Mitarbeiter eine Dankesprämie bekommen.

tHIS: Sie haben mit Ihrem bemerkenswerten Vortrag zur Preisverleihung das Bestreben von Wolff & Müller erläutert, Bauprozesse stärker zu digitalisieren – Stichwort BIM. Wann haben Sie das Thema eingeführt?

Dr. Matthias Jacob: Die ersten Schritte erfolgten 2008. Damals war BIM nur ein IT-Thema. Doch für uns war das eine Vision. 2009 sind wir mit der Implementierung von iTWO eingestiegen – der baubetrieblichen Software, die in Deutschland am weitesten verbreitet ist. Seit 2010 setzen wir BIM in der Angebotsphase ein.

Im Jahr darauf haben wir unser BIM-Team gegründet. Davor waren die Mitarbeiter, die sich mit BIM beschäftigt haben, im Unternehmen verteilt. Jetzt haben wir ein eigenes Team, das mittlerweile aus 15 Leuten besteht. Diese Spezialisten modellieren und machen den Support für die Prozessphasen.

Diese Struktur hat sich bewährt: Wir wurden zweimal hintereinander in Hongkong auf der weltweiten iTWO-Konferenz ausgezeichnet – 2013 mit dem Preis für den „Best Practice Contractor in Germany“, und 2014 für den „Best Technical Workflow“.

tHIS: Welche Vorteile sehen Sie für sich durch BIM?

Dr. Matthias Jacob: Building Information Modeling wird von vielen noch als 3-D-Modellierung missverstanden. Aber BIM ist viel mehr, BIM ist ein Management-Ansatz. Der Architekt denkt zwar 3D, liefert aber im Normalfall 2D-Pläne ab. Diese gehen an den Tragwerksplaner, den Statiker, die Fachplaner usw., die auch in 3D denken; die Pläne sind aber alle in 2D.

99 Prozent aller Unterlagen, die wir bekommen, sind 2D. Das Gebäude versteht man aber nur, wenn man sich im Kopf die dritte Dimension dazu denkt. Denn gebaut wird letztlich aber in 5D. Zu Länge, Höhe und Breite kommen die Verknüpfungen mit Qualitäten, Kosten und Terminen. Denn Kosten- und Terminsicherheit sind maßgeblich für die Qualität des Bauens.

In keiner anderen Branche käme man auf die Idee, ohne Prototypen, ohne Visualisierungen, nur aus 2D-Skizzen zu produzieren. Die Idee von BIM ist, dass alle, nämlich der Bauherr, der Architekt, die Fachplaner und das Baunternehmen, in einem strukturierten 5D-Datenmodell zusammenarbeiten. Und das möglichst schon von Anfang an. Eine einheitliche Datenbasis, auf die alle zurückgreifen.

tHIS: Es gibt seit Jahren 3-D-taugliche CAD-Software...

Dr. Matthias Jacob: Das ist nicht vergleichbar. Mit CAD arbeitet man linienorientiert, mit BIM bauteileorientiert. Jedes Bauteil wird mit Eigenschaften verknüpft, zum Beispiel zur Materialgüte, aber auch zu Terminen und Kosten. Nur so hat man die Chance, Kollisionen frühzeitig zu erkennen. Und wenn es an einer Stelle eine Änderung gibt, dann wissen das alle anderen Beteiligten sofort, weil sich das Modell in Echtzeit aktualisiert. Das nutzen wir auch vor Ort auf der Baustelle.


tHIS: Hat man nicht die gleichen klassischen Probleme, wenn ein Bauleiter vor Ort eine Änderung entscheidet und die Daten nicht im BIM-Modell nachzieht?

Dr. Matthias Jacob: Das ist schon richtig. Aber wenn Sie auf die klassische Art arbeiten und die Pläne nachziehen, heißt das nicht, dass jeder Fachplaner das auch macht. Das ist bei BIM anders. Alle arbeiten am gleichen Modell, deshalb habe ich eine Änderung automatisch überall, beim Tragwerksplaner, bei der Haustechnik etc.

Das macht vieles leichter, erst recht, wenn die nächste Dimension ins Spiel kommt, nämlich die Nutzung durch den Betreiber. Der erhält dann Unterlagen in einer ganz anderen Qualität.

tHIS: Wie sieht es in der Praxis aus? Spielen alle mit?

Dr. Matthias Jacob: Anfangs gab es kleine Probleme. Wir haben beispielsweise ein großes Ausbildungs- und Entwicklungszentrum für einen Automobilhersteller gebaut. Dazu haben wir zum ersten Mal mit einer Cloud auf unserem Server gearbeitet. Die Architektin wollte auch sonntags arbeiten, da lief unser Server aber nicht.

Das hat uns jetzt dazu veranlasst, BIM-Spielregeln für uns zu erstellen. Die werden zu Beginn des Projektes mit den Beteiligten definiert. Auch für unsere Bauleiter ist das eine Umstellung, da sie den einen oder anderen Freiheitsgrad verlieren. Früher waren sie sozusagen die alleinigen Piloten im Cockpit. Jetzt müssen sie einen Teil der Verantwortung abgeben. Aber auch sie sehen die Vorteile für ihre Arbeit auf der Baustelle.


tHIS:  Wie funktioniert die Schnittstelle zu kleineren Subs? Wollen die nicht nur, dass man ihnen sagt, verputz diese Wand, legt von da nach da eine Leitung?

Dr. Matthias Jacob: Die Fachplaner haben damit kein Problem. Sogar kleinere Büros begrüßen das. Die sitzen dann endlich mal zeitnah mit am Planungstisch. Es gibt einige größere Nachunternehmer, die sich mit dem Thema schon innovativ befassen, aber der kleine mittelständische Handwerksbetrieb, der uns Türen liefert, der ist noch nicht soweit. Insofern sind Subunternehmer noch nicht eingebunden, haben aber den Vorteil, dass wir viel präzisere Terminpläne – geschossweise, raumweise, gewerkweise – liefern können. Jeder weiß detaillierter, wann wo was zu tun ist.

Typisches Beispiel: Ein Elektriker soll mal eben 1000 Leuchten einsetzen. Er hat nur drei Tage Zeit, konnte aber vorher nicht in das Gebäude – das ist kaum zu schaffen. So etwas sehen wir jetzt im Vorfeld. Das heißt, BIM kommt auch den Nachunternehmern zugute, die noch nicht so weit sind.

tHIS: Sind Ihre Kunden schon reif für BIM?

Dr. Matthias Jacob: Vielen Bauherren sind die Vorteile noch nicht bewusst. Sie fordern BIM noch nicht aktiv ein. Das wäre aber wichtig, denn je früher wir mit BIM arbeiten, desto größer ist der Effekt. Optimal wäre natürlich, wenn wir schon bei der Konzeption einsteigen könnten.

Beim Neubau des Rathauses Leonberg arbeiten derzeit erstmals schon in der Bauantragsphase alle Planer in einem gemeinsamen Modell. Das ist aber auch eine Besonderheit: Wir bieten sowohl die Planung, den Entwurf, als auch das Bauen an. Das ist so eine Art ÖP-Projekt ohne Betrieb.

In der Regel kommt das Bauunternehmen erst viel später dazu, also dann, wenn die Planungsthemen schon verteilt sind. Das heißt, der eigentliche Impuls müsste vom Bauherrn ausgehen, und das ist heute noch nicht der Fall. Deshalb müssen wir in der Branche die Vorteile von BIM noch besser kommunizieren.

tHIS: Wir hören seitens der Bauunternehmerschaft über viele Probleme bei der Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand. Welche Erfahrungen hat da Wolff & Müller?

Dr. Matthias Jacob: Zurzeit gibt es bei großen Auftraggebern wie der Deutschen Bahn die ersten Ausschreibungen, in denen BIM-Leistungen gefordert werden. Bei der öffentlichen Hand ist jetzt die Botschaft angekommen. Die Regierungen und die entsprechenden Minister wollen BIM vorantreiben.

tHIS: NRW-Bauminister Michael Groschek hat Sie zu diesem Thema auch eingeladen…

Dr. Matthias Jacob: Genau. Aber von der Umsetzung bei der öffentlichen Hand sind wir noch weit entfernt. Diese braucht zuerst Verständnis für diese Methode, und sie braucht Mitarbeiter, die sich mit Know-how und Überzeugung da hineinknien. Sie braucht geeignete Hard- und Software. Sie braucht geeignete Planer. Das geht nicht auf Knopfdruck von heute auf morgen. Aber das Thema nimmt rasant Fahrt auf, und die öffentliche Hand hat erkannt, dass sie auf den Zug aufspringen muss.

tHIS: Es heißt, nur noch Bayern sei in der Lage, vernünftig zu Planen.

Dr. Matthias Jacob: Leider sind die öffentlichen Bauverwaltungen über Jahre und Jahrzehnte hinweg unter dem Kostendruck abgespeckt worden. Man hat versucht, Kompetenz von Planungsbüros einzukaufen. Aber das leider auch wiederum zu Billigpreisen, wodurch nicht in jedem Fall die beste Kompetenz eingekauft wurde. Bayern hat das eigene Know-how nicht so radikal abgebaut.

Der Wiederaufbau von Kompetenz bei den öffentlichen Bauherren ist auch eine der zentralen Forderungen der Großprojekte-Kommission – mit positiven Folgen. Der Vorstand der Deutschen Bahn hat jetzt die Maßgabe herausgegeben, dass sie in den nächsten fünf Jahren alle Prozesse digitalisieren wollen. Ein sehr ehrgeiziges Ziel, aber es folgen Taten: Die Bahn richtet gerade 7500 Arbeitsplätze ein. Die haben eine eigene BIM-Gruppe, eine Digitalisierungs-Ebene eingeführt und haben jetzt Experten, die das Thema vorantreiben. Der Vorstand hat sich die Digitalisierung auf die Fahne geschrieben. Damit marschiert einer der größten Arbeitgeber Europas vorneweg.

tHIS: Woher sollen denn dann auf einen Schlag die Fachleute kommen?

Dr. Matthias Jacob: Wir sehen, dass auch die Hochschulen gerade erst mit dem Thema anfangen, und die ersten Absolventen wird es erst in einigen Jahren geben. Damit hat die öffentliche Hand natürlich wie wir alle das Problem, dass es derzeit noch keine ausgebildeten BIM-Leute von den Universitäten gibt. Da gibt es schon jetzt ein Defizit, und die Leute, die schon BIM-Fähigkeiten haben, werden stark umworben.


tHIS: Wie schaffen Sie das, diese Absolventen zu Ihnen zu locken?

Dr. Matthias Jacob: Wir haben zu sehr vielen Universitäten einen sehr guten Draht, halten Vorträge, haben Lehraufträge, fördern Projekte usw. Ich bin morgen z.B. an der TU in Dortmund, da halte ich auch einen BIM-Vortrag. Bei solchen Gelegenheiten kommen immer wieder interessierte Studenten auf mich zu und fragen nach Praktikumsmöglichkeiten.

Wir versuchen also, den Nachwuchs schon frühzeitig für BIM zu begeistern und auf unsere Vorreiterrolle aufmerksam zu machen. Wir haben derzeit 80 Studenten, die wir natürlich mit sehr viel Aufwand betreuen, und die bei uns auch ein paar Euro verdienen. Im besten Falle kommen sie nach dem Studium automatisch zu uns, anstatt sich woanders zu bewerben. So binden wir junge Leute schon frühzeitig während des Studiums an uns.

Wolff & Müller

www.wolff-mueller.de

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