Mit Flüssigboden die Fahrtzeit halbiert
Bei Verfüllung des Tunnels setzen Planer auf FlüssigbodenDer Albvorlandtunnel wird mit einer Länge von 8.176 Metern einmal zu den zehn längsten Eisenbahntunneln Deutschlands zählen. Er unterfährt in Kirchheim unter Teck den Stadtteil Lindorf und die Anschlussstelle Kirchheim-Ost der A8.
Konventionelle Arbeitsraumverfüllung im Bereich der Grundwasserwanne am Ostportal des Albvorlandtunnels.
© Fischer Weilheim GmbH
Mit dem Neubau der Bahnstrecke Wendlingen–Ulm, die für Tempo 250 ausgelegt ist, schafft die Bahn die Basis für attraktivere Reisezeiten in ganz Baden-Württemberg, Deutschland und Europa. So wird die Fahrtzeit zwischen Stuttgart und Ulm im Fernverkehr auf eine halbe Stunde nahezu halbiert. Die Trasse folgt der parallel verlaufenden A8, wobei die Hälfte der rund 60 Kilometer langen Strecke durch elf Tunnel führen wird.
Aus der Vogelperspektive sind die schmalen Arbeitsräume am Ostportal des Albvorlandtunnels besonders gut zu erkennen.
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Aus Mangel an einer senkrechten Anschlagwand, die für eine exakte Ausrichtung der Tunnelbohrmaschine erforderlich gewesen wäre, konnten die letzten 75 Meter am Ostportal des Albvorlandtunnels nicht bergmännisch vorangetrieben, sondern mussten in offener Bauweise erstellt werden. Als Nachunternehmer der Implenia Construction GmbH war die Bauunternehmung Fischer Weilheim GmbH aus Weilheim an der Teck neben der Entsorgung und Verwertung des Tunnelausbruchsmaterials auch für sämtliche Erdarbeiten und somit auch für die Verfüllung der Arbeitsräume, die sich durch die offene Bauweise am Ostportal des Tunnels ergeben hatten, verantwortlich. Während im Tunnelabschnitt der Grundwasserwanne aufgrund der großzügigen Platzverhältnisse die Arbeitsräume größtenteils konventionell lagenweise mit Großgeräten mit zwischengelagertem Aushubmaterial verdichtet werden konnten, entschied man sich am unmittelbaren Portalausgang für eine andere Lösung:
Nachdem sich der Flüssigboden über das Wochenende verfestigt hat, war dieser ab Montags begehbar, so dass die Verbaue demontiert und die Verpressanker gelöst werden konnten.
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Im Bereich des Sonic-Boom-Bauwerks und der offenen Bauweise wurden die Arbeitsräume bis 1,3 Meter unter der Gebäudeoberkante mit Flüssigboden aufgefüllt. Die Restverfüllung der Arbeitsräume erfolgte konventionell in Sandwichbauweise. Dipl.-Ing. Christoph Schmidberger von der Bauunternehmung Fischer Weilheim GmbH aus Weilheim an der Teck beschreibt die Maßnahme: „Ein wesentlicher Grund für den Einsatz von Flüssigboden lag darin, dass wir es insbesondere im Bereich des Sonic-Boom Tunnelabschnitts entlang der Bohrpfahlwand im Bereich der Brücke über die A8 und im Bereich des Treppenhauses an der Südseite des Tunnels mit einem nur 90 Zentimeter breiten und etwa 12 Meter tiefen Arbeitsraum zu tun hatten. Eine konventionelle Verfüllung der Arbeitsräume wäre hier zwar theoretisch machbar gewesen, hätte jedoch einen nicht zu unterschätzenden Mehraufwand bedeutet. Im Gegensatz dazu ist der Einsatz von Flüssigboden setzungsfrei, denn er verdichtet sehr kompakt. Deshalb kann ich mir beim Einsatz von Flüssigböden eine Nachverdichtung sparen“, erklärt Bauleiter Schmidberger.
Im Bereich des Sonic-Boom-Bauwerks wurden die teilweise sehr engen Arbeitsräume bis 1,3 Meter unter der Gebäudeoberkante mit Flüssigboden aufgefüllt.
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Mit Hilfe einer mobilen Mischanlage der Firma Erdbau Kuhn aus Kirchardt wurde der Flüssigboden aufbereitet.
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Einbau von Flüssigboden erfolgt schrittweise
Unter Flüssigboden versteht man zeitweise fließfähige, selbstverdichtende Verfüllbaustoffe (ZFSV) auf Basis von aufbereitetem Erdaushub, geprüften Recyclingbaustoffen oder natürlichen bzw. aufbereiteten Sand-Kies-Gemischen unter Zugabe definierter Additive und Wasser. Durchgeführt hat die Arbeiten das Unternehmen Erdbau Kuhn aus Kirchardt. Zum Einsatz kam dabei eine mobile Dosieranlage, die den Aushub vor Ort als Flüssigboden aufbereitet. Uwe Kuhn: „Hierfür bot die Baustelle zum Glück ausreichend Platz. Weil der Flüssigboden unmittelbar auf der Baustelle produziert wurde, waren daher die Transportwege der Materialien sehr kurz und eine einfache und direkte Kommunikation aller Beteiligten möglich – ein echter Vorteil, der sicher den Bauablauf positiv beeinflusst hat“, so Kuhn. Bei dem Ausgangsboden, der hier für den Flüssigboden zum Einsatz kam, handelt es sich zu großen Teilen um Boden, der direkt vor Ort wieder verwendet werden konnte und nicht aufwändig entsorgt werden musste. Dies sparte wertvolle Ressourcen und Deponieraum. Der restliche Ausgangsboden war ein vor Ort aufbereiteter Lösslehm von einer Baumaßnahme aus Stuttgart-Plieningen. Uwe Kuhn erläutert den Einbau des Flüssigbodens: „Der Einbau von Flüssigboden erfolgt aufgrund der Abbindezeiten des Bodens immer schrittweise: Verpressanker, welche die Bohrpfähle im dahinter anstehenden Boden rückverankern, müssen in Abhängigkeit vom Stand der Verfüllung gelöst werden. Ebenso sind auch die Trägerbohlwände schrittweise rückzubauen. Das Holz des Verbaus darf nicht im Boden verbleiben, sondern sollte im Zuge des Einbaus des Flüssigbodens ausgebaut werden. Deshalb haben wir den Ablauf in einem Zwei-Wochen-Rhythmus getaktet: Während einer Woche wurde der Flüssigboden eingebaut. Nachdem sich dieser über das Wochenende verfestigen konnte, war er ab Montag begehbar, so dass die Verbaue demontiert und die Verpressanker gelöst werden konnten“, so Kuhn.
Bundesqualitätsgemeinschaft Flüssigböden e. V. (BQF) definiert Qualitätsstandard
Die bis zu 12 Meter tiefen Arbeitsräume ließen sich mit Flüssigboden schnell und einfach verfüllen.
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Um den bisher noch nicht genormten Baustoff Flüssigboden mit einer transparenten und zielgerichteten Qualitätssicherung am Markt zu platzieren, hat sich seit dem Jahre 2010 die Bundesqualitätsgemeinschaft Flüssigböden e. V. (BQF) das Ziel gesetzt, Richtlinien für diese Qualitätssicherung zu definieren und deren Umsetzung in der Praxis sicherzustellen. Hierzu Uwe Kuhn: „Seit 2018 ist das Unternehmen Erdbau Kuhn Mitglied bei der BQF. Für eine erfolgreiche Vermarktung dieses noch recht neuen Produktes war es für uns wichtig, einen Produktstandard zu definieren. Diesen versprechen wir uns durch das BQF-Qualitätszeichen, das wir im September 2019 verliehen bekommen haben.“
Eingebaut wurde der Flüssigboden im Frühjahr 2021 an 27 Tagen jeweils mit bis zu vier Fahrmischern und einer Betonpumpe. Das Gesamtvolumen an Flüssigboden betrug 4.500 Kubikmeter bei einer maximalen Tagesleistung von bis zu 300 Kubikmeter. Die Länge der Arbeitsräume betrug insgesamt 185 Meter je Seite (Offene Bauweise = 75 Meter, Sonic-Boom-Bauwerk = 50 Meter, Grundwasserwanne = 60 Meter). Die Bahn plant die Fertigstellung der Bahnstrecke Wendlingen–Ulm bis Ende 2022. Christoph Schmidberger zeigt sich zufrieden: „Mit der Flüssigbodenlösung haben wir auch für künftige ähnliche Projekte eine gute Lösung gefunden, um enge Arbeitsräume auf wirtschaftliche Weise zu verfüllen.“