Besonnenheit schlägt Aktionismus
Nicht zuletzt der wenig bedachte und überzeugende Umgang mit der Schuldenkrise und deren Auswirkungen lassen den innerbetrieblichen Druck wieder merklich steigen. Gefragte Führungsqualität in dieser Situation: Besonnenes Handeln! Die Besonnenheit kann als rationale Schwester der emotionalen Gelassenheit, beide als Ausprägung einer starken inneren Ruhe betrachtet werden.
Der Druck steigt
Ohne Zweifel, die Druckverhältnisse am Arbeitsplatz steigen und strapazieren die Nerven. Oben wie unten. Wenig Gelassenheit und viel Aufgeregtheit in Aktion wie Reaktion führen das immer wieder vor Augen. Vielfältige Überreaktion kennzeichnet den Arbeitstag, Chefs wie Mitarbeiter lassen sich ein ums andere Mal wenig besonnen in Situationen hinein-, von ihnen fort- und zu viel Unbedachtem hinreißen. Bedachtes Handeln aus der Kunst des dreifachen Lassens heraus (Zulassen, Weglassen, Loslassen) wird so meist vergeblich gesucht. Stattdessen, so scheint es, steht neben ungezügelter Spontaneität die Kunst des Aktionismus in hoher Blüte.
Wenn, wie häufig zu hören ist, dieser Aktionismus auch zu einer vom System gewollten Verhaltensweise und kontinuierliches Change Management zu dessen allgegenwärtigem Ausdruck geworden ist, tatsächliche Nachhaltigkeit stellt sich auf diese Weise nicht ein. Ganz im Gegenteil. Anstelle der mehr und mehr in die Irre führenden geistigen Abhängigkeit von den Referenzgrößen des Tages als Bezugs- und Orientierungsgrößen, wäre dringend auf das Geschehen beruhigend wirkende Unaufgeregtheit als maßgebliche Führungsqualität gefragt, eine den Mitarbeitern zu tatsächlicher Wegweisung verhelfende größere Halbwertzeit des Angesagten, im Denken, Beurteilen, Handeln und Verwerfen.
Veränderung als unternehmensweites Vorgehens- beziehungsweise Verhaltensprinzip ist kein Werte schaffender Wert an sich. Ganz im Gegenteil wie eine vor knapp einem Jahr von der Unternehmensberatung Coverdale, München, publizierte Studie nachwies: Individuelle Burnouts greifen auf die Organisation über und führen zu organisationalen Burnouts.
Besonnenheit
Was allenthalben schmerzlich vermisst wird, sind besonnene, zumindest etwas besonnenere Köpfe, die ein wenig erhellende Distanz zu dem Geschehen ermöglichen und den notwendigen geistigen Raum gewähren, die Dinge erst einmal zu bedenken, bedenken zu können. Und dadurch davor bewahren, immer wieder konfus unter die Räder des Geschehens zu kommen, zu Getriebenen anstatt zu Steuernden zu werden, eben zu pausenlosen Veränderern. Je herausfordernder, komplexer und potentiell verunsichernder sich eine Situation darstellt, desto bedeutsamer wird Distanz zu ihr, desto mehr verlangt sie nach solchen besonnenen Köpfen. Bewahren doch einzig und allein sie davor, von den anbrandenden Flutwellen der Aufgeregtheit mitgerissen und in ihrem Sog den Boden unter den Füßen und auf der gegenüberliegenden Seite des Rumpfes Durch- und Überblick zu verlieren.
Für die betriebliche Effizienzpflege wie die dazu - viel bewusster als bislang realisierte - notwendige Sorge um das Wohlergehen der Belegschaft sollte Besonnenheit für Führungskräfte zu einer definitiv geforderten Eigenschaft werden. Und eine weitere Forderung an deren Adresse wäre, sich zuverlässiger im Griff zu haben und zu behalten, die menschlich allzu menschliche unter der Oberfläche stets auf der Lauer liegende emotionale Entflammbarkeit zügeln zu können, sich nicht durch einen sprachlichen, körpersprachlichen oder sonstigen Auslöser wie auf Knopfdruck zu unbedachtem Tun und Sagen verleiten und hinreißen zu lassen. Besonnenheit ist die - auch und gerade im Eigeninteresse - vermutlich derzeit in ihrer Wirkung verkannteste Führungsqualität. Ist sie doch für selbsttragend wirkungsvolles Umgehen miteinander im Blick auf gesteckte Ziele die wesentliche Voraussetzung. Einen zuverlässigeren Sicherheitsanker, um in den heiklen, vielfach unter allen möglichen Vorbehalten und „Wenns und Abers“ stehenden zu erledigenden Aufgabenstellungen die Nerven zu behalten und sich in ihnen zu behaupten, überhaupt um sich als Vorgesetzter zu behaupten, gibt es nicht.
Umgang mit Fehlern
Besonnen, kraftvoll aber mit Bedacht zu führen, darin liegt zu einem Gutteil die Begründung der im Alltag vielfältig segensreichen Wirkung gleichzeitig anerkannter wie effizienter Vorgesetzter. Was sich vielleicht am auffälligsten in deren Umgang mit sich stellenden Problemen oder aufgetretenen Fehlern zeigt. Aus der heute zwangsläufigen alltäglichen Durchmischung von routiniertem und notwendigem innovativen Verhalten erwächst unausweichlich eine Fehlergeneigtheit des Tuns. Was eigentlich eine Selbstverständlich ist wird heute aber aus einem unreflektiertem Perfektions- und/oder Sicherheitswahn heraus nicht zur Kenntnis genommen, ja tabuisiert. Damit wird auf unverzeihliche Weise die allen Fehlern innewohnenden Hinweis- und Wirkungskraft ungenutzt gelassen. Einmal abgesehen davon, das absolute Perfektion und Menschsein nicht zusammenpasst, Versuch und Irrtum sind nicht allein das Wirkprinzip der Evolution, Versuch und Irrtum sind auch in jedem Unternehmen der auschlaggebende Gegenspieler von Stillstand und Verkrustung. Sofern durch die richtige Brille gesehen.
Man muss Fehler deshalb nicht bejubeln, aber man muss ignorant, ja geradezu dumm sein, um sich in schöner Regelmäßigkeit über sie zu echauffieren und nach Fehlerfreiheit zu rufen. Und darüber ein ums andere Mal die Chance zu vertun, sie vorurteilsfrei zu analysieren und auf diese Weise den sich in ihnen bietenden Lern- und Entwicklungseffekt zu nutzen. Besonnen, kraftvoll und mit Bedacht führende Vorgesetzte wissen, mit der dümmsten aller dummen Fragen „Wer und wo sitzt der Schuldige, wer hat Schuld?“ unterbinden sie jedwedes weitere zukunftsweisende Handeln auf der Stelle. Ihr Interesse gilt den drei Erkenntnis bringenden W‘s: „Wo könnte der Ursprung des Problems/ des Fehlers liegen?“, „Wie ist oder wäre das Wiederauftreten des Problems/Fehlers zu verhindern?“ „Was hat das Auftreten des Problems/Fehlers begünstigt?“ Dieser fragende, situativ beruhigend und evolutionär effizient wirkende Dreiklang allein bringt ein Unternehmen voran.
So selbstverständlich in diesem Sinne besonnen vorgehende Vorgesetzte den Dingen auf den Grund gehen anstatt Menschen in Grund und Boden zu rammen, so übernehmen sie auch für eigene Irrtümer, Fehler oder Versäumnisse ohne Wenn und Aber die Verantwortung. Das Spiel mit dem schwarzen Peter ist nicht das Spiel besonnener, kraftvoll und mit Bedacht führender Vorgesetzter. Womit nicht zuletzt eine immer wieder gestellte Frage viel von ihrer Rätselhaftigkeit verliert: Weshalb wirken manche Vorgesetzte um so vieles gewinnender, ermutigender und anspornender für ihre Umgebung? Weshalb erschließen sie sich um so vieles leichter Herzen und Potentiale ihrer Leute? Weshalb ist der Krankenstand in ihrem Beritt so auffallend niedrig?
Vorbilder
Weil sie Vorbild und Förderer ihrer Mitarbeiter sind. Weil sie niemanden demütigen. Nicht direkt, durch Geringschätzung. Und auch nicht indirekt durch Selbstüberhöhung und -überschätzung. Das eine wie das andere ein nicht eben selten anzutreffendes „Führungs“verhalten. Vor einiger Zeit erschien im Springer Verlag in Wien ein aufschlussreiches Buch: Der Soziopath von nebenan – Die Skrupellosen: ihre Lügen, Taktiken und Tricks. Es kann einiges dazu beitragen, die seelischen Probleme am Arbeitsplatz nachvollziehbarer zu machen. Burnout ist nie ein einseitiges Geschehen. Das eigene Verhalten und die Auswirkungen fremden Verhaltens mischen sich darin auf explosive oder besser implosive Weise. Wer ausbrennt, explodiert ja nicht, der fällt ja in sich zusammen. Und daran sind Vorgesetzte, die die Macht lieben und es auskosten, auf Kosten anderer zu siegen, reich beteiligt.
Nicht zuletzt weil sie anderen jedwede lebensnotwendige Selbstwirksamkeitsüberzeugung nehmen. Denn diese Überzeugung ist die wesentliche Voraussetzung dafür, sich unbefangen an die Arbeit zu machen. Wer sich ständig bedrängt („angespornt“, „motiviert“), belauert, und geduckt fühlt, wie soll der jemals das erleben, was Leistung zum berauschenden Erlebnis macht, das Gefühl von Flow? Das Gefühl, in der Arbeit aufzugehen und sich durch die Arbeit selbst zu bestätigen? Die ausschlaggebende, die intrinsische Motivation, der Wille zur Leistung aus eigenem Antrieb heraus, lässt sich nicht erzwingen. Nur fördern. Und das vor allem durch Verzicht auf Demotivation. Für besonnen, kraftvoll mit Bedacht führende Vorgesetzte sind diese Zusammenhänge Alltagswissen und -werkzeug.
Und das lässt in ihrer Umgebung stets aufs Neue die Gewissheit wachsen, meistens - nicht immer - findet sich für alles ein Weg, eine Lösung; was sie und ihr Team in der Problemlöse- wie Innovationsfähigkeit ohne alles Seminarbrimborium den anderen oft so erstaunlich überlegen macht. Und gesünder, viel weniger vom Ausbrennen bedroht. Führen Vorgesetzte besonnen, kraftvoll und mit Bedacht, fühlen sich alle den schnell wechselnden, nur zu oft verunsichernden beruflichen Situationen bei weitem nicht so ausgeliefert wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen. Das Feuer, das dann in ihnen brennt, frisst sie nicht auf, es treibt sie an.
Autor: Dipl.-Betriebswirt Hartmut Volk, Redaktionsbüro Wirtschaft und Wissenschaft Bad Harzburg, E-Mail: hartmut.volk@t-online.de