Notfall „Seele“ in der Arbeitswelt
„Wie in unserer Berufsbezeichnung bereits zum Ausdruck kommt, kümmern wir uns um Menschen, die Sorge am oder um den Arbeitsplatz haben“, beschreibt Betriebsseelsorger Dr. Rolf Siedler seine Aufgabe. Konkret sieht dieses Kümmern dann so aus: Betriebsseelsorger bieten Beratung zu unterschiedlichen Themen an. Sie machen Schulungen und Seminare. Und sie nehmen in der öffentlichen Debatte kritisch Stellung zu dem, „was wir so erleben“, sagt Siedler. Und das ginge einem oft genug schon ganz schön unter die Haut.
Schattenseiten
Womit wird ein Betriebsseelsorger konfrontiert? Womit muss er sich auseinandersetzen? „Mit den Schattenseiten der Ar-
beitswelt“, sagt Siedler, „die Leute nehmen mit uns Kontakt auf, wenn sich eine Entwicklung abzeichnet, die ihnen Sorge bereitet oder ein Problem schon konkret vorliegt.“ Der betriebs-seelsorgerische Einstieg „ist also eine negative Erfahrung.“ Im Einzelnen zeichnet Siedler von dieser „negativen Erfahrung“ ein variantenreiches Bild: Viele melden sich zu dem was man unter „Mobbing“ versteht. Der wachsende zwischenmenschliche Wettbewerb am Arbeitsplatz und um Arbeitsplätze ent-
hemme doch merklich. Zunehmend melden sich auch Leute zum Thema „Burnout“. Ein ganz großes Thema ist Angst. Ängste, diffuse oder ganz handfeste, durchwuchern die Arbeitswelt immer mehr
Nichts gelernt?
Was macht dem Betriebsseelsorger Rolf Siedler besonders zu schaffen? Neben den einzelnen Schicksalen „die Gesamtwetterlage“. Soll heißen: Die Politik hat aus der Krise nichts ge-
lernt. Der Tanz um das goldene Kalb, das Wettlaufen um Rendite geht ungebremst weiter. Die Finanzwirtschaft führt weiterhin ihr Eigenleben ohne Verbindung mit der Realwirtschaft. Die nächsten Blasen deuten sich bereits wieder an. Der Mittelstand und die kleinen Unternehmen werden im Stich gelassen. Also die, die in der Masse noch die Arbeitsplätze stellten. Noch! „Eine weitere Krise wie diese werden viele Betriebe nicht überstehen“, ist Siedler überzeugt. Naheliegend für ihn, was das für die Menschen bedeutet. Was kann er tun? Wie kann er helfen? „Ich bin für die Menschen da, ich höre ihnen zu!“ Das mag banal klingen, ist es aber nicht! Immerhin kommen Viele mit der bitteren Erfahrung, dass niemand (mehr) für sie wirklich da ist, ihnen zuhört, ihre Anliegen ernst nimmt. „Dann stelle ich Fragen“, erzählt Siedler. Damit beginne ein Klärungsprozess. Dabei gelte es herauszufinden, „was liegt in meinem Gestaltungsraum? Wo habe ich Spielraum und wo nicht?“ Zusammen mit den Leuten entwickelt Siedler dann Ideen. Da er betriebliche Hintergründe kennt, kann er ab-
schätzen, was möglicherweise funktioniert und was nicht. Meist gehen die Leute mit einer Idee – und sei sie noch so klein – aus dem Gespräch, was sie mal ausprobieren möchten. Für Siedler ist das eine Strategie des „kleinen Mutes“ und der „kleinen Schritte“. Und der ermutigenden Zuwendung. „Die kennen die Leute im Arbeitsleben doch gar nicht mehr.“
Konfrontation mit dem Elend
Dennoch, Siedler wird mit viel menschlichem Elend konfrontiert. „Wie das entsteht?“ Es kommen eigentlich immer zwei Faktoren zusammen: Das eine sind die Menschen selbst. Jeder hat da ein individuell unterschiedliches Reaktionsmuster in existentiell heiklen Situationen, bei Stress und Konflikten. Die einen wissen sich zu wehren und zu helfen, andere nicht. Grundsätzlich gilt aber, sagt Siedler, „wer in dieser Arbeitswelt nicht immer top drauf ist gerät schnell auf die Verliererstraße.“
Das andere sind die Bedingungen, unter denen die Menschen arbeiten: Hier gibt es eine gute Unternehmenskultur, da nicht. Hier gibt es einen engagierten, beherzten Betriebsrat, anders-
wo nicht. Hier gibt es geschulte Führungskräfte, die ihre Schu-
lungen auch verarbeitet haben, sich entsprechend verhalten, anderswo wird das Gelernte stur rezepthaft umgesetzt und viel Unsinniges durch- und in Gang gesetzt. Da läuft es grad rund, da nicht.
Gespalten
„Ich erlebe die Spaltung der Gesellschaft tagtäglich“, sagt Siedler. Betriebe könnten und müssten ihren Teil dazu beitra-
gen. Letztlich aber sei es eine gesellschaftliche Aufgabe, die politischen Rahmenbedingungen wieder vom Menschlichen her zu setzen und nicht vom Interesse des Kapitals. Wichtiger als die Aktienkultur sei die Unternehmenskultur. Oder wie es ein kluger Satz sagt: Vor der Wertschöpfung muss die Wertschätzung kommen.
„Wir müss(t)en wieder für „gute Arbeit“ sorgen“, fasst Siedler seine Wünsche zusammen. Dazu gehören? Verlässliche Arbeitsbeziehungen, keine „fluiden“ Belegschaften; ein ge-
sichertes Auskommen, keine Dumpinglöhne. Abgesicherte Beteiligungsmöglichkeiten. Ebenso sinnvolle Mitspracherechte „anstatt des enormen Anpassungsdrucks und der faktischen Denk- und Redeverbote trotz gegenteiliger Aufforderungen in Sonntagsreden.“ Außerdem eine Begrenzung der Arbeitszeit, „die ja heute für Viele mit der Tatsache ständiger Erreichbarbarkeit faktisch nicht mehr gegeben ist.“
Dipl.-Betriebswirt Hartmut Volk, Freier Wirtschaftspublizist,
Bad Harzburg,
E-Mail: hartmut.volk@t-online.de