Personallogistik auf Baustellen

Am Bespiel eines standardisierten Baustellenausweises sowie einer erweiterten digitalen Zutritts- und PSA-Kontrolle

1 Auswirkungen unzureichender personallogistischer Kontrollen Arbeitsunfälle, illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit sowie das Nichteinhalten von Mindestlöhnen etc. auf Baustellen führen immer wieder zu negativen Schlagzeilen. Ferner trägt der Einsatz nicht ausreichend qualifizierten Personals zu Gefährdungen, zu „Pfusch am Bau“ und somit mangelhafter Qualität von Bauleistungen bei. Zur Ver-
besserung des Images existiert Handlungsbedarf auf Seiten der Arbeit- bzw. Auf-
traggeber (AG) genauso wie auf Seiten der Arbeitnehmer bzw. Auftragnehmer (AN).

1.1 Bestehende Kontrollen / Ausweissysteme

Mit Blick auf den Bereich der illegalen Beschäftigung heißt es im „Leitbild Bau“ aus dem Jahr 2009: „Die Kontrolle und Sanktionierung illegaler Praktiken muss durch eine ausreichende personelle Ausstattung bei den Zollämtern und durch eine Verbesserung der Verfügbarkeit und Qualität personenbezogener Daten erleichtert werden.“

Sowohl den Verbänden als auch den ausführenden Unternehmen selbst sind die angesprochenen Probleme bewusst. Es sind daher in der Praxis auch Ansätze und Instrumente zu finden, um hier zu Verbesserungen zu gelangen. Im Bereich der Personenidentifikation setzen die deutschen Kontrollbehörden, anders als tlw. im Ausland, in dem Baustellenausweise tlw. bereits Pflicht sind, weiterhin auf die branchenunspezifischen Ausweispapiere, die jeder auf der Baustelle Tätige von der SOKA-BAU, bei der ihn sein Arbeitgeber melden muss, mit eindeutiger Arbeitnehmernummer erhält. Damit dies möglich ist, bestand bis Ende 2008 auf deutschen Baustellen Mitführungspflicht für den SV-Ausweis. Seit 2009 ist gem. § 2a Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz der Personalausweis, der Reisepass oder ein Ausweisersatzdokument mitzuführen. Je nach Herkunft und Arbeitsverhältnis sind ggf. weitere Dokumente vom AN mitzuführen bzw. vom AG vorzuhalten.

Im Fall der Einführung der Sicherheits- und Gesundheitsschutzkontrollen (SiGeKo) wurden Maßnahmen zur Verbesserung des Arbeitsschutzes über gesetzliche Vorgaben zum Standard gemacht. Geregelte Ausweissysteme für Personen auf Baustellen, mit denen z.B. Sicherheitstrainings oder Befähigungsnachweise zum Führen von Baumaschinen nachgewiesen werden können, existieren bisher in Deutschland nicht. In anderen Staaten bestehen solche, so unter der Bezeichnung „Safe Pass“ in Irland, das „CSCS“ in England oder die „White Card“ in Australien. Bisher wird hier auf die Unfallverhütungsvorschrift (UVV) der Berufsgenossenschaften (BG) verwiesen, wonach die Verantwortung zur Unterweisung bzw. Eignungsprüfung bei den Unternehmern liegt.

 

1.2 Verbreitung von Baustellenausweissystemen

Aber auch ohne gesetzliche Vorgaben haben unternehmens- und baustellenbezogene Ausweissysteme für Zutrittskontrollen auf Baustellen und Zeiterfassung inzwischen auch in die deutsche Bauwirtschaft Einzug erhalten. Das Betreiben baustellenbezogener Systeme wird bereits von mehreren Unternehmen als Dienstleistung angeboten. Anders als in gesetzlich bzgl. der Mindestangaben geregelten Baustellenausweisen (z.B. Italien, Österreich), liegt die Gestaltung der Ausweise bzgl. der enthaltenen Informationen dabei im Ermessen des Ausstellers. Die Ausweise wären daher selbst dann nicht baustellenübergreifend einsetzbar, wenn auf den Baustellenbezug bei der Ausstellung verzichtet und stattdessen unternehmens- oder personenbezogene Ausweise eingesetzt würden, da die Anbieter unterschiedliche AutoID-Techniken einsetzen.

 

2 Konzept für einen standardisierten Baustellenausweis

Im Rahmen der Forschungsprojekte „InWeMo“ und „RFID-Baulogistikleitstand“, gefördert vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) im Bundesministerium für Verkehr, bau- und Stadtentwicklung (BBSR) wurden Untersuchungen durchgeführt, die zu einem ersten Konzept für die Gestaltung eines Baustellenausweissystems führten.

Durch ein im Baustellenausweis integriertes Fingerprint-System kann die Manipulierbarkeit der Zutrittskontrolle und auch der Zeiterfassung durch Ausweisweitergabe verhindert werden. Der Ausweis wird hierdurch somit personenbezogen und baustellen- bzw. arbeitgeberunabhängig. (Aus datenschutzrechtlichen Gründen wird der Fingerabdruck nur auf dem Ausweis und nicht im Stammdatenserver gespeichert.) Je nach Anforderung der Anwendung des Ausweises stehen weitere AutoID-Komponenten zur Verfügung: Nah- und Weitbereichs-RFID, 1D- und 2D-Barcodes sowie Klarschrift. Zusätzlich wird die Ausweisnummer gespeichert. Auszustellen sind diese Ausweise von lizensierten Ausgabestellen. Zur Herstellung des Arbeitgeber- oder Baustellenbezugs sind Freiräume für temporär aufzubringende Plaketten vorhanden. Inzwischen wurde ein erster Prototyp eines Baustellenausweises entwickelt und im Rahmen von Praxisuntersuchungen an Personen auf einer Demonstrationsbaustelle ausgegeben. Hierbei wurden erste Tests zur Eignung von Fingerprintlesern im Baustellenumfeld durchgeführt. Durch Verwendung von Standards wird für eine Nutzbarkeit der Ausweise auch in ggf. bereits vorhandenen Anwendungen gesorgt.

 

3 Chancen verbesserter

Kontrollen

Eine Steigerung der Qualität und eine motivationsbedingt höhere Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter erscheint bei gleichzeitiger Erhöhung der Arbeitssicherheit sowie einer Reduzierung der Kosten über eine Veränderung der Prozesse unter Einsatz geeigneter, heute infolge des technischen Fortschritts verfügbarer Instrumente zur Kontrolle und Dokumentation möglich. Werden diese Instrumente branchenweit eingesetzt, führen sie gesamtwirtschaftlich weder zu Mehrkosten noch zu Wettbewerbsverzerrungen. Vielmehr kann durch sie das – ggf. dem heutigen Umgang mit dem Vergaberecht geschuldete – Preis- und so ggf. auch das damit einhergehende Lohndumping unterbunden werden. Auch wird bei branchenweitem Einsatz von Kontrollsystemen allen Unternehmen der Branche die gleiche Chance zur Prozessoptimierung und damit zur Aufwandsminderung eröffnet.

Ein Schlüssel, um neue Formen der Zusammenarbeit und Prozessgestaltung, der Sicherheitskontrollen etc. zu erreichen, kann darin liegen, dass die am Bau Beteiligten sowie ihre PSA im Arbeitsalltag auf einfache Weise identifizierbar gemacht werden. Die Identifizierung von Personen kann über den standardisierten, AutoID-unterstützten Baustellenausweis erfolgen. Für die Identifizierung der PSA eignen sich Kennzeichnungen unmittelbar an oder in den Objekten.

Möchte man darüber hinaus feststellen, ob eine Person die PSA (z.B. den Helm) nicht nur mit sich führt, sondern diese auch trägt, so reichen Kennzeichnungstechniken nicht mehr aus und es muss ggf. auf Sensor- oder Bildverarbeitungstechniken zurückgegriffen werden.

 

4 PSA-Kontrolle unter Einsatz von AutoID- und Sensor-Technik

Auf einer Baustelle spielt Sicherheit eine große Rolle. Neben dem Bauherrn bzw. seinem Vertreter (z.B. SiGeKo) sind u.a. die Bauleiter der ausführenden Unternehmen für die Sicherheit der anwesenden Personen verantwortlich. Die PSA soll helfen, Arbeitsunfälle zu verhindern bzw. gesundheitliche Folgen möglichst gering zu halten. Heute wird das Verwenden der PSA allein durch visuelle Kontrolle der Vorgesetzten der Arbeiter sichergestellt bzw. sollte sichergestellt werden. Allzu oft wird aber in der Routine des Alltags die PSA vernachlässigt.

Untersuchungen haben ergeben, dass in der bisherigen Praxis der manuellen Überprüfung der Vollständigkeit der PSA die Bauleitung oder die Fachkraft für Arbeitssicherheit auf Baustellen nur stichprobenartig auf das Tragen von PSA hinweisen können. Eine vollständige und permanente Überprüfung des Tragens von persönlicher Schutzausrüstung in Gefahrenbereichen kann somit nicht sichergestellt werden. Der Ansatz mittels RFID-Technik PSA-Gegenstände automatisch zu erfassen und zu kontrollieren wurde im Projekt „Sicherheitstechnik mit RFID“, gefördert von der Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) erarbeitet und in den Projekten „InWeMo“ und „RFID-Baulogistikleitstand“ weiterentwickelt. In den Praxisdemonstrationen im Projekt „RFID-Baulogistikleitstand“ wurden verschiedene PSA-Gegenstände, wie z.B. Schutzhelm, Sicherheitsbrille, Warnweste, Sicherheitsschuhe, mit einem RFID-Transponder (auch Tag genannt) gekennzeichnet. Zusätzlich wurde der mit RFID-Tag beinhaltende Baustellenausweis an der Warnweste befestigt.

Die Tags der PSA beinhalten hierbei eine weltweit eindeutige Nummer. Die Übertragung dieser Nummer erfolgt berührungslos und sichtkontaktfrei über einen sog. RFID-Reader an das übergeordnete Verarbeitungs- und Steuerungssystem.

 

4.1 Kombinierte Zutritts- und PSA-Kontrolle beim Betreten

der Baustelle

Der Prozess „Betreten der Baustelle“ könnte sich wie folgt gestalten: Im ersten Schritt wird die Person dazu aufgefordert, sich mittels Vorhalten des Baustellenausweises vor ein RFID-Terminal anzumelden und eine Authentifizierung durch Auflegen des Fingers auf einen Fingerprintleser durchzuführen. Im nächsten Schritt wird beim Durchschreiten des PSA-Kontrollportals automatisch die personenbezogene PSA über die RFID-Technik abgefragt. Gleichzeitig wird das Profil der erfassten PSA kontrolliert. Bei positiver Kontrolle des Baustellenausweises, des Fingerprints und der PSA wird das Drehkreuz freigegeben und der Zugang zur Baustelle wird gewährt. Bei Bedarf wird nun auch die Zeit des „Kommens“ automatisch registriert. Der Prozess des Verlassens der Baustelle funktioniert entsprechend, jedoch i.d.R. ohne PSA-Abfrage. Bei negativer Kontrolle wird zum Einen die Person über einen Touchscreen und zum Anderen der Datenverantwortliche informiert.

 

4.2 Erste Laborversuche eines RFID Sensor Kits

In dem derzeit laufenden Projekt „Lebenszyklusdatenerfassung für persönliche Schutzausrüstung mit AutoID-Systemen“, gefördert durch die DGUV wird untersucht, inwiefern durch die Kombination von RFID-Technik und Sensoren, die Druck, Feuchte, Temperatur, Erschütterung etc. aufzeichnen, Lebenszyklusdaten automatisch erfasst und ermittelt werden können. Durch diese zusätzlichen Informationen könnte an einem Kontrollpunkt nicht nur die Vollständigkeit, sondern zeitgleich auch die Funktions- und Einsatzfähigkeit der mitgeführten PSA überprüft werden.

Erste Versuche mit einem  RFID Sensor Kit wurden in Anlehnung an DIN EN 397 (Testverfahren für Industrieschutzhelme) im Testlabor des Instituts für Arbeitsschutz (IFA) der DGUV durchgeführt (vgl. Abb. 5). Bei diesen Versuchen wurde die Auswirkung auf einen Bauhelm durch herunterstürzende Objekte untersucht. Mittels eines Beschleunigungssensors, der im Inneren des zu testenden Bauhelms befestigt wurde, konnten Erschütterungs- bzw. Beschleunigungswerte automatisch erfasst und ausgewertet werden. Eine Problematik, die bei diesem Versuch deutlich wurde, ist, dass kein direkter Zusammenhang zwischen den erfassten Werten und dem Zustand des Helms festzustellen war. Die Beschleunigungskurve beim ersten Aufprall der Kugel auf den Helm unterschied sich nicht wesentlich von der beim dritten oder fünften Aufprall. Ein signifikanter Unterschied war erst festzustellen, nachdem der Bauhelm sichtbar beschädigt war. An dieser Stelle bedarf es weiterführender Untersuchungen, die das eindeutige Auswerten der erfassten Sensordaten im Hinblick auf die Einsatzfähigkeit eines Schutzhelms ermöglichen.

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