Flüssigboden für Mega-Projekt
Südschnellwegbrücke wird durch Tunnel ersetztBei Tiefbaumaßnahmen an Hauptverkehrsadern sind Planer gehalten, Bauabläufe und Sperrungen kurz zu halten. Vor allem bei innerstädtischen Maßnahmen sind praktikable Lösungen gefragt, die einen schnellen Bauablauf ermöglichen.
Die Südschnellwegbrücke in Hannover-Döhren ist marode und wird in den nächsten Jahren durch einen Tunnel ersetzt.
© Bundesqualitätsgemeinschaft Flüssigböden e.V.
Der Südschnellweg ist eine wichtige Hauptverkehrsachse der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover. Im Bereich der Hildesheimer Straße führt die vierspurige Straße über eine Brücke, die täglich von ca. 60.000 Fahrzeugen befahren wird. Das noch aus den 1960er Jahren stammende Brückenbauwerk ist seit einiger Zeit marode und daher in jede Richtung nur noch einspurig befahrbar und für den Schwerlastverkehr gesperrt. Der Bundesverkehrswegeplan sieht vor, dass die Brücke in den nächsten Jahren abgerissen und durch einen 800 m langen Tunnel ersetzt werden soll. Nach 8 Jahren Planung begannen im Frühjahr 2022 die Arbeiten im Kreuzungsbereich. Dipl.-Ing. Meik Arnemann von der Max Kroker Bauunternehmung GmbH & Co. aus Braunschweig beschreibt, warum man sich hier für den Einsatz von Flüssigboden entschieden hat: „Bei diesem Mega-Projekt arbeiten wir unter besonders extremen Bedingungen. Wir haben es hier mit einer Hauptverkehrsader zu tun. Während der Bauphase müssen alle Straßen voll befahrbar bleiben. Auch die Stadtbahn bleibt in Betrieb. Dies funktioniert nur durch den Bau einer Ersatzbrücke, damit die Lebensader weiter funktioniert und gleichzeitig der Tunnel gebaut werden kann“, so Arnemann.
Arbeiten unter extremen Bedingungen
Die Platzverhältnisse an der Hildesheimer Straße sind sehr beengt.
© BundesQualitätsgemeinschaft Flüssigböden e.V.
Für den Bau der Ersatzbrücke und für den späteren Tunnelbau müssen jedoch einige Versorgungsleitungen provisorisch umgelegt werden, um das Baufeld freizulegen. Das zur Verfügung stehende Zeitfenster ist sehr eng bemessen. Zahlreiche Rohrleitungen wurden in offener Bauweise neu verlegt.
„Den Knackpunkt bildet hier nun der Umgang mit dem Bodenaushub“, erklärt Meik Arnemann. „Statt wie bei einer herkömmlichen Bauweise den Boden abzufahren, zwischenzulagern und wieder zu verfüllen, haben wir ein Flüssigbodenkonzept erarbeitet. Dieses sah vor, dass der vor Ort anfallende Aushub nach Verlegung der Rohre für die Verfüllung der Baugruben wieder verwendet wird.“
Mobile Mischanlage CM30+
Der Flüssigboden wurde bei dieser Maßnahme mit einer mobilen Mischanlage (CM30+) der Firma Max Kroker Bauunternehmung GmbH & Co. aus Braunschweig aufbereitet.
© Bundesqualitätsgemeinschaft Flüssigböden e.V.
Unter Flüssigboden versteht man zeitweise fließfähige, selbstverdichtende Verfüllbaustoffe (ZFSV) auf Basis von aufbereitetem Erdaushub, geprüften Recyclingbaustoffen oder natürlichen bzw. aufbereiteten Sand-Kies-Gemischen unter Zugabe definierter Additive und Wasser. Der Flüssigboden wurde bei dieser Maßnahme mit einer mobilen Mischanlage (CM30+) der Firma Max Kroker Bauunternehmung GmbH & Co. aus Braunschweig aufbereitet. Bestandteile der Mischung waren der zuvor gesiebte Boden (Körnung 0/40 mm) und ein Compound. Das Gemisch erreicht dabei eine maximale einaxiale Druckfestigkeit von 0,3 N/mm² (nach FGSV H ZFSV). Baumanager René Radmacher aus Werder (Havel), der das Projekt federführend begleitet, erläutert die Aufbereitung des Ausgangsmaterials: „Zunächst wurde der Boden aus der Baugrube mittels einer mobilen Siebanlage aufbereitet. Hierbei werden beim Grundmaterial die groben Bestandteile > 40 mm abgetrennt, damit eine unkomplizierte Weiterverarbeitung und Verfüllung gewährleistet werden können. Im Anschluss daran wird das Grundmaterial in einen Chargenmischer eingebracht. Wichtig hierbei ist, dass geeignete Mischwerkzeuge eingesetzt werden, um ein homogenes Gemisch zu erzeugen.
Die Baugrube wird mit rund 2.000 m³ Flüssigboden verfüllt.
© BundesQualitätsgemeinschaft Flüssigböden e.V.
Mit dem Einfüllen des Grundmaterials wird gleichzeitig ein Teil des Anmachwassers zugegeben, damit ein erster rheologischer (d.h. verflüssigender) Effekt erzielt wird. Zeitversetzt wird das Compound zum teilverflüssigten Boden zugegeben und homogenisiert. Das zugegebene Compound bewirkt neben der Verstärkung des rheologischen Faktors, den Beginn des Verfestigungsprozesses zum Erreichen der erforderlichen Tragfähigkeit. Mit dem Restwasser, welches bei der Eignungsuntersuchung im Vorfeld der Baumaßnahme bestimmt werden muss, wird die Fließfähigkeit, welche zur vollständigen Verfüllung des Bauobjektes notwendig ist, eingestellt. Nach der Mischzeit kann das homogene, fließfähige Verfüllmaterial ausgeschleust werden. Der fertige Flüssigboden wird schließlich über eine hydraulisch verstellbare Rutsche direkt in den Graben bzw. in die Baugrube gefüllt. Bei Bedarf kann er auch in Fahrmischern eingefüllt und auf die Baustelle transportiert werden. Eine laufende Überwachung der Rezepturen sichert dabei die Qualität des Bauwerks“, so Radmacher.
Einsparung von rund 300 Ab- und Antransporten
Dass diese Bauweise viele Vorteile bietet, erklärt Meik Arnemann: „Der entscheidende Vorteil bei der Verwendung von Flüssigboden liegt darin, dass wir den vor Ort anstehenden Boden wiederverwenden können. In Summe konnten durch die Aufbereitung des Bodenaushubes vor Ort rund 300 Ab- und Antransporte auf öffentlichen Straßen (circa 2.000 m³ Boden bei rund 15 m³ Ladevolumen) eingespart werden. Dies senkt den Ressourcenverbrauch und spart Deponieraum. Ein weiterer Vorteil: Die bis zu 4 m tiefen Baugruben ließen sich mit Flüssigboden deutlich schneller und einfacher verfüllen, als wenn man dies händisch gelöst hätte“, so Arnemann. „Auch die Arbeitsräume konnten deutlich schmaler ausfallen als bei herkömmlicher Bauweise. Und letztendlich ist der Flüssigboden an allen Stellen sehr leicht mit der Schaufel wieder aufgrabfähig – eine Bedingung, die dieses Material hier sehr gut erfüllt.“ René Radmacher ergänzt: „Der Einsatz von Flüssigboden ist völlig setzungsfrei, denn er verdichtet sehr kompakt. Deshalb kann ich mir beim Einsatz von Flüssigböden eine Nachverdichtung sparen.“
Bundesqualitätsgemeinschaft Flüssigböden e. V. (BQF) definiert Qualitätsstandard
Die Gesellschaft für Materialforschung und Prüfungsanstalt für das Bauwesen Leipzig mbH führte auf der Baustelle an dem eingesetzten Flüssigboden eine Fremdüberwachung durch.
© BundesQualitätsgemeinschaft Flüssigböden e.V.
Um den bisher noch nicht genormten Baustoff Flüssigboden mit einer transparenten und zielgerichteten Qualitätssicherung am Markt zu platzieren, hat sich seit dem Jahre 2010 die Bundesqualitätsgemeinschaft Flüssigböden e. V. (BQF) das Ziel gesetzt, Richtlinien für diese Qualitätssicherung zu definieren und deren Umsetzung in der Praxis sicherzustellen. Die BQF vergibt hierfür ein Qualitätszeichen, wenn alle Anforderungen an die fachgerechte Herstellung, durchzuführende Fremdüberwachungen und nachzuweisende Fachkunde erfüllt werden. Hierzu Meik Arnemann: „Seit 2020 ist das Unternehmen Max Kroker Mitglied bei der BQF. Für eine erfolgreiche Vermarktung dieses noch recht neuen Produktes ist es für uns wichtig, einen Produktstandard zu definieren. Diesen versprechen wir uns durch das BQF-Qualitätszeichen.“
2028 soll das 360 Millionen Euro schwere Mega-Tunnelbauprojekt beendet sein. Mit dessen Bau soll sich die Lärm- und Abgasbelastung für die Anwohner künftig deutlich verringern. Die Verwendung des Flüssigbodens hat immerhin dazu beigetragen, dass bereits während der Bauphase weniger Baufahrzeuge als üblich Lärm und Abgase produziert haben.