Alles wird grün

Energiewende stellt Bau und Bürger vor Herausforderungen

Auf den Tsunami in Japan folgte hierzulande ein politischer Tsunami, der auch heftig in den Köpfen wütete. Als einziges Land in der Welt verkündete Deutschland ein dreimonatiges Moratorium und die Abschaltung von sieben alten Kernkraftwerken. Seit März tobt ein Meinungskampf über den möglichst schnellen Ausstieg aus der Atomenergie.

Alle Parteien, von der CDU bis zu den Grünen, übertrumpfen sich dabei. Alles wird grün. Zu allem Überfluss stellt die Bildung von rot-grünen Regierungen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz große, bereits in Bau befindliche Infrastrukturprojekte in Frage.

Im Moment ist es nahezu unmöglich vorherzusagen, wie das angestrebte Energiekonzept ohne Kernkraft und fossile Kraftwerke einmal aussehen soll. Diese verwirrende Situation ist für die Industrie und die Bauwirtschaft ärgerlich. Erst mittelfristig werden sie aus der veränderten Lage ihre Schlüsse ziehen können. Das Ganze ist wie ein Gärungsprozess. Natürlich hofft man, dass die Bundesregierung im Juni, nach Ablauf des Moratoriums, ein Energiekonzept vorlegen wird, das auch die Oppositionsparteien mittragen können. Der von Bundeskanzlerin Merkel angestrebte Energiekonsens wäre politisch und auch betriebswirtschaftlich vernünftiger als der alte Streit zwischen Atomkraftbefürwortern und –Gegnern. Die Politik nach dem Motto „Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“ würde aufhören. Bekanntlich beschloss Rot-Grün in 2002 den Ausstieg für 2022 und im letzten Herbst setzte Schwarz-Gelb eine Laufzeitverlängerung von 12 Jahren durch.

 

Der Dissens wird bestehen bleiben

Die deutsche Harmoniesucht darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Dissens über den geeigneten Zeitpunkt für den Ausstieg weiter bestehen wird. Dazu braucht man sich nur die verschiedenen Ausstiegsszenarien anzusehen: Greenpeace, die sogar bei ARD und ZDF zu einer seriösen Organisation mutiert ist, setzt auf 2015, die Grünen auf 2017, der Wissenschaftliche Beirat de Bundesregierung WBGU und der Verband der Energiewirtschaft BDEW auf 2020. Alle wollen also noch vor dem alten Szenario von Rot-Grün raus aus der Kernkraft. Politisch ist es aber schwer vorstellbar, dass die Bundeskanzlerin auf die Laufzeitverlängerung völlig verzichtet. Vielleicht bietet sie die Einmottung der alten AKW an und lässt dafür die übrigen länger laufen, vielleicht nicht mehr bis ca. 2034, wie es das jetzige Gesetz vorsieht. Die Laufzeitverlängerung könnte eventuell von den geplanten 12 auf 6 Jahre halbiert werden. Das ist, zugegeben, reine Gedankenspielerei. Aber in der jetzigen Zeit braucht man Wegmarken. Einige Unternehmer hoffen vielleicht, dass sich bis Juni die Gemüter beruhigt haben werden. Zwar zeigen aktuelle Umfragen an, dass eine übergroße Mehrheit der Deutschen den Ausstieg bis 2020 will. Aber wenn sie erfahren, um wie viel der Strompreis teurer und wie stark die Gefahr von Blackouts und Arbeitsplatzverlusten steigen wird, dann denken sie vielleicht noch um. Es ist immerhin bemerkenswert, dass sich gerade Sigmar Gabriel, der SPD-Vorsitzende und ehemalige Umweltminister der Großen Koalition, um die Bezahlbarkeit des Strompreises durch Kleinverdiener und den Industriestandort Sorgen macht. Die Stahl-, Aluminium-, Zement- und Chemieindustrie könnte gezwungen sein, Aktivitäten ins strombilligere Ausland zu verlagern.

 

Der Bürger muss Opfer bringen

Die Bürger werden Opfer bringen müssen, daran führt kein Weg vorbei. Der Ausbau von 3.600 Kilometern „Stromautobahnen“, von den Windanlagen im Norden zu den Verbraucherzentren in Süden, ist laut Deutscher Energie-Agentur (Dena) eine Notwendigkeit. Pumpspeicherwerke werden zusätzlich in erholsamen Bergregionen errichtet werden müssen. Der Neu- und Ausbau von saubereren Braunkohle- und Steinkohlekraftwerken ist notwendig, um die alten CO2-Dreckschleudern zu ersetzen. Das ist leicht gesagt, aber politisch schwer durchzusetzen. Gabriel erinnerte daran, dass Grünen-Chef Cem Özdemir einmal schwere Prügel einstecken musste, „weil er seine Partei davor gewarnt hatte, jedes Kohlekraftwerk zu verteufeln“. Jürgen Trittin erklärt sich nunmehr dazu bereit, auf die Bürgerinitiativen einzuwirken, die gegen Stromleitungen protestieren. Jetzt wo offenbar die Grünen ein hohes soziales Prestige genießen, sind sie geradezu verpflichtet, ihrer Klientel unangenehme Wahrheiten zu verklickern. Die Ambitionen der Bundesregierungen sind geradezuschwindelerregend. So hat die WBGU für 2050 das Ende des „fossil-nuklearen Zeitalters“ verkündet. Als würde der Atomausstieg nicht reichen, wollen diese Regierungsexperten in 40 Jahren auch noch mal schnell die Kohle- und Gaskraftwerke abschalten. Damit möchten sie politisch den Einwand konterkarieren, längere Laufzeiten für AKW seien notwendig, um den CO2-Anstieg zu bremsen. Tatsache ist, dass die fossil-nuklearen Anlagen heute mehr als 80 % des Stroms herstellen und die erneuerbaren Energien weniger als 20 %. Das sind eherne Fakten, mit denen dieses Land noch lange leben muss.

Marcel Linden,

Bonn

Eherne Fakten, mit denen dieses Land noch lange leben muss!

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 11/2011

Ein blockiertes Land?

Bevölkerung gegen Infrastrukturprojekte

Die Behäbigkeit und Bequemlichkeit von Regierung, Verwaltung und Bevölkerung suchen ihresgleichen. In welchem Land der Welt braucht es vom Beginn des Planfeststellungsverfahrens bis zur Vollendung...

mehr
Ausgabe 11/2010

Energiekonzept 2050 schwer zu realisieren

Fehlende Akzeptanz in der Bevölkerung

Bisher hat noch kein Land auf der Welt ein Programm vorgelegt, das die Entwicklung des Energieverbrauchs und der CO2-Emissionen für vier Jahrzehnte in den Griff bekommen will. Die „Klimakanzlerin“...

mehr
Ausgabe 09/2010

GaLaBau 2010: Internationale Fachmesse für das Planen, Bauen und Pflegen mit Grün

Mit dem Messe-Fachteil Playground sowie den 2. Deutschen Golfplatztagen haben wichtige GaLaBau-Arbeitsfelder wie der Bau und die Pflege von Spielplätzen und Golfplatzanlagen eine eigene Adresse...

mehr
Ausgabe 03/2010

Keine Denkverbote mehr!

Neuer Anlauf für Verkehrsfinanzierung erforderlich

Es ist ja nicht so, dass das Land von null aus startet. Seit Jahren schon treibt Toll Collect die elektronische Maut auf Autobahnen bei Lastwagen von über 7,5 Tonnen Gewicht ein. Dies spült je nach...

mehr
4. Deutscher Tag der Grundstücksentwässerung

Dichtheitsprüfung - Politische Entscheidungen stehen an

Alle blicken nach NRW. Vertreter der Landtagsfraktionen stellen beim Tag der Grundstücksentwässerung am 19. November 2012 in Dortmund ihre Positionen vor.

Das entscheidet sich in den kommenden Monaten im Düsseldorfer Landtag. Welche Überlegungen gibt es und wie stehen die Parteien zur Dichtheitsprüfung? Dazu gibt es beim Tag der...

mehr