Wie lassen sich Nachtragskrisen vermeiden?

Baubegleitendes Vertragsmanagement für den Mittelstand

Die Situation kennt nahezu jeder, der im Baugewerbe tätig ist: Die „typische Nachtragskrise“: Unmittelbar nach Auftragserteilung muss mit der Bauausführung begonnen werden. Es bleibt kaum Zeit für die Arbeitsvorbereitung, gerade mal der Materialeinkauf und die Beauftragung der Nachunternehmer wird zeitlich geschafft. Die Baustelle wird sofort eingerichtet und es kann losgehen.

Einleitung

Voller Optimismus startet man in die Abwicklung, mit dem Ziel den Auftraggeber durch Qualität und Leistungsfähigkeit zu überzeugen. Bereits nach wenigen Tagen weicht die Begeisterung und es entstehen Probleme. Erste Bau-Soll-Abweichungen werden erkannt, aber aus verschiedensten Gründen wird die Verfolgung zurückgestellt. Mit nahendem Baustellenende verdichtet sich die Erkenntnis, dass das Baustellenergebnis Anlass zur Besorgnis gibt und es wird nach Gründen gesucht. Jetzt werden die Nachträge gestellt und nicht selten im Rahmen der Schlussrechnung dem Auftraggeber übergeben. Dessen Reaktion ist folgerichtig eine massive Ablehnungshaltung, da er überrascht ist und nicht mehr reagieren kann. Nun ist die Zeit des Claim-Managers gekommen. Im Stile eines Pathologen seziert er die Baustelle und entdeckt unzählige Nachtragspotenziale und Behinderungen. Die Forderungen werden nun zusammengestellt und sollen verhandelt werden, häufig mit überschaubarem Erfolg: Die Dokumentation der Baustelle ist unzureichend; man hatte beim Bauen andere Sorgen.

Was folgt aus der „typischen Nachtragskrise“? Der Auftraggeber ist hochgradig unzufrieden, der Auftragnehmer ist frustriert, eine zeitnahe Lösung nicht möglich und am Ende droht sogar ein Rechtsstreit mit offenem Ausgang für beide Seiten; zumindest aber mit hoher zeitlicher Belastung und hohen Kosten.

Grundsätzlich ist es eine geschäftspolitische Entscheidung, wie mit solch sensiblen Themen, wie z.B. Nachträgen und Behinderungsanzeigen verfahren wird. Nicht jeder Nachtrag kann/sollte gestellt werden und nicht jede Behinderungsanzeige ist „taktisch“ sinnvoll. Von Fall zu Fall ist dies zu prüfen. Aber eines sollte doch immer erfolgen: Die Voraussetzungen zu schaffen, Ansprüche geltend zu machen – unabhängig davon, ob man es will oder nicht. Denn wenn beispielsweise die Verfolgung der Nachträge gewollt ist, sollte es nicht an einer unzureichenden Dokumentation liegen. Andererseits sollte eine Baustellendokumentation nicht dazu führen, dass der Auftraggeber mit Schreiben „überschüttet“ und der Ruf des Unternehmens ruiniert wird. Um dieses Spannungsfeld zu überbrücken, hat sich die nachfolgende Idee in der Praxis bewährt.

 

Begriff Vertragsmanagement

Fassen wir die ganze Thematik Nachträge, Behinderungsanzeigen, Baustellendokumentation etc. unter dem Begriff „Vertragsmanagement“ zusammen. Auftragnehmer sollten sich von der Idee, bauen zu wollen, lösen. Natürlich baut der Auftragnehmer, aber doch nur weil er eine entsprechende vertragliche Verpflichtung eingegangen ist um hiermit Gewinne zu erwirtschaften.

Bauen steht bei dieser Betrachtungsweise dann in zweiter Reihe; Verträge zu erfüllen in Erster. Diese geänderte Sichtweise führt zu einer anderen Herangehensweise an die Abwicklung von Bauprojekten: Was muss ich für meinen Preis bauen und unter welche Bedingungen? Weicht die Realität von den vertraglichen Vereinbarungen ab?

„Baubegleitendes“ Vertragsmanagement verhindert die vorgenannte Nachtragskrise. Nur wenn die Ansprüche während der Bauabwicklung erkannt, dokumentiert und ggf. zeitnah durchgesetzt werden, lässt sich dieses Szenario vermeiden. Der Auftragnehmer erhält die ihm zustehende Vergütung, der Auftraggeber kann zeitnah reagieren und behält zugleich einen Überblick über die wirtschaftliche und terminliche Entwicklung. Eine klassische Win-Win Situation.

 

Zu Anfang war das Wort ...

Baubegleitendes Vertragsmanagement beginnt mit dem Lesen des Werkvertrages. Nicht alles was niedergeschrieben wurde hat auf erstes Ansehen Bedeutung. Entscheidend ist der Wiedererkennungseffekt: „Da stand doch was …“ Hier wird die Grundlage eines erfolgreichen Vertragsmanagements und einer für beide Seiten zufriedenstellenden Bauabwicklung gelegt. Dieser Vorgang beschränkt sich nicht nur auf die Geschäftsleitung, sondern auch und insbesondere auf die Bauleitung sowie den Polier. Es geht nicht darum, Baufachleute zu Juristen umzuschulen. Dennoch sind es doch gerade die Mitarbeiter auf der Baustelle, die Abweichungen vom vertraglichen Bau-Soll erkennen können und demzufolge auch müssen.

Die Geschäftsleitung im Büro kann nur auf das reagieren, was die verantwortlichen Mitarbeiter auf der Baustelle erkennen. Was sie nicht sehen, geht an Ansprüchen für immer verloren. Die für die Baustellen- besser Vertragsabwicklung – zuständige Crew muss so geschult werden, dass sie Nachträge, Behinderungen etc. erkennt. Natürlich muss ein Polier ein Leistungsverzeichnis lesen können! Da die Poliere und die Bauleiter häufig nicht entsprechend ausgebildet sind, entsteht Schulungsbedarf. Seminare alleine sind nach Ansicht des Verfassers kein geeignetes Mittel. Das hier gelehrte Wissen kann nicht vollumfänglich auf die Bedürfnisse eines Bauunternehmens ausgerichtet sein. Schulungen erfolgen sinnvollerweise konkret bei der Baustellen- oder besser Vertragsabwicklung. Erfolgreich ist dies aber nur, wenn dies über einen längeren Zeitpunkt erfolgt; „Crash-Kurse“ helfen auch auf der Baustelle nicht. Nachhaltigkeit ist hier das Maß der Dinge.

Wie bereits dargelegt, liegt der Focus beim baubegleitenden Vertragsmanagement auf der Baustellendokumentation. Formvollendete „VOB/B-Schreiben“ sind hiermit nicht gleichzusetzen. Dokumentieren heißt Bauablaufpläne erstellen und fortschreiben, das Bautagebuch zielgerecht zu führen und auf die Inhalte der Baustellenprotokolle achten. Es wäre naiv zu glauben, dass es immer ohne Schriftverkehr geht. Schreiben vermitteln in unserem Kulturkreis immer den Eindruck des Offiziellen, auf das man entsprechend deutlich reagieren muss. Insbesondere dann, wenn man dem Schreiben einen „amtlichen“ Charakter verleiht. Dies ist nicht nur völlig unnötig, provoziert aber in der Regel eine Folgewelle an wechselseitigen Schreiben. Abbildung 1 zeigt an einem abstrakten Beispiel, dass es auch anders geht: Der Inhalt ist der gleiche; der Ton ein anderer.

Die Dokumentation der

Vertragsabwicklung

Nachfolgend werden die wesentlichen Möglichkeiten der Dokumentation erläutert.

 

1. Bauablaufplan

Vor Baubeginn werden die Bauabläufe geplant und in einem Terminplan dokumentiert. Dieser Terminplan berücksichtigt nicht nur die Vertragstermine, sondern auch die für die Vertragsabwicklung bedeutenden Ereignisse in Form von Meilensteinen. Auftraggeberseitige Leistungspflichten, wie z.B. Planlieferungen, oder notwendige Vorleistungen anderer Gewerke werden so dokumentiert. Dieser Terminplan ist zwischen den Vertragspartnern als verbindlich anzuerkennen, da er sonst keine rechtliche Bedeutung besitzt. Treten bauzeitlich relevante Ereignisse auf, können diese im Terminplan als „Update“ dokumentiert werden. Natürlich fallen hierunter auch Ereignisse, die in den Verantwortungsbereich des Auftragnehmers fallen (z.B. Gerätedefekte). Alle Störungen sollten zusätzlich durch Fotos belegt und verdeutlicht werden.

 

2. Bautagebuch

Die Bedeutung des Bautagebuches wird häufig unterschätzt. Aber gerade zur Untermauerung und als Beweismittel ist dieses Dokument von größter Bedeutung. An dieser Stelle kann nur dringend angeraten werden, einen einheitlichen Standard zu schaffen, der alle vertraglich relevanten Vorgänge erfasst. Hier unser Vorschlag:

n Tagesbericht-Nr., Datum

n Witterungselemente

n Anzahl der Belegschaft

n Angabe Nachunternehmer

n Eingesetzte Großgeräte

n Ausgeführte Arbeiten

(vor allem auch Ausführungsort)

n Behinderungen / Stillstände

n Anordnungen des Auftraggeber

n Eingegangene Planunterlagen

n Fotodokumentation

n Unterschrift Auftraggeber/Auftragnehmer

 

3. Baubesprechungsprotokolle

Baubesprechungsprotokolle sind kein ausschließliches Instrumentarium für Auftraggeber, die angeblich ständigen „Verfehlungen und Versäumnisse“ des Auftragnehmers festzuschreiben. Auftragnehmer sollten auf ihr Recht bestehen, auch die Dinge niederschreiben zu lassen, die aus ihrer vertraglichen Sicht notwendig sind. Ein Behinderungsschreiben ist dann, wenn das Protokoll dem Auftraggeber zugestellt wurde!

 

Praktische Umsetzung

Die Verfasser haben die Idee des baubegleitenden Vertragsmanagement erfolgreich in mittelständische Unternehmen eingeführt. Wesentliche Erkenntnis hieraus ist: Es funktioniert tatsächlich und es produziert überschaubare Kosten, die über einen längeren Zeitpunkt gestreckt werden. Nochmals in aller Deutlichkeit: Baubegleitendes Vertragsmanagement findet zunächst im Hintergrund statt. Nur wenn es der Auftragnehmer will, „tritt es zu Tage“ und entfaltet seine Möglichkeiten. Immer gerade so, wie es aus Sicht der Unternehmung richtig ist.

Wie bereits ausführlich dargelegt, kommt der Schulung eine ganz besondere Bedeutung zu. Aber auch ein ganz gezieltes vertragsbezogenes baubegleitendes Vertragsmanagement ist möglich. Ein externer Spezialist unterstützt hierbei das Team auf der Baustelle in allen Fragen der vertraglichen Abwicklung. Dies könnte dann interessant sein, wenn das „Bauchgefühl“ eine solche Vorgehensweise sinnvoll erscheinen lässt. Abbildung 2 zeigt die Möglichkeiten der Umsetzung der Idee des baubegleitenden Vertragsmanagements.

Fazit

Die Idee des hier vorgestellten baubegleitenden Vertragsmanagement ist insbesondere für mittelständische Bauunternehmen eine mögliche Hilfe, sich im „Haifischbecken“ des Baugeschehens zu behaupten. Gerade mittelständische, handwerklich orientierte Unternehmen, die in der Region ihres Unternehmens einen guten Ruf und über viele Verbindungen verfügen, scheuen zu Recht den zu offenen Umgang mit diesem Thema. Die berechtigte Sorge vor dem Imageverlust und dem Verlust der nächsten Aufträge verbietet eigentlich ein massives Vertragsmanagement. Das Unterlassen desselben birgt aber auch Gefahren: Ansprüche gehen verloren und man kann sich gegen unberechtigte Ansprüche des Auftraggebers nur schwerlich wehren. Genau hier hilft die Idee des baubegleitenden Vertragsmanagements: Es läuft zunächst im Hintergrund ab, bei Bedarf erweist es sich dann aber als starkes und zwingend notwendiges Werkzeug.

Lesen, lesen,

lesen!

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 02/2014 BAUSTELLENGESPRÄCHE RICHTIG FÜHREN

Baustellenprotokolle können „gefährlich“ sein

Nach Abschluss eines Baustellengesprächs fertigt der Architekt des Auftraggebers ein Protokoll in dem er z.B. ausführt: „Der Auftragnehmer X wird bis zum 7. November 2013 die Werk- und...

mehr
Ausgabe 10/2012 ZUVERLÄSSIGKEIT VERBINDET

Auftragnehmer dokumentieren Verantwortung

Dementsprechend fordern Auftraggeber und Netzbetreiber vor Auftragsvergabe einen Eignungsnachweis der Bieter. Eine zwischen Auftraggebern, Ingenieurbüros und Auftragnehmern abgestimmte Grundlage zur...

mehr
Ausgabe 03/2014 BAUVERTRÄGE WÄHREND DER VERTRAGSABWICKLUNG

Nachträge korrekt begründen

Haben die Parteien hierzu die VOB/B vereinbart, so sind die Preise zu diesen Nachträgen auf der Grundlage von § 2 Abs. 5 (Vertragsänderung) oder § 2 Abs. 6 (Zusatzleistung) der VOB Teil B zu...

mehr
Ausgabe 7-8/2011

Nachtragsmanagement

Die Berücksichtigung von Nachträgen im Bauprojekt-Controlling

Nachtragserkennung als Grundvoraussetzung des Bauprojekt-Controlling Aus Controllinggesichtspunkten unbedingt wichtig sind bei der Nachtragserkennung die Durchführung einer Beweissicherung und...

mehr
MOBILES BAUTAGEBUCH

Mit Bautagebuch-Software auf der sicheren Seite

Bautagebücher sind laut HOAI Pflicht. Werden sie kontinuierlich geführt und gepflegt, entsteht ein umfangreiches Protokoll der Bauausführung, das Rechtsstreitigkeiten vermeiden hilft und im...

mehr