Betoninstandsetzung nach über 100 Jahren
Wohnen im IndustriedomIn einer denkmalgeschützten und beinahe abrissreifen Montagehalle für Baumaschinen vom Anfang des 20. Jahrhunderts entstehen nach umfangreicher Instandsetzung stilvolle Loftwohnungen.
Trotz Denkmalschutz gelingt es nicht immer, erhaltenswerte Gebäude tatsächlich über die Zeit zu retten. Positives Gegenbeispiel ist die ehemalige Montagehalle des einstigen Maschinen-Herstellers IBAG. Das im Laufe der Jahre stark in Mitleidenschaft gezogene Gebäude startet jetzt nach umfassender Instandsetzung und dem Umbau zu Maisonette-Wohnungen in ein zweites Leben. Dabei wurden alle Betonteile instandgesetzt und teilweise auch ersetzt.
Wichtige Grundlage für die Umsetzung war neben dem geeigneten Gebäude die richtige und regelkonforme Planung und Ausführung der Instandsetzungsarbeiten, deren fachgerechte Ausführung durch Eigen- und Fremdüberwachung sichergestellt wurde. Für das ausführende Unternehmen Wayss & Freytag schloss sich mit dem Umbau ein Kreis: Es hatte das Gebäude vor über einhundert Jahren errichtet.
Eisenbeton-Bauwerk von 1911
Wie kaum ein anderes Bauwerk steht die IBAG-Halle (Internationale Baumaschinenfabrik AG) für eine neue Ära im Bauwesen. Das 1911 in Neustadt a. d. Weinstraße von Wayss & Freytag nach dem Entwurf des Ingenieurs und Architekten Karl Fischer erstellte Gebäude ist eines der ersten Eisenbetonbauwerke in Deutschland, das in Skelettbauweise erstellt wurde – der treffendere Begriff „Stahlbeton“ wurde erst ab 1943 gebräuchlich.
Die nach dem Vorbild einer dreischiffigen Basilika errichtete Halle verfügt bei einer Länge von 96 Metern über eine Breite von 25 Metern (Mittelschiff 13 Meter, Seitenschiffe je 6 Meter). Am südlichen Ende der eigentlichen Hallenkonstruktion schließt sich die frühere Schmiedehalle mit einer Länge von 24 Metern und einer Breite von ebenfalls 25 Metern an.
Den Konstrukteuren gelang es mit dem Bau der IBAG Halle eindrucksvoll, die Leistungsfähigkeit der neuen Bauweise unter Beweis zu stellen. So schrieb die Deutsche Bauzeitung im Entstehungsjahr: „Die sämtlichen Abmessungen wurden aufs äußerste beschränkt, um einmal an einem Beispiel zu zeigen, welch außerordentliche günstige Widerstandsfähigkeit und welch vortreffliche Tragfähigkeit die Eisenbetonkonstruktionen besitzen“.
Kurz vor Kriegsende wurden im März 1945 große Bereiche auf dem Firmengelände der IBAG bei einem Bombenangriff zerstört. Auch die Produktions- und Montagehalle erhielt mehrere Treffer, konnte jedoch nach dem Krieg wiederaufgebaut und weiter genutzt werden. Seit 1997 stand die Halle leer. 2001 wurde sie als Kulturdenkmal eingestuft und stand seitdem unter Schutz.
Ein Konzept für die Weiternutzung fand sich jedoch erst, als der Investor Regioplan GmbH die Halle 2015 erwarb. Nach denkmalgerechter Sanierung und einem Umbau sollte die ehemalige Maschinenhalle markantes Zentrum eines neuen Wohngebietes aus Reihen- und Doppelhäusern werden, die derzeit auf dem früheren Firmengelände gebaut werden.
Seit 2017 wird in der alten Maschinenhalle gebaut. Moderne, stilvolle Lofts mit großen Fenstern und lichtdurchfluteten Räumen sollen hier als zweigeschossige Maisonette-Wohnungen entstehen. Alle Einheiten sind mit Terrasse und einem kleinen Garten sowie einer Dachterrasse mit Panoramablick ausgestattet. Variable Grundrisse bieten den Eigentümern ein hohes Maß an Individualität. Ein Ausbau mit hochwertigen Ma-terialien, der das historische Ambiente mit einbezieht, sorgt für eine einzigartige Atmosphäre. Sämtliche Wohnungen sind in Holzständerbauweise ausgeführt und in den Seitenschiffen der Halle angeordnet. Das Mittelschiff bleibt frei und weitgehend in seiner ursprünglichen Form erhalten.
Erhalt der historischen Fassade
Die in enger Abstimmung mit den Denkmalschutzbehörden durchgeführte Sanierung legt besonderen Wert darauf, das äußere Erscheinungsbild der Halle möglichst unverändert zu erhalten. Basis der Arbeiten war ein Instandsetzungskonzept, das von Dipl.-Ing. Edmund Ackermann, KuA-Consult Ingenieurgesellschaft mbH, Darmstadt, erarbeitet wurde.
Grundlage war eine umfassende Kartierung und Beurteilung der vorhandenen Schäden (Feststellung des Ist-Zustandes) und die darauf basierende Festlegung des Soll-Zustandes. Die klassische, von der Bundesgütegemeinschaft Instandsetzung von Betonbauwerken e. V. empfohlene Vorgehensweise hat sich bewährt: Innerhalb von nur sechs Monaten, eines für den Umfang der auszuführenden Arbeiten recht kurzen Zeitraums, konnte die mit einer Brutto-Auftragssumme von einer Million Euro kalkulierte Instandsetzung abgeschlossen werden. Insgesamt bezog sich die Maßnahme auf drei große Bereiche: Brandschutz, Standsicherheit und Dauerhaftigkeit.
Herstellen der Standsicherheit
An Planer und Ausführende stellte die Instandsetzung der IBAG-Halle hohe Anforderungen. Krieg und 20 Jahre Leerstand hatten der Substanz zugesetzt. Das Gutachten zur Standsicherheit ergab, dass zahlreiche Bauteile standsicherheitsgefährdet waren und instandgesetzt bzw. ersetzt werden mussten. Grundlage der Beurteilung war eine materialtechnologische Untersuchung der Betonbauteile sowie die Bestandsstatik von 1910. Demnach war die Sanierung von drei Bögen im Dach nicht mehr möglich. Sie wurden komplett herausgenommen und neu betoniert. In dem Zuge wurden auch die Saumträger mit den Zugbändern komplett erneuert.
Auch hier erfolgte die Ausführung mit Beton der Güteklasse C20/25. Stützenköpfe und Unterzugenden waren abgeschert bzw. gerissen und somit nicht mehr tragfähig. Hier wurde die alte Substanz unter Beibehaltung der Bewehrung mit Höchstdruckwasserstrahlen (HDW) abgetragen, verschalt und über Befülltrichter mit Vergussbeton der Schwindklasse SKVB0 neu betoniert. Die Fußpunkte zahlreicher Obergadenstützen wiesen an vielen Stellen beinahe 100prozentige Querschnittsverluste der Bewehrung auf. Auch diese Stellen wurden analog zu den Unterzugsenden vollständig, einzelne Obergadenstützen sogar komplett erneuert.
In Teilbereichen war die Standsicherheit der Halle rechnerisch nicht mehr nachweisbar. So fehlten im Fassadenbereich teilweise die Stützen mit den dazwischenliegenden Querriegeln komplett. Sie waren zu einem früheren Zeitpunkt einfach herausgeschnitten worden. Der ursprünglichen Statik war jedoch zu entnehmen, dass die Außenstützen zusammen mit den Unterzügen, den Hängesäulen und dem Längsunterzug in der Außenachse einen aussteifenden Rahmen bildeten. Hier wurde die ursprüngliche Konstruktion wiederhergestellt.
Ähnlich wurde im Innenbereich der Halle verfahren, wo in der Vergangenheit ebenfalls ein Unterzug entfernt und drei Hängestützen abgeschnitten worden waren. Zwar erfolgte seinerzeit der Einbau einer Stahlträgerkonstruktion als Ersatzmaßnahme, die Standsicherheit der Halle ließ sich in diesem Bereich dennoch rechnerisch nicht nachweisen, so dass auch hier der Unterzug und die Hängestützen in ihrer ursprünglichen Form wiederhergestellt wurden.
Herstellen der Dauerhaftigkeit
Neben der statischen Ertüchtigung des Objektes war die Herstellung der Dauerhaftigkeit die zweite große Herausforderung. Die im Vorfeld stichprobenartig durchgeführten materialtechnologischen Untersuchungen ergaben, dass der Beton an allen Bauteilen bis deutlich hinter die Bewehrung karbonatisiert war.
„Dies ist nach 106 Jahren nicht weiter überraschend,“ urteilt Dipl.-Ing. Norbert Frei. Die Untersuchungen zeigten auch, dass der Schädigungsgrad an den Stahlbetonbauteilen der Fassadenflächen auf der Westseite deutlich stärker war, als der auf der Ost-, Nord- oder Südseite. Die Betongüten der Stahlbetonbauteile variierten stark. Die Ursache dafür sehen die Konzeptersteller in der Betonherstellung und den 1911 üblichen Verdichtungsverfahren. An zahlreichen Stellen wurden großflächige Betonabplatzungen über korrodierter Bewehrung festgestellt. „Aus den vorhandenen Prüfergebnissen,“ betont Dipl.-Ing. Edmund Ackermann „konnte abgeleitet werden, dass keine Restnutzungsdauer mehr bestand und das Gebäude standsicherheitsgefährdet war.“
Vor Beginn der eigentlichen Arbeiten wurden sämtliche inneren und äußeren Betonoberflächen (insgesamt rund 8.500 Quadratmeter) abgeklopft und auf Hohl- und Schadstellen geprüft. Die entsprechenden Bereiche wurden farblich markiert. Anschließend bereiteten die Arbeiter den Untergrund durch Strahlen und Entrosten der Bewehrung bis auf einen Reinheitsgrad von Sa 2 ½ nach DIN EN ISO 12944-4 vor. danach erfolgte das Aufbringen eines mineralischen Korrosionsschutzes auf die Bewehrung. Risse wurden kraftschlüssig gefüllt und die Ausbruchstellen mit einem zugelassenen kunststoffmodifizierten Betonersatzsystem SPCC/PCC II, M3 nach dem Auftrag der zugehörigen einkomponentigen, mineralischen Haftbrücke reprofiliert. Überall dort, wo die Betondeckung kleiner als 1 cm war, hatten die Verarbeiter eine flächige Betondeckungserhöhung durch den Auftrag eines kunststoffmodifizierten Spritzmörtels vorgenommen. Den Abschluss bildete der Auftrag eines PCC-Feinspachtels entlang sämtlicher Stahlbetonoberflächen mit einer Schichtdicke von 3 Millimetern sowie ein dreilagiges rissüberbrückendes Oberflächenschutzsystem OS 5 gemäß der DAfStb-Instandsetzungsrichtlinie.
Qualitätssicherung
Die fachgerechte Ausführung der Arbeiten wurde durch eine Eigen- und Fremdüberwachung sichergestellt, die Bedingung bei der Auftragsvergabe war. Fachfirmen mussten bei der Abgabe des Angebotes die entsprechende Eignung ihrer Mitarbeiter nachweisen, z. B. durch Düsenführerschein, Nachweis zur Eignung für das Verstärken durch Einkleben der Bewehrung. Die Qualifikation des Poliers, der die Arbeiten vor Ort ständig überwacht, musste gemäß DAfStb-Instandsetzungsrichtlinie Teil 3, Abschnitt 1.2.4 (1) durch den SIVV-Schein mit Nachweis der aktuellen Nachschulung Abschnitt 1.2.4 (2) belegt werden. Gefordert war außerdem der Nachweis der Zugehörigkeit zu einer Gütegemeinschaft für Betoninstandsetzungsarbeiten. Die bauordnungsrechtlich zwingend notwendige Fremdüberwachung wurde mit positiver Beurteilung durchgeführt.
Gelungene Umnutzung
Nach ihrer Fertigstellung präsentiert sich die ehemals baufällige – wenngleich denkmalgeschützte – Industriehalle als hochwertige und attraktive Immobilie, die alle Anforderungen an modernes Wohnen erfüllt. Ihr Erhalt ist im Wesentlichen auf zwei Faktoren zurückzuführen: den Denkmalschutz sowie die visionäre Idee eines Investors. „Ohne diese beiden Faktoren“, vermutet Dipl.-Ing. Norbert Frei, „wäre diese erhaltenswerte Stahlbetonkonstruktion sicherlich abgerissen und durch Neubauten ersetzt worden, wie sie zahlreich in unmittelbarer Umgebung des neu erschlossenen Wohngebietes zu finden sind.“ Das Projekt sei ein sehr gutes Beispiel für eine gelungene Umnutzung ehemaliger Industriegebäude zu einer attraktiven Wohnimmobilie und zeige: „…wie erhaltenswerte Stahlbetonbauten durch eine fachgerechte Planung und Ausführung für eine moderne Nutzung wieder ‚fit gemacht werden‘ können und so für die zukünftigen Generationen erhalten bleiben.“