Die Sache mit der Gewissheit
Wie wirklich ist das, was wir als Wirklichkeit ansehen? Wie sicher ist, was wir zu wissen und glauben zu dürfen meinen? Nun, spätestens seit Paul Watzlawick 1976 sein diesen Fragen gewidmetes Kultbuch „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“ veröffentlichte (im Piper Verlag erscheint gerade die 39. Auflage!), könnten wir so manches davon als Irrtum verabschieden. Wäre da nicht Watzlawicks großer Gegenspieler, die Gewissheit.
Der Trottel im Spiegel
Wenn es in unserer bunten Welt etwas gibt, das immer wieder die unnötigsten, teuersten und auch menschlich bedrückendsten Probleme heraufbeschwört, dann ist es die Gewissheit. Und gewiss sind wir nahezu unbegrenzt. Zum Beispiel, dass - was auch immer - nur so und nicht anders zu sein habe oder gehe; dass stets wir und nicht die anderen in Auseinandersetzungen gleich welcher Art Recht haben; dass wir die Schlüssel, die wir gerade verzweifelt suchen, hier und nirgendwo anders platziert haben. Woraus sich die weitere Gewissheit ergibt, irgendein verflixter Trottel muss sie von dort genommen und verlegt haben. Nun, mit einem geschwinden Blick in den Spiegel ließe sich dieser Trottel in den meisten Fällen schnell finden.
Also, Vorsicht vor felsenfesten Überzeugungen. Mit der Gewissheit ist das so eine Sache. Professor Irenäus Eibl-Eibesfeldt, der Mitbegründer der Humanethologie, der auf den Menschen bezogenen Verhaltensforschung, hat dazu ein schönes Beispiel beigesteuert. Jeder kennt die Illusion, der Mond fliege gegen die Wolken, wenn er bei leicht bewölktem Himmel zum Mond aufblickt. Eigentlich wissen wir natürlich, die Wolken ziehen und nicht der Mond. Dennoch ist der andere Eindruck zwingend – leider eben nur falsch! Und woher kommt diese Fehlvorstellung? Nun, unsere evolutionär geprägte Wahrnehmung geht hier von der Gewissheit aus, dass sich immer Objekte gegen einen ruhenden Hintergrund bewegen. Diese Hypothese hat sich auf der Erde bewährt. Es war wichtig, nicht lange überlegen zu müssen, ob sich hier eine Beute oder ein Feind bewegten.
Errare humanum est
Womit Eibl-Eibesfeldt uns daran erinnert, dass der moderne Menschentypus im Wesentlichen bereits vor 10 – 20.000 Jahren existierte. Wir unterscheiden uns daher in unserer verhaltensbestimmenden Ausstattung kaum von jenen altsteinzeitlichen Jägern und Sammlern. Diese Gewissheit, sprich diese Vorurteile der Wahrnehmung bestimmen auch unser übriges Verhalten. Wir sind von der Evolution sozusagen auf Fehler programmiert. Was dem Kirchenvater Hieronymus schon im 4.Jahrhundert aufgefallen sein muss, wie sonst hätte er sein berühmtes „Errare humanum est“, Irren ist menschlich, niederschreiben und der Menschheit eine der vermutlich am häufigsten verwendeten Floskeln bescheren können.
Mit „Bozo sapiens – Why to Err ist Human“ – deutsch im Rowohlt Verlag „ Auf Fehler programmiert. Warum der Mensch irren muss“, – spinnen nun zwei amerikanische Autoren den Irrtumsfaden dieser evolutionär ausgelösten trügerischen Gewissheit weiter. Augenzwinkernd tun sie kurz und bündig kund tut, dass sie den vorgeblich weisen Menschen (=homo sapiens) für einen Bozo, einen Trottel halten, der sich immer wieder in seiner vermeintlichen Gewissheit verfängt. Amüsant und aufschlussreich räumen sie mit der Vorstellung auf, der Mensch sei ein durch und durch mit kritischer Vernunft begabtes Wesen. Und würde dementsprechend auch handeln.
Schön wär’s. In Wahrheit verhalten wir uns wo wir gehen und stehen eher unvernünftig denn vernünftig. Täten wir letzteres, gingen wir mit all unseren Gewissheiten ein wenig skeptischer um. Was uns so manche durch das Land schwappende Welle der Verunsicherung ersparen würde. Und so manche politische Fehlentscheidung. Aber da wir das eben nicht tun, glauben wir nun zu oft, was uns als Wahrheit jenseits aller Zweifel präsentiert wird; sehen, was wir sehen wollen, hören bewusst weg, wenn es unangenehm wird, erinnern uns falsch, sobald es uns in den Kram passt.
Glauben, wissen, hoffen?
Mit unserer vermeintlichen Gewissheit sind wir häufig dem Glauben näher als den belegbaren und überdies oft genug auch widersprüchlichen Tatsachen. Und sorgen so immer wieder für beachtliche, meist aber vollkommen unnötige Aufregung und Verunsicherung. Erinnern Sie sich noch an die Prophezeiungen des Club of Rome? Oder an das Waldsterben? Ein Blatt überbot mit Horrorszenarien das andere. Stimmen, die das Eine wie das Andere als eine gefährliche Panikmache ansahen, wurden gnadenlos an den Pranger der Öffentlichkeit gestellt. Obwohl sie Recht hatten.
Ebenso geht es denen, die der Klimakatastrophe gängiger Darstellungsart widersprechen. Obwohl vieles dafür spricht, den diesbezüglich im Augenblick angesagten Propheten ein wenig distanzierter zu begegnen. Immerhin ist es um den Oberpropheten Al Gore jedenfalls schon erstaunlich still geworden. Auch das hochheikle Thema „Atomkraft“ verdiente eine differenziertere Betrachtung. Und das nicht zuletzt im Blick auf die rasch fortschreitende Forschung auf diesem Gebiet. Die von zwölf Staaten voran getriebene Entwicklung einer „nachhaltigen Reaktortechnologie“ von Kernkraftwerken der 4. Generation demonstriert zumindest, dass die Götterdämmerung der Atomtechnologie noch nicht eingesetzt hat.
Daraus lässt sich eigentlich doch nur zweierlei schließen: Vorsicht vor allzu viel spontaner Gewissheit. Und: Geboten ist kritische Distanz zu allen Katastrophensäuen, die tagtäglich durchs mediale Dorf getrieben werden. Viele Wege führen in die Irre. Einer der sichersten ist, stets den momentan gehandelten Überzeugungen zu folgen. Sie müssen nicht unbedingt falsch sein, sind leider aber auch nur selten wirklich richtig. Was so manche wenig segensreiche Schrittfolge unserer Tage erklärt.
Dipl.Betriebswirt Hartmut Volk
Redaktionsbüro Wirtschaft&Wissenschaft, Bad Harzburg
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