Wirtschaftlich denken,
verantwortlich handeln
Frühzeitige Instandsetzung von Betonbauwerken verhindert Kostenexplosionen
Freiliegende Bewehrungen, offene Fugen und Risse im Beton: Die Instandsetzung eines komplexen Unterführungsbauwerkes in der hessischen Stadt Gernsheim erfolgte so frühzeitig, dass keine unnötig hohen Kosten entstanden.
Jahrelang hat sich die Instandsetzungspolitik von Bund, Ländern und Kommunen ausschließlich auf das Allernötigste konzentriert. Das Ergebnis dieser Politik ist mittlerweile unübersehbar: Viele öffentlichen Bauwerke sind in besorgniserregendem Zustand und stehen kurz vor dem Verfall. „Abgesehen von den erheblichen sicherheitstechnischen Risiken,“ so Dipl.-Ing. Marco Götze, Vorsitzender der Bundesgütegemeinschaft Instandsetzung von Betonbauwerken e.V., „werden durch diese Politik unnötig hohe Zusatzkosten für die Instandsetzung provoziert, die durch regelmäßige Kontrollen und durch eine unmittelbare Beseitigung der Schäden vermeidbar wären.“ Götze verweist darauf, dass sich gerade Schäden im Anfangsstadium mit relativ geringem Kostenaufwand beheben lassen.
Frühzeitig handeln
Geradezu vorbildlich verhielt sich die hessische Stadt Gernsheim. Als an einem über 40 Jahre alten innerstädtischen Unterführungsbauwerk Betonabplatzungen auftraten, beauftragten die verantwortlichen Kommunalpolitiker einen sachkundigen Planer mit einer umfassenden Schadensanalyse. Ziel war es, die Verkehrs- und Standsicherheit des vielgenutzten Bauwerks wieder herzustellen. Die Sanierung erfolgte in einem Stadium, das wirtschaftlich vernünftig war.
Damit entspricht die Durchführung der Maßnahme den Empfehlungen der Bundesgütegemeinschaft Instandsetzung von Betonbauwerken e.V.. Vorsitzender Marco Götze erläutert: „Wenn Schäden auftreten, dann gleich und grundlegend sanieren. Weil man ja weiß, dass die Sanierungskosten nicht linear mit den Schäden fortschreiten, sondern sich exponentiell verhalten.“
Anlass für die Schadensdiagnose
Die innerstädtische Unterführung besteht aus zwei Brückenbauwerken, die rechts und links parallel zu einer Unterführung der Bahnstrecke Darmstadt-Mannheim mit vier Hochgeschwindigkeitsgleisen angeordnet sind. Darunter verlaufen eine innerörtliche Hauptverkehrsstraße sowie ein Rad- und Gehweg.
An der in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts aus Stahlbeton erstellten Anlage wurden seit der Fertigstellung keine Instandsetzungsarbeiten durchgeführt. Betonabplatzungen, freiliegende Bewehrungen, offene Fugen und Risse im Beton waren jetzt Anlass für die Stadt, eine umfassende Bauwerksprüfung zu veranlassen. Sie brachte schließlich das tatsächliche Ausmaß der Schäden ans Licht.
Hohlstellen weisen auf Schäden hin
Zunächst wurden die Oberflächen des Bauwerks auf Hohlstellen abgeklopft, denn „wo Hohlstellen sind,“ weiß Projektleiter Dipl.-Ing. Karl-Jörg Seelbach, „sind auch Schadstellen.“ Grundsätzlich seien Risse im Beton nicht vermeidbar. Ihre Breite dürfe jedoch ein bestimmtes Maß nicht überschreiten.
An verschiedenen Stellen des Bauwerks entnahmen die Ingenieure der SiB Ingenieurgesellschaft mbH, einem Mitglied der Landesgütegemeinschaft Betoninstandsetzung und Bauwerkserhaltung Hessen-Thüringen e.V., Bohrkerne, um die Betondruckfestigkeiten zu ermitteln.
Im Druckversuch zeigte sich, dass die geforderten Mindestdruckfestigkeiten an den einzelnen Bauteilen mit Ausnahme der Aufkantungen erfüllt wurden. Auch die Oberflächenzugfestigkeit (die sogenannte Abreißfestigkeit) des Betonuntergrundes wurde untersucht.
Diese ist ein wichtiges Kriterium dafür, ob im Anschluss an die Instandsetzung ein Oberflächenschutzsystem ohne weitere verfestigende Maßnahmen auf die gesamte Betonfläche aufgetragen werden kann – auch an den Stellen, an denen keine Instandsetzung erforderlich war.
Karbonatisierter Beton, korrodierte Bewehrung
Mit einem geeigneten Scan-Gerät, das eine zerstörungsfreie Untersuchung ermöglicht, bestimmten die Experten die Betondeckung der Bewehrung . Die Karbonatisierungstiefe wurde anhand von entnommenen Bohrkernen ermittelt (Einfärbung mittels Phenolphthaleinlösung).
Dabei stellte sich heraus, dass die Betondeckung größtenteils nicht ausreichend war. Die Bewehrung lag in großen Teilen im karbonatisierten und damit im ungeschützten Bereich. Speziell an den Stützwänden der Bauwerke sowie an den Brückenkappen und Aufkantungen war der Karbonatisierungsprozess bereits weit fortgeschritten. Die Bewehrung war hier so deutlich korrodiert, dass die daraus resultierende Volumenvergrößerung zu den beo-bachteten Abplatzungen führte.
Auch im Sockelbereich war der Korrosionsschutz der Stahlbewehrung ungenügend. Betroffen waren vor allem Bauteile im Spritzwasserbereich. Sie wiesen durchgehend eine zu geringe Betondeckung auf. Außerdem fehlte ein Oberflächenschutzsystem, so dass Wasser und vor allem Tausalze ungehindert in die Konstruktion eindringen konnten.
Instandsetzungskonzept
Diese Erkenntnisse waren Grundlage für das Instandsetzungs-konzept, das den aktuellen Schadensmechanismus nicht nur stoppen, sondern auch zukünftige Schädigungen weitgehend ausschließen soll. Für die Instandsetzung von Verkehrsbauwerken gelten die Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten (ZTV-ING). Hier wird die „Standsicherheitsrelevanz“ der Maßnahme vorausgesetzt, entsprechend war ein sachkundiger Planer mit den erforderlichen besonderen Kenntnissen einzuschalten. Das Instandsetzungskonzept sowie weitere detaillierte Planungsschritte mit Leistungsverzeichnis waren Basis für die öffentliche Ausschreibung. Die Mitgliedschaft in einer Gütegemeinschaft mit einer vom BMVI anerkannten Prüf- und Überwachungsstelle war Voraussetzung für das Abgeben eines Angebotes.
Ein von der SiB Ingenieurgesellschaft mbH erstellter Instandhaltungsplan ergänzt das Instandhaltungskonzept mit dem Ziel, größere Schäden zukünftig zu vermeiden. Er sieht eine regelmäßige Begehung der Unterführungsbauwerke vor. Schadensentwicklungsansätze können so schnell erkannt und behoben werden. Gemäß DIN 1076 unterliegt die Anlage grundsätzlich einem Zyklus der Bauwerksprüfung, der sich mit einfacher Prüfung, Sicht- und Hauptprüfung über sechs Jahre erstreckt.
Betonentfernung mit Höchstdruckverfahren
Voraussetzung für eine fachgerechte Instandsetzung, die hier exemplarisch am Beispiel der Stützwände beschrieben wird, ist vor allem die richtige Vorbereitung des Untergrundes. Daher wurden zunächst alle Flächen der Stützwände sowie im Sockelbereich im Höchstdruckwasserstrahlverfahren bearbeitet. Dabei wird die Oberfläche so weit aufgeraut, dass das oberflächennahe Korn vollständig freiliegt. Im Sockelbereich wurde der durch Chlorid belastete Beton bis auf eine Tiefe von 4 cm und einer mittleren Höhe von 50 cm abgetragen. PCB-belastete Fugen wurden unter Einhaltung der erforderlichen Schutzmaßnahmen ausgebaut.
Freilegung, Entrostung und Reprofilierung
Um die Stähle nicht zusätzlich zu schädigen, entfernten die Arbeiter vorsichtig alle geschädigten Betonbereiche, und legten die Bewehrung frei. Einige Schadstellen wurden bis zu einer Tiefe von 7 cm freigestemmt. Im nächsten Schritt erfolgte die Entrostung der korrodierten Bewehrung entsprechend dem Norm-Reinheitsgrad SA 2½. Besonders stark korrodierte Bewehrung wurde aus statischen Gründen durch den Einbau einer Zulagebewehrung ergänzt.
Die so bearbeiteten Bewehrungsstähle erhielten einen minera-lischen Korrosionsschutz, danach erfolgte der Auftrag einer Haftbrücke. Die Reprofilierung der Schadstellen führten die Handwerker mit einem kunststoffvergüteten Reprofilierungsmörtel (PCC-Mörtel) aus, der statisch anrechenbar ist. Anschließend konnten die Schadstellen verschlossen werden.
Die Reprofilierung des abgetragenen Betons im Sockelbereich erfolgte mit Spritzmörtel mit Kunststoffzusatz (SPCC). Zur Erhöhung der Betondeckung wurde abschließend auf der gesamten Fläche SPCC in 4 cm Dicke eingebaut. Ein ganzflächig aufgetragenes OS-C-Oberflächenschutzsystem, bestehend aus einer PCC- Feinspachtelung und einer CO2-bremsenden Beschichtung in betongrau, bietet vorbeugenden Schutz vor betonschädlichen Stoffen. Die Fugensanierung mit einem Dichtstoff auf Polyurethanbasis schützt vor dem Eindringen von Feuchtigkeit und aggressiven Stoffen. Risse wurden grundsätzlich kraftschlüssig mit Epoxidharz verpresst.
Qualitätssicherung
Eine umfassende Bestandsaufnahme und das darauf basierende Instandsetzungskonzept waren bei der Instandsetzung der Unterführung Gernsheim die Grundlage für die hohe Qualität der Arbeiten. Die Dauerhaftigkeit der Maßnahme gewährleistet der Instandhaltungsplan.
Eigen- und Fremdüberwachung stelle dabei die fachgerechte Ausführung der Arbeiten sicher. Bedingung für die Abgabe des Angebotes war deshalb die Mitgliedschaft in einer Gütegemeinschaft mit einer vom BMVI anerkannten Prüf- und Überwachungsstelle. Nötig war außerdem der Nachweis, dass die Eigenüberwachung durch entsprechend qualifiziertes Personal gemäß den ZTV-ING Teil 3 Abschnitt 4 Ziff. 1.7.2 (nachgewiesen mit dem sog. „SIVV-Schein“ und einer Weiterbildung, die nicht länger als 3 Jahre zurückliegen darf) gewährleistet werden kann.