Verzicht auf Sperrpausen dank Flüssigboden
Erneuerung zweier Eisenbahnüberführungen im Hamburger ZollkanalIn Hamburg lässt die Deutsche Bahn zwei Eisenbahnbrücken sanieren. Um auf Sperrzeiten verzichten zu können, setzen die Planer beim Bau der neuen Brücken u.a. auf den Einsatz von Flüssigboden.
Die Deutsche Bahn unterhält in Deutschland mehr als 25.700 Eisenbahnbrücken unterschiedlichster Bauart. Alle Bauwerke werden nach vorgeschriebenen Fristen von Experten regelmäßig inspiziert und geprüft. Zudem wird umfassend in Erhalt und Erneuerung investiert. In den Jahren 2015 bis 2019 setzte die Bahn das bislang größte Modernisierungsprogramm ihrer Geschichte um – mit einem Investitionsvolumen in die Infrastruktur von 28 Milliarden Euro. Grundlage war die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung mit dem Bund (LuFV II), die mit über drei Milliarden Euro auch umfangreiche Gelder für die Erneuerung von Brücken vorsah. Rund 900 Eisenbahnbrücken wurden bisher im Rahmen der LuFV II erneuert. Ein aktuelles Sanierungsprojekt sind auch die „Veddeler Brücken“ in Hamburg, die die Harburger Chaussee und den Zollkanal überspannen. Seit Anfang 2019 liegt die Plangenehmigung für einen Ersatzneubau vor. Um während des seit 2021 laufenden Umbaus auf Sperrzeiten zu verzichten, setzten die Planer beim Bau der neuen Brücken unter anderem auf den Einsatz von Flüssigboden.
Die Eisenbahnüberführung (EÜ) „Zollkanal“ wurde in den Jahren 1905/1906 errichtet. Auf ihr queren vier Gleise den ehemaligen Zollkanal, der heute als „Müggenburger Durchfahrt“ bekannt ist. Unmittelbar südlich schließt daran die EÜ „Harburger Chaussee“ an. Sie wurde 1886 errichtet und bis 1906 mehrmals verbreitert. Das Bauwerk überquert die Straße Harburger Chaussee. Täglich nutzen rund 600 Züge die Brücken. Beide Brückenbauwerke haben mit ihrem Alter von über 100 Jahren das Ende ihrer Nutzungsdauer erreicht. Weil beide Bauwerke direkt nebeneinander liegen, erfolgte der Ersatz gleichzeitig. Auf Grund der Bedeutung der beiden Brücken für die Eisenbahnanbindung Hamburgs werden die Erneuerungsarbeiten so durchgeführt, dass Einschränkungen im Eisenbahnbetrieb minimiert werden. Drei von den vier Gleisen, die auf den Brücken liegen, bleiben während der Bauphase stets befahrbar. Dazu wird westlich der heutigen Brücken eine temporäre Umfahrung geschaffen. Außerdem wird ein Gleiswechselbetrieb eingerichtet, der es erlaubt, die Gleise in beide Richtungen zu befahren, was eine höhere Flexibilität bei der Steuerung des Eisenbahnbetriebs ermöglicht. Für die EÜ „Zollkanal“ werden die neuen Brückenelemente zunächst auf einer Arbeitsplattform westlich der Brücke vormontiert. Sie werden dann nacheinander in ihre jeweilige Endposition „eingeschwommen“. Für die EÜ „Harburger Chaussee“ werden die neuen Brückenelemente im Werk gefertigt und an der Baustelle in die neue Position eingehoben.
Bauen unter erschwerten Bedingungen
Beim Bau der neuen Brückenwiderlager setzen die Planer auf den Einsatz modernster Flüssigbodentechnologie. Alexander Skrobucha, Bauleiter der Eggers Umwelttechnik GmbH aus Hamburg, schildert die Gründe hierfür: „Die Baustelle befindet sich in Insellage. Unter normalen Umständen ist das Baufeld daher nur schwer erreichbar. Ebenso müssen die Arbeiten hier zu Tag- und Nachtzeiten sowie an Wochenenden unter vollem Bahnverkehr stattfinden. Erschwert werden die Bedingungen auch durch bis zu neun Meter tiefe Baugruben unter Geländeoberkante im Einschnitt in den Zollkanal unter Einfluss der Tide. Viele Arbeitswege führen über den Wasserweg. Bedingung ist auch, dass der Auto- und Fußgängerverkehr auf der stark frequentierten Zufahrtsstraße Harburger Chaussee voll aufrecht zu erhalten ist. Zum Bau der Widerlager muss zunächst der Spundwandkasten rund um die Hüllrohre verfüllt werden, um eine Plattform für das Bohrgerät zu schaffen, welches die Löcher zum Betonieren der Pfahlgründung bohrt. Bei einer Verfüllung dieser rund 650 Kubikmeter Boden auf konventionelle Art, hätte dies etwa 65 Gleisüberfahrten bedeutet, was nur mit zahlreichen Sperrpausen realisierbar gewesen wäre. Auch eine Verfüllung der Zwickelbereiche zwischen den Hüllrohren der Pfahlgründung wäre auf konventionellem Weg nicht qualitativ möglich gewesen.“
Boden wird unter Gleisen hindurchgepumpt
Aus diesem Grund entschieden sich die Verantwortlichen für die Verfüllung der Baugruben auf jeweils beiden Seiten der Brücken mit Flüssigboden. Hierunter versteht man zeitweise fließfähige, selbstverdichtende Verfüllbaustoffe (ZFSV) auf Basis von aufbereitetem Erdaushub, geprüften Recyclingbaustoffen oder natürlichen bzw. aufbereiteten Sand-Kies-Gemischen unter Zugabe definierter Additive und Wasser. Eingebaut wurde dieser mit einer mobilen Mischanlage (CM30+) von der Max Kroker Bauunternehmung GmbH & Co aus Braunschweig. „Mit dieser Anlage sind wir in der Lage, über einen ca. 100 Meter langen Schlauch, den Flüssigboden unter den Gleisen durch in die Baugrube zu pumpen“, erklärt Meik Arnemann, Projektleiter bei der Max Kroker Bauunternehmung. „Durch den Verzicht auf Sperrpausen sparen wir so im Vergleich zur konventionellen Bauweise eine Menge Zeit ein.“ Bei dem verwendeten Material handelt es sich um das eigentliche Verfüllmaterial der Ausschreibung, ein Boden der Gruppe SE bzw. SI, welcher auch für konventionellen Einsatz vorgesehen war. Das Material wurde vorweg an das Zwischenlager geliefert und von dort mittels Schlepper in das Baufeld verfahren. Besonders an der Maßnahme ist außerdem, dass der hier eingesetzte Flüssigboden bereits nach drei Tagen so tragfähig war, dass darauf ein 100 Tonnen Bohrgerät sicher stehen konnte. Verantwortlich hierfür ist der besondere Compound „RMS Gold“ der RMS Remake Soil GmbH aus Werder (Havel).
100 Tonnen Bohrgerät steht nach drei Tagen auf Flüssigboden
René Radmacher, der das Bauprojekt federführend begleitet, erläutert das Herstellungsverfahren des Flüssigbodens: „Zunächst wird das Grundmaterial in einen Chargenmischer eingebracht. Wichtig hierbei ist, dass geeignete Mischwerkzeuge eingesetzt werden, um ein homogenes Gemisch zu erzeugen. Mit dem Einfüllen des Grundmaterials wird gleichzeitig ein Teil des Anmachwassers zugegeben, damit ein erster rheologischer (d.h. verflüssigender) Effekt erzielt wird. Zeitversetzt wird das Compound zum teilverflüssigten Boden hinzugegeben und homogenisiert. Das zugegebene Compound bewirkt neben der Verstärkung des rheologischen Faktors den Beginn des Verfestigungsprozesses zum Erreichen der erforderlichen Tragfähigkeit. Mit dem Restwasser, welches bei der Eignungsuntersuchung im Vorfeld der Baumaßnahme bestimmt werden muss, wird die optimale Fließfähigkeit, welche zur vollständigen Verfüllung des Bauobjektes notwendig ist, eingestellt. Nach der optimalen Mischzeit kann das homogene, fließfähige Verfüllmaterial ausgeschleust werden. Der fertige Flüssigboden wird schließlich über eine hydraulisch verstellbare Rutsche direkt in die Pumpe gefüllt. Bei Bedarf kann er auch in Fahrmischern eingefüllt und auf die Baustelle transportiert werden. Eine laufende Überwachung der Rezepturen sichert dabei die Qualität des Bauwerks“, so Radmacher.
Flüssigboden ist standfest und zugleich ausbaubar
Die Flüssigbodenbauweise bietet aber noch einen weiteren Vorteil: Wenn die Gründungssohle gebohrt ist, kann der Flüssigboden wieder ausgebaut werden. Alexander Skrobucha erklärt die Vorgehensweise: „Nachdem das Bohrgerät seinen Dienst getan hat, wird der Flüssigboden bis auf die Wasserlinie wieder ausgebaggert, so dass der Spundwandkasten zur Hälfte wieder leer ist. Im Anschluss wird das Brückenwiderlager betoniert und der Rest mit dem aufgegrabenen Flüssigboden verfüllt. Dies bietet den Vorteil, dass wir die Materialien an Ort und Stelle wiederverwenden können.“
Bundesqualitätsgemeinschaft Flüssigböden e. V. (BQF) definiert Qualitäts- und Ausschreibungs-
standards
Um den bisher noch nicht genormten Baustoff Flüssigboden mit einer transparenten und zielgerichteten Qualitätssicherung am Markt zu platzieren, hat sich seit dem Jahre 2010 die Bundesqualitätsgemeinschaft Flüssigböden e. V. (BQF) das Ziel gesetzt, Richtlinien für Ausschreibung und Qualitätssicherung zu definieren und deren Umsetzung in der Praxis sicherzustellen. Die BQF vergibt hierfür ein Qualitätszeichen, wenn alle Anforderungen an die fachgerechte Herstellung, durchzuführende Fremdüberwachungen und nachzuweisende Fachkunde erfüllt werden. Hierzu Meik Arnemann: „Seit 2020 ist das Unternehmen Max Kroker Mitglied bei der BQF. Für eine erfolgreiche Vermarktung dieses noch recht neuen Produktes ist es für uns wichtig, einen Produktstandard zu definieren. Diesen versprechen wir uns durch das BQF-Qualitätszeichen.“
Ende 2025 soll das Brückenbauprojekt abgeschlossen sein. Dank des Einsatzes der Flüssigbodentechnologie dauert die Bauphase deutlich kürzer als bei herkömmlicher Bauweise.