Ein blockiertes Land?

Bevölkerung gegen Infrastrukturprojekte

Die Energiewende, Deutschlands ehrgeizigstes Vorgaben der nächsten Jahrzehnte, wird nur gelingen, wenn genügend Stromtrassen, Kohlekraftwerke und Pumpspeicherwerke gebaut werden. Damit dies ein Erfolg wird, muss einiges passieren. Viele Blockaden, vor allem Denkblockaden, müssen erst beseitigt werden.

Die Behäbigkeit und Bequemlichkeit von Regierung, Verwaltung und Bevölkerung suchen ihresgleichen. In welchem Land der Welt braucht es vom Beginn des Planfeststellungsverfahrens bis zur Vollendung eines großen Infrastrukturprojekts 10 bis 20 Jahre? Seit den siebziger Jahren hat sich in Westdeutschland eine konservative Mentalität herausgebildet, die aus Reflex auf die betonwütigen Aufbaujahre den Bau von Großflughäfen, Autobahnen, Hochgeschwindigkeitsstrecken, usw. bedeutend erschwert hat. Nach der Wiedervereinigung wurden die Genehmigungsprozesse, allerdings nur in der ehemaligen DDR, beschleunigt. Die ostdeutschen Bürger, die lange unter dem erbärmlichen Zustand der Infrastruktur gelitten hatten, waren auch nicht so verrückt, die Modernisierung zu blockieren. Im Gegenteil, sie wussten, dass nur ein gutes Straßen- und Schienennetz, sowie leistungsfähige Flughäfen, Investoren anziehen und Arbeitsplätze schaffen konnten. Eine spektakuläre Aktion war zum Beispiel die Verlegung des DHL-Hubs der Deutschen Post für Westeuropa von Brüssel nach Leipzig. Heute beklagen westdeutsche Länder und Kommunen, dass die Zustände im Osten oft besser sind als im Westen. Das gelang auch dadurch, dass die Akzeptanz der Bevölkerung für Großprojekte in Ostdeutschland höher ist.

 

Das ostdeutsche Beispiel

Das mitteldeutsche Braunkohlerevier um Leipzig hat sich seit der Wende dramatisch verändert. Dort wo in DDR-Zeiten alte Dreckschleudern für sauren Regen sorgten, arbeiten heute hocheffiziente, saubere Kraftwerke. Von der Spitze des Kraftwerks Lippendorf hat man einen Rundblick auf die neugeschaffenen Seen, die im Sommer von Badenden und Surfern aus der nahen Metropole genutzt werden. Wer hätte sich vor 20 Jahren vorstellen können, dass in so einem verseuchten Gebiet einmal Tourismus möglich wäre? Den westdeutschen „Wutbürgern“ sollte die Deutsche Bahn Freifahrtscheine in die neuen Bundesländer anbieten.  Es ist daher nicht verwunderlich, dass ein Mann wie Joachim Gauck, der als Bürgerrechtler und Pastor die DDR-Misere mit erlitt, sich die Gegner von Stuttgart 21 vorknöpft. In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ äußerte er sich gegen eine Protestkultur, die „aufflammt, wenn es um den eigenen Vorgarten geht“. Sogar „Spiegel Online“ warf den „Wutbürgern“ aus den Stuttgarter Villen „Egoismus“ vor.

 

Stuttgart ist überall

Allerdings sind die Stuttgarter nicht allein auf weiter Flur. Im Gegenteil, die meisten Deutschen denken so wie sie. Eine Allensbach-Umfrage brachte es an den Tag. 58 Prozent der Bürger seien überzeugt, dass sich große Bauprojekte in Deutschland nur schwer realisieren lassen. Dies lässt für die bevorstehende Energiewende nichts gutes erwarten. Obwohl laut Allensbach 60 Prozent die langfristige Sicherung der Energieversorgung für wichtig halten, lehnen sie alles ab, was sie in ihrer Wohngegend beeinträchtigen könnte: 51 Prozent sind gegen den Bau neuer Energietrassen und neuer Gaskraftwerke. Der absolute Buhmann sind die Stein- und Braunkohlekraftwerke: 81 % sind gegen den Bau solcher Anlagen in ihrer Nähe. Natürlich sind diese Werte Momentaufnahmen. Die Bundesregierung, die den Atomausstieg nach Fukushima im Handumdrehen beschlossen hat, kann sich dem widersetzen. Sie darf natürlich nicht vorgaukeln, dass bis zum Ausschalten der letzten Kernkraftwerke in 2022 die erneuerbaren Energien die Atomkraft ganz ersetzen könnten. Die Regierung müsste viel offensiver kommunizieren, dass zur Überbrückung die bereits in Bau befindlichen Kohlekraftwerke und neue thermische Anlagen nötig sind. Außerdem sind mindestens 4.000 Kilometer Hochspannungsleitungen nötig, um den Strom von den Windanlagen an der norddeutschen Küste nach Süddeutschland zu transportieren, da wo die meisten Kernkraftwerke abgeschaltet werden. Die Genehmigungsverfahren für die neuen Stromtrassen sollen etwa 10 Jahre dauern. Kann man sich das leisten? Es könnte noch kritisch werden.

 

Aufklärungskampagne nötig

Als nüchterne Physikerin weiß Bundeskanzlerin Merkel was Sache ist. Aber die Leute für ein unpopuläres Vorhaben von historischer Dimension zu erwärmen oder gar zu begeistern, davor schreckt sie doch zurück. Man müsse die Bürger mitnehmen, lautet eine politische Weisheit. Aber man kann keine Zeit vertrödeln. Schon verlangt die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ein Monitoring, mit dem überprüft werden solle, ob Deutschland mit dem Ausbau der Erneuerbaren vorankommt. „Wir können es uns nicht länger leisten, einfach abzuwarten“, urteilt die Sozialdemokratin, die natürlich vermeiden möchte, dass die stromfressende Industrie (Stahl, Chemie, Aluminium, Zement), die in NRW sehr stark angesiedelt ist, auswandert. Der Wohlstand muss ja schließlich erwirtschaftet werden.

Marcel Linden,

Bonn

Als nüchterne Physikerin weiß Angela Merkel natürlich was Sache ist!

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