„Es gibt ein unglaubliches Potential zur Effizienzsteigerung“
Nachhaltigkeit im BauwesenGespräch mit Martin Muth, Geschäftsführer der RIB Deutschland GmbH, über seine Erfahrungen in der Baubranche und die Aufgabe, Nachhaltigkeit im Baualltag abzubilden und berechenbar zu machen.
THIS: Sie sind zwar seit vielen Jahren in der Software-Industrie aktiv, aber die Baubranche ist für Sie eine neue Erfahrung. Wie fühlt sich die Branche an?
Martin Muth: Die Bauindustrie finde ich super spannend, weil es da im Vergleich zu anderen Branchen in vielen Bereichen noch so viel zu tun gibt. Etwa im Vergleich zur Logistik: Wenn man ein Paket bestellt und bei der DHL ein Sub-Sub-Lieferant in Malaysia zu spät zum Flieger liefert, bekommt man eine SMS, dass das Paket erst ein Tag später ankommt. DHL wiederum weiß ganz genau, wie viel CO2 das extra verbraucht, weil der Versand jetzt über einen anderen Flieger geht.
Stellen Sie sich etwa Vergleichbares in der Bauindustrie vor. Was es da entlang der Kette an Vertrauen und Zusammenarbeit braucht, um ein ähnliches Ergebnis für die Endkunden zu erreichen. Diese Zusammenarbeit entlang der ganzen Kette zu ermöglichen, sehe ich als eine ganz wichtige Aufgabe für die RIB. Wir können unterstützen und die Tools liefern, dass diese Kette durchgängig funktionieren kann. Wir können für diese Durchgängigkeit die technologische Basis bilden.
THIS: Wenn alle Bauunternehmen mit RIB arbeiten, arbeiten auf einmal alle Hand in Hand?
Martin Muth: Dass dann die verschiedenen Spieler so transparent wie erforderlich miteinander arbeiten, das braucht sicherlich noch einen gewissen Cultural Change. Und auch eine gewisse Offenheit, die wir heute noch nicht haben, bzw. wo ich zwar erste Ansätze sehe, dass sich verschiedene Teilnehmer mehr öffnen, aber das kann man sicherlich für heute noch nicht verallgemeinern. Aber wir können jetzt schon den Bauunternehmen die Tools bereitstellen, um so zu arbeiten.
THIS: Nun ist nicht nur jedes Bauprodukt ein Unikat, sondern auch jede Baustelle, jedes Team – anders als etwa bei der Fahrzeugproduktion.
Martin Muth: Absolut richtig, jede Baustelle ist anders. Die Frage ist, zu wie viel Prozent die anders sein muss, welche und wie viele Prozesse man standardisieren kann. Ja, jede Baustelle ist anders und muss extra eingerichtet werden. Aber da liegt ein unglaubliches Potenzial an Effizienzsteigerung.
THIS: Warum wird das Potenzial nicht abgerufen?
Martin Muth: Es geschieht, aber langsam. Wir sehen, dass viele unserer Kunden verstärkt in die Vorfertigung gehen. Das ist ein Teil des Bauprozesses, den man kontrollieren und standardisieren kann. Und ja, auch mein Fundament in der Baugrube ist jedes Mal anders. Aber vielleicht kann man die Abläufe drumherum ein bisschen standardisieren. Auch die Logistik bietet noch enormes Einsparpotenzial.
THIS: Wo sehen Sie die größten Probleme?
Martin Muth: In nicht aufeinander abgestimmten Prozessen. Der Betrieb von Baggern beispielsweise kostet viel Geld. Wenn die stehen, weil Material oder ein Lkw fehlt, sitzt der Mensch, der den Bagger fahren soll, auch da und dreht Däumchen. Wir können durch abgestimmte Prozesse, die ja auch Datenkonsistenz erfordern, noch einiges an Effizienz gewinnen.
THIS: Sie sprachen anfangs über CO2 …
Martin Muth: Wir reden ja oft über die erforderliche CO2-Reduzierung, über die Verkehrswende, über Energieerzeugung usw. Ein Drittel des gesamten CO2-Ausstoßes wird direkt durch den Bau von Gebäudeinfrastruktur und deren Betrieb verursacht. Wir haben, was CO2 angeht, hier einen einen riesigen, riesengroßen Hebel.
Interessant ist, dass dieses Thema nicht so konfliktbeladen ist. Wenn Sie versuchen, die Verkehrswende umzusetzen, hat man Diskussionen mit Autofahrern, mit Radfahrern, mit Fußgängern. Aber beim Bauen CO2 einzusparen, bietet erst mal keinen gesellschaftlichen Konflikt. Und das ist eigentlich das Schöne für die Politik – hier ist ein Punkt, wo sich CO2 in signifikantem Maß einsparen ließe.
THIS: Warum der Konjunktiv?
Martin Muth: Da komme ich gleich drauf zurück. Hier ist jedenfalls ein gewaltiges Einsparpotenzial ohne diese riesigen gesetzlichen Trade-offs, die man sonst bei vielen anderen Themen hat.
Nachhaltigkeit ist auch für unseren gesamten Konzern, nicht nur für die RIB, sondern auch für unseren Mutterkonzern Schneider Electric ein riesiges Thema.
Schneider Electric hat sich auf die Fahnen geschrieben, eines der nachhaltigsten Unternehmen der Welt zu werden. Das gilt natürlich auch für die RIB, weil wir es als unsere Verantwortung sehen, im Rahmen der Bauwirtschaft unseren Beitrag zu leisten.
THIS: Wie soll der aussehen?
Martin Muth: Wir wollen die Bauindustrie dabei unterstützen, CO2 einzusparen, den CO2-Ausstoß um ein Drittel zu reduzieren. Das ist mir ein persönliches Anliegen. Ich bin Vater von zwei Kindern. Ich sehe, wie wir Jahr für Jahr neue Temperaturrekorde aufstellen. Wenn wir nicht alle anpacken, wenn wir hier die Wende nicht hinbekommen, dann weiß ich nicht, wie schön das Leben für meine Kinder oder vielleicht dann auch irgendwann hoffentlich für meine Enkelkinder ist.
THIS: Wie kann Ihre Software da helfen?
Martin Muth: Wir kommen vom Rechenwesen im Bau – unsere Software hilft, die entstehenden Fragen zu beantworten: Wie kalkuliere ich ein Bauprojekt? Um welche Materialien, um welche Mengen geht es? Wie sieht der Zeitplan aus? Wo stecken welche Risiken? Was gebe ich raus, was mache ich selber? Wie steuere ich meine Subunternehmer? Zu welchem Preis kann ich anbieten? Wie rechne ich das dann auch auf? Wie manage ich Nachforderungen? All das sind Parameter für ein Bauprojekt.
CO2 ist nur ein weiterer Parameter. Wir wollen unseren Kunden helfen, einen möglichst exakten CO2-Footprint für ihre Projekte zu ermitteln.
THIS: Also kann man über Ihre Software den Baumaterialien einen CO2-Wert zuordnen?
Martin Muth: Nur diese Dimension einzuführen reicht nicht. Wir müssen den Unternehmen helfen, diesen CO2-Footprint über die Lieferkette hinweg zu bestimmen. Bestimmt man den CO2-Fußabdruck nur im eigenen Unternehmen, lagert man die „schmutzigen“ Prozesse nur nach unten aus. Also muss man die CO2-Bestimmung zwei, drei Level tiefer durchführen, um eine brauchbare Genauigkeit zu erhalten.
THIS: Wie soll das funktionieren?
Martin Muth: Wir haben dazu verschiedene Kataloge, die wir einbinden können, in denen diese CO2-Daten erfasst werden. Und damit kann man dann verschiedene Alternativen rechnen, so wie man heute im Bauprojekt schon verschiedene Alternativen rechnet, die dann unterschiedlich teuer sind oder unterschiedlich lang dauern. Nun kann ich eben auch die unterschiedlichen CO2-Footprints der verschiedenen Alternativen nach Kosten oder nach Zeit rechnen. Für uns ist CO2 eine Dimension, die wir durch das gesamte Projekt durchgängig mitziehen, um verschiedene Alternativen aufzeigen zu können.
THIS: Wie reagieren die Auftraggeber darauf?
Martin Muth: Unterschiedlich. Private Auftraggeber sehen das positiv …
THIS: Lassen Sie mich raten – die öffentliche Hand ist damit überfordert?
Martin Muth: Was mir die Kunden aus der Bauwirtschaft erzählt haben, ist, dass CO2-Vorgaben in den Ausschreibungen der öffentlichen Hand von wenigen seltenen Ausnahmen abgesehen noch keinen Eingang finden.
THIS: Woran liegt das? Haben Sie mal nachgefragt?
Martin Muth: Ja. Und mit der Antwort auf diese Frage kommen wir zu dem zuvor erwähnten Konjunktiv. Das gültige Ausschreibungsrecht ist nur auf den Preis ausgelegt. Wenn ein öffentlicher Auftraggeber außer dem Preis ein weiteres Kriterium wie den CO2-Fußabdruck in die Ausschreibung nehmen möchte, wird es für diesen Auftraggeber rechtlich wirklich schwierig, solche sinnvollen Ziele im Rahmen des geltenden Vergaberechts zu realisieren.
Sie können schauen, wohin sie wollen – Verkehrsministerium, Wirtschaftsministerium, Justiz, Finanzministerium – überall hat man Vergaberechte, die es kompliziert machen, CO2-Einsparungen oder CO2-Äquivalente als ein technisches Ausschreibungskriterium mit aufzunehmen.
THIS: In den Niederlanden ist das möglich.
Martin Muth: Ja. Wir tun uns wie immer ein bisschen schwerer. Aber der politische Wille ist ja da. In meinen Gesprächen mit der Politik merke ich, dass dieses Thema für die Politik wichtig ist, und zwar über das ganze ernstzunehmende Parteispektrum hinweg. Jetzt müssen wir diesen politischen Willen durch die Änderungen und Anpassungen der Ausschreibungsgesetze noch mal zur Realität verhelfen.
Wir können nicht darauf aufbauen, dass Menschen oder Unternehmen aus Gutherzigkeit oder Überzeugung für mehr Nachhaltigkeit ihre Marge opfern.
THIS: Ich stimme zu – das Thema gehört in die Ausschreibungen.
Martin Muth: Es ist ja nicht nur ein Aspekt für die Baukosten. Viel wichtiger und ausschlaggebeender für die Ökobilanz ist, wie hoch die CO2-Kosten im Betrieb des Gebäudes sind. Wenn man es schafft, etwa durch bessere Dämmmaterialien im Betrieb des Gebäudes CO2 einzusparen – wir können das schon am Anfang in der Kalkulation aufzeigen, dann ist das scheinbar teurere Bauwerk vielleicht im Betrieb viel günstiger. Wenn man das vorher nicht abbilden kann, fällt es schwer, die optimale Entscheidung zu treffen. Das ist für uns dann der nächste Schritt, dass eben auch bis in den Betrieb führen zu können.