Behinderungsanzeige – Wann macht sie Sinn?
Die Möglichkeit des Verzichts auf die Anzeige der Behinderung bei Verzögerungen aus geänderten und zusätzlichen Leistungen besteht – doch meist ist der
Auftragnehmer besser beraten, sie dennoch zu stellen.
Meldung an Auftraggeber nötig
Glaubt der Auftragnehmer, dass er in der ordnungsgemäßen Ausführung seiner Leistung behindert ist, so hat er dies dem Auftraggeber gem. § 6 Abs. 1 VOB/B unverzüglich und schriftlich anzuzeigen. Nur wenn der Auftragnehmer dieser Bestimmung nachkommt, kann er zeitliche und finanzielle Ansprüche aus einem gestörten Bauablauf geltend machen.
Die Anspruchsvoraussetzung ist für sämtliche hindernde Umstände gem. § 6 Abs. 2 VOB/B gültig. Die Behinderungsanzeige soll eine Informations-, Schutz- und Warnfunktion übernehmen, damit es dem Auftraggeber möglich ist, den Behinderungsgrund unverzüglich abzustellen und folglich Schäden zu vermeiden.[1]
Streitfall „offenkundige Behinderung“
Allerdings kann laut § 6 Abs. 1 VOB/B auf die Anzeige der Behinderung verzichtet werden, wenn dem Auftraggeber die Tatsache des hindernden Umstandes und deren hindernde Wirkung auf die Auftragnehmerleistungen offenkundig bekannt waren. In welchen praktischen Ausnahmefällen dies aber zutrifft, ist in der VOB/B nicht geregelt und oftmals zwischen den Vertragsparteien strittig. Regelmäßig führt daher eine Unterlassung der Anzeige der Behinderung zu dem Verlust von zeitlichen und finanziellen Ansprüchen des Auftragnehmers.
Wann ist die Behinderung „offenkundig“?
Der Behinderungssachverhalt gilt grundsätzlich als offenkundig, wenn die Ursache der Behinderung und deren Auswirkung auf den Bauablauf dem Auftragnehmer bereits bekannt sind und die Anzeige somit reiner „Förmelei“ gleichkäme.[2] In diesen Einzelfällen ist die Informations-, Schutz- und Warnfunktion der Behinderungsanzeige nicht erforderlich. In diesem Zusammenhang legte die höchstrichterliche Entscheidung vom 25.06.2015 (VII ZR 228/13) fest, dass eine vom Auftraggeber gewünschte Umplanung, die vom ursprünglich vereinbarten Bausoll abweicht, eine aus der Risikosphäre des Auftraggebers zuzuordnende offenkundige Behinderung darstellt.
Der Senat erläuterte hierzu, dass zeitliche Folgen aus geänderten und zusätzlichen Leistungen generell in den Risikobereich des Auftraggebers fallen, da dieser im Rahmen seiner Mitwirkungspflichten für die Lieferung aller für die Ausführung nötigen, freigegebenen Pläne zuständig ist. Dass derartige Verzögerungen als „echte“ offenkundige Behinderungen einzuordnen sind, wurde vom BGH nicht begründet.
Auftraggeber kann Folgen oft nicht abschätzen
Die Unkenntnis des Auftraggebers über die Folgen einer geänderten und zusätzlichen Leistung liegt größtenteils in den Prozessabhängigkeiten und in den Dispositionsspielräumen des Bauablaufes begründet. Der Auftraggeber hat - selbst bei dem Einsatz eines Projektsteuerers - keinen Überklick über die technischen und innerbetrieblichen Abhängigkeiten der Arbeitsprozesse des Auftragnehmers.
Ordnet der Auftraggeber beispielsweise eine Änderung der Fassadenoberfläche an, ist ihm oftmals nicht bekannt, ob sich die damit verbundenen neuen Materiallieferfristen von den ursprünglichen Lieferfristen unterscheiden. Informiert der Auftragnehmer den Auftraggeber über Materiallieferverzögerungen der neuen Fassade, könnten Stillstandzeiten durch Umstellungen des Bauablaufes vermieden werden. Allerdings sind selbst naheliegende Umstellungen des Bauablaufes aufgrund bautechnischer Zwänge nicht immer vom Auftragnehmer umsetzbar.
Behinderungsanzeige schützt
Die Auswirkung einer geänderten oder zusätzlichen Leistung ist dem Auftraggeber nur im Ausnahmefall offensichtlich. Dem Auftragnehmer ist also dringend anzuraten bei zeitlichen Folgen aus geänderten und zusätzlichen Leistungen die schriftliche Behinderungsanzeige generell vorzunehmen.
Der Einzelfall einer echten Offenkundigkeit liegt nur vor, wenn der Auftragnehmer die Mehrkosten einer Anordnung des Auftraggebers - vor Ausführung der Leistung - in einem Nachtragsangebot kalkulatorisch erfasst und die Verlängerung der Ausführungsfrist angegeben hat.
Detaillierte Dokumentation notwendig
Anlass für diese generelle Empfehlung der Behinderungsanzeige ist auch, dass allein die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung gem. § 6 Abs. 1 VOB/B nicht ausreichend ist, um Ansprüche aus einem gestörten Bauablauf erfolgreich durchsetzen zu können. Der Auftragnehmer muss neben der Anspruchsvoraussetzung auch einen Nachweis der Kausalität u.a. zwischen Behinderungsereignis und Behinderungsfolge erbringen. Beispielsweise muss er darlegen, aufgrund welches hindernden Umstandes welche vorgesehenen Arbeitsprozesse nicht durchgeführt werden konnten.[3] Um diesen Nachweis erbringen zu können, ist eine aussagekräftige und detaillierte Dokumentation erforderlich, die den Umfang und die Dauer des Behinderungssachverhaltes aufzeigt.[4] Das Dokument der Behinderungsanzeige ist hier ein besonders wichtiges Nachweisinstrument.
Fazit: Behinderungsanzeige empfohlen
Der Auftragnehmer sollte daher die Anzeige der Behinderung – unabhängig von der Frage der Offenkundigkeit – speziell aus Beweis- und Dokumentationszwecken stets schriftlich vornehmen. So können verzögerungsbedingte Mehrkosten aus einem gestörten Bauablauf erfolgreich durchgesetzt werden. Dies gilt auch für Verzögerungen aus geänderten und zusätzlichen Leistungen, für die die Offenkundigkeit des Behinderungssachverhaltes zweifellos vorliegen soll.