Baulärm ist rechtlich privilegiert!
… denn es gilt allein die Allgemeine Verwaltungsvorschrift (AVV) BaulärmBaulärm ist der bei dem Betrieb einer Baustelle verursachte Lärm. Insbesondere die Tatsache, dass lang andauernde Großbaustellen immer öfter in unmittelbarer Nähe von Wohnbebauung, sehr oft sogar in Stadtzentren, anzutreffen sind, führt zwangsweise zu Beschwerden einer zunehmend lärmsensibilisierten Gesellschaft. Dabei berufen sich lärmbetroffene Anwohner, oftmals unterstützt von Akustikern, auf nicht anwendbare schalltechnische Mess- und Beurteilungsverfahren. Der nachfolgende Beitrag erläutert, dass für die Beurteilung von Baulärm die seit 1970 eingeführte AVV-Baulärm als alleiniges Kriterium gilt.
Baustellenlärm
Als Baustellenlärm wird der Lärm bezeichnet, der bei dem Betrieb einer Baustelle, wie z.B. bei der Errichtung von Gebäuden, Straßen und Industrieanlagen, entsteht. Dabei ist entscheidendes Abgrenzungskriterium zu Lärm durch Bauarbeiten von Privatpersonen, der alleine unter den Begriff Nachbarschaftslärm fällt, der gewerbliche Betrieb der Baustelle.
Warum Baulärm als besonders störend bei Angrenzern empfunden wird, ist die Tatsache, dass Baulärm ein sehr spezielles Schallspektrum hat. Baulärm ist insbesondere dominiert von tieffrequenten Lärmanteilen, wobei hervortretende sehr laute Pegelspitzen in tiefen Frequenzen häufig zu beobachten sind. Im Gegensatz hierzu haben marktübliche Baustoffe gerade bei tiefen Frequenzen eine eher schlechte Schalldämmung. Der Lärm von Baustellen tritt also mehr oder weniger ungehindert in die betroffenen Wohnbereiche vor. D.h., der Baulärm kann, ist es aber sicherlich nicht durchgehend, sehr laut sein und wird so auch von den Betroffenen wahrgenommen. Diese Tatsache soll jedoch nichts daran ändern, dass Baustellenlärm, insbesondere spezielle Ausführungstechniken, unvermeidbar ist und dass Baustellen auch in Zukunft durchführbar bleiben müssen. Die Schutzinteressen der betroffenen Bürger sind daher immer unter Berücksichtigung des Allgemeininteresses an der Durchführung von Baustellen zu würdigen. Schließlich sind die einzelne – sehr laute – Lärmbelästigung sowie die gesamte Baustelle zeitlich begrenzt. Auch wenn sicherlich Großbaustellen über einen längeren Zeitraum andauern, so entstehen dort nicht jeden Tag dieselben Lärmemissionen.
Lärmgrenzwerte
Kommt es zu Beschwerden aus der Nachbarschaft einer Baustelle stellt sich als erstes die Frage nach den maßgebenden Lärmgrenzwerten. Dabei werden immer öfter auch technische Regelwerke zur Ermittlung und Bewertung von tieffrequenten Geräuschen ins Spiel gebracht.
Ausgangspunkt für die Beurteilung der Zulässigkeit von Baustellenlärm ist das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG). Baustellen sind im Sinne des BImSchG (§ 3 Abs. 5 Nr. 3 BImSchG) als Anlagen zu qualifizieren, die allerdings keiner Genehmigungspflicht unterliegen. Daher ist für Baustellenlärm § 22 BImSchG für nicht-geneh-
migungsbedürftige Anlagen einschlägig.
Ausgangspunkt für die rechtliche Beurteilung von Baustellenlärm ist gem. § 22 BImSchG, ob von der nicht-genehmigungsbedürftigen Anlage schädliche Umwelt-
einwirkungen ausgehen. Definitionsgemäß sind unter schädlichen Umwelteinwirkun-
gen Emissionen zu verstehen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Für Schallereignisse ist diese Bewertung anhand von dB(A)-Werten vorzunehmen.
TA-Lärm
Im Zusammenhang mit von außen eindringenden Lärmbelästigungen fällt der Blick zunächst immer auf die im Rahmen des § 48 BImSchG zur Konkretisierung von schädlichen Lärmeinwirkungen erlassene TA-Lärm. Die TA-Lärm gibt zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft feste Beurteilungspegel nach Baugebieten vor. Aber: Baustellen sind von dem Anwendungsbereich der TA-Lärm nach dem ausdrücklichen Wortlaut in Ziffer 1 f) aus-
genommen. Es verbietet sich daher Baustellenlärm nach den für Betroffene günstigen Beurteilungsregelungen, die die TA-Lärm gerade für tieffrequente oder ton- und impulshaltige Geräusche vorsieht, zu bewerten. Ein Bauunternehmer sollte daher immer hellhörig werden, wenn z.B. über die Verweisung der TA-Lärm ein schalltechnisches Gutachten auf die DIN 45680 für „tieffrequente Geräuschemissionen in der Nachbarschaft“ zurückgreift. Dies ist unzulässig.
AVV-Baulärm
Für die Beurteilung von Lärm von Baustellen gilt alleine die AVV-Baulärm (Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Schutz gegen Baulärm) aus dem Jahr 1970. Dies folgt aus § 66 Abs. 2 BImSchG, der die Fortgeltung der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Schutz gegen Baulärm (AVV-Baulärm) solange vorsieht, bis eine neue Verwaltungsvorschrift für Baustellenlärm eingeführt wird. Dies ist bislang nicht erfolgt.
Zusammenfassend kann zur AVV-Baulärm festgehalten werden, dass diese entgegen ihrem Ruf gerade noch ausreichende Schutzkriterien für die Anwohner bei Erhaltung der Durchführbarkeit einer Baustelle vorgibt. Wie die TA-Lärm gibt die AVV-Baulärm Lärm-Richtwerte vor, die sich nach den üblichen Baugebieten richten, für ein Mischgebiet gelten also andere Richtwerte als beispielsweise für ein Gewerbegebiet oderein allgemeines Wohngebiet. Die Immissionsrichtwerte der AVV-Baulärm und der TA-Lärm sind bezogen auf die jeweiligen Gebiete identisch.
Die Richtwerte sind A-bewertete dB-Einzahlwerte. Dies bedeutet, dass die gemessene Schallemission über den Frequenzbereich von 10 bis 20.000 Hz dem Hörvermögen des menschlichen Gehörs angepasst und anschließend nach dem Gesetz der Pegeladdition der Gesamtpegel bestimmt wird. Dieser letztendliche Gesamtpegel wird anhand der in der AVV-Baulärm vorgegebenen Richtwerte, die wie gerade erwähnt identisch mit denen der TA-Lärm sind, in dB(A) beurteilt. Dazu ist festzuhalten, dass also sehr wohl (entgegen oftmals verbreiteter Auffassungen) tiefe Frequenzen von der AVV-Baulärm grundsätzlich berücksichtigt werden. Allerdings führt die mit dB(A) gekennzeichnete A-Bewertung bei der Ermittlung des am Immissionsort antreffenden Gesamtpegels dazu, dass die tiefen Frequenzen entsprechend den menschlichen Höreigenschaften angepasst berücksichtigt werden, also ihre Wirkung als weniger schädlich in der Gesamtbeurteilung des Geräusches berücksichtigt wird.
Wie schon oben erwähnt, ist die TA-Lärm gegenüber der AVV-Baulärm wesentlich komplexer gestaltet. Die TA-Lärm sieht insbesondere spezielle Beurteilungsverfahren für Geräusche mit speziellen, sehr hohen Geräuschanteilen (Geräuschspitzen) vor. Ein weiterer wesentlicher Unterschied der AVV-Baulärm gegenüber der TA-Lärm (zugunsten des Allgemeininteresses an der Aufrechterhaltung der Durchführung einer Baustelle) ist der Grundsatz nach Ziffer 4.1 der AVV-Baulärm, nach demMaßnahmen zur Lärmminderung erst dann erfolgen müssen, wenn der einschlägige Beurteilungspegel durch von Baumaschinen hervorgerufene Geräusche am Immissionsort um mehr als 5 dB(A) überschritten ist. Praktisch sind damit die einzuhaltenden Grenzwerte der AVV-Baulärm um 5 dB(A) höher als die der TA-Lärm, obwohl beide Regelwerke für die einzelnen Baugebiete identische Immissionsrichtwerte in dB(A) angeben. Die Richtwerte der TA-Lärm sind zwingende Höchstwerte, die nicht überschritten werden dürfen.
Eine Scheindiskussion unter Juristen ist die Frage, ob die AVV-Baulärm entsprechend der Intention des BImSchG die Gesamtbelastung am Immissionsort, also auch die Vorbelastung durch z.B. Straßenlärm etc., berücksichtigt oder nur auf den durch die Baustelle verursachten Beitrag zur Belastung abstellt. Nicht nachvollziehbar ist in diesem Zusammenhang die Kritik an der AVV-Baulärm, die behauptet, die AVV-Baulärm würde Vor- oder Fremdbelastungen bei der Ermittlung der Gesamtbelastung nicht berücksichtigen (z.B. Dietrich, NVwZ 2009, 144). Denn es gibt keine Zweifel daran, dass die in der AVV-Baulärm angegebenen Immissionsrichtwerte immer zunächst nach dem am Immissionsort gemessenen Beurteilungspegel beurteilt werden, d.h. während dem Betrieb der Baustelle wird am Immissions-
ort gemessen. Selbstverständlich wird bei der Messung am Immissionsort auch die Lärmbelastung aus der Umgebung mit gemessen.
Die Lärmbelastung aus der Umgebung wird in der Praxis aber keine Rolle spielen, da in der Regel der Baustellenlärm den bereits vorhandenen Umgebungslärm um ein Weites überschreitet, insbesondere in den tiefen Frequenzen.
Der Baustellenlärm ist also das dominierende Umgebungsgeräusch. Selbst wenn man nun den theoretischen Fall annimmt, dass der Betrieb der Baustelle und die Fremdgeräusche aus der Umgebung gleich laut am Immissionsort eines Betroffenen sind, würde sich bei der somit gegebenen Verdoppelung des Geräuschpegels am Immissionsort eine Erhöhung des gemessenen Lärmpegels um – nur – 3 dB(A) ergeben. Im Ergebnis bedeutet dies, dass es nur zwei Fälle geben kann: Entweder der Baustellenlärm ist gleich laut oder leiser wie der Umgebungslärm, dann droht keine Gefahr für die Baustelle, denn in diesem Fall kann selbst wenn der Umgebungslärm schon nur noch knapp unter dem Immissionsrichtwert der TA-Lärm lag, niemals der oben erwähnte Grundsatz der AVV-Baulärm erfüllt sein, nämlich dass Maßnahmen wegen der Überschreitung des Immissionsrichtwerts um mehr als 5 dB(A) getroffen werden müssen. In diesem Fall beläuft sich die maximal mögliche Überschreitung auf 3 dB(A) (VGH Kassel, ibr 2011, 487).
Der zweite Fall ist der, dass der von der Baustelle ausgehende Lärm lauter als der Umgebungslärm ist. Eine Gefahr für den Betrieb der Baustelle liegt aber nur dann vor, wenn der Umgebungslärm knapp unter dem Immissionsrichtwert der TA-Lärm liegt und der Baustellenlärm 5 dB(A) lauter ist. In diesem Fall übertönt der Baustellenlärm dann aber auch jeglichen vorhandenen Umgebungslärm. Maßgebend ist in diesem Fall damit einzig und allein der Baustellenlärm.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die AVV-Baulärm für viele Baustellentätigkeiten ein nur sehr schwer einzuhaltendes Kriterium ist, insgesamt aber sehr viele Regelungen enthält, die im Allgemeininteresse eine Durchführung der Baustelle trotz erheblicher Lärmbelästigungen in der Umgebung noch gewährleisten.
32. BImSchVO
Die 32. BImSchV-Geräte- und Maschinenlärmschutzverordnung ist auf die in ihrem Anhang genannten Geräte und Maschinen, darunter auch Baumaschinen, anzuwenden. Für die Beurteilung von Baulärm enthält die 32. BImSchVO jedoch keine Regelungen. Allerdings ist zu beachten, dass die im Anhang der 32. BImSchVO genannten Maschinen, z.B. Betonbrecher, Abbau-, Aufbruch- und Spatenhammer, Bagger und Shredder, ganztägig an Sonn- und Feiertagen sowie in der Zeit von 20 Uhr bis 7 Uhr an Werktagen, insbesondere in Wohngebieten nicht betrieben werden dürfen. Darüberhinaus richtet sich der Inhalt der 32. BImSchVO an die Hersteller der Baumaschinen, die jedes Gerät und jede Maschine des Anhangs der 32. BImSchVO mit der CE-Kennzeichnung und der Angabe des garantierten Schallleistungspegels, der den in der europäischen Richtlinie 2000/14/EG maximal zulässigen Schallleistungspegel nicht überschreiten darf, kennzeichnen müssen. In der Praxis ist daher auf der Baustelle davon auszugehen, dass die Vorgaben der 32. BImSchVO eingehalten sind, lediglich die zeitlichen Vorgaben sind zu beachten.
Planfeststellungsbeschluss
Immer mehr Planfeststellungsbeschlüsse für Großbauvorhaben enthalten Regelung zu möglichen Belästigungen während der Bauausführung, oft auch zum Baulärm. Ein Planfeststellungsbeschluss richtet sich in der Regeln nach den Vorgaben der AVV-Baulärm. Im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens kann die Planfeststellungsbehörde aber auch Schallgrenzwerte über oder unter den Vorgaben der AVV-Baulärm festlegen. Diese Entscheidung unterliegt der Abwägung der Behörde zwischen der Errichtung des Bauwerks und den Interessen der Betroffenen. Grundsätzlich gilt für den Bauunternehmer, dass die im Planfeststellungsbeschluss genannten Grenzwerte maßgeblich und einzuhalten sind.
Rechtsbehelfe der betroffenen Anwohner
Von Baulärm Betroffene können sich an die zuständigen Baubehörden wenden. Liegen die oben beschriebenen Voraussetzungen der AVV-Baulärm vor, also sind die einzuhaltenden Grenzwerte um 5 dB(A) überschritten, dann muss die Baubehörde einen Baustopp verfügen. Weigert sich die zuständige Baubehörde, einen berechtigten Baustopp zu verfügen, dann kann der Betroffene einstweiligen Rechtsschutz bei den Verwaltungsgerichten im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO erlangen.
Bei Planfeststellungsbeschlüssen ist zu beachten, dass auch die Bauphase grundsätzlich Bestandteil der Prüfung im Planfeststellungsverfahren ist. Schließlich ist gemäß § 75 Abs. 1 VwVfG die Zulässigkeit des Vorhabens insgesamt festzustellen und sind neben dem Planfeststellungsbeschluss keine weiteren öffentlich-rechtlichen Genehmigungen mehr erforderlich. Lässt ein Betroffener einen Planfeststellungsbeschluss, der sich zu Baulärm nicht äußert oder sogar zu hohe Grenzwerte für Baulärm enthält, bestandskräftig werden, hat er später keinen Anspruch auf zusätzliche Schutzvorkehrungen. Eine einzige Ausnahme von diesem Grundsatz gibt es, für nachträgliche nicht vorhersehbare Wirkungen können auch bei einem unanfechtbar gewordenen Planfeststellungsbeschluss gemäß § 75 Abs. 2-4 VwVfG noch nachträgliche Schutzmaßnahmen oder Entschädigungen geltend gemacht werden. Die Sperrwirkung des bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses gilt nicht nur für öffentlich-rechtliche, sondern auch bei für privatrechtliche Ansprüche aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB.
Gegenüber von Baustellen zugeführten Immissionen können grundsätzlich auch auf dem Zivilrechtsweg Ansprüche auf Unterlassung gem. §§ 1004, 906 Abs. 1 BGB oder Entschädigung gem. § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, wenn die Zuführung nicht untersagt werden kann und die Grenze dessen überschritten wird, was ein Nachbar nach § 906 Abs. 2 BGB entschädigungslos hinzunehmen hat, geltend gemacht werden. Wie gerade erwähnt gilt dies allerdings nur, wenn kein Planfeststellungsverfahren durchgeführt wurde (BGH, BauR 2010, 451). Maßstab für die Beurteilung dieser zivilrechtlichen Ansprüche sind die Vorgaben aus dem öffentlich-rechtlichen Immissionsschutz, also für Baustellen die AVV-Baulärm.
Fazit
Wird ein Bauunternehmer bei der Ausführung seiner Leistungen mit Beschwerden über Baulärm konfrontiert, ist für die Berechtigung dieser Beschwerden alleine die AVV-Baulärm oder hiervon abweichende Angaben im Planfeststellungsbeschluss maßgebend. Die AVV-Baulärm ist ein – zwar altes – politisch gewolltes Regelwerk, das ein sehr hohes Maß der Abwägung zwischen den Interessen der Betroffenen und dem Allgemeininteresse an der Durchführung eines Bauvorhabens enthält.
Grundsätzlich kann man wohl schon sagen, dass es bei entsprechenden strukturierten Maßnahmen im Bauablauf möglich ist, dass von jeder Baustelle die Schallgrenzwerte der AVV-Baulärm eingehalten werden können. Für die Zukunft muss es das Ziel der Bauwirtschaft sein, dass möglichst wenig an den Vorgaben der AVV-Baulärm geändert wird. Denn geringer werden die Anforderungen nicht mehr, dies zeigt ein Blick in die wesentlich jüngere TA-Lärm.
Bei entsprechenden Maßnahmen sollten die Schallgrenzwerte einzuhalten sein!