Zeigen, was in Gebäuden steckt
Mit BIM den CO2-Fußabdruck von Bauprojekten abbildenWelche Materialien und wie viel CO2 verbergen sich in welcher Menge in Bauwerken? Wolff & Müller hat dafür ein Berechnungs-System entwickelt und damit beim Deutschen Baupreis den Sonderpreis für Innovation gewonnen.
Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral werden. Ein wichtiger Bestandteil auf dem Weg dahin ist die Kreislaufwirtschaft, die auch für den Gebäudebereich gelten soll, so die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag für die Jahre 2021 bis 2025. Darin setzt die Ampelkoalition unter anderem das Ziel, einen digitalen Gebäuderessourcenpass einzuführen, um den Einsatz grauer Energie sowie die Lebenszykluskosten verstärkt betrachten zu können. Auf einem Treffen der vom Bundeskanzler initiierten Allianz für Transformation zum Thema Kreislaufwirtschaft erklärte Dr. Rolf Bösinger, Staatssekretär des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen: „Wir denken Kreislaufwirtschaft in konkreten, erfolgversprechenden Projekten, die skalierbar für die gesamte Bauwirtschaft sind. Beispielhaft dafür steht die im Kabinett beschlossene Holzbauinitiative, die Entwicklung eines digitalen Gebäuderessourcenpasses und die gezielte Förderung moderner Technologien wie BIM, um schon im Planungsstadium Aussagen zur Ökobilanz eines Gebäudes zu erhalten. So machen wir Deutschland zum Vorreiter der Transformation im Baubereich.“ Unter anderem mit Blick auf den Gebäuderessourcenpass hat sich Wolff & Müller deshalb zwei wesentliche Fragen gestellt: Wie können wir intern abbilden, wie viel CO2 in unseren Bauwerken steckt? Und: Welche Materialien sind in welcher Menge in den Bauwerken verbaut?
Digitalisierung und Nachhaltigkeit Hand in Hand
Während eines sechsmonatigen Projekts entstand das Tool „Umweltdaten x BIM“ (Building Information Management) zur Erstellung projektspezifischer Product Carbon Footprints. Es wurde anhand vorhandener BIM-Rohbaudatenmodelle getestet. Ein Ziel für das Tool war die Entwicklung projektspezifischer Materialkataster und Lebenszyklusanalysen. Ein Materialkataster ist ein Verzeichnis mit detaillierten Informationen zu den in einem Bauwerk verbauten Materialien, wie deren Herkunft, CO2-Gehalt und wo genau sie verbaut sind. Das Kataster ist somit die Grundlage und Voraussetzung für die Kreislaufwirtschaft im Gebäudebereich. Lebenszyklusanalysen ergänzen diese Informationen, indem sie Umweltauswirkungen der Baustoffe – auch deren Umweltbilanz genannt – während ihres gesamten „Lebenswegs“ von der Gewinnung bis zu ihrer Entsorgung, beziehungsweise ihrem Recycling, berücksichtigen. Projektteams können im Tool beispielsweise abrufen, wie viel Tonnen CO2-Äquivalent der verbaute Stahlbeton oder ein anderes Material enthält – gleiches gilt unter anderem für ganze Bauteile oder Prozessschritte. Sie können dann verschiedene Materialien im BIM-Modell auswählen und auf einen Blick erkennen, wie sich diese Materialien auf die Ökobilanz auswirken. Das hilft ihnen, Bauherren gut zu beraten. Das Projekt zeigt einmal mehr, welche Vorteile eine hochwertige BIM-Planung hat, und dass Digitalisierung und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen.
BIM- und Lebenszyklusdaten verknüpfen
Ein interdisziplinäres Team aus drei Mitarbeitern der Unternehmensentwicklung von Wolff & Müller hat das Tool „Umweltdaten x BIM“ von Frühjahr bis Herbst 2022 entwickelt. Dabei haben sie ein System aufgebaut, das die Zusammenführung vorhandener Daten aus BIM-Rohbaumodellen und Lebenszyklusdaten der entsprechenden Baustoffe ermöglicht. Die aus der Software Desite BIM gewonnen Material- und Mengendaten werden mit den entsprechenden Lebenszyklusdaten im Frontendtool Power BI verknüpft und graphisch abgebildet. Im ersten Ausbauschritt erlaubt das Tool somit, einen projektspezifischen CO2-Fußabdruck von Rohbauprojekten abzubilden. Die nächsten Projektschritte sehen die Integration des BIM-Ausbau-Contents und die Möglichkeit einer DIN-gerechten Abbildung von Lebenszyklusanalysen vor.
Die Weiterentwicklung des Tools in Richtung Gebäuderessourcenpass soll künftig Schritt für Schritt erfolgen, sobald die Anforderungen für den Pass feststehen.
Interne und externe Mehrwerte
Doch der im Koalitionsvertrag vorgesehene, inhaltlich noch festzulegende Gebäuderessourcenpass ist nicht die einzige Motivation für das neue Tool. Es unterstützt Kunden auch dabei, die bereits heute erhöhten Anforderungen für zertifizierte Projekte an die CO2-Datenerfassung einfacher zu erfüllen. Auch mit Blick auf regulatorische Anforderungen – etwa im Zuge der EU-Taxonomie – ist das Tool hilfreich. Perspektivisch geht es hier um die Nachweisführung in Bezug auf verbaute Rohstoffe und Materialien. „Umweltdaten x BIM“ bietet dem Stuttgarter Bauunternehmen auch intern Vorteile für die Planungsoptimierung durch CO2-Benchmarking verschiedener Projekte und Bauweisen. In der Angebotsphase eingesetzt, wird „Umweltdaten x BIM“ zum Vertriebstool.
Nachhaltigkeit und Innovation
Wolff & Müller beschäftigt sich schon lange mit Nachhaltigkeit. Dass wirtschaftliche Unternehmensführung und verantwortungsvolles Handeln eng zusammengehören, ist als Gottlob-Müller-Prinzip, benannt nach dem Firmengründer, fest im Unternehmen verankert. Mit seiner Nachhaltigkeitsstrategie legt Wolff & Müller den Fokus darauf, Verschwendung zu vermeiden, und positive Mehrwerte für vier Anspruchsgruppen zu schaffen: Mitarbeiter, Kunden, Baupartner sowie Umwelt und Gesellschaft. Der jährliche Nachhaltigkeitsbericht informiert über entsprechende Aktivitäten. Mit dem Projekt „Umweltdaten x BIM“ sicherte sich Wolff & Müller beim Deutschen Baupreis 2024 den Sonderpreis Innovation. Grund dafür ist unter anderem die interne Entwicklung innerhalb kürzester Zeit, die das Projektteam mit vorhandenen BIM-Rohbaudatenmodellen getestet hat. Dadurch wurde die Umsetzbarkeit der Ausgangsidee im Alltag eines Bauunternehmens verifiziert. Der Proof of Concept hat gezeigt, dass CO2-Datenerfassung mit Hilfe einer schlanken technischen Lösung möglich ist – und das Tool vom Projektteam auf kommende gesetzliche Anforderungen angepasst werden kann.